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Haberdietzl kommt in der Leute Mund

Die Giselaschule hat ihr großes Ereignis, das gewaltiges Aufsehen, ja sogar Aufruhr erregt.

Kurz vor Weihnachten kommt Marianne Mack in die Sprechstunde des Herrn Direktors und erbittet in eigener Angelegenheit Gehör. Und der Kollege Bretschneider, der gleich nach ihr darankommt, ist der erste, der das Ereignis brühwarm erfährt.

»Denken Sie«, sagt der Direktor aufgeregt, »Fräulein Mack hat mir eben mitgeteilt, daß sie heiraten wird.«

»Wen denn?« fragt Bretschneider in der ersten Verblüfftheit.

»Nun, natürlich Othmar Haberdietzl ... da plagt man sich, daß aus so einem Fratzen eine tüchtige Lehrerin wird – und dann geht sie hin und heiratet.«

»Sie haben ihr doch gesagt, daß sie dann auf ihre Stelle verzichten muß ... nach dem Gesetz über Doppelverdiener.«

Der Herr Direktor Wösel ist sehr bös auf Marianne Mack, er legt die Schwammhände auf den Rücken und knetet die eine mit der andern. Irgendwie ist er in seiner Würde gekränkt. »Selbstverständlich habe ich es ihr gesagt ... aber sie hat ja nicht hören wollen. Na ... der Herr Landesschulinspektor Fieber wird Augen machen!«

Gewaltiger Wellenschlag in der Giselaschule. »Gott sei Dank!« sagt Fräulein Pöpperl, jetzt nicht mehr saure Gurke, sondern rote Paprikaschote, »Gott sei Dank, daß der Skandal ein Ende nimmt. Dieses Verhältnis hätte ja unsere Schule mit der Zeit um ihren guten Ruf gebracht.«

Der Kollege Zangerl erteilt seinen aufrichtigen Segen: »Nun wird es mit Haberdietzl anders werden. Sie sind die Frau, die ihm gefehlt hat.«

Aber Segen oder Unsegen, die Sache nimmt ihren Fortgang, im Fasching wird geheiratet, und einige Wochen später gibt Marianne ihren letzten Unterricht. Die Kinder haben viele Blumen gebracht, das Pult verschwindet unter all den Sträußen und Blumentöpfen, und die kleine Dora Jäger sagt ein Gedicht auf, das der Herr Lehrer Zangerl verfaßt hat.

Es geht alles in seiner Ordnung vor sich, und es gibt sogar ein kleines Abschiedsfest an geweihter Stätte, im Hinterzimmer der »Weißen Rose«, wo zuletzt der Herr Landesschulinspektor Fieber gefeiert worden ist.

»Sie haben es eigentlich nicht um uns verdient«, sagt der Kollege Bretschneider nachträgerisch, »wir hätten Sie sang- und klanglos ziehen lassen sollen.«

»Gewiß«, stimmt Fräulein Pöpperl bei, »es war keineswegs schön von Ihnen, daß Sie ganz insgeheim geheiratet haben, so hinter unserem Rücken, ohne einem von uns etwas zu sagen.«

»O doch«, entgegnet Marianne sanft, »der Kollege Zangerl war doch unser Trauzeuge.«

Das ist richtig, Zangerl war der eine Trauzeuge, und er hat dichtgehalten, kein Wort hat er verraten. Es hat ihm sogar ein mordsmäßiges Vergnügen gemacht, dabeigewesen zu sein, wie aus Fräulein Mack Frau Haberdietzl geworden ist, ohne daß die anderen eine Ahnung hatten.

