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Fünfzehntes Kapitel.
Eine Bestellung

Lacenaires Zimmereinrichtung bestand aus einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und einem Bücherbrett, worauf ein paar Bände des Nautischen Almanachs, ein Band Logarithmen und andres standen. An der gegenüberliegenden Wand hing, mit einer Stecknadel angeheftet, ein Mädchenkopf aus der Weihnachtsnummer des Figaro. Der Tisch war mit Schriftstücken bedeckt, an einem Haken hing neben dem Bücherbrett der Hut des Mathematikers und nahe am Fenster stand eine schwarze Wachstuchhandtasche auf dem Fußboden.

Lacenaire saß an diesem Morgen an seinem Tisch, und kritzelte Zahlen auf ein Blatt Papier, wobei er sich den Kopf kratzte, gelