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Eine dumme, kleine, dunkle Sehnsucht ...

Frau Carmen Lind-Vallacosta ist mit der Kritik unzufrieden. Das heißt, sie ist eigentlich im tiefsten Grund ihres Herzens empört. Man hat sie nicht gerade verrissen, Gott soll behüten, das würde dem Ansehen der Salzburger Festspiele schaden. Aber man macht gewisse Vorbehalte und kleine Einwendungen, mit aller Hochachtung natürlich, wie es sich gegenüber einer Sängerin mit solchem Ruf gehört, der ganz Lateinamerika zugejubelt hat.

Die jubelnde Begeisterung vermißt also Frau Carmen Lind-Vallacosta. Aber schon sehr, wie anders war das in Mailand und in Paris und in Buenos Aires und Rio. Frau Carmen Lind-Vallacosta vergißt dabei nur, daß das mit Mailand zwölf Jahre und mit Paris zehn Jahre her ist und daß sie in Buenos Aires und Rio so etwas wie eine Landesberühmtheit gewesen ist, eine musikalische Gewohnheit mit gebührender Nachsicht auf Grund langjähriger Verdienste.

»Diese Idioten!« knurrt Frau Carmen grimmig und drückt die Wiener Zeitungen, in denen die Kritiken über ihr vorgestriges Auftreten stehen, zu einem Knäuel zusammen. Nein, die Ansichten dieser Dummköpfe sind unwürdig, ausgeschnitten und in das Sammelbuch geklebt zu werden.

Eine große, bunte, fremdländische Wildkatze ist diese Frau Carmen. Mit ihren langen, schlanken Beinen hat sie eine ganz besondere Art zu gehen, sie macht lange, lautlose Schritte, etwas Schleichendes drückt sich darin aus. In Südamerika hat diese Art der Bewegung sehr gefallen, Ozelot hat sie einmal ein dortiger Kritiker genannt.

Seitdem ist Frau Carmen darauf bedacht, die Ähnlichkeit beizubehalten.

Die braunhäutige Rosalba, Frau Carmens Zofe, hebt den Papierballen auf und verschwindet mit ihm. »Das Bad ist bereit!« meldet sie nach einer Minute.

Sonst ist es mit dem Bad so, daß sich aller Ärger und sonstige Aufruhr in dem lauen Wasser löst, wenn es Frau Carmens schlanken Leib umspült. Sie dehnt sich im Wasser, plätschert mit den Beinen, träumt, lächelt und ist ganz zufrieden mit sich.

Sie kann auch wirklich mit sich zufrieden sein, wenn sie ihren Körper betrachtet. Das Gesicht, da sind leider gewisse peinliche Veränderungen unaufhaltsam; und zu übersehen, daß die Haut am Hals schlaff und faltig wird, wäre ein Selbstbetrug. Aber vom Hals abwärts kann Frau Carmen noch immer mit sich zufrieden sein, das ist immer noch echter Ozelot.

Heute aber spürt Frau Carmen nichts von der besänftigenden Wirkung des Bades. Sie plätschert nicht und lächelt nicht. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn sitzt sie im Wasser. Wenn diese Zeitungsschmierer schon so zu schreiben wagen, dann ist es hohe Zeit, abzutreten. Frau Carmen ist viel zu klug, um solange auszuharren, bis man deutlicher wird. Es fragt sich nur, wie und wohin die entscheidende Wendung zu machen ist. Es tanzen keine Mückenschwärme mehr um sie, es summt nur noch da und dort ein Nachzügler herum. Mit dem großen Politiker in Paris war es nichts. Dem ist man auf eine selbst für Paris nicht gewöhnliche Schiebung gekommen, und der sitzt jetzt mit gebrochenem Kragen im Privatleben auf allerengstem Raum. Der amerikanische Ölprinz, der geschworen hat, nach Salzburg zu kommen, ist ausgeblieben. Schade! Außer der Gewohnheit auf drei oder vier Meter Entfernung mitten durchs Zimmer auf die Spiegelscheibe zu spucken, hatte er keine Übeln Eigenschaften.

