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Hüttenweihe

Wenn Saliger gesagt hat, daß die Hütte Anfang Dezember bewohnbar sein werde, so hat er den Mund ein wenig voll genommen. Das heißt, bewohnbar ist sie ja, insofern, als ein Dach da ist und Wände und Türen und Fenster und ein Küchenherd. Man kommt in einen Vorraum, wo man den Schnee von den Füßen stampfen und die Skier aufstellen kann. Dann tut sich die Tür zur Küche auf, daneben ist dann ein Gästeraum und ein gemeinsamer Schlafraum, so eine Matratzengruft, oben im ersten Stock sind die Einzelzimmer für die Gäste, denen es auf den Schilling nicht ankommt. Und in all diesen Räumen stehen auch Einrichtungsstücke herum, grobgezimmerte Tische und Bänke und Bettgestelle. Soweit stimmt es ja.

Aber es ist etwas anderes, ob man in der Stadt in eine Wohnung einzieht oder hier auf dem Grünseekamm. Dort unten hat in jeder Wohnung, wenn man nicht eben so dumm ist, in ein ganz neugebautes Gemeindehaus einzuziehen, schon jemand anderes gewohnt, die Wände, der Boden und die Decke haben von all den Vorgängern irgend etwas angenommen, sie sind mit Menschlichem sozusagen vollgesogen. Hier aber hat noch niemand gehaust als der Winter, und der scheint angenommen zu haben, daß die Hütte eigens für ihn gebaut sei, so breit hat er sich darin gemacht. Er denkt nicht daran, sich so ohne weiteres austreiben zu lassen.

Aber eben das ist ja Mariannes Aufgabe, zu diesem Zweck hat man sie ja ein paar Wochen früher hier hinaufgeschickt, um die Hütte wohnlich zu machen, damit sie schon gemütlich ist, wenn die Einweihung stattfindet. Das ist schwieriger, als man glaubt.

Das erste, was not tut, ist Wärme. Um die Hütte ist ringsum Holz geschichtet, so daß nur die Türen und Fenster frei geblieben sind; im Herbst haben sie das noch getan, Bäume geschlagen, gutes, duftendes Lärchenholz, das übriggebliebene Bauholz dazu und Reisig.

Am ersten Tag zeigt Kümmerer der Marianne, wie Feuer gemacht wird. Er bringt ein paar Arme voll Latschenzweige, einige Schwingen geschnittene Scheiter, er hockt vor dem Küchenherd nieder, und gleich darauf prasselt das Feuer auf. Langsam erwärmt sich der Raum. Marianne hockt frierend neben dem Herd, sie ist naß bis über die Knie, die Strümpfe, der Rock und alles andere.

»Sehn S'«, sagt der Kümmerer, »i hab's Eana g'sagt, im Bärensattel hat's urntli obigschnieb'n.« Aber er ist mit diesem gestatzten Dirndl doch ganz zufrieden gewesen; er weiß nicht, was es Marianne gekostet hat, durchzuhalten, immer bis an den Leib im Schnee, bis sie endlich gelernt hat, genau in die Stapfen zu treten, die der Kümmerer vor ihr in den Schnee hineinwuchtet.

Es dauert eine gute Weile, ehe sie soweit ist, die Strümpfe und Kleider wechseln zu können. Der Kümmerer kracht mit dem Koffer die hölzerne Stiege zum ersten Stock hinauf, eine halsbrecherische Angelegenheit, diese steile Stiege mit den schmalen Stufen. Von der letzten Stufe geht's mit einer jähen Wendung unmittelbar in eine Tür. Man muß einen großen, gewagten Schritt machen. »Dös is Eanare Kammer, hat der Herr Lobgesang g'sagt.«

Ein Bett steht da, ein Schrank, ein Waschtisch, ein kleiner eiserner Ofen, Reisig und Holz liegen daneben. Marianne versucht es, Feuer anzuzünden. Das Holz knattert ein wenig, es qualmt grauenhaft, und dann steht der Ofen wieder schwarz und finster da. Der Winter grinst, es kommt ihm vor, daß er von dieser Mitbewohnerin wenig zu fürchten hat. Zähneklappernd zieht sich Marianne um und flüchtet rasch wieder zum Küchenofen. Sie muß sich gestehen, daß sie sich den Winter in den Bergen doch ein wenig anders vorgestellt hat.

Keine Rede davon, in ihrer Kammer schlafen zu können. Marianne schleppt den Strohsack, die Polster und die Pferdedecke hinunter in die Küche, bettet sich vor den Ofen und verbringt ihre erste einsame Hüttennacht in der Betäubung einer halb Erschlagenen. Am Morgen steht ihr der Hauch als dichte Dampfwolke vor dem Mund, auf die Fenster hat der Winter, der unermüdliche Künstler, ganze Palmenwälder gemalt. Das Feuer im Herd ist ausgegangen; vor allem muß jetzt ein neues Feuer angemacht werden.

Marianne tut genau so, wie sie es vom Kümmerer gesehen hat. Ein Stück Papier, Latschenzweige darauf, dann die Scheiter. Sehr schön, aber das Feuer zuckt und zittert, es brandelt und glost, blaue Flämmchen spielen Ringelreihen und Schneider leih mir d' Scher', hübsch anzusehen, aber ein Feuer wird nicht daraus. Frierend sitzt Marianne neben dem Herd. Sie zieht zwei Paar Strümpfe übereinander an, drei Paar, sie zieht alles an, was sie hat, und friert weiter. Der Winter lacht sich hörbar ins Fäustchen.

Am nächsten Tag kommt der Kümmerer wieder. »Kalt haben S' es da«, sagt er, indem er den schweren Rucksack auf den Küchentisch absetzt.

»Ja, das Feuer will nicht brennen.«

»Warum denn net gar«, lacht der Kümmerer, knotzt vor dem Herd hin, kramt ein wenig darin herum, legt Reisig auf, und schon geht das prasseln an. Er hat es gar nicht anders gemacht als Marianne, aber der Unterschied ist, daß ihm das Feuer gehorcht und Marianne nicht. Es muß ein Feuerzauber dabei sein.

In der Physikstunde hat Marianne ja einiges über Wärmelehre gehört, von der Schmelzwärme, der Verdampfungswärme, der Lösungswärme, der latenten und der spezifischen Wärme, aber es ist von allen diesen Sorten von Wärme nicht eine einzige vorhanden, und Marianne hat nicht gewußt, daß die Wärme eine gar so wichtige Sache ist.

Der Kümmerer kommt jeden zweiten Tag. Er ist von Lobgesang, dem Hüttenwart, dazu bestellt, alles auf die Hütte zu bringen, was unten in Annaberg beim Pfarrer noch lagert. Geschirr, Bettwäsche und Lebensmittelvorräte. Nicht zu glauben, was auf so einer Hütte gebraucht wird, ehe sie völlig eingerichtet ist. Aber nach und nach, jeden zweiten Tag einen Rucksack voll, da füllt sich das Haus. Marianne wäscht das Geschirr ab, verstaut die Lebensmittel in der Speisekammer, kocht für sich, lauter ungewohnte Arbeit, der Tag ist damit ausgefüllt.

Und Marianne nimmt beim Kümmerer Unterricht im Feueranmachen. Auch das will gelernt werden, so ein Ofen ist wie ein Mensch, der eine kann grob angefaßt werden und macht sich nichts daraus, der andere besteht auf guter Behandlung und hat seine Eigenheiten. Nicht zwei Öfen sind gleich, auch nicht auf dem Grünseekamm. Aber Marianne lernt es allmählich, und der Winter macht ein griesgrämiges Gesicht und fängt an, die Sache ernst zu nehmen. Es entsteht hier oben mitten in seinem Bereich eine kleine Insel für Menschenzuflucht und Menschenbehagen, wo er nichts zu sagen hat.

Bei des Kümmerer vierter Wiederkunft meint Marianne so nebenher, ob der Krämer unten in Annaberg nicht vielleicht auch warme Strümpfe hätte, so weiße Zöpferlstrümpfe vielleicht.

»Freili wohl hat der Kramer aa solchene Strümpf«, nickt der Kümmerer.

Dann möge ihr der Kümmerer das nächste Mal ein paar solche Strümpfe mitbringen. Ob der Krämer nicht auch Potschen hätte, lauert Marianne, »so warme Fleckerlpotschen im Haus herum«. Merkwürdig, daß auch Fleckerlpotschen ein Wunschtraum werden können, wenn man sie einmal an jemand anderem gesehen und sich überzeugt hat, daß sie sehr warm und angenehm sein müssen.

Acht Tage hat es hier oben nichts als Nebel gegeben. Man hätte ebensogut in einer Waschküche sitzen können in lauter grauen Schwaden. Am neunten Tag kommt Bewegung in das zähe Gefilz, der Wind faucht in den Schornstein und pfeift um die Hausecken. Er knetet in den Massen mit beiden Fäusten herum, ballt sie zusammen, daß sich das gleichmäßige Grau mit lichteren Flecken tupft, er wirft sie auseinander und fetzt sie hierhin und dorthin. Und am zehnten Tag gegen Abend tut sich die Welt auf.

Es wird licht um und um. Marianne kommt in den neuen dicken Strümpfen und den Fleckerlpotschen vors Haus und geht auf dem ausgetretenen Stück ein wenig hin und her. O Täler weit, o Höhen, denkt sie, es ist wirklich so und kein Schwindel.

Da unten, da sieht man bis weiß Gott wohin, es muß doch ein Sinn und eine Ordnung in alledem sein, wie die Kämme da absinken, wie die Wasser zusammenfließen und vereint weitergehen, nur daß man nicht so ohne weiteres dahinterkommt, wie sich das verhält. Der Wald steht still im Rauhreif, eine gestreifte Hemdkrause um den weißen Nacken der verschneiten Almwiese. Und die Berge rundum, die »Bergriesen«, in grauenvoller Schönheit. Alles scheint in sich ruhend und erfüllt, wie kommt es nur, daß eine solch unerträgliche Sehnsucht daraus aufsteigt und im Blut zu rumoren beginnt?