»Sie hätten immerhin auch den zweiten Trauzeugen aus dem Lehrkörper nehmen können«, stellt Fräulein Strippe aus, »daß Sie sich gerade an diesen Herrn Kanzleidirektor Wunsch gewendet haben, der uns doch vollkommen fernsteht.«

»Ich habe doch bei ihm gewohnt«, wendet Marianne niedergeschlagen ein, »und ich habe gedacht, es schickt sich so ...«

Es haben sich wieder zwei Parteien gebildet, und die Zahl der Gegner ist weit größer als die der Anhänger. Jetzt, da doch die Brücken zum Herrn Landesschulinspektor Fieber abgebrochen sind, braucht man ja wohl keine Rücksichten mehr zu nehmen. Jetzt wird der Landesschulinspektor ja doch dessen innegeworden sein, daß er seine Gunst einer Unwürdigen zugewendet hat, einer Ausreißerin, die ihren Beruf leichthin aufgegeben hat.

Was den Kollegen Haberdietzl anlangt, so kommt er überhaupt nicht weiter in Betracht. Er ist bei all diesen Ereignissen durchaus zweite Person, und er tut auch gar nichts dazu, um die erste zu werden.

»Und daß Sie so an einem ganz gewöhnlichen Wochentag geheiratet haben«, sagt Fräulein Pöpperl, durch Mariannes Sanftmut gereizt, »ganz zeitig morgens ... eine Stunde vor Schulbeginn ...«

Marianne bleibt auch weiterhin überaus freundlich. »Ich hätte gewiß gern Ihnen allen Gelegenheit gegeben, dabeizusein ... aber ich habe doch gar kein richtiges Brautkleid gehabt ... das ist es. Wir sind nicht in der Lage, daß ich mir hätte ein teures Brautkleid machen lassen können ... Ich wollte doch nicht eine großartige Hochzeit veranstalten ... im Straßenkleid. Vielleicht hätte man gefunden, daß es eine Schande für die Giselaschule sei.«

Das läßt sich hören, damit besänftigt Marianne einigermaßen die Gemüter. Der Herr Direktor Wösel ist unparteiisch, er gehört keiner der Parteien an, und so kommt Marianne doch noch zu ihrer Abschiedsrede, einer gemessenen, kurzen Abschiedsrede, über die sehr viel Würde vergossen ist.

Diese Rede hat Zangerl nur abgewartet, um zur rettenden Klampfe zu greifen und zu tun, was er kann, damit die Stimmung wenigstens lauwarm wird.

Um zehn Uhr liegt die Veranstaltung in den letzten Zügen, und alles atmet auf, als der Herr Direktor den erlösenden Ruf nach dem Zahlkellner tut.

»Das war ein feierliches Begräbnis«, sagt Marianne auf dem Heimweg wohlgelaunt.

»Sie haben es wohl erfaßt«, lacht Zangerl, »daß die verehrten Kolleginnen vor Neid zerspringen. Ich habe der Pöpperl gesagt, daß freilich sie offenbar die Überfuhr versäumt habe. Ein Basilisk hat einen harmloseren Blick, als sie hatte.«

»Wollen Sie bei uns eine Schale schwarzen Kaffee trinken?« fragt Marianne. Gewiß! Und ob! Zangerl ist geehrt und erfreut. Er kommt gern in das bescheidene und behagliche Heim. Sie haben eine kleine Wohnung gefunden, an einem stillen Platz in der Nähe der Piaristenkirche. Zwei Zimmer und eine Küche, und die Möbel werden auf Raten abgezahlt. Es muß hinten und vorn gespart werden wegen des Gesetzes über die Doppelverdiener, da ja zwei Gehälter zu einem zusammengeschmolzen sind. Und da trifft es sich glücklich, daß Marianne an einer Privatschule einige Unterrichtsstunden bekommt.

Mit dem Sparen geht es freilich nur bis zu einer gewissen Grenze. »Es macht gar nichts, wenn ich den Kanal erst im nächsten Sommer überquere«, sagt Haberdietzl, nachdem er dies eingesehen hat.

»Nein«, widerspricht Marianne, »du sollst es noch heuer versuchen dürfen.«

Weiß Gott, woher sie diese schöne Zuversicht nimmt. Aber sie ist da, diese Zuversicht, und Marianne möchte sie auch gern in Haberdietzl verpflanzen. »Zuerst müssen die Möbel abgezahlt sein«, sagt er, »eines nach dem andern.« Er ist nicht für weitausgreifende Pläne, ein biederer Hausvater, dem unbezahlte Möbelraten ein Greuel sind.

