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Neunzehntes Kapitel.
Eine erste Aufführung

Dies ist, wenigstens teilweise, die Kritik, die der Polizeikommissär M. vom sechsten Bezirk (Luxemburgbezirk) über Karl Frissons Schauspiel »Der Bourgeois« schrieb. Sie ist dem Polizeipräsidenten gewidmet und trägt das Datum vom 3. Juni 18 …

»Die Türsteher beobachteten, daß die Zahl junger Leute, offenbar Studenten, einen unverhältnismäßig großen Bruchteil des Gesamtpublikums ausmachte. Ebenso fiel ihnen auf, daß jeder von diesen jungen Männern einen Stock irgendwelcher Art oder einen Regenschirm bei sich hatte; einer war, wie mir berichtet wird, sogar mit einem Tischbein ausgerüstet.

»Trotz dieser Tatsachen bin ich überzeugt, daß dieser Zufluß bewaffneter junger Leute keineswegs gegen das aufzuführende Stück gerichtet war und ebensowenig gegen den Verfasser, dessen Werk zum Schluß des ersten Akts mit großem Beifall und Humor aufgenommen wurde. Verschiedene Personen, die eine Störung herbeiführen wollten, wurden sogar hinausgeworfen, und danach schien der Friede derart gesichert zu sein, daß man unglücklicherweise sechs Polizisten, die man beim Beginn der Vorstellung telephonisch hergerufen hatte, wieder auf ihre Stationen zurückkehren ließ.

»In der Pause zwischen dem ersten und zweiten Akt ist im Parkett ein Mann, dessen Persönlichkeit seither festgestellt und der verhaftet worden ist, ein gewisser Emil de Joy, nach ärztlichem Gutachten geisteskrank, aus dem Schlummer erwacht und erhob das antisemitische Feldgeschrei ›Tod den Juden!‹ Kaum hatte er den Ruf ausgestoßen, als ein zu seiner Linken sitzender Österreicher mit großer Heftigkeit auf ihn losschlug, worauf ein andrer, der Polizei Unbekannter, sich auf den Österreicher warf. Sofort begannen nun wie auf einen Zauberschlag in allen Teilen des Theaters Faustkämpfe ernster Art. Sitze wurden losgerissen und alle friedlichen Zuschauer drängten nach den Ausgängen, das Haus einer Bande Rasender überlassend, die ihre Wut an jedem erreichbaren Gegenstand ausließen, die Bühne stürmten und die Kulissen niederrissen. Offenbar diente der Widerstand, den die Bediensteten, die Schauspieler, die Orchestermitglieder leisteten, nur dazu, ihre Wut zu steigern. Zwei der letzteren, die zweite Violine und die Posaune, liegen im Val-de-Grâce-Spital, die Posaune noch immer bewußtlos.

»Jetzt erschien die Polizei, säuberte das Haus und nahm zahlreiche Verhaftungen vor. Um zwölf Uhr nachts war die Ruhe wieder hergestellt.

»Die Einrichtung des Theaters ist vollständig zertrümmert und zerstört. Der Schaden wird auf beiläufig hunderttausend Franken geschätzt.

»Ausführlicher Bericht und Verzeichnis der Verhafteten folgt.«

Das war die Aufführung von Frissons »Bourgeois«.


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