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Es muß jemand da sein, um Ordnung zu halten

Und dann begibt es sich, ein paar Tage nachher, daß ein Brief kommt. Von Saliger. Er bestellt Marianne Mack kurzerhand zu einer Besprechung ins Café Rebhuhn. Marianne lacht zornig auf. Was soll man da anderes tun als lachen? Wie lange hat sich nun Saliger um Marianne überhaupt nicht gekümmert?

Wenn er es vergessen hat, daß sie einander daheim das Versprechen gegeben haben, auch in der Großstadt zusammenzuhalten, nun gut, Marianne hat es auch vergessen. So ist es mit den Freundschaften in der Großstadt. Man glaubt, es werde so weitergehen wie in der Heimat, mit Begleiten und Spaziergängen und Mondschein und dergleichen, und dann kommt man in die Großstadt, jeder tritt in einen anderen Lebenskreis, der eine zieht dahin, der andere dorthin. Und diese mühsamen Zusammenkünfte! Das hat Marianne nicht nötig, zu Zusammenkünften zu kommen, zu denen Saliger mit Fräulein Valerie Mayrhofer anrückt, die mit der Heimat gar nichts zu tun hat. Nein, darauf verzichtet man, wenn man Marianne Mack ist.

Und nun erinnert sich Saliger ihrer auf einmal, wenn er sich wenigstens nicht auf einem Briefpapier erinnert hätte, das den Aufdruck Akademische Gruppe des Alpenvereines trägt. Auf so eine Art Erinnerung legt man keinen Wert. Es ist natürlich Geschmackssache, welche Art Briefpapier man nimmt, aber eine Erinnerung auf einem Briefpapier, von dessen Kopf es so kühl herweht ... Die gewaltigen Bergriesen rundum, wie Magda Kaspar sagt – o nein, Marianne denkt nicht im Traum daran, hinzugehen.

Zur bestimmten Stunde ist Marianne im Café Rebhuhn. Es könnte ja sein, nicht wahr, daß Saliger gerade kein anderes Briefpapier zur Hand hatte und daß die Sache wirklich so dringend ist, wie er sagt. Anhören muß man ihn ja wohl.

Saliger wartet schon. Und diesmal ist Valerie Mayrhofer nicht dabei.

»Jetzt haben wir uns lange nicht gesehen«, sagt Saliger.

Ach wirklich? Hat er das bemerkt? Nun ja, es stimmt, sie haben einander wirklich lange nicht gesehen.

Der Franz fängt gleich zu erzählen an. Er sei ungeheuer beschäftigt gewesen, mit seinen Prüfungen und mit dem Hüttenbau auf dem Grünseekamm.

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, meint Marianne achselzuckend und kühl.

»Eigentlich ein bodenloser Leichtsinn von mir, den ganzen Sommer über nichts zu studieren und auf dem Grünseekamm Holzknecht, Zimmermann und Maurer zu spielen. Aber es war eine wichtige Sache, sozusagen eine Ehrenangelegenheit der Ortsgruppe.« Und dann erläutert Saliger, warum die Sache so wichtig war. Erschließung eines ganz neuen Gebietes, keine andere Hütte weitum, Standort für die herrlichsten Hochtouren. »Wenn ich die Prüfungen hab', geh' ich das Totenhorn an. Die Südwand hat noch niemand gemacht.«

Da wird Marianne nun wieder mit der Hüttengeschichte gefüttert, sie muß ein langes und breites über sich ergehen lassen. Sie macht sich ganz steif vor Ablehnung.

»Vor Weihnachten wird eröffnet«, sagt Saliger, »und ... ja, und nun handelt es sich darum, daß wir eine Wirtschafterin dort oben brauchen.«

Nun ja, gewiß, so ein Frauenzimmer ist wohl nötig, es muß jemand da sein, um Ordnung zu halten, zu kochen und alles zu tun, was sonst zu einem Betrieb gehört. Aber was geht das Marianne an?

»Doch«, sagt Saliger etwas zaghaft, »wir haben nämlich in der Ortsgruppe gedacht, ob du nicht vielleicht die Stelle annehmen würdest ...«

»Ich?« Marianne lacht kurz und zornig auf.

»Da du ja jetzt doch postenlos bist.«

»Wer sagt dir das?« Marianne hat sich doch nicht dazu entschließen können, in des alten Zauberers Würfel zu kriechen und ihn an ihrem Körper vorbei mit den langen Spießen spicken zu lassen. Sie hat sich dahin entschieden, den Wintermantel zu versetzen und mit Herbstmantel und Strickweste durchzuhalten. Damit bleibt man schon wieder eine Weile über Wasser, es ist eine Schwimmweste sozusagen; mit ein paar Schillingen in der Handtasche kann man schon wieder über sich selber Witze machen. »Ich habe sogar eine Auswahl unter mehreren Posten.«

Franz macht ein Gesicht, als ob ihm diese Auswahl nicht recht glaubwürdig vorkäme.

O ja, es ist richtig, ganz neue Pläne sind aufgetaucht. Vielleicht reichen die Schillinge für den Wintermantel, wenn man dazu noch etwa ein oder das andere Stück der Sommerkleidung ins Versatzamt trägt, um einen Lehrkurs in Maschineschreiben und Kurzschrift bezahlen zu können. Daran hat man früher nur nicht gedacht, für eine Prinzessin lag so etwas weitab. Oder es kommt schließlich auch die Möglichkeit in Betracht, Krankenschwester zu werden mit einem Lehrgang für Kaltwasserkuren. Auch Heilgymnastik ist erwogen worden, eine heute sehr beliebte Art, gesund zu werden. Kurzum, man hat es nicht nötig, von Herrn Saliger Almosen anzunehmen.

Aber daß er immer noch dasitzt und eine Miene macht, als habe er kein Vertrauen in all das, was Marianne an Stellungen offensteht, das reizt sie und macht sie böse. »Schließlich will ich dir nur sagen, daß ich für eure Berge gar nichts übrig habe. Ich kann alle diese Wichtigtuereien mit Wänden und Kaminen und Seilen und Mauerhaken nicht leiden. Und am allerwenigsten diese Weiber mit Lederhosen und nackten Beinen und Nagelschuhen – das liegt mir nicht.«

Nein – das ist gewiß kein Sport für Marianne! Was Marianne liegt, das wäre Tennis, das ist ein Sport, der ihr zugesagt hat. Das ist der Sport der vornehmen Welt, gut angezogen Bälle über das Netz zu schicken, eine feine Sache. Aber das war einmal, damit ist es vorbei, Tennis ist ein zu teures Vergnügen. Und diese Bergziegen! Du lieber Gott, wie die schon ausschauen. Es ist gar nicht wahr, diese Märchen vom durchgebildeten Körper. Alle diese Sportweiber haben eine schauderhafte Haltung. Eingefallene Leiber und krummgezogene Schultern, wie verpatzte Buben sehen sie aus.

Nun aber geht Marianne dem Jugendfreund doch auf die Galle. Freundschaft hin, Freundschaft her, er denkt an Valerie Mayrhofer, die schaut in Kniehosen und Wadenstrümpfen gewiß nicht aus wie ein verpatzter Bub. Soll er Marianne seine Meinung sagen? Ja, er soll es, er ist auch verärgert, über soviel Hochmut und soviel Unverstand.

»Ich hab' es mir gleich gedacht«, sagt er, »daß das nichts für dich ist.«

»Und warum, bitte?«

»Du kommst dir viel zu fein vor für ein Leben in den Bergen. Man muß da freilich auf allerhand verzichten können. Die Jugend von heute ist von einem anderen Schlag als du. Altmodisch bist du ... du paßt gar nicht in unsere Welt.«

»So?« sagt Marianne und wird blaß vor Zorn. »Du meinst also –?«

»Ja, das meine ich«, bestätigt Saliger schonungslos, und dann ruft er: »Ober, zahlen!«

»Warte«, hemmt Marianne nach einem kurzen Schweigen den Aufbruch, »ich habe es mir überlegt. Ich nehme an.«

»Du nimmst an?«

»Jawohl.«

Jetzt ist Franz Saliger auf einmal wieder der gutmütige Junge, der er daheim gewesen ist. Man könnte meinen, daß er Marianne im Kahn gegenübersitzt und daß sie auf dem Teich im Park rund um das Schwanenhaus rudern. Er freut sich aufrichtig, und jetzt tut es ihm sogar etwas leid, daß er so grob gewesen ist. Seine breite Pfote streckt sich über den Tisch, und Marianne schlägt ein. Und nun wird alles Nötige eingehend besprochen. Am ersten Dezember soll Marianne auf dem Grünseekamm sein, bis dahin ist die Hütte bewohnbar, und Marianne soll alles in Ordnung bringen. Die Einweihung wird vor Weihnachten stattfinden, und dann beginnt der Betrieb. Saliger wird sich dafür einsetzen, daß Mariannes Gehalt schon vom ersten November an läuft, damit sie die notwendigen Anschaffungen machen kann.

Damit wäre ja das Wichtigste geregelt. »Noch etwas? Na, dann wollen wir miteinander zum Abendessen gehen –.« Marianne möchte nein sagen, aber wie kann sie diesem gutmütigen Jungen seine Einladung abschlagen. Er ist seelenvergnügt und lacht immerzu und erzählt lustige Geschichten. Sie sitzen beim »Grenadier«, das ist ein Wirtshaus, wo es Wein gibt, unmittelbar aus den Fuhrfässern, und heiße Knackwürste und Rollschinken und Bismarckheringe. Allerhand Leute verkehren da, Geschäftsdiener, Autofahrer, Dienstmänner, Handwerker und kleine Geschäftsleute, aber auch sonst mal jemand, der einen guten Wein trinken will und sich nichts daraus macht, dabei unter das »Volk« zu geraten. Saliger macht sich nichts daraus. An langen, grün gestrichenen Tischen sitzen sie, alle durcheinander, und es dauert nicht lange, so sind sie alle miteinander im Gespräch über dies und das, und vor allem reden sie weise und verständig über den Wein und mit der gebotenen Vorsicht auch über Politik.

Das ist so Saligers Geschmack. Aber es ist nicht Mariannes Geschmack. Saliger ist jedoch im Schuß, er versteht sich vortrefflich mit den kleinen Leuten, er fühlt sich wohl unterm »Volk« und merkt daher nicht, was er Marianne damit antut, und daß sie immer weiter abrückt und immer wortkarger und abweisender wird.

Gegen elf Uhr brechen sie endlich auf, und Saliger, der Volksfreund, ist noch der Meinung, daß er auch Marianne einen gemütlichen Abend bereitet hat.

»Bleibt's also dabei?« fragt er an ihrem Haustor.

»Ja, natürlich ... es bleibt dabei«, erwidert sie und gibt ihm drucklos eine kalte Hand.


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