Bleibt ein Mann namens Rotter. Der tanzt nicht mehr, der klebt ungemein fest. Nun ja, ein ehemaliger Direktor einer Versicherungsgesellschaft mit einem sehr ausreichenden Ruhegehalt und gewiß auch mit Ersparnissen. Aber da gibt es eine Frau Augusta Rotter, derzeit in Ungarn. Die Mutter wird gesund werden oder sterben, jedenfalls wird Frau Augusta wieder in absehbarer Zeit mit dem flammenden Schwert an der Seite ihres Gatten stehen. In früheren Jahren hätte sich Frau Carmen um solche kleine Schwierigkeiten den blauen Teufel geschoren. Jetzt, da die entscheidende Wendung bevorsteht, muß Frau Carmen auf gewisse Sicherheiten bedacht sein. Und es sind auch noch andere Dinge da, die Frau Carmen einigermaßen beunruhigen.

Frau Carmen kommt aus dem Bad, gar nicht aufgeräumt wie sonst, sondern reizbar und mit Gott und der Welt in Hader.

»Es ist eine Dame da«, meldet Rosalba, das Mischblut.

»Was für eine Dame?«

»Eine junge Dame.« Mehr weiß Rosalba nicht.

»Soll warten! Also vorwärts, was stehst du da herum, du wirst auch von Tag zu Tag dümmer und langsamer.«

Das ist heute so ein Tag, an dem Rosalba ihrer Herrin vor dem Spiegel nichts recht machen kann. Es setzt Püffe und Kniffe. Frau Carmen hat eine besondere Art, die Finger in das Fleisch zu bohren und sie dann herumzudrehen. Davon bleibt ein wunderschöner blauer Fleck zurück. Rosalba hat viele solcher blauer Flecken auf ihren bloßen Armen.

Aber auch an solchen Tagen wird Frau Carmen endlich fertig, und die junge Dame darf eintreten. Es ist also wirklich so, wie Frau Carmen vermutet hat, ihre Ahnung hat sie nicht getäuscht.

»Marianne!« sagt Frau Carmen und breitet die Arme aus. Marianne trifft aber gar keine Anstalten, sich in die Umarmung zu schmiegen. Sie tritt einen Schritt zurück. »Ich habe den Zufall nicht vorbeigehen lassen wollen«, sagt sie ruhig, »ich habe es für meine Pflicht gehalten, dich zu begrüßen.«

Die erhobenen Arme sinken herab, aus schmalen Augenschlitzen dringt ein rascher, schillernder Blick. »Es ist schön, daß du gekommen bist!« Mit geschmeidigen Ozelotschritten geht Frau Carmen durchs Zimmer, »willst du nicht Platz nehmen?«

»Ich danke.«

An dem kleinen Tischchen im Hotelrokoko sitzen Frau Carmen und Marianne einander gegenüber. »Ich habe dich gestern schon im Stieglbräu gesehen«, sagt Frau Carmen. »Rotter hat mir dich gezeigt. Du bist ja jetzt eine Art alpines Weltwunder!«

»Ich dachte, wir dürften doch nicht so aneinander vorübergehen, wenn uns der Zufall schon zusammenführt.«

»Ungemein nett von dir«, sagt Frau Carmen höflich, mit einem Seitenblick in den Spiegel. »Ich bin dir sehr dankbar dafür.«

»Ja ... ich meinte, vielleicht wünschst du doch etwas über mich zu erfahren ... nach so vielen Jahren ...«

»Ist das nun dein von dir Erkorener?« fragt Frau Carmen plötzlich und lächelt grausam. Darauf gibt Marianne keine Antwort. »Ich wußte natürlich nicht, daß du dich nun Lind-Vallacosta nennst. Hast du nach Vaters Tod wieder geheiratet?«

Die Frage findet Frau Carmen ungemein spaßhaft. »Geheiratet?« lacht sie. »Nein. Davon hatte ich nach dem erstenmal vorläufig genug. Lind war ein Schiffskapitän, der ist mit seinem Schiff an der patagonischen Küste untergegangen, und Vallacosta war ein bolivianischer Flieger. Er ist irgendwo im Gran Chaco verschwunden. Aber: weder – noch ...! Darf ich etwas bringen lassen ... ein Glas Wermut und ein Brötchen ... sie haben da unten ganz ausgezeichnete Brötchen ... du mußt eben vorliebnehmen, anders hab' ich's nicht. Mit uns Zugvögeln von der Kunst ist es nun einmal so ... aber drüben habe ich mein eigentliches Heim, ein richtiges Nest, ein entzückendes Landhaus bei Buenos Aires ... also einen Wermut, nicht wahr? Oder lieber einen Sherry?«

Nein, nein, wehrt Marianne ab, sie ist nicht zu Frau Carmen Lind-Vallacosta gekommen, um Brötchen zu essen und Sherry zu trinken. Es hat sich bloß irgendwie in ihrem Kopf die Überzeugung festgesetzt, daß sie verpflichtet sei, Rechenschaft darüber zu gehen, wie sie ihr Leben gestaltet hat. Vielleicht hat sie auch noch etwas mehr erwartet. Eine dumme, kleine, dunkle, hilflos flatternde Sehnsucht war vielleicht da. Sie ist bereits erstarrt und rührt sich nicht mehr.

»So«, sagt Frau Carmen mit einem Blick in den Spiegel, »der Landesschulinspektor Fieber hat dir also zu deiner Stellung verholfen. Ist der auch noch vorhanden, der gute Fieber? ...« Der Name Fieber ist immerhin ein Anruf aus der Vergangenheit, und der Spiegel hält ihr unerbittlich das Bild der Gegenwart vor. Frau Carmen wird ein wenig unsicher und flüchtet sich in Spott: »Das war wohl der langweiligste Mensch, den ich je kennengelernt habe, dein Herr Fieber.«

Die beiden Frauen sitzen einander gegenüber, Frau Carmen bunt und überreif, und Marianne braun von der Höhensonne und der Bergluft, gestrafft durch einen Willen, der um Weg und Ziel weiß.

»Du hast dich ja ganz nach deiner Art entwickelt«, sagt Frau Carmen plötzlich erbittert, »nach der Art deines Vaters nämlich. Du hast dich ja damals ganz auf seine Seite gestellt.«

»Ich danke Gott dafür«, antwortet Marianne leise, »für diese – Erbmasse ...«

»Ach, ein überaus tüchtiger Mann«, fährt Frau Carmen mit unverminderter Schärfe fort, »ein glänzender Geschäftsmann, ein fabelhafter Kopf ... Der Erfolg ist ja der beste Beweis dafür.«

»Du vergißt«, erwidert Marianne, indem sie den Kampf aufnimmt, »daß sich Vater in seine gewagten Unternehmungen nur deinetwegen eingelassen hat ... deinetwegen, um deine unerhörten Ansprüche zu befriedigen ... und zuletzt ist er nur über den Betrug des Geschäftsfreundes zu Fall gekommen. Ich habe das damals alles nicht so ganz verstanden ... die Augen sind mir erst später aufgegangen.«

»Und du vergißt, mein Kind«, springt Frau Carmen Marianne an, »daß mich dein Vater aus meiner Laufbahn herausgerissen hat. Er hätte mich dort lassen sollen, wo er mich gefunden hat. Es stünde heute alles anders. Als ich dann frei war, mußte ich von vorne anfangen. Die besten Jahre hatte ich versäumt.«

Es ist vielleicht gut, daß jetzt das Tischtelephon schnarrt. »Verzeih«, sagt Frau Carmen. Sie geht mit Ozelotschritten zu dem Schreibtischchen auf Spinnenbeinen hinüber und hebt den Hörer ab. »Ja, bitte«, sagt sie, »komm nur herüber.«

Marianne erhebt sich und nimmt ihr Handtäschchen von dem verbogenen Ding, das sich Sofa nennt. »Ich möchte nicht«, sagt sie mit mühsamer Beherrschung, »daß hier über das Andenken meines Vaters in dieser Weise gesprochen wird. Darum bin ich nicht gekommen. Und nun ist es wohl besser, wenn ich gehe.«

»Willst du schon gehen?«

»Ja. Ich wüßte nicht, was ich dir noch zu sagen hätte ... es ist wohl besser so ...«

»Herein!« sagt Frau Carmen und ist in diesem Augenblick schön und prächtig und ein wenig furchterregend anzusehen.

Herr Rotter steht in der Tür. Was ist das? Frau Carmen ist nicht allein, Marianne Mack ist bei ihr. was tut Marianne Mack bei Carmen Lind-Vallacosta? Herr Rotter ist zu verwundert und bestürzt, um zu grüßen. Und da geht auch schon Marianne an ihm vorüber; hat es nicht den Anschein, als wolle sie ihn ansprechen? Aber nein, sie spricht ihn nicht an, sie nickt nur zweimal kurz, einmal für Frau Carmen und einmal für Herrn Rotter, und fort ist sie.

Rotter hat im Lauf seiner alpinistischen Vergangenheit in den gefährlichsten Lagen hundertmal Geistesgegenwart bewiesen. Aber in diesem Augenblick ist sein Denken langsam wie ein Ochsenschlitten. »Das war doch ... das war doch Marianne Mack?«

»Ja ... jawohl, ganz richtig, Marianne Mack. Und damit du's weißt: meine Tochter.«

»Deine Tochter?«

»Ein recht erwachsenes Mädchen, nicht wahr? Rosalba! So stehen die Dinge. Rosalba!! Rosalba – pack die Koffer.«

»Du willst fort?«

Mit einer weitausgreifenden Armbewegung fegt Frau Carmen alle Büchsen und Tiegel und Flaschen und Fläschchen vom Spiegeltisch. Eine Welt von Kristall und Silber und Porzellan stürzt klirrend auf den Teppich. »Ja, ich will fort, ich will fort«, wiederholt sie wütend.

»Du bist doch noch für fünf Vorstellungen verpflichtet.«

»Verpflichtet? Ich singe nicht mehr, keinen Ton, hast du verstanden? Ich pfeife auf alle Verpflichtungen. Ich habe keine Lust, mich hier durch dich noch mehr ins Gerede bringen zu lassen.«

Rotter taumelt von all den sieben über den Kopf. »Durch mich? Ins Gerede?«

»Vielleicht nicht? Lachen die Leute nicht schon über mich? Wo hat Herr Rotter seine Frau Augusta? Schreib doch deiner Frau oder drahte ihr nach Ungarn. Ach, Geliebte, ich bitte, komm doch, ich halte es nicht länger aus ohne dich. Du Feigling, du Hanswurst, du Pantoffelheld! Ein anderer hätte schon längst den Mut gefunden, ein Ende zu machen ...«

»Carmen!« stammelt Rotter und wankt einen Schritt näher.

»Rühr mich nicht an!« schreit Frau Carmen. Und dann wirft sie sich in das verbogene Ding, das sich Sofa nennt, und strampelt mit den Beinen und weint, daß die krummen Füßchen des Sofas krachen. Und genießt nach der unzweideutigen Niederlage von vorhin das Siegergefühl, neben sich einen Mann stehen zu wissen, in völliger Verzweiflung, die ihn wieder ein Stück weiter schweren Entschlüssen zutreibt.

Drüben im Kaffeehaus jenseits der Straße wartet Saliger auf Marianne.

»Und nun möchte ich wissen«, fragt er, als er sie wieder hat, »wen du besucht hast?«

»Mußt du es wissen?« zögert Marianne.

Saliger ist ein großer Lausejunge, ein übermütiger Teufelskerl, gewalttätig vor lauter Gesundheit. Er scheint völlig unbeschwert durch den Gedanken an den morgigen Abschied. »Ha!« sagt er im tragischen Stil und zückt das Messer, mit dem er die Butter auf die Frühstückssemmel gestrichen hat, gegen Mariannes Brust: »Ha, Elende! – Hast du schon zur Nacht gebetet, Desdemona?«