Wie sich Marianne umwendet, muß sie einen Schrei unterdrücken. Ein Mensch steht vor ihr, den sie nicht kommen gesehen hat, er war vielleicht schon früher da und hat hinter dem Haus gelauert. Ein fremder Kerl mit einem rußgeschwärzten Gesicht, ganz fürchterlich anzuschauen.

»Sö sein wohl die Hauserin da?« fragt er mit einer krächzigen Stimme, als hole er sie auf knarrender Winde aus einem Brunnen heraus.

Ja, sagt die Marianne barsch, und was das für eine Art war, die Leut zu erschrecken. Jetzt nur um Gottes Willen keine wirkliche Angst zeigen, aber dumm ist's schon, daß heute der Kümmerer nicht da ist. Gerade heute wächst ihr in ihre Einsamkeit eine richtige Räubergeschichte hinein.

Ob er sich drin in der Stuben ein Endl verschnaufen derfet, fragt der schwarze Mann.

Was soll Marianne tun? Sie öffnet die Hüttentür, aber so gescheit ist sie schon, daß sie dem schwarzen Mann nicht vorausgeht, sondern hinterdrein. Er stampft im Vorraum ganz ordentlich den Schnee von den Füßen und klopft an der Tür zur Küche sogar an, ganz gesittet. Mariannes erster Blick geht zum Herd hinüber, Gott sei Dank, das Holzhackel liegt da, griffbereit. Nein, sie ist kein zitteriges Weibsstück, sie wird sich nicht so ohne weiteres abschlachten lassen, wennschon, dann wird in den Zeitungen stehen: »nach tapferer Gegenwehr«.

Sie richtet es so ein, daß sie sich zwischen den Tisch, an dem der Mann sich niedergelassen hat, und den Herd einschiebt.

»Und ös seid's da ganz alloan herobn in dera Einschicht?« fragt der Schwarze wieder.

»Nein«, sagt Marianne, »der Kümmerer ist da, er ist mit dem Hund unten bei der Alm und kann jeden Augenblick zurück sein.«

Es kommt Marianne so vor, als ginge unter der Schwärze ein Schmunzeln über des Mannes Gesicht. Er nimmt den Hut ab und streicht das Haar aus der verschwitzten Stirn, deren Helle scharf gegen das rußige Gesicht abgesetzt ist. Und ob er nicht ein Ranftl Brot haben könnt und ein Lackerl Milch. Vom Ofen zum Speisschrank hinüber sind nur drei Schritt, aber Marianne zögert, sich so weit vom Holzhackel zu entfernen, das zu ihren Füßen liegt.

Ein glucksendes Lachen quillt dem Mann aus der Kehle, »Naa, braucht's Enk net z'fürchten, gegen meiner braucht's koa Holzhackel net.« Marianne ist durchschaut, sie schämt sich ein wenig, rasch macht sie die drei Schritte und stellt einen Hefen Milch vor den Mann, den Brotlaib legt sie dazu. Der Mann zückt ein Messer aus der Hintertasche und schneidet einen Ranken ab, gierig kaut er, schlürft schmatzend dazwischen die Milch.

Von einem essenden Mann ist nichts zu besorgen. Sehr fesch und schneidig steht Marianne vor ihm: »Jetzt sagen Sie mir, warum haben Sie sich das Gesicht schwarz gemacht?«

Der Schwarze würgt einen Klumpen Brot hinunter: »Leicht, daß i a Rauchfangkehrer bin ...«, und die Augen blitzen spitzbübisch vergnügt aus der Schwärze. Es sind blaue Sterne in einem elfenbeinernen Weiß.

Die Räubergeschichte verläuft harmlos, das hat Marianne schon heraus, wenn er aber nun etwa doch auch übernachten will, was dann? Aber so weit kommt es nicht, daß Marianne zu solchem Ansinnen Stellung nehmen müßte, der Mann hat offenbar Eile; nach dem letzten Bissen und dem letzten Schluck schiebt er das Messer wieder an seinen Ort und steht auf. »Jetzt muß i wieder weiter.«

Ein Stein fällt Marianne vom Herzen, kein ganz so großer, wie er zu Beginn dieser Begegnung ihre Brust bedrückt hat, er ist eingeschrumpft, aber immerhin noch ansehnlich genug. »Ja ... und dank schön«, sagt der Schwarze und drückt Mariannes Hand. Er setzt den Hut auf. »Und a saubers Madel seid's, a bildsauber's«, sagt er, »und a kreuzbrav's und kuraschiert's dazu.«

Nun also: belobende Anerkennung für tapferes Verhalten vor dem Feind. Marianne kann sich was darauf einbilden. Sie schaut dem Mann nach, wie er davonstapft im Dämmern, nicht talzu nach Annaberg, sondern quer über die Almwiese, dem Wald zu, über dem die fahle Mauer des Hochgrindecks steht mit einem rotgoldenen Sonnenkranzel auf den obersten Zinnen.

Jetzt erst fangen Mariannes Beine zu zittern an. Sie hat bisher noch nicht bedacht, daß sie in ihrer Einsamkeit Besuch bekommen könnte, keinen edeln Räuber oder harmlosen Wilddieb, wie dieser war, sondern einen recht unerwünschten. Vielleicht müßte wirklich ein Hund her, wie der Kümmerer schon einmal gesagt hat. Man kann ja mit ihm einmal darüber reden. Und auf jeden Fall wird es gut sein, über Nacht auch den schweren Riegel vor die Tür zu schieben.

Und richtig, mitten in der Nacht pumpert es an der Tür. Jetzt kann Marianne in ihrer Kammer schon mit dem Ofen umgehen, sie schläft oben und steckt den Kopf zum Fenster hinaus. wenn es aber wieder der Schwarze ist, diesmal läßt sie ihn nicht herein. Aber es ist nicht der Schwarze, es ist ein anderer in einem kurzen Uniformpelz, Helm auf, Gewehr über, im Mondschein steht ein Gendarm vor der Hüttentür.

Ob sie jemand in der Hütte hätt', zur Nacht.

»Nein, es ist niemand da«, sagt Marianne.

Ob vielleicht jemand dagewesen war über Tag oder am Abend.

Marianne überlegt einen Augenblick, das Ja will ihr schon herausrutschen, aber sie fängt es noch beim Schwanz ein. Der schwarze Kerl hat sich gut benommen, man kann es nicht anders sagen, und Marianne trägt ihm eine Art Dankbarkeit nach, weil er ihr Gelegenheit zu heldenhaftem Benehmen gegeben und weil sie eine Art Hochachtung vor sich selbst zurückbehalten hat. Was die strafende Gerechtigkeit mit dem Mann auszumachen hat, geht Marianne nichts an. Man weiß schon, wie, das manchmal mit der strafenden Gerechtigkeit ist, da mischt sich Marianne nicht hinein.

Nein, es war niemand über Tag dagewesen, sagt sie mit biederer Schläue; um nicht zu lügen, sagt sie vom Abend nichts.

Aber es wären doch Fußspuren im Schnee rund um das Haus. Das werden die Spuren vom Kümmerer sein, sagt Marianne, und ob der Herr Postenführer vielleicht hereinkommen wollte.

Der Postenführer brummt etwas, sagt mürrisch »Gute Nacht«, und dann geht er den Fußtapfen nach, die quer über die Almwiese zum Wald laufen.

Der Kümmerer merkt es natürlich auch im Schnee, daß Marianne Besuch gehabt hat. Einen Berg- und Waldmenschen wie ihm kann so etwas nicht entgehen. Vor dem Kümmerer braucht man kein Geheimnis zu haben, er ist keiner von denen, die mit dem Maul immer vorneweg sind, er besinnt sich seine Zeit, ehe er eine Antwort gibt. Diesmal besinnt er sich besonders lang, er löffelt seinen Tee mit Rum, den ihm Marianne vorgesetzt hat, kratzt die Pfeife sorgfältig aus, und erst, da es ordentlich brennt, schmunzelt er in den Qualm hinein: »Dös war koa Räuber net, dem's gholfen hobt's, und auch koa Wilderer net, dös war a Politischer, hobt's holt an Politischen über d' Grenz g'holfen.«

»In Gottes Namen halt, ist auch recht«, meint Marianne, und es macht ihr gar nichts aus, daß sie jetzt an einem Verbrechen gegen die Staatsgewalt mitschuldig ist.

Was den Tee mit Rum anlangt, oh, es gibt jetzt Tee mit Rum auf der Jahnhütte, es gibt auch Kaffee und Erbsensuppenwürfel und Blechbüchsen mit Sardinen und sonst allerhand. Im Anbau hinten hängen Dauerwürste vom Dach, mächtige Schinken; das Haus hat sich gefüllt, rucksackweise, wie es der Kümmerer aus Annaberg hinaufgeschafft hat, es ist ein Ansturm zu erwarten, wenn erst der Betrieb beginnt.

Und ob vielleicht, ein Schuster in Annaberg wäre, der Haferlschuhe machen könnte, fragt Marianne.

Freiliwohl, so ein Schuster wär schon da, nickt der Kümmerer. Und da gibt ihm Marianne ein paar ihrer Stadtschuhe mit als Maß für die Haferlschuhe.

Dem ersten Besuch des Schwarzen und dem zweiten des Gendarmen folgt bald ein dritter, und das ist der des Herrn Lobgesang, des Hüttenwarts. Als Hüttenwart muß er sich doch umsehen, ob alles in Ordnung ist, da doch in acht Tagen die Eröffnung stattfinden soll. Marianne kennt Lobgesang, er kam einmal oder zweimal in Begleitung Saligers und der Valerie Mayrhofer, als die Heimatabende noch stattfanden.

Jetzt hat er eine Amtsmiene aufgesetzt, er ist der Hüttenwart, verantwortlich für alles, bei der Eröffnung muß es klappen. Er steigt in der Hütte herum, steckt überall die Nase hinein, beschnüffelt alles und jedes, gibt Anregungen, bemängelt auch einiges, das muß er, das gehört dazu.

Die Wäsche sollte gemerkt werden, mit J. H., »Jahnhütte«, nicht wahr? Und es wäre hübsch, wenn in den Zimmern im Oberstock Vorhänge an die Fenster kämen. Der Kümmerer wird sie bringen, Vorhänge an den Fenstern machen gleich einen traulichen Eindruck. Und der Fußboden müßte gerieben werden.

Den Fußboden hat Marianne schon zweimal gerieben. Aber der Kümmerer stampft mit seinen Tretern ein und aus, aus dem Küchenherd fällt auch manchmal ein verkohltes Zweiglein, man beachtet es nicht gleich, und dann sind die schwarzen Tapper da. Marianne wird den Fußboden schon noch einmal reiben müssen.

»Na, wie gefällt es Ihnen hier oben?« fragt Lobgesang, nachdem die Besichtigung vorbei ist, im gemütlichen Teil, verbunden mit einer Kochprobe: Erbssuppe mit Kaiserschmarrn. Mit der Erbssuppe tut man sich leicht, die steckt fix und fertig in der Wurst drinnen, der Kaiserschmarrn ist eine heiklere Angelegenheit. Er besteht aus zwei Teilen Sand und einem Teil harter Knollen, es herrschen da Gesetze, die man noch nicht ganz ergründet hat.

Wie es Marianne gefällt; Sie zuckt die Achseln, es wäre lächerlich, Begeisterung vortäuschen zu wollen, Marianne ist hier oben, weil es sich so gefügt hat. Schluß!

»Einsam, nicht wahr?« versteht sie Lobgesang, »aber es ist eine großartige Einsamkeit. Ich möchte gleich mit Ihnen tauschen.«

Schon wieder einer, der mit Marianne tauschen möchte!

»Warten Sie nur, wenn die Hütte einmal eröffnet ist! Dann werden Sie manchmal diese Einsamkeit zurückwünschen.« Er zieht die Stirn in Falten. »Es wäre zu erwägen, ob man nicht ein Rundfunkgerät heraufschaffen sollte. Der Empfang müßte hier ausgezeichnet sein, keine Störungsquellen weit und breit. Aber ein Rundfunkgerät ist der Ortsgruppe zu teuer. Vielleicht könnte man ein Grammophon auftreiben ... es findet sich ein edler Spender ... es kann ja auch ein überspieltes Grammophon sein ...«

Ein Hund wäre ihr lieber, meint Marianne.

Ein Hund? Gut, ein Hund ... warum soll nicht ein Hund auf der Hütte sein? übrigens, im Sommer, wenn das Vieh auf die Alm kommt, wird's schon dadurch lebendig werden. Fünf Minuten weiter unten ist ja die Almhütte, in der dann die alte Regei wirtschaftet, haha, na, da wird Marianne ja ein merkwürdiges Weibsbild, homo alpinus feminini generis, kennenlernen.

Er entsinnt sich dann, daß er Marianne noch zeigen muß, wie die Abrechnungen geführt werden sollen. Keine Kunst natürlich, doppelte Buchhaltung ist keineswegs nötig, nur der Ordnung und Übersicht wegen. Machen wir eine kleine Eintragung zur Probe, bittet Mariannes Hand bewegt sich über das Buch hin.

»Was für schöne Hände Sie haben!« bewundert Lobgesang. »Eigentlich schade, daß diese Hände den Fußboden reiben sollen. Soll ich Ihnen nicht jemand von Annaberg hinauf zur Hilfe schicken ... jemand, der die ganz groben Arbeiten macht?«

Schau, schau, wie nett vom Herrn Hüttenwart Lobgesang. Zu bemerken, was für Hände Marianne hat. Er zieht diese Hände zu eingehender Betrachtung an sich und dreht die Handflächen nach oben. Aber Marianne liebt es nicht sehr, wenn man irgend etwas an ihr mit großen Tönen bewundert; und was ihre Hände anlangt, die sind längst nicht mehr, wie sie waren, als Marianne hier oben ankam. Sie sind weit härter, rauher und rissiger, als sich Marianne vorstellen konnte, daß ihre Hände jemals sein könnten.

»Nein«, sagt Marianne und nimmt ihre Hände zurück, »ich danke, aber ich werde ganz gut allein fertig.«

Es war ja nur guter Wille vom Herrn Hüttenwart und ein schüchterner Versuch, also reden wir nicht mehr weiter darüber.

»Also auf Wiedersehen in acht Tagen!«

Diese acht Tage aber stellen sich an, als ob es der Himmel darauf abgesehen hätte, den Grünseekamm von der ganzen übrigen Welt abzusperren. Er schüttet Schnee aus, vier Tage lang, immer wieder Schnee; unbegreiflich, woher er diese Massen Schnee nimmt, der ganze Weltraum muß voll Schnee sein. Bis zu den Fenstern steigt der Schnee an, er verdeckt schon drei Viertel der Scheiben, und Marianne muß alle halbe Stunden die Schaufel nehmen, um ein kleines Plätzchen vor der Tür frei zu halten, wie arg es ist, kann man daraus ermessen, daß sogar der Kümmerer ausbleibt. Am fünften Tag macht der Himmel Schluß mit dem Schneien, er hellt sich auf, und aus seinem blaßblauen Abgrund dringt eine grimmige Kälte heraus. Der Schnee setzt sich, kriegt eine harte Kruste, und nun kommt auch der Kümmerer wieder.

Diesmal nicht allein, an einem Strick zottelt ein Hund hinter ihm her, ein frierender, halb verhungerter, klapperdürrer Köter. Bei Gott, keine Hundeschönheit, ein halbes Dutzend Rassen haben bei seinem Zustandekommen mitgewirkt; der Kleinhäusler Stollhofer ist Gottes froh, den Hund losgeworden zu sein. Heißen tut er Caruso.

Und dann findet die feierliche Einweihung der Hütte statt.

Am Abend vorher rücken die Herren vom Ausschuß der Ortsgruppe ein. Caruso bellt sie wütend an, er hat bereits erfaßt, in welchen neuen Pflichtenkreis er eingetreten ist, und macht sich darin wichtig. Da sind sie also, Lobgesang, der Hüttenwart, der Ingenieur Max Kopetzky, der die Pläne gemacht hat, Carlos Tips, der Bircher Schnacksele und die andern.

Kein Saliger? Kein Saliger weit und breit! Vielleicht kommt er morgen, man braucht ja bloß den Mund zu einer Frage aufzutun, aber damit wäre seiner Anwesenheit eine Bedeutung beigemessen, die sie nicht besitzt. Er wird schon kommen, er wird doch die Einweihung nicht ohne sein Dabeisein lassen. Schließlich ist er ja der Obmann.

Am andern Tag beginnt schon zeitig der Zuzug der Festgäste. Eine neue Hütte auf dem Grünseekamm, das ist ein Ereignis für alle Bergfreunde. Es sind ja viele Einladungen ergangen, und wer nur irgendwie kann, ist gekommen. Die befreundeten Vereine haben Abordnungen entsendet, die Bretteln klappern im Vorraum, die Hütte wird zu enge, das Gedränge ist beängstigend.

Marianne kann kaum so schnell Nachkommen, alle wollen gleichzeitig zu essen haben; der Kümmerer hilft auftragen, aber was ist das schon für eine Hilfe, der Kümmerer mit seinen ungeschickten Tatzen und dem Daumen in der Erbssuppe. Er schleckt ihn zwar jedesmal nachher sauber ab, aber was nutzt das, in der nächsten Suppe steckt er ja doch wieder drin.

Marianne aber, Marianne hat sich heute wieder fein gemacht. Nichts von weißen Zöpferlstrümpfen, Haferlschuhen und dicken Wollwesten, nein, Seidenstrümpfe und Seidenbluse und Stöckelschuhe und fein geschwungene Augenbrauen, ganz die alte Marianne aus der Stadt. Sie sollen sehen, daß man auch in solcher Aufmachung in zweitausend Meter Höhe eine einsame Hütte musterhaft bewirtschaften kann.

Der Herr Gemeindevorsteher Breitenecker aus Annaberg ist da, der Förster und der Herr Pfarrer. »Na, haben Sie sich eingewöhnt?« lächelt er Marianne an.

»Die Zeit ist mir nicht lang geworden«, gibt sie zur Antwort.

»Und waren Sie auch schon einmal irgendwo oben?« Er deutet mit dem Kopf nach dem Totenhorn, das sich in seiner königlichen Pracht vor dem Fenster aufbaut.

»Nein, das nicht, kein Bedürfnis danach. Man kann ganz gut unterhalb der Berge wohnen. Sie haben sehr recht, Hochwürden, wenn es die Menschheit ein paar tausend Jahre ohne Bergsteigen ausgehalten hat ...«

»Ja, ja«, meint der Pfarrer nachdenklich, »das kann man schließlich verstehen, daß der Mensch die Welt kennenlernen will, die ihm Gott zur Wohnung gegeben hat, nicht bloß in die Läng und Breite, sondern auch der Höhe und Tiefe nach. Nur haben sie da den Sport erfunden, und darin treiben sie's dann so weit, daß es schon heißt, Gott versuchen.«

Ganz so heiter und von innen heraus erhellt, wie Marianne den Pfarrer in seinem Haus gefunden hat, kommt er ihr heute nicht vor. Es kann wohl sein, daß er die Höhenluft nicht verträgt, manche Leute werden bedrückt davon. Aber dann hört sie zufällig, wie der Bircher Schnacksele dem Carlos Tips erzählt, daß der Pfarrer seinen Kummer und Ärger habe. Es werde ihm von seinen Obern verdacht, daß er den Leuten in seinem Pfarrhaus Unterkunft biete; allerhand Leuten, ohne sonderlich nachzufragen, ob sie Rechtgläubige oder Ketzer seien, und noch dazu sogar Frauenzimmern. Und es sei wohl nicht mehr weit dahin, daß man ihm seine Gastlichkeit ganz verbieten werde. Der Bircher Schnacksele hat es nicht in der Gewohnheit, sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, und er tut es auch diesmal nicht. Immer, wenn ein Mann nach dem Herzen Gottes sei, könne man Gift darauf nehmen, daß er nicht nach dem Herzen der Pfaffen sei. Und dann nimmt er nicht Gift darauf, sondern einen Enzian, Größe drei.

Wie Marianne vorüberstreicht, schiebt er seinen Arm unter den ihren: »Zufrieden? Voller kann die Bude gar nicht mehr sein. Ganz große Sache! Schau, Kinderl, der kleine Mann dort drüben, mit der Frau, die um einen Kopf größer ist, das ist eine ganz erste Nummer. Raimund Rotter, merk dir den Namen. Ein ganz berühmter Alpinist, an die zweihundert Erstbesteigungen, ich weiß gar nicht, wieviel Viertausender, in den Kordilleren und im Kaukasus, jetzt spitzt er auf den Himalaja. Je weiter, je besser. Denn warum? Die Leute sagen, es hat damit begonnen, daß er seiner Frau ausreißen wollte. Aber was tut Gott, jetzt hat sie auch Geschmack daran bekommen und bleibt ihm, wenn es nur irgend angeht, auf den Fersen ... und der dort, der Dicke, das ist der Herr Brodersen von der Ortsgruppe Hannover, das ist ein Dabeiseier von Beruf.«

»Ein was?«

»Na, einer, der überall dabei sein muß, wo etwas los ist. Denn warum? Es kann keine Hütte eröffnet werden, ohne daß er seinen Bauch hinaufschleppt. Dabei bleibt es denn freilich; sein Ehrgeiz ist, daß er auf der ersten Seite im Hüttenbuch steht.«

Ja gewiß, es sind allerhand Leute da, und nun könnte ja Marianne so nebenher fragen, warum denn gerade der Saliger nicht da sei, der doch als Obmann sicher eher hierher gehört als so ein bloßer Dabeiseier wie der Herr Brodersen. Und noch jemandem möchte Marianne gerne nachfragen. Das ist Valerie Mayrhofer, die auch nicht vorhanden ist, obzwar sie doch beim Hüttenbau gekocht hat. Aber Marianne unterläßt es, zu fragen, es ist gar nicht nötig, daß jemand meint, sie vermisse diese Valerie Mayrhofer oder gar Herrn Saliger.

Übrigens krachen jetzt draußen die Böller. Vierundzwanzigmal nacheinander kracht es, und der Kümmerer und die Burschen aus Annaberg haben so viel Pulver genommen, als ob sie den Berg auseinandersprengen wollten. Es donnert mächtig von Wand zu Wand, und dann verkriecht sich das Echo grollend in den Felsen.

Es muß aber gleich wieder hervor, und diesmal ist es die Feuerwehrkapelle aus Annaberg, die es aus seiner Ruhe stört. Der Herr Musikmeister hebt den Taktstock, und die Kapelle spielt zwei Stücke, und das Echo wiederholt jeden Ton zweimal, einmal vom Hochgrindeck und das andere Mal von der Totenhorn-Südwand her. Das ist ein etwas wüstes Hörspiel, denn das Echo von der Südwand hinkt der Musik vor der Hütte immer um einen halben Takt nach. Dies alles, die Böller und der dreifache musikalische Kunstgenuß, sind nur die Einleitung zu der eigentlichen Eröffnungsfeierlichkeit, denn jetzt geht es ans Reden. Der Breitenecker, der in Annaberg der Bürgermeister ist, beteuert, daß seine Gemeinde ungemein stolz sei auf die Hütte auf dem Grünseekamm, und bringt auf sie und ihre Erbauer ein Bergheil aus.

Die Festrede hält der Hüttenwart Lobgesang; er macht seine Sache ganz gut, meint Marianne, irgendein Obmann könnte es auch nicht besser machen. Er gibt eine kurze Geschichte des Hüttenbaues, geht dann auf die große Bedeutung der Hütte ein als eines Stützpunktes für die besonderen alpinen Aufgaben, die hier ihrer Lösung harren, und schließlich dankt er allen Gönnern und Mitarbeitern.

Natürlich kann es sich Herr Brodersen nicht versagen, nun auch loszugehen und eine Rede zu halten. Niemand hat ihn darum gebeten, aber er ist nun einmal dabei und bis oben voll von großartigen und schwungvollen Worten, die er unbedingt loswerden muß, weil er sonst ersticken würde. Da steht er nun auf dem Rednerhügel über der Hütte und beschwört den Himmel und die Berge und schielt dabei auf den Kameramann, ob der auch nicht versäumt, eine Aufnahme von ihm zu machen, die nachher in die Bergsteigerzeitungen kommt. Die Welt hat ein Recht darauf, zu wissen, daß er, Brodersen, bei der Eröffnung der Jahnhütte auf dem Grünseekamm dabei war.

Der Kameramann knipst auch wirklich zwei- oder dreimal und macht dann auch noch zwei Gruppenaufnahmen vor der Hütte, alles, wie es sich gehört, mit den wichtigsten Festgästen in der Mitte und dem Blumenflor der anwesenden Damen.

Marianne kommt neben Magda Kaspar zu stehen, die in ihren Skihosen und mit ihren Brillen wirklich wie ein verpatzter Bub ausschaut. »Der Lobgesang hat's ja ganz gut gemacht«, sagt Marianne so nebenher, »aber es hätte sich wohl geschickt, daß der Saliger die Festrede hält.«

»Der Saliger?« sagt Magda. »Der hat ja auch nicht schlecht geflucht, das kannst du dir denken. Aber der steht ja jetzt mitten in seinen Prüfungen, der kann keinen Tag loskommen. Aber er wird's schon nachholen, meint er.«

Nun könnte Marianne ja fragen, ob auch Valerie Mayrhofer mitten in ihren Prüfungen steht; aber wozu? Es ist nicht schwer, die Zusammenhänge zu erfassen, man hat ja selbst das Feld geräumt und sich in die Verbannung begeben.

Mit alledem ist der halbe Tag herum, und es fehlt nur die Eintragung der Anwesenden in das Hüttenbuch; selbstverständlich Herr Brodersen obenan mit einer gleich über den dritten Teil der Seite hingehauenen Unterschrift.

Jetzt aber stürzen sich die Gäste, ausgehungert wie Wölfe, auf das Mittagessen. Der Kümmerer hat sein Weib mitgebracht, die sind indessen am Herd fleißig gewesen, und so kann die Fütterung gleich angehen.

Hernach leert sich die Hütte, der Pfarrer, der Förster und der Bürgermeister steigen nach Annaberg ab, die Musik spielt ihnen ein Stück auf den Weg. Die der Berge wegen gekommen sind, schnallen die Bretteln an und wandern gruppenweise in den Schnee hinaus. Großes kann heute nicht mehr unternommen werden, die Sonne steht schon tief über der Gabelspitze.

Jetzt gehört Marianne endlich sich selber. Sie läßt den Kümmerer und sein Weib beim Geschirrwaschen und steigt in ihre Kammer hinauf. Der Raum ist heute ungeheizt, die Fenster sind dick verfroren, eine zerfließende Helle ist dahinter, weiße Palmenwedel stehen vor der Bergwelt. Marianne stopft die Fäuste in den Mund, ein unsagbares Weh zerreißt ihr das Herz. Also vielleicht ist sie nur darum in die Verbannung geschickt worden, damit sie unten nicht stört. Sie wirft sich über das Bett und vergräbt das Gesicht in die eiskalten Polster. Langsam gerinnt der Zorn in ihr, als ein kristallklarer, glasharter Block füllt er ihre Brust aus. »Lächerlich!« sagt sie halblaut, indem sie sich aufsetzt, »was will ich denn?« Hat denn Saliger irgendwelche Verpflichtungen gegen sie, steht sie ihm irgendwie im Wege? Kann er nicht tun und lassen, was ihm beliebt, auch wenn sie in Wien ist? Welcher Unsinn also, anzunehmen, daß es eine besonders tückische Veranstaltung war, sie hier oben hinzusetzen. Einen Gruß hätte er vielleicht ausrichten lassen können, ein paar Zeilen jemandem mitgeben, aber er hat wohl gar nicht daran gedacht, daß es Marianne ist, die hier oben in der Jahnhütte die Wirtschaft führt, wenn man so mitten in Prüfungen steckt ...

Etwas scharrt an der Tür. Es ist Caruso, der Marianne abholt; jetzt, da der Rummel vorbei ist und sich sein Hundehirn wieder etwas beruhigt hat, wird ihm bang nach der Herrin. »Ja, Caruso!« sagt Marianne sanft, »wir zwei, nicht wahr ... komm!«

Vor der Hütte steht Herr Brodersen und schaut mit seinem Feldstecher nach der Gruppe aus, die drüben auf der großen Geröllhalde unter der Südwand des Totenhorns sichtbar ist. Er hat sich nirgends angeschlossen, ihm genügt es vollkommen, bei der Eröffnung dabei gewesen zu sein.

»Sie sind schon umgekehrt«, sagt er, indem er Marianne das Glas reicht, »es wird ja auch schon bald dunkel werden.«

Die Burschen aus Annaberg und die Musik aus St. Martin sind auch schon abgezogen, gerade noch ein Dutzend Bierflaschen hat der Kümmerer vor ihrem Durst retten können. Um die Hütte ist es still geworden, drinnen klappern der Kümmerer und sein Weib mit dem Geschirr.


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