Aber Marianne ist vom Schicksal immer näher an Haberdietzl herangerückt worden, nun gehen sie einen Weg, und Marianne hat die Führung übernommen.

Eines Tages liegt ein Zeitungsblatt auf Haberdietzls Schreibtisch, und er stutzt über einen rot umrandeten Aufsatz. Von Wasserskiern handelt dieser Aufsatz und von einem Lehrer, einem gewissen Othmar Haberdietzl, der diese neuartigen Geräte erfunden habe und mit seinen Fahrten auf der Donau bereits beachtliche Erfolge verzeichnen könne. Für den heurigen Sommer plane er eine Überquerung des Kanals, auf der sich die Brauchbarkeit dieser Erfindung bewähren solle. Die gespannte Aufmerksamkeit aller sportlich eingestellten Kreise sei diesem Unternehmen zugewendet.

Eine plötzliche Erleuchtung bricht über Haberdietzl herein. »Hast du das geschrieben?« fragt er Marianne.

»Ja«, sagt Marianne, »es muß endlich etwas geschehen. Damit deine Erfindung in der Leute Mund kommt. Du mußt endlich aus deiner Zurückhaltung hervortreten. Die Welt muß etwas von dir und deiner Erfindung erfahren. Wenn die Sportkreise erst einmal etwas von dir wissen, so werden sich auch Leute finden, die dir das Geld für deine Versuche zur Verfügung stellen.«

»Hm!« sagt Haberdietzl und nichts weiter.

»Ist es dir vielleicht peinlich, daß jetzt von dir gesprochen wird?«

Darüber äußert sich nun Haberdietzl nicht mit klaren Worten, er kann doch nicht gut an irgend etwas, das Marianne unternommen hat, seine kleinlichen Bedenken kleben. Es ist ihm unangenehm, daß seine Erfindung an die große Glocke gehängt werden soll, solche Dinge liebt er nicht. Aber er kann sich doch auch nicht gegen etwas aufbäumen, was Marianne für gut hält; und das Ergebnis von alledem ist, daß er gegen sich selbst mißtrauisch wird.

Marianne lächelt, sie ist überzeugt, daß sie auf dem richtigen Weg ist. Sie setzt ihren Feldzug fort, sie hat nun einmal für den Erfinder Haberdietzl die Feder ergriffen, und es kommen nun immer öfter Zeitungen ins Haus, in denen sie etwas mit Rotstift umranden kann. Mit der »Linzer Tagespost« hat es begonnen, dann kommen Wiener Blätter daran, und es hat sogar auch schon eine Berliner Zeitung von Haberdietzls Wasserskiern Kenntnis genommen.

Allerhand andere Dinge erfährt man so nebenbei aus diesen Zeitungen. Und einmal fällt Mariannes Blick auf eine Nachricht, über die sie sich verfärbt. Ein Münchner Blatt berichtet über einen Unfall in der Totenhorn-Südwand. Die Totenhorn-Südwand, deren Durchstieg bekanntlich vor zwei Jahren dem berühmten Alpinisten Doktor Saliger und seiner Begleiterin Marianne Mack erstmalig geglückt ist, hat zwei Opfer gefordert. Zwei junge Münchner Bergsteiger, Klempfner und Göt, sehr tüchtige und erprobte Bergsteiger, haben den Durchstieg wieder versucht und sind abgestürzt. Sie konnten nur mehr als Leichen geborgen werden.

Wortlos deutet Marianne auf den Bericht, und Haberdietzls Augen weiten sich beim Lesen vor Entsetzen. Vielleicht hat er die Gefährlichkeit dieses Wagnisses unterschätzt und wird sich nun erst ihrer bewußt, da er sieht, daß andere dabei gescheitert sind. Und ausgerechnet heute hat er den »Reiter über den Bodensee« in der Schule durchgenommen und den Kindern erklärt, daß auch ein nachträglicher Schreck tödlich sein könne.