Aber als er dann weiß, wen Marianne drüben besucht hat, wird er doch ernst. Er versteht, was sich während dieser letzten halben Stunde in Marianne abgespielt haben mag. Er war ja aus der Entfernung damals in der Heimat auch Zeuge der Begebenheiten im Hause Mack. Ein kleiner Junge. Die Erwachsenen sprachen davon, daß Frau Mack durchgegangen sei. Mit ihrem Reitlehrer. Oder war es der Tenorist vom Brünner Stadttheater, der immer nach Olmütz auf Gastrollen kam? So viel versteht Saliger, daß da in Mariannes Seele ein kleines abgesondertes Kämmerchen gewesen sein mochte, mit einem Altar darin oder wenigstens mit einem Schrein voll Erinnerungen. Eine Art Heiligtum vielleicht, trotz allem und allem, von Marianne mit den sieben Schlössern des Schweigens versperrt. Nun hat sie es geöffnet und hat gefunden, daß in dem Schrein alles zu Staub und Moder zerfallen ist und daß sich der Wurm in das Holz eingenistet hat.

Saliger denkt an seine Mutter, das alte Weiblein daheim in Olmütz, das nach dem Tod des Vaters mit vierzig Jahren alles andere aus ihrem Leben gestrichen hat außer der Sorge um ihren Jungen. Ihr gutes, freundliches Gesicht ist ganz lebendig vor ihm, der Ton ihrer mütterlichen, warmen Stimme erfüllt sein Ohr, und er faßt Mariannes Hand: »Nun ... nun«, sagt er tröstend, »das muß auch überwunden werden, wenn es schon einmal nicht anders ist. Du hast sie ja nicht erst heute verloren.«

Marianne schaut mit feuchten Augen dankbar zu ihm auf. Das Gefühl des Alleinseins hat sie für einen Augenblick überkommen wie ein Krampf, der ihr die Brust zu zerreißen droht. Aber, Gott sei Dank, nun ist sie ja nicht mehr allein.

»Und das soll uns unseren letzten Tag in Salzburg nicht verderben«, beendet Saliger die Rührseligkeit und reißt die Zügel wieder an sich. »Kellner, zahlen! Und jetzt fahren wir nach Hellbrunn.«

So füllt sich der letzte Tag in Salzburg doch noch mit Heiterkeit, mit Wasserkünsten und lustigem, mechanischem Spielwerk und Betrachtung prächtig geschmückter Räume und vieler Bilder und Teppiche und dann einem beschaulichen Wandern durch den Park, wo alte Bäume die schönsten Fernsichten rahmen.

Und am Abend kommt selbstverständlich heute das Augustinerbräu daran, draußen in Mülln.

Nachher stehen sie dann noch am Fenster im vierten Stock des Hauses mit dem Käseladen in der Steingasse. Es ist eine dunkle, schwere Nacht. Ab und zu leuchtet in dem Einschnitt zwischen den Häusern gegenüber die Feste Hohensalzburg auf. Wenn der Fächer des Scheinwerfers über sie streicht, tritt sie wie eine Geistererscheinung aus der Dunkelheit hervor und versinkt dann wieder in der Finsternis.

»Schade, jammerschade«, sagt Saliger, »daß sie dieser Stadt die Festspiele aufgekleckst haben. Nie ist eine Stadt so gründlich verfälscht worden.«

Das ist der letzte Abend und die letzte Nacht vor dem Abschied. Marianne begleitet Saliger noch zu seinem Zug, denn er fährt um eine Viertelstunde früher als Mariannes Zug. Saliger muß nach Leoben, um sich dort im Werk vorzustellen.

»Einsteigen, bitte!« ruft der Schaffner.

Nun steht Saliger in seinem Abteil und füllt das ganze Fenster aus. Er hat heimlich ein Sträußchen Alpenrosen und Edelweiß gekauft und hält es in der Hand verborgen. Als der Zug nun anruckt, wirft er es Marianne zu. »Einen letzten Gruß von der Totenhorn-Südwand«, ruft er, obwohl das Sträußchen natürlich nicht von der Totenhorn-Südwand ist, sondern irgendwoher aus den Salzburger Bergen.

Marianne mit ihren schwimmenden Augen und zitternden Händen hat das Sträußchen zu fangen verfehlt. Es ist zu Boden gefallen, und als es Marianne aufgehoben hat, ist der Zug schon ein Stück draußen.

»Und jede Woche einen Brief, bitte ... jede Woche«, ruft sie Saliger nach und läßt ihr weißes Tüchlein flattern.

Und dann geht sie zu ihrem Bahnsteig hinüber.


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