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Wenn Saliger etwas anpackt ...

Wenn Saliger etwas anpackt, dann hat es von allem Anfang an Hand und Fuß und sein eigenes Gesicht. Kein Gewackel, Richtung ist da. Mit den Prüfungen ist es nicht anders wie mit der Totenhorn-Südwand.

Mit so einer Wand von vierzehnhundert Metern Abfall ist es nicht so, daß man eines Morgens sagt: So, und nun gehen wir's an, und auf Wiedersehen zum Abendessen! Es muß alles gründlich und mit Bedacht vorbereitet werden. Zunächst wird der Rest der Ausrüstung auf die Jahnhütte geschafft, der in Annaberg zurückbleiben mußte. Auf einmal konnte ja die ganze Last nicht bewältigt werden. Saliger, der Schnacksele und der Kümmerer steigen also ab und kommen am Abend wieder, keuchend unter dem Gewicht all der Dinge, die bei einer Erstürmung unentbehrlich sind.

Nun ist alles zur Stelle, Seile und Mauerhaken, Eisbeile, Eispickel, Steigeisen und Kletterschuhe, die Zeltblätter und Zdarskysäcke, die Lebensmittel und Kochgeräte nicht zu vergessen.

Der Schnacksele hat eine Lichtbildaufnahme der Wand gemacht. Sie wird in der kleinen Dunkelkammer der Jahn-Hütte entwickelt und vergrößert, und dann zeichnet Saliger mit dem Rotstift den Anstieg ein, wie er sich ihn ausgedacht hat: so und so und hier und hier! Natürlich rechts vom großen Riß. Der Kümmerer widerspricht schon nicht mehr, er sieht ein, daß der Saliger seine Sache versteht, und vielleicht hat er nur darum nicht gleich von Anbeginn zugestimmt, weil er als Bergführer doch eigentlich besser Bescheid wissen müßte.

Ja, also rechtsherum. Und nun werden die Sachen in die Wand gebracht und auf zwei Lager verteilt. Zwei gewaltige Pfeiler streben in der Wand empor, und auf dem Kopf des einen wird das erste Lager eingerichtet. Der zweite Pfeilerkopf, zu dem man über ein fast senkrechtes Firnfeld gelangt, trägt in achthundert Meter Höhe das zweite.

Acht Tage sind darüber hingegangen.

»Dann haben wir noch sechshundert Meter«, erklärt Saliger, »lauter Überhang, brüchiges Gestein und vereiste Felsen.«

»Wenn Ihnen das gelingt«, meint einer der Herren aus Innsbruck, »dann können Sie eine der allerersten alpinen Leistungen buchen.« Das Gerücht von Saligers Unternehmen hat sich herumgesprochen, und es haben sich allerlei Schlachtenbummler und Kibitze eingefunden.

Die drei Stürmer kommen jetzt nicht jeden Abend in die Hütte zurück. Sie lagern zumeist unter dem Schuttkegel am Fuß der Wand. Aber nun zeigt es sich, daß Saliger mit seinem Dickschädel alles zwingen kann, nur eines nicht, das Wetter. Acht Tage lang hat es sich brav gehalten und nichts dagegen gehabt, daß die Lager eingerichtet werden. Nun zieht es eine andere Miene auf und zeigt sich von der ungemütlichen Seite. Mit einem feinen, grauen Dunstschleier über dem Hochgrindeck fängt es an, dann kommt der Regen, mit einem dünnen Getröpfel zuerst, um sich hernach auf Dauer einzurichten, weiter oben in der Wand ist der Regen natürlich Schnee und Eis – eine erzwungene Pause also.

»Ja, das kann ich nun wohl nicht abwarten«, sagt Siegfried Rummel, »mein Urlaub geht zu Ende, ich habe ohnehin hier meine ganze Zeit verplempert ...«

»Es hat Eana neamand hier z'ruckg'halten«, meint der Kümmerer, der die Hüttenehre verletzt sieht.

Im Regen steigt Rummel ab. »Daraus darf man sich nichts machen«, sagt Rummel, »ich bin ja nicht aus Zucker!«

»Nein!« bestätigt der Schnacksele.

Rummel geht zunächst bis zur Alm und tritt dort ein. Hat er etwa schon genug nach den paar Schritten im Regen, obzwar er nicht aus Zucker ist? Ach nein, Rummel, der Schlaumeier, hat es mit seinem Abstieg so einzurichten verstanden, daß Marianne gerade bei der Regei auf der Alm ist, wie er vorbeikommt.

»Ich wollte nur eben noch Lebewohl sagen«, ruft er zur Tür herein.

Er erwartet vielleicht, daß man ihn zum Eintreten auffordern werde. Die beiden Frauenzimmer stehen in der Stube beisammen und sind offenbar in einem Gespräch gestört worden; es fällt weder dem einen noch dem anderen ein, Herrn Rummel zu einem letzten Verweilen aufzufordern.

»Nun wollen Sie uns also verlassen«, sagt Marianne, keineswegs tiefbewegt.

»Die Pflicht ruft ... ich wäre ja gern dabeigewesen. Aber morgen muß ich in Wien sein ... Na ... dann also alles Gute. Es wird ja in den Zeitungen stehen, wie es ausgefallen ist. Und im Spätherbst komme ich wieder – auf ein Sprüngerl nur – und sehe nach ...«

Siegfried Rummel setzt seinen Abstieg fort, und niemand trauert ihm nach. Er hätte gern einen Eindruck hinterlassen, aber er hinterläßt nicht die Spur eines Eindrucks.

Vielleicht hat das Wetter nur auf seinen Abgang gewartet, um sich von Grund auf zu ändern. Am nächsten Morgen zerreißt die Regendecke, und man sieht über der Gabelspitze ein Stück Himmel, groß genug für eine blaue Hose. Am Mittag ist auch genug für eine Jacke da, und am Nachmittag leuchtet die liebe Sonne wieder in aller Kraft und Herrlichkeit. Man begreift es gar nicht, wie sie es zugeben konnte, daß der Regen sich eine Woche lang gebärdet hat, als sei er der maßgebende Herr in den Bergen.

Zwei Tage lang muß man wohl zuwarten, bis der Neuschnee weggeht und der Fels etwas trocken wird, dann kann man die Arbeit wieder aufnehmen. Vom Lager zwei aus wird der weitere Weg erkundet. Viele Ferngläser sind auf die Wand gerichtet, und die Sachverständigen geben Gutachten ab und tauschen Meinungen aus.

Nun arbeiten die Stürmer schon wieder drei Tage in der Wand, da sehen die Herren aus Innsbruck und München und Wien, als sie in der Dämmerung vom Beobachtungshügel absteigen, drüben auf der andern Seite, der Totenhorn-Südwand gegenüber, einen rötlichen Schein über den Zacken des Pittlitzgrates, der das Grünseekar vom Weißbachgraben trennt.

Ein roter Mond im Aufstieg vielleicht; aber wir haben Neumond im Kalender! Na also: dann brennt dort drüben etwas, es kann nicht anders sein.

Marianne steht vor der Hütte und hat den Feuerschein auch bemerkt. »Es wird wohl die Weißbachhütte sein«, meint sie.

Karten werden geholt, und der Kompaß wird eingestellt, ja, ja, nach allem kann es nur die Weißbachhütte sein. Die Weißbachhütte ist ein altes Geraffel, eine ehemalige Almhütte, gerade nur notdürftig zur Unterkunft für sehr bescheidene Bergwanderer eingerichtet. Man sagt ihr wenig Gutes nach, zwei alte Leute hausen dort, der Betrieb ist schmutzig und unzulänglich. Aber ehe die Jahnhütte gebaut wurde, war sie die einzige Herberge im weiten Umkreis und diente auch für alle Bergfahrten im Grünseegebiet als Stützpunkt, wenn es wirklich die Weißbachhütte sein sollte, die dort brennt, so ist kein Schade darum; die einzige Folge wird sein, daß jetzt umgekehrt die Jahnhütte der Stützpunkt auch für das Weißbachgebiet wird.

Daß es die Weißbachhütte war, erfährt man auf der Jahnhütte anderntags von zwei jungen Burschen, die herüberkommen. Sie haben drüben nächtigen wollen, die einzigen Gäste, und, eben da der Sterz fertig ist, schlägt das Feuer aus dem Dach. Der Hüttenwirt, ein klappriges altes Manndel, hat mit dem offenen Lichte auf dem Heuboden hantiert, und es muß ihn der Schlag getroffen haben. Ist wahrscheinlich hingefallen, das Heu hat am Licht gefangen, alles ist bis auf den Grund niedergebrannt und der Hüttenwirt mit. Den verkohlten Leichnam haben sie beim Aufräumen gefunden. Sie haben beim Löschen geholfen, die zwei, sie zeigen die Löcher in den Hosen, die versengten Schuhe, die verbrannten Hände, nein, es war nichts zu retten als das nackte Leben und die Rucksäcke, die sie aus dem Fenster geworfen haben.

»I hab' ihn kennt, den Grundgayer Sepp«, sagt der Kümmerer nachdenklich, »und das hab' i schon immer g'wußt, daß dös sei End sein wird.«

»Wie können Sie so etwas wissen?« fragt Marianne.

Der Kümmerer schaut scheu zur Seite. Er redet nicht gern von solchen Dingen, aber da es Marianne ist, die fragt, muß er wohl Antwort geben: »Es steht doch an jeden Menschen im G'sicht g'schrieben«, murmelt er.

»Und beim Grundgayer Sepp?«

»Der hat's zwischen den Augen g'habt ... 's Feuerzeichen.«

»Und in jedem Gesicht können Sie lesen, wie der Ausgang sein wird?«

»Naa, net in an jeden«, weicht der Kümmerer zurück, »wo nix zum Seg'n is, da geht's im Bett aus ...«

Der Kümmerer ist keiner von den Menschen, die sich wie ein Schrank mit zwei Flügeln auftun, wenn man den Schlüssel hat. Er ist innerlich ganz vertrackt gebaut, wie eine uralte Bauerntruhe, mit Fächern und Geheimfächern und doppelten Böden. Außen ist er ganz bunt und lustig, und die meisten meinen nun, innen müsse es so sein wie außen, und nehmen ihn danach. Er ist ein uneheliches Kind, eine Bauernmagd in der Hinteröd war seine Mutter. Es ist ihm gegangen wie allen unehelichen Kindern und seiner Mutter wie vielen ledigen Müttern. Irgendeinen Vater wird er wohl gehabt haben, manche haben den Bauern in Verdacht gehabt, bei dem die Sali gedient hat, andere haben gemeint, es könnte wohl der Jagdherr gewesen sein, der in der Hinteröd ein Jagdhaus hat. Als der Bub auf die Welt kam, haben die weisen Weiber ausgerechnet, daß es mit den Monaten von der letzten Herbstjagd her stimmt. Und dann? Hat die Sali vielleicht das Sparkassabüchel, mit dem sie sich das Häusel in der Einschicht gekauft hat, vom Praxmarer-Bauern? Schaut so was dem Praxmarer -Bauern ähnlich? Aber das Sparkassabüchel hat es wirklich gegeben, und es hat sich in die Keuschen verwandelt, in der der Kümmerer herangewachsen ist, und in der die Sali alt und zu dem geworden ist, was die Leut von ihr getuschelt haben. Vielleicht hätte man sie noch zweihundert Jahre früher mit dem Fronvogt abgeholt und auf einem Kaufen Buchenscheiter zur Rettung ihrer Seele und zur Ehre Gottes schön knusprig gebraten. Jedenfalls sind ihr die Leute in der Hinteröd im Bogen aus dem Weg gegangen, und der Herr Pfarrer in der Hinteröd hat nichts dazugetan, der alten Sali ihren Ruf zu retten.

Vielleicht ist es darum, daß der Kümmerer nicht dazu zu bringen ist, in eine Kirche zu gehen. Er sagt seinen christlichen Gruß, und es hat niemand von ihm gehört, daß er einmal gegen die Kirche oder die Pfaffen losgezogen wäre, und darum legt ihm auch der Pfarrer in Annaberg nichts in den Weg. Er nimmt ihn, wie er ist, alle müssen den Kümmerer nehmen, wie er ist. Er hat sich mit der Witib das Häusel in Annaberg erheiratet, tut seine Sach im Haus und auf den paar Äckerlein, ist nebenbei Bergführer und jetzt rechte Hand auf der Jahnhütte, raucht seine Pfeife, trinkt sein Glasel Enzian oder Kranawitter und schaut ganz lustig in die Welt hinein.

Es weiß eigentlich niemand etwas Rechtes von ihm. Außer Marianne. Mit der Marianne geht's dem Kümmerer sonderbar, sie hat er schon mehr von sich sehen lassen, von seinen Geheimfächern und doppelten Böden, als sein Weib in zwanzig Jahren Ehe. Immer rutscht ihm etwas heraus, was er sonst versperrt hat, und so ist ihm jetzt auch das vom Grundgayer Sepp herausgerutscht. Jetzt aber genug, und Marianne weiß auch, daß es jetzt nichts nützt, wenn sie mehr hören will. Es muß beim Kümmerer alles von selber kommen.

Was den Durchstieg der Südwand anlangt, na, in zwei, drei Tagen ist es so weit. Eine Lahn ist niedergegangen, der ganze Neuschnee von oben, über das Eisfeld zwischen dem ersten und zweiten Lager, hart am ersten Lager vorbei, und hat das Geländerseil mitgenommen, das sie dort gespannt haben. Es hat erst ein neues gespannt werden müssen, und die Lahn liegt jetzt auf dem Schuttkegel am Fuß der Wand. Es war eine Mordsschinderei, sich durch den lockeren Schnee zum Einstieg hinaufzuarbeiten.

Die Männer haben während der letzten Vorbereitungen in ihrem Zelt am Grünsee genächtigt, nur der Kümmerer ist täglich in der Jahnhütte gewesen, um die nötigen Lebensmittel zu holen.

Aber jetzt sind sie fertig und gönnen sich noch einen letzten Tag Hüttenrast. Ruhe und Behagen und Kräftesammeln für den Sturm, das ist, was sie jetzt brauchen. Sie tun gar nichts, der Schnacksele liegt draußen auf der Almwiese in der Sonne und schläft, Saliger hat das Hüttenbuch vorgenommen und liest die Eintragungen der Gäste und lacht manchmal laut auf, wenn er etwas besonders Dummes findet, das er in sein Merkbüchlein einzeichnen kann, der Kümmerer raucht seine Pfeife auf der Bank beim Küchenherd.

Die Hütte ist voll Menschen, aber Magda Kaspar sorgt dafür, daß die Neugier nicht zudringlich wird. »Geh, scheuch mir die Fliegen weg!« hat Saliger gesagt. Und nun ist Magda der Fliegenwedel, sie geht herum, und wenn sie sieht, daß sich jemand nähern möchte, scheucht sie ihn weg: »Nein, bitte, die Herren möchten nicht gestört werden!«

Die Marianne kommt aus dem Ziegenstall.

»Und du willst also wirklich ...?« fragt Magda beklommen.

»Natürlich!«

»Ja, aber ...«

Da ist Marianne schon wieder hinaus, sie hat wirklich keine Zeit zu langen Auseinandersetzungen mit Magda Kaspar.

Am Abend wünscht Saliger eine Ansichtskarte. »Ich möchte doch Valerie schreiben, daß es morgen losgeht.« Der Halterbub auf der Alm, der jetzt den Kümmerer vertreten muß, wird den Gruß morgen nach Annaberg tragen. Saliger wählt eine Ansicht, auf der die Totenhorn-Südwand in ihrer ganzen grauenhaften Pracht zu sehen ist. Und nun zeichnet er mit einem Rotstift, so gut es auf der glatten Photoschicht geht, den weg ein, den sie machen wollen.

Marianne steht dabei und sieht zu: »Das wird Valerie sicher sehr leid tun, nicht mit dabeigewesen zu sein.«

»Das glaub' ich!«

»Ich dachte immer, du würdest doch warten, bis Valerie soweit ist.«

»Mein Gott ... mit einer zersprungenen Kniescheibe ... hast du eine Ahnung. Sie schreibt, es würde noch Wochen dauern, bis sie aus dem Gipsverband kommt. Und dann – soll sie vielleicht aus dem Gipsverband gleich in die Südwand hinein. In einem Jahr vielleicht wird sich darüber reden lassen. Sie hat Pech, die Arme!«

»Und wenn du es nun um ein Jahr verschoben hättest?« meint Marianne.

Saliger ist mit seiner Durchstiegszeichnung fertig und schaut auf: »Damit mir inzwischen hier jemand anderer zuvorkommt! Und weiß ich, wie das in einem Jahr mit mir sein wird? Nein, diese paar Wochen sind dazu bestimmt. Ich hab' es nun einmal so eingerichtet, als Belohnung für die Schinderei mit den Prüfungen und bevor ich ins Joch muß. Jetzt oder nie!«

»Ja«, sagt Marianne leise, »du magst wohl recht haben.« Sie nimmt das Alpenvereinsedelweiß ab, obzwar es ganz fest vorne an ihrem Mieder sitzt, und steckt es dann auf derselben Stelle wieder an. »Aber du hast doch von allem Anfang an den Durchstieg zu viert geplant.«

»Gewiß. Jetzt müssen wir ihn halt zu dritt machen.«

»Wenn aber nun ein Vierter mitkommen wollte?«

»Ein Vierter?« fragt Saliger etwas spöttisch, »da sitzen doch alle diese großen Kanonen um uns und schauen die ganze Zeit über zu, es hat sich aber noch keiner gemeldet. Wer sollte das wohl sein?«

»Ich!« sagt Marianne.

»Du?« Saliger ist viel zu verwundert, um etwa in Lachen ausbrechen zu können. »Du, Marianne?« Nun langt es doch schon zu einem Lächeln. »Du glaubst wohl, es ist ein Spaziergang, den du in deinem Dirndlgewand mitmachen kannst ... wie auf den Pittlitzkamm hinüber oder in die Hochgrindeckscharte – wenn du schon einmal dort warst ...«

»Ich weiß schon, daß es kein Spaziergang ist«, beharrt Marianne.

Es kann Saliger nicht entgehen, wie ernst und entschlossen Marianne ist, man muß ihr also ebenso ernst den Kopf zurechtsetzen. »Ich weiß noch ganz gut, wie du einmal über die Berge und das Klettern und so geredet hast. Das mag ja nun wohl mit dir anders geworden sein. Ich sehe, du bist in diese Welt hineingewachsen ... wenn du aber auch den Wunsch hast, den besten Willen ... Du hast ja doch nicht einmal eine Ausrüstung!«

»Mach dir keine Sorgen, die Ausrüstung hätte ich ...«

»Funkelnagelneu, was? Schön ... vielleicht mache ich einmal mit dir einen leichteren Berg ... aber zu so einer Sache wie der Südwand gehört noch etwas anderes ...«

»Mut und Kraft gehört dazu«, sagt Marianne fest, »und die habe ich.«

»Und Übung«, ergänzt Saliger, »Übung und Erfahrung.«

»Du schätzt mich also geringer ein als Valerie?«

»Was ist das für eine dumme Redensart«, knurrt Saliger ärgerlich, »gewiß nicht, aber es kann jemand eben einfach zu einem Ding ungeeigneter sein als zu einem andern. Und überhaupt, warum ziehst du Valerie da hinein?«

Oho, wenn Saliger in diesem Ton mit Marianne spricht, dann steigt auch in ihr der Trotz empor. Sie könnte ja jetzt Saliger ganz ohne weiteres so einige Angaben machen, oder sie könnte den Kümmerer als Zeugen aus der Küche herbeiholen. Aber ihr Trotz läßt es jetzt nicht zu, soll es eine Kraftprobe sein, nun gut, wir wollen sehen!

»Ich bitte dich, laß mich mitgehen!« sagt Marianne, aber nun nicht mehr weich und flehend, sondern fordernd und federnd.

Die Sonne ist untergegangen, und die Leute kommen in die Hütte zurück, es geht nicht an, diese Unterredung länger fortzusetzen.

»Nimm doch Vernunft an, Marianne«, sagt Saliger, »willst du uns in Gefahr bringen? Wenn vier Leute etwas zusammen unternehmen, dann richtet sich die Gesamtleistung immer nach der des Schwächsten.«

»Ich soll also nicht mitkommen dürfen?«

»Nein ... und jetzt Schluß damit, das ist mein letztes Wort. Die Leute schauen schon her.«

Es geht wirklich nicht an, daß die Gäste Zeugen eines Streites zwischen dem Obmann und der Wirtschafterin sind, solche Dinge sollen in einer besseren Hütte nicht vorkommen. Es ist ja natürlich nichts Erniedrigendes oder Beschämendes, im Gegenteil, es handelt sich ja um ideale Güter, um die höchsten Güter, um die es sich auf achtzehnhundert Meter handeln kann, um den alpinen Ehrgeiz eines Erstdurchstieges, aber es ist unnötig, daß sich die andern hineinmischen. Die Sachverständigen könnten selbstverständlich nur Saligers Meinung sein, sie müßten ebenso wie er erklären, daß Mariannes Begehren der Helle Unsinn ist. Dennoch möchte er es vermeiden, sie zu Schiedsrichtern anzurufen, er möchte es vermeiden, Marianne bloßzustellen. Schließlich muß auch eine Hüttenwirtschafterin den Anschein erwecken, als verstünde sie etwas von den Dingen, die sich um sie herum ereignen. Viele Leute wenden sich an sie um Rat und Auskunft, ihr Wort muß Gewicht und Ansehen haben; es soll ihr nicht ein Lächeln anhängen: Denkt euch nur, die hat damals den Ehrgeiz gehabt, den Erstdurchstieg der Totenhorn-Südwand mitmachen zu wollen.

Beim Ehrgeiz macht Saliger halt. Zuerst hat er gemeint, es sei nichts als Laune, so ein Anflug frauenzimmerlicher Unvernunft, bei Marianne läge so etwas nicht außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Aber dann hat er sich überzeugt, wie sehr ernst es ihr damit ist und daß sie es gar nicht spielerisch meint.

Es kann also nur Ehrgeiz dahinterstecken, und das ist ein Beweggrund, den man immerhin achten muß, darum hat Saliger schließlich auch seine Tonart gesänftigt.

So denkt Saliger. Daß er bei alldem auch ein wenig an Valerie gedacht hat, läßt er erst gar nicht vordringlich ins Bewußtsein treten. Jedenfalls ist jetzt das letzte Wort gesprochen, und Marianne hat ihren endgültigen Bescheid.

Es ist merkwürdig, obzwar der Kümmerer nichts von Mariannes Absicht weiß und er auch kaum etwas von dem gehört haben kann, was nebenan gesprochen wurde, fängt er in der Küche Mariannes Hand ab, als sie an ihm vorbeikommt: »Laß gut sein, Marianndl«, sagt er, »is vielleicht besser so ...«

»Ah was«, erwidert Marianne kurz, entzieht ihm ihre Hand und geht ihrer Arbeit nach.

Es ist vielleicht eine Art Entschädigung für die Enttäuschung, daß der Kümmerer gerade am heutigen Abend noch eine absonderliche Nachricht für Marianne hat, wenigstens faßt es der Kümmerer so auf.

Heute wird noch früher schlafen gegangen als sonst, ganz ohne Hüttenzauber, allzu wichtige Dinge stehen auf dem Spiel. Nur Marianne kramt noch herum, nachdem sie lange mit Magda Kaspar geflüstert hat. Und dann kommt der Kümmerer herein, der draußen nach dem Wetter gesehen hat. Er klopft seine Pfeife in den Küchenherd aus und sagt dann: »Marianndl ... draußen is aner ...«

»Wer denn? Noch ein Gast?«

Der Kümmerer schaut Marianne mit seinem verzwicktesten Gesicht an: »... a Gast ... und aa kaaner ...«

»Also ... dann können wir ja auch schlafen gehen.« Marianne hat jetzt keine Lust, Rätsel zu raten.

»Draußd im Goasenstall sitzt 's graue Manndl.«

»Was denn für ein graues Manndl?«

»Schaut aus wie a uralt's Manndl ... hat an langen, eisgrauen Bart, a grün's Kappel und rote Potschn ...«

Wen in aller Welt mag der Kümmerer gesehen haben? Der Bindinger Sepp, der Wurzelmann, ist am Nachmittag dagewesen; vielleicht, daß er sich am Abend zurückgeschlichen hat und heimlich im Ziegenstall untergeschloffen ist, scheu und ungesellig, wie er ist.

»I wer doch'n Bindinger Sepp kennen!« Der Kümmerer ist beinahe gekränkt. »Seit wann hat denn der Bindinger Sepp an grün's Kappel und rote Potschn? Naa – woaßt, Marianndl, wer's is? 's Hüttenmanndl is.«

»Das Hüttenmanndl?«

»Jo«, bestätigt der Kümmerer, »die Jahnhütt'n hot a Hüttenmanndl kriagt. Und i sag dir aa, wieso. Es is dös Hüttenmanndl von der Weißbachhütt'n. I kenn's, i hab's öfter dort gseg'n.«

»Von der Weißbachhütte?«

»Dö is niederbrennt«, nickt der Kümmerer, »do is das Hüttenmanndl zu ins zuwizog'n. A paar hundert Johr mag's drüben g'sessen sein. Jetzt hat sich's halt an neuchen Unterstand g'sucht. 's wird eam drüb'n dö Sauwirtschaft verdrossen hab'n, da hat's sei Hand von der Hütt'n abzog'n und hat'n roten Hahn zuwiglassen.«

Marianne will dem Kümmerer nicht weh tun, nichts also von Aufklärung und Kampf gegen Aberglauben. Mag also in Gottes Namen jetzt die Jahnhütte ihr Hüttenmanndl haben. Und wozu ist es denn da, was bedeutet es denn, das Hüttenmanndl?

»Jo«, sagt der Kümmerer, »Guats bringa tuat's holt, 's Hüttenmanndl, Guats für d' Hütten und olls rundum. Muaßt's holt aa guat halt'n, 's Manndl. 's braucht net viel. Muaßt eam holt an jedn Obnd a Lackerl Mili in'n Stall stellen. Verstehst, Marianndl? So ... und jetztn gemma schlaffa.«

Und damit stapft er hinaus in die Dunkelkammer, wo er bei solchem Andrang seine Schlafstelle hat. Marianne nimmt die Bergschuhe vor, die schweren Treter, die hinter dem Küchenherd stehen, und salbt sie sorgsam mit Fett. Mit dem Handballen reibt sie das Fett ins Leder ein, wie sich's gehört.

Nun ist auch sie soweit. Aber sie steht noch eine Weile, überlegt, und schließlich knipst sie die Taschenlampe an und geht in den Ziegenstall hinüber. Die drei Ziegen schauen sich leise meckernd nach ihr um mit ihren bernsteingelben Augen und den drolligen Teufelsbärten.

Von einem Hüttenmanndl ist natürlich keine Spur.

Es ist wohl nur dem Kümmerer gegeben, aus den Gesichtern der Menschen Schicksale abzulesen und das Hüttenmanndl zu sehen.

Immerhin, manchmal tut man auch Dinge, die vor dem Urteil der klaren Vernunft keinen Bestand haben. Man tut sie, um Mächte zu gewinnen, die man nicht kennt, auf alle Fälle sozusagen. In den Bergen ist eine eigene Welt, man mag darüber unten in den Städten lächeln, aber sie sollen nur einmal heraufkommen und alle diese Heimlichkeiten und Unheimlichkeiten um sich fühlen.

Marianne nimmt eine grüne Tonschüssel vom Bord und füllt sie aus dem Krug, der für das morgige Frühstück bereit steht, bis zum Rand mit Ziegenmilch. Es gibt viele Leute, die trinken auf den Bergen mit Vorliebe Ziegenmilch, weil's mal was andres ist. Hoffentlich hat das Hüttenmanndl nichts gegen Ziegenmilch.


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