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Das Meerwunder von Folkestone

Bar le Guines liegt an der Grenze zwischen Fischerdorf und Badeort, nicht mehr ganz Fischerdorf und noch nicht Badeort. Zwei kümmerliche Gasthöfe und ein ungepflegter Strand machen noch keinen Badeort aus. Aber mächtig atmet der Atlantische Ozean mit tiefen, langsamen Wellenzügen an der Küste. Sein Blau schimmert wie Atlas.

In den beiden Gasthöfen sind alle Zimmer vorausbestellt. Diese Sache hat Herr Morbes in die Hand genommen, und er macht es um nichts schlechter als Marianne. »Übermorgen treffen die Berichterstatter ein, am Mittwoch kommt Morbes selbst, und am Donnerstag fährst du los«, verkündet Marianne auf Grund des Briefes, der sie in Bar le Guines erwartet hat.

Aber es sind schon heute drei Berichterstatter da, vom Stamme jener, die es nicht erwarten können. Und ehe Haberdietzl noch ein sauberes Hemd angezogen hat, sind sie bereits über ihn hergefallen, haben ihn umringt und bohren ihm ihre Fragenkorkzieher in den Leib. Zwei der Herren sind Deutsche, der dritte ist ein vierschrötiger, rothaariger Engländer, der nicht ein Wort Deutsch kann und unentwegt auf englisch fragt. Da ist es ein Glück, daß Marianne zur Stelle ist und aushelfen kann mit ihrem blendenden Englisch, das sie sogar in den Stand gesetzt hat, für amerikanische Blätter aufsehenerregende Berichte über die Wasserskier zu schreiben.

Haberdietzl steht dabei und nickt zu dem, was seine Frau dem Engländer sagt. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu nicken, Marianne spricht für ihn, und es ist ja alles ungemein richtig, was sie sagt; gewiß sagt sie es sogar weit besser, als es Haberdietzl selbst sagen könnte, es kommt alles ohne Zweifel so heraus, wie es für ihn am vorteilhaftesten ist.

Es findet sich übrigens am nächsten Tag ein guter, alter Bekannter ein, ein Bekannter aus Jahnhüttenzeiten.

»Ja, liebe gnädige Frau«, kommt Siegfried Rummel mit ausgestreckten Händen auf Marianne zu, »das war ja keine kleine Überraschung ... meinen allerherzlichsten Glückwunsch vor allem ... das Allerwichtigste ... auch Ihnen, auch Ihnen, mein lieber Herr Haberdietzl. Sie beneidenswertester Mann unter der Sonne ...«

»Danke«, sagt Haberdietzl und nimmt die Zeitung wieder vor. Aber er wirft sie sofort wieder weg, denn was ihm auf der zweiten Seite entgegengrinst, ist sein Bild. Nicht aus Zangerls Kamera, nein, Zangerl hat sich Haberdietzls Drohungen gemerkt, er will seine Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Aber Marianne ist ja auf Zangerl nicht angewiesen, sie gebietet über noch andere heimliche Helfer. Und nun ist es wirklich bald so, daß Haberdietzl kaum noch eine Zeitung in die Hand nehmen kann, ohne sich ärgern zu müssen.

Siegfried Rummel aber hat sich unaufgefordert einen Korbstuhl an Haberdietzls Tisch gezogen und patscht nun mit den beiden Händen auf die Lehnen: »Also: Beruf gewechselt, gnädige Frau ... nun besorgen Sie nicht mehr eine Hütte auf der Alm, wo es ka Sünd gibt, sondern das Hauswesen Ihres Gatten, wo es natürlich erst recht kane gibt. Ja ... es geschehen noch Zeichen und Wunder auf dieser kugelrunden Welt. Können sich gnädige Frau meine Überraschung vorstellen?«

»Nein«, sagt Marianne und bestreicht ihre zweite Frühstückssemmel mit einer wundervoll schmeckenden Fischpaste.

»Ich geb' Ihnen mein Ehrenwort, meine Überraschung können Sie sich nicht vorstellen, gnädige Frau! Ganz groß! ... In Paris ... ich komme aus Paris, meine Firma exportiert nämlich neuestens auch nach Frankreich, und da bin ich ja der geeignete Mann dazu mit meinen erstklassigen Beziehungen von früher her ... in Paris hat mich die Nachricht erreicht. Meine Kusine, eine Kollegin von Ihnen und von Herrn Haberdietzl, Fräulein Pöpperl, hat mir nach Paris geschrieben, daß nun Sie und Herr Haberdietzl ... also das können Sie sich nicht vorstellen, wie überrascht ich war. Und dann les' ich in den Zeitungen, was da bevorsteht ... denk' ich mir, da muß ich doch dabei sein. Ein Katzensprung von Paris ... Am Donnerstag also geht das große Ereignis vor sich.«

»Sehr lieb von Ihnen«, sagt Marianne und hält Haberdietzl mit einem Blick in seinem Korbsessel fest. Er hat Miene gemacht aufzuspringen, aber man darf nicht so unhöflich sein.

»Schöner Blick aufs Meer von dieser Terrasse hier. Terrasse ist etwas viel gesagt für diese ländliche Vorrichtung ... etwas ländlich noch alles, nicht? Ja ... gnädige Frau haben auch noch in anderer Hinsicht den Beruf gewechselt ... sozusagen ... ich dachte, Sie hätten sich völlig den Bergen verschrieben, nach dem großen Erfolg mit Herrn Saliger, und nun haben Sie sich sozusagen dem Meer zugewendet. Aber Sie werden doch ein Begleitschiff haben?« fragt Herr Rummel den schweigsamen Haberdietzl. »Sie werden doch nicht etwa solo allein über den Kanal gondeln?«

»Selbstverständlich wird ein Begleitschiff da sein«, antwortet Marianne für den Gatten, »am Mittwoch trifft Herr Morbes auf seiner Dampfjacht ›Arethusa‹ ein, und sie wird mich und alle die Berichterstatter an Bord nehmen.«

»Gott sei Dank«, lobt Herr Rummel, »man darf nicht leichtsinnig sein, man darf Gott nicht versuchen. Ich geb' Ihnen mein Ehrenwort, das Meer hat seine Tücken und Gefahren ... obzwar die Berge ... Sie haben doch gelesen, daß wieder einer von der Totenhorn-Südwand abgestürzt ist ... das ist nun schon der dritte oder vierte in diesem Sommer ... ein gewisser Doktor Wendel ...«

»Doktor Wendel«, horcht Marianne auf, »war er vielleicht Advokaturskonzipient?«

»Ganz recht ... jawohl, Sie müssen ihn ja kennen, er war ja in der Kanzlei von Doktor Klimsch ... vor kurzem hat er sich selbständig gemacht.«

»Und ist abgestürzt?« fragt Marianne tonlos.

»Maustot, jawohl«, nickt Herr Rummel, »haben Sie es nicht gelesen? Und nun«, er beugt sich vertraulich vor, »nun habe ich noch eine ganz verwegene Bitte ... passen Sie auf ... Ob Sie es wohl gestatten werden, daß ich die Fahrt auf der ... ich glaube ›Arethusa‹ ... mitmachen darf?«

»Ich denke, es wird auch für Sie Platz sein«, sagt Marianne. »Aber Sie entschuldigen mich, ich habe etwas Kopfschmerzen.«

Marianne bleibt den ganzen Tag unsichtbar, erst am nächsten Morgen ist sie wieder auf dem Damm, denn nun kommen die Berichterstatter in dichten Schwärmen, jeder Zug speit eine Menge von ihnen aus, jeder Küstendampfer bringt eine ansehnliche Fracht. Die Gassen des Fischerdorfes wimmeln von ihnen, der Strand ist von ihnen übersät. Bar le Guines ist ein neues Babel, in dem alle Sprachen durcheinanderschwirren. Sie ballen sich in schwarzen Klumpen um Haberdietzl, um Marianne, um Zangerl, sogar um Herrn Rummel, der ihnen als alter vertrauter Freund des Helden und der Heldin viel Wissenswertes mitzuteilen hat. Ein Glück, daß Haberdietzl seine Probefahrten hinter sich hat.

»Nein, das ist nicht auszuhalten«, stöhnt Haberdietzl am Abend. Er ist vollständig gebrochen, und Zangerl hat aus einigen Fischern eine handfeste Garde gebildet, die den Zugang zur Terrasse seines Gasthofes verteidigen muß. Sie sitzen zu dritt um eine Flasche Bordeaux und sind gegen den Strand durch einen Windschirm gedeckt. Sie müssen auf den Anblick des Meeres verzichten, aber Haberdietzl tut es nicht ohne Windschirm, denn unten vor der Terrasse treiben sich die Knipseriche in Scharen herum.