»Ein Spiel mit dem Tod«, stammelt er, »nie wieder, Marianne!«

Marianne ist noch immer etwas blaß. »Das Spiel mit dem Tod gibt dem Leben erst seinen Wert«, sagt sie. »Aber für mich ist das ja vorbei. Meine Zukunft liegt jetzt auf dem Wasser ... unsere Zukunft!« Es ist ein großartiger, aber etwas krampfhafter Versuch, zu scherzen, Haberdietzl hat jedoch augenblicklich kein Verständnis für Scherze. Er hält noch beim Reiter über dem Bodensee.

Übrigens rücken die Sommerferien heran, und mit der Zukunft schaut es noch immer nicht anders aus. Sie liegt immer noch auf dem Wasser, ja, Gott weiß wo, irgendwo in Übersee, auf der andern Seite des Erdballs, bei den Fidschiinseln oder südlich von Neuseeland. Wenn Marianne gemeint hat, die Gönner aus Sportkreisen würden sich in Scharen melden, so stellt sich das als Irrtum heraus. Aber Marianne läßt den Mut nicht sinken, sie regt ihre Feder noch eifriger als vorher, sie versorgt nun auch ausländische Zeitungen mit Nachrichten über die Wasserskier und ihren Erfinder. Nun kommt ihr endlich zustatten, daß sie daheim einst eine englische Erzieherin gehabt hat. Und sie ergänzt nun auch das gedruckte Wort durch das Bild. Dazu muß sie freilich heimliche Überfälle und heimtückische Schnappschüsse veranstalten, denn gutwillig würde sich Haberdietzl nicht vor die Linse stellen. Und als er zum erstenmal in einer illustrierten Zeitung einem Bild begegnet: »Der Erfinder Haberdietzl beim Bau seiner neuen Wasserskier, mit denen er im Sommer den Kanal überqueren will«, da murrt er und meutert. Es ist nicht gerade ein wirklicher Krach, aber es knistert im Gebälk.

Das Gewitter entlädt sich über Zangerls mitschuldiges Haupt.

Zangerl, zu einer Art Hausfreund vorgerückt, nimmt seinen Nachmittagskaffee nach Schulschluß nun regelmäßig in Haberdietzls Heim. Die Bohnen steuert er selber bei, wegen des Gesetzes über die Doppelverdiener.

Er lehnt in der Sofaecke, raucht seine Zigarette und schaut bewundernd Marianne nach, die in die Küche geht, um den Kaffee zu bereiten. Er macht gar kein Hehl aus seiner Bewunderung, er kann es wagen, zu sagen, Mariannes Gang sei für ihn durchaus Musik. Dies und noch andere Dinge kann er sagen, ohne befürchten zu müssen, daß es von Haberdietzl oder von Marianne mißdeutet wird.

Er neigt den Kopf, horcht auf die leisen Küchengeräusche nebenan und seufzt: »Hast du es gut, Othmar! Du weißt gar nicht, wie gut du es hast ... so ein armer, einsamer Spatz wie ich – aber du, mit einem starken, treuen Kameraden zur Seite – einer so entzückenden Frau ...«

Haberdietzl, der mit dem Rücken gegen das Zimmer am Fenster gestanden hat, wendet sich mit einem Ruck um: »Du hast dich also gemeinerweise dazu hergegeben, heimlich Aufnahmen von mir zu machen?«

»Gemeinerweise?« bäumt sich Zangerl auf, »wieso gemeinerweise?«

»Nun ja ... ich nenne es gemeinerweise, wenn du Bilder von mir machst ... die dann in die Blätter kommen, ohne daß ich davon weiß. Ich mache dich darauf aufmerksam, daß es mit unserer Freundschaft aus ist, wenn du das noch einmal tust.«

Aber Zangerl lächelt nur behaglich und im Vollbesitz eines guten Gewissens: »Allerhöchster Auftrag, du Rindvieh! ... Und sei froh, daß sie deine Wasserskiersache in die Hand genommen hat.«