»Es ist zum Verrücktwerden«, schimpft Haberdietzl, »sie bringen einen um den Verstand.«

»Was wollen Sie?« sagt Herr Rummel weisheitsvoll, »das ist der Dornenpfad der Berühmtheit.«

»Ich pfeife auf alle Berühmtheit«, schreit Haberdietzl, »ich hab' es satt.«

»Nun hilft alles nichts«, meint Zangerl, »morgen kommt Morbes, und übermorgen hast du es überstanden.«

»Daß ich euch nur nicht allen einen Strich durch die Rechnung mache«, knurrt Haberdietzl, und dann wirft er sein Weinglas nach einem Kopf, der über der Terrassenbrüstung auftaucht und offenbar zu einem kletterkundigen Lichtbildner gehört.

Es ist eine etwas rätselhafte Äußerung, und vielleicht ist es gut für Haberdietzls schwarze Pläne, daß Marianne sich schon zurückgezogen hat. Sie mag wohl etwas gewandter im Erraten von Haberdietzlschen Rätseln sein als Zangerl oder Herr Rummel.

»Wohin gehst du?« fragt Marianne im Dämmergrauen des nächsten Tages, als sie hört, daß ihr Nachbar das Bett verläßt.

»Ich mache noch eine Probefahrt«, sagt Haberdietzl, »ehe diese Schnüffler wieder auf den Beinen sind.«

Marianne hat eine schlechte Nacht hinter sich, der Schlaf ist erst in den Morgenstunden gekommen, nun fällt er nach der kurzen Unterbrechung sogleich wieder über sie her. Sie erwacht erst am hellen Vormittag, ihr Nachbar ist noch nicht zurück. Er wird wohl am Frühstückstisch zu finden sein, meint Marianne, aber am Frühstückstisch sitzen nur Zangerl und Herr Rummel.

»Wo ist Othmar?« fragt Marianne.

Achselzucken, bestürzte Mienen, wo ist Haberdietzl? Ist er noch nicht zurück? Hinunter zum Strand, wo die hölzerne Hütte steht, vor der die Wasserskier an Pfähle gebunden sind. Die Wasserskier sind fort, und in der Badehütte liegen Haberdietzls Kleider sorgsam hingebreitet. Auf der See tanzt Sonnenflimmern, aber nirgends, so weit man auch schauen mag, ein Haberdietzl; mit dem Wasser ist es nun einmal so, daß man darauf keine Spur hinterläßt.

Ja, um diese Zeit ist Haberdietzl schon weit draußen auf dem Kanal. Diesmal hat der Kanal einen ganz besonders gnädigen Tag, er schwillt und ebbt in einer leichten, gleichmäßigen Dünung, und der liebe Gott hat einen leisen Südostwind geschickt, der Haberdietzl vom Rücken her unterstützt. Haberdietzl fährt drauflos, er furcht die See mit langen, weitausgreifenden Gleitschritten und freut sich wie ein Schuljunge, der die Schule schwänzt. Es geht, es geht herrlich, besser, als er es je gedacht hat. Freilich ist der Kanal wohl breiter, als man sich vorstellen kann. Jetzt ist die französische Küste längst verschwunden, und die englische ist noch lange nicht da.

Ab und zu kommt ein Schiff in Sicht, dann hockt sich Haberdietzl auf die Wasserskier nieder, er macht sich klein, um nicht bemerkt zu werden. Aber wer sollte wohl so einen winzigen Punkt auf der See bemerken, so einen kleinen Floh inmitten der Unendlichkeit des Meeres. Stunden um Stunden gleitet Haberdietzl vorwärts, der Wind hilft mit. Endlich am Nachmittag wölbt sich ein breiter Streifen über die Schnittlinie von Meer und Himmel, und die gelben kleinen Flecken darin, das mögen wohl Häuser sein. Der Kompaß, der an einer Schnur um Haberdietzls Hals hängt, sagt aus, es müßten die Häuser von Folkestone sein.

Sie sind es wirklich, die englische Kreideküste hebt sich immer deutlicher empor, dann kann man den Hafen unterscheiden und den Badestrand weiter hinaus und auch schon die Leute, die dort im Sand liegen oder im Wasser pritscheln.

Es ist vielleicht Mister Withwater aus Salisbury gewesen, der als erster das Meerwunder erblickt hat. Er wandert oben auf der Düne und lauert mit seinem Netz zwischen den Sandhaferbüschen auf verirrte Schmetterlinge. Da sieht er einen Mann auf dem Meer daherkommen, der Mann gleitet, ein langes, schlankes Boot unter dem Fuß, über das Wasser. Mir nichts, dir nichts wandelt er über das Wasser.

Mister Withwater ruft seine Frau an, die unten im Sand liegt, und deutet auf das Meer hinaus. Fast gleichzeitig haben auch andere die Erscheinung entdeckt, und es entsteht ein gewaltiger Aufruhr.

»Das ist sicher dieser deutsche Wasserläufer«, sagt Mister Wilton aus Plymouth.

»Er ist kein Deutscher, er ist ein Österreicher«, stellt Mister Black aus Canterbury richtig.

»Das ist doch dasselbe«, meint Mister Wilton.

Aber Mister Black weiß es besser, »Nein«, beharrt er, »das ist nicht dasselbe. Der Österreicher ist der Übergang vom Deutschen zum Menschen.« Er ist auf die Deutschen sehr schlecht zu sprechen. Er kann es ihnen noch immer nicht vergessen, daß sie den Krieg vom Zaun gebrochen haben.

»Der Wasserläufer ist doch erst morgen fällig«, sagt Miß Rowland.

Mister Working runzelt die Stirn: »Es kann kein anderer sein«, verkündet er feierlich, »er ist eben morgen so schnell gefahren, daß er schon heute da ist.«

Und dann entsteht längs des Badestrandes von Folkestone ein ungeheuerliches Geschäume und Geruder, die guten Schwimmer hüpfen ins Wasser wie Frösche in den Tümpel, und die weniger guten stürzen sich in die Boote, und das Meer siedet und zischt von all dem Eifer, den Wasserläufer zu empfangen.

Mister Wilton, Meister im Brustkraulen beim letzten Schwimmfest in Bughton, führt und ist als erster bei Haberdietzl.

»Hällo, Mister Häberdeitzl«, ruft er, das triefende Tritonenhaupt erhebend, » how do you do? Have you a good time?« Haberdietzls gute Zeit ist ihm sehr wichtig, er hat in aller Eile einige Wetten auf weniger als zehn Stunden abgeschlossen.

Haberdietzl kann ihm keine Auskunft geben, dazu reicht sein Englisch nicht.

Da ist auch schon Miß Rowland heran, »Hällo, Mister Häberdeitzl!« ruft sie, richtet sich mit halbem Leib empor wie eine Seejungfrau, tritt Wasser und zielt mit ihrer wasserdichten Kamera auf das Meerwunder.

Und nun kommen alle die andern, Schwimmer und Boote, sie wimmeln wie ein Schwarm Delphine um Haberdietzl, und er fährt zwischen ihnen dahin, der erste, der zu Fuß über den Kanal gekommen ist. Im seichten Wasser bindet er die Skier ab und stolpert mühsam an Land.

Getümmel jenseits des Kanals und Getümmel diesseits des Kanals, Haberdietzl hat das eine nur verlassen, um in das andere hineinzugeraten. Aber dies hier ist wenigstens kein Vorschußgetümmel, sondern eines nach vollbrachter Tat, das kann man sich eher gefallen lassen.

Haberdietzl muß viele Hände schütteln, man klopft ihm anerkennend die Schultern, jetzt wäre es ja gut, wenn er Marianne zur Seite hätte. Er kann nichts anderes tun als lächeln und nach allen Seiten nicken, er ist ehrlich abgekämpft, es war immerhin keine Kleinigkeit, fast zehn Stunden auf dem Wasser mit hungrigem Magen. Ein Frühstück hätte drüben Verdacht erregt.

Aber nun wird die Menge badenackter Männlein und Weiblein durch zwei Männer im vollen Glanz von Uniformen geteilt. Vom Kopf bis zu Fuß amtlich angezogen, wie sie sind, pflanzen sie sich vor Haberdietzl hin.

»Haben Sie nichts zu verzollen?« fragt der eine.

»Ihren Paß, bitte!« sagt der andere, der im Helm des Policeman.

»Ha?« fragt Haberdietzl zurück.

» Passeport, please«, beharrt der Policeman.

Ach, woher soll Haberdietzl einen Paß nehmen? Seine Kleidung besteht aus einer Schwimmhose und aus einer Schnur um den Hals mit einem Kompaß daran. Keine Möglichkeit, einen Paß unterzubringen, außer vielleicht im Haarschopf wie die Dinkaneger, die ihre Habseligkeiten auf dem Kopf tragen. Aber in Haberdietzls fahlblonder, schlicht nach hinten gestrichener Mähne läßt sich nichts aufbewahren. Auch der Mann mit dem Verzollen wird bei Haberdietzl kein Glück haben, wenn er nicht etwa Haberdietzls eigene Haut als zollpflichtig ansehen will.

Es ist Miß Rowland, die sich seiner annimmt. Sie ist ein flottes, junges Persönchen, eine kleine Sängerin, und sie kann aus der Zeit ihrer Verbindung mit einem preußischen Grafen etwas Deutsch. Sie macht sich zum Bollwerk Haberdietzls gegen die Amtsgewalt und erklärt den Fall mit solcher Zungenfertigkeit, daß die Amtsgewalt zur Einsicht dieser in keiner Vorschrift vorgesehenen Besonderheit kommt.

Sie begnügt sich damit, einstweilen bloß Haberdietzls Wasserskier zu beschlagnahmen. Und dann wendet sich Miß Rowland Haberdietzl selbst zu. »Sie armer Mann«, sagt sie, »ou wie ganz arg Sie kläppern mit die Zahnen ... sind Sie kalt?«

Haberdietzl kann es nicht leugnen, daß er erbärmlich friert. Der Wind hat zugenommen, er ist ja doch einige Male umgekippt und hat sich mit großer Mühe wieder aufgerichtet, das ganze Abenteuer endet nun in heftigem Geschlotter. »Warten Sie ... ich Sie wärmen«, und die barmherzige Miß Rowland läuft zu ihrem Strandkorb und kommt mit ihrem Bademantel zurück, den sie Haberdietzl um die Schultern legt.

Niemand hat bemerkt, daß inzwischen ein Schiff sichtbar geworden ist. Es kommt in voller Fahrt heran, nähert sich dem Strand, es läuft in den Hafen von Folkestone ein und ist die Dampfjacht »Arethusa« des Herrn Morbes auf der Verfolgung des entsprungenen Wasserläufers.

Eine halbe Stunde später ergießt sie ihren Menscheninhalt auf die Terrasse des Strandhotels, wo man Haberdietzl warmen Tee und Whisky und Gin einflößt. Er ist noch in Miß Rowlands blaugelbweißgestreiftem Bademantel, aber man hat schon einen Herrenanzug aufgetrieben, den er gleich nachher anlegen soll.

Ein mageres Männlein mit einem violetten Feuermal über das halbe Gesicht stapft neben Marianne auf Haberdietzl zu. Es setzt die Beine etwas weit auswärts und ist wütend. »Sie machen schöne Geschichten«, fährt er auf Haberdietzl los, »da komme ich eigens aus Boston herüber, und Sie sind uns ausgerissen ...!«

»Du hast uns große Angst gemacht«, sagt Marianne leise, »es war furchtbar leichtsinnig von dir, ohne Begleitschiff loszugehen ... nun, die Hauptsache ist ja, daß es geglückt ist ...« Es ist ein gutes Wort, das Marianne da gefunden hat, und es war ein Ton, in dem es gesprochen wurde, der Haberdietzls drückendes Schuldgefühl im Nu beseitigt und ihn frei macht. Er schaut in Mariannes Augen und weiß auf einmal, daß auch Marianne derzeit nichts sehnlicher wünscht, als daß sich das nun vereinigte Getümmel von diesseits und jenseits des Kanals in Dunst auflöse und daß sie irgendwo am Strand in menschenferner Wildnis allein stünden.

Und nun ist ja alles gut.

Nicht einmal in einen fremden Anzug muß Haberdietzl hineinkriechen, denn Marianne hat ihm ja seinen eigenen mitgebracht.

Nur Herr Morbes bemerkt noch sehr erbost: »Ich weiß noch gar nicht, ob ich Ihnen den Preis geben werde, denn wo ist der Beweis, daß Sie wirklich in Ihren Dingern da über den Kanal gekommen sind.«

Aber das hat Herr Morbes offenbar gar nicht so ernst gemeint, oder ist es Marianne gelungen, seinen Zorn zu beschwichtigen, denn anderntags beim Mittagessen drüben in Bar le Guines sagt er: »Ihren Preis kriegen Sie natürlich ... aber einmal müssen Sie mir doch zeigen, wie das aussieht, wenn Sie mit Ihren Dingern da auf dem Wasser laufen.«

Das kann Haberdietzl ja gern tun, und so fährt er am Nachmittag noch ein Stück auf die sonnige See hinaus, diesmal aber von der Dampfjacht »Arethusa« begleitet.

»Das war das letztemal«, sagt Haberdietzl am Abend bei dem Festessen, das Herr Morbes veranstaltet.

»Wieso das letztemal?« horcht Herr Morbes auf.

Nun ... ich habe gezeigt, daß es geht ... nun sollen andere die Sache weiter verfolgen. Ich habe genug davon.«

»Komisch«, schüttelt Siegfried Rummel den Kopf, »es gibt solche Leute, wenn sie einmal ihr Ziel erreicht haben, dann ist die Sache für sie erledigt.«

Herr Morbes schaut Haberdietzl nachdenklich und dann schaut er Marianne ebenso nachdenklich an: »Ich verstehe Sie«, sagt er. Versteht er Haberdietzl wirklich völlig, hat dieser gewöhnlich aussehende Mensch mit dem Feuermal wirklich soviel feines Empfinden, um zu ahnen, was in dieser Nacht zwischen Marianne und ihrem Gatten gesprochen worden ist?

»Ich habe einen Einfall«, fährt Siegfried Rummel dazwischen, »einen glänzenden Einfall. Passen Sie auf ...« Siegfried Rummel hat immer glänzende Einfälle, und diesmal ist ihm eingefallen, daß man Haberdietzls Wasserskier ausstellen müßte. In einer Wanderausstellung von Stadt zu Stadt, die Leute haben doch so viel von Haberdietzls Wasserskiern gehört und gelesen, daß sie die Dinger auch werden sehen wollen. »Es wird ein glänzendes Geschäft. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Lassen Sie mich nur machen ... ich nehme die Geschichte in die Hand! Ganz groß!« schließt Siegfried Rummel, hell entbrannt.

»Meinetwegen«, sagt Herr Morbes, »ich mache Sie nur aufmerksam, daß die Wasserskier laut unserer Vereinbarung nach gelungener Fahrt in mein Eigentum übergehen. Aber ich gebe Ihnen ein halbes Jahr Zeit, zu verdienen. Dann baue ich den Sport aus.« Und er stößt mit Marianne und Haberdietzl an, und es ist in dessen Leben das erstemal, daß er Sekt trinkt.

Am andern Morgen wirft Siegfried Rummel einen Armvoll Zeitungen auf den Frühstückstisch: »Da ... da ... da ... alle Blätter ... England! Frankreich! Deutschland! Lesen Sie nur, ›Eine fabelhafte sportliche Leistung‹, ›Ein Österreicher überquert den Kanal auf Wasserskiern‹ ... ich bitte, Herr Morbes: ›Dank der ungewöhnlichen Förderung durch den amerikanischen Multimillionär Mister Morbes‹ ... Ihr Name ist für alle Zeiten mit dieser Erfindung verknüpft ... und Bilder ... ›Die Ankunft des Wasserläufers an der englischen Küste‹ ...«

»Miß Rowland!« murmelt Haberdietzl.

Marianne blättert in einer der deutschen Zeitungen weiter, es ist jetzt immer eine Unruhe in ihr, wenn sie deutsche Zeitungen zur Hand nimmt. Sie starrt in das Blatt und legt es nach einer Weile aus der zitternden Hand.

Außer Zangerl hat es niemand bemerkt, und er versteht erst später, als er heimlich in dem Blatt nachsucht, was Mariannes Hand erzittern ließ.

»Hast du etwas dagegen«, fragt Marianne ihren Gatten abends, »wenn wir morgen abreisen?«

»Abreisen? Warum?« verwundert sich Haberdietzl. Jetzt, da die Berichterstatter fort sind, wird es erst nett in Bar le Guines.

»Gaugusch ist abgestürzt«, sagt Marianne.

»Gaugusch?«

»Gaugusch, der lustige Tierarzt ... du kennst ihn doch. Er ist von der Totenhorn-Südwand abgestürzt. Das ist nun der vierte.«


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