»Ich pfeife auf die Wasserskier«, schreit Haberdietzl, »diese verdammten Wasserskier hängen mir zum Hals heraus. Der Teufel soll sie holen.«

»Wenn du erst einmal über den Kanal ...«

»Den Kanal soll auch der Teufel holen.«

Da kommt Marianne aus der Küche mit der Kaffeekanne und dem Geschirr auf der Silberplatte, die Zangerls Hochzeitsgeschenk gewesen ist. Und da lächeln natürlich die beiden Mannsbilder wieder, jedes auf seine Weise.

Merkwürdig, für Haberdietzl verwandeln sich seine Wasserskier allmählich in eine Art Ehestörung. Je mehr seine Besessenheit auf Marianne überzugreifen scheint, desto finsterer blickt Haberdietzl auf seine Erfindung und diese sagenhafte Zukunft, die auf dem Wasser liegt. Es ist kein vernünftiges Wort mehr mit Marianne zu reden, wenn er ein Gespräch an irgendeinem Ende der Welt beginnt, so ist es nach drei Minuten todsicher bei den Wasserskiern angelangt, und Marianne erkundigt sich nach den Fortschritten seiner Arbeit; wenn ihr Gatte sie zu einem Spaziergang auffordert, so hat sie immer irgendeinen Aufsatz zu schreiben, der heute fertig werden muß.

Es gibt auch einen Haberdietzl, der den Hut in den Nacken setzt und pfeift, wo es gar nicht am Platze ist. Es ist ihm vollkommen Ernst damit, wenn er seine Wasserskier zum Teufel wünscht, aber schließlich kommt es doch auf ihn an, ob er diesen Unfug bis zu Ende mitmacht. Er gedenkt ihn wahrhaftig nicht bis zu Ende mitzumachen, er wird ausbrechen: nein, der Tag wird kommen, an dem er erklärt: über den Kanal soll fahren, wer Lust hat, ich, Othmar Haberdietzl, fahre nicht, Punktum, Streusand darauf!

Oh, er ist allmählich dahintergekommen, warum er so geschoben und gespornt wird. Könnte er nicht der glücklichste Mensch auf der Welt sein, wenn diese Wasserskier nicht wären, wo ist die schöne Ruhe und das Behagen der ersten Wochen? Er gibt sich nicht dazu her, eine europäische Berühmtheit zu werden, nur weil Marianne den Ehrgeiz hat, ihn dazu zu machen.

Übrigens lächerlich, sich aufzuregen, Haberdietzl spart, er kann sich ein Leben ohne Sparen gar nicht vorstellen, aber er spart auf Möbelabzahlungen und nicht auf Kanalfahrten mit Wasserskiern. Und ohne die nötigen Mittel geht es gar nicht, eine unerläßliche Bedingung, nicht wahr? Das muß auch Marianne einsehen. Haha! wo sind denn die Gönner aus Sportkreisen, die Mariannes Geschreibe herbeiholen soll? Sie rühren sich nicht, sie bleiben aus, kein Mensch denkt daran, in eine solche Unternehmung Geld hineinzustecken, und das ist ein Trost für Haberdietzl, ein dicker, fetter Trost.

Aber eben da dieser Trost zum Gerüst für Haberdietzls wankenden Seelenzustand geworden ist, kommt ein Erdstoß, der die ganze Zimmerei über den Haufen wirft. Der Erdstoß geht von dem Brief mit den fremdländischen Marken aus, den ihm Marianne sieghaft auf den Schreibtisch legt.

»Nun, was sagst du jetzt?« fragt sie.

Es sind natürlich Verhandlungen vorhergegangen, von denen Haberdietzl nichts zu wissen brauchte, und dieser Brief ist nun das Endergebnis davon. Ein Herr Morbes aus Boston teilt mit, daß er sich entschlossen habe, Herren Othmar Haberdietzl für seinen Versuch, den Kanal auf Wasserskiern zu überqueren, die nötige Summe zur Verfügung zu stellen. Und es ist eine ganz ansehnliche Summe, ausreichend für Fahrt und Rückfahrt, Aufenthalt und sonstiges, und eine zweite Summe ist außerdem als Preis für das Gelingen ausgesetzt.

»Jetzt ist also unsere Sache gesichert«, strahlt Marianne.

Haberdietzl ist nicht im mindesten freudig überrascht, »Wer ist dieser Herr Morbes?« fragt er.

»Büchsenfleischfabrikant, Sportsmann und Österreicher. Als Sportsmann ist er von deiner Erfindung begeistert, als Österreicher hat er den Ehrgeiz, einen Österreicher berühmt zu machen, und als Büchsenfleischfabrikant hat er das Geld dazu.«

»So«, sagt Haberdietzl so kühl als möglich und wirft seine fahlblonde Mähne aus der Stirn, »aber ich habe meinen Plan, den Kanal zu übersetzen, aufgegeben.«

»Aufgegeben? Jetzt? Du wirst dich doch nicht drücken wollen?«

Drücken? Nein, drücken will sich Haberdietzl gewiß nicht. Sollte etwa Marianne wirklich einen Augenblick gedacht haben, daß er sich drücken will? »Nein, mir ist nur das ganze Um und Auf zuwider, dieser Klimbim, den du veranstaltet hast ...«

»Othmar«, sagt Marianne betreten, »war es denn nicht dein heißester Wunsch? Wäre es denn ohne das gegangen? Woher hätten wir denn das Geld dazu nehmen sollen? Schau, an unserem Hochzeitstag hab' ich mir vorgenommen, daß ich dir dazu verhelfen will ...«

Soso, gleich am Hochzeitstag ... »Nun muß ich wohl!« sagt Haberdietzl ergeben.

Da fällt ihm Marianne um den Hals und freut sich unbändig, und somit bleibt Haberdietzl nichts anderes übrig, als sich gleichfalls zu freuen. Alles ist so gekommen, wie es Marianne vorausgesehen hat. Sie hat die Welt aufmerksam gemacht, der Gönner aus Sportkreisen hat sich gefunden, das Geld ist da, und es wird ein großes Aufsehen geben, denn Herr Morbes schreibt ja, er werde dafür sorgen, daß Sportberichterstatter aus allen Teilen der Welt zugegen sein würden.

Gräßlich! denkt Haberdietzl.

Er hofft immer noch, daß irgend etwas in die Quere kommt. Er hofft auf ein Ausreiseverbot, er setzt großes Vertrauen in unüberwindliche Devisenschwierigkeiten, vielleicht trifft Herr Morbes rechtzeitig der Schlag. Aber da kommt kein Ausreiseverbot für Frankreich, auf Devisenschwierigkeiten ist gerade dann, wenn man sie brauchen könnte, kein Verlaß, das Geld ist da, nicht einmal der Schlag trifft Herrn Morbes.

»Wie heißt das Nest, von dem aus du fahren willst?« fragt Marianne.

»Bar le Guines.«

Zwei Tage später sind die Fahrscheinhefte da. Man braucht sich wirklich um nichts zu kümmern, wenn Marianne etwas in die Hand nimmt. Drei Fahrscheinhefte sind da.

»Wir nehmen Zangerl mit«, sagt Marianne, »er hat es sich um die Sache verdient.«

Ja, indem er mich gemeinerweise tückisch abgeknipst hat, denkt Haberdietzl. Aber immerhin, wir schwimmen in Geld, es reicht für drei, mag er mitkommen, der Himmelhund, der verdächtige. Nichts kommt in die Quere, die Giselaschule schließt ihre Pforten, der Sommer steht in königlicher Pracht, und die Wetterlage? So eine Wetterlage war noch nicht da. Weit und breit kein Tief, keine Bedrohung, eine bombensichere Schönwetterlage.

Keine Ausrede, weit und breit keine Ausrede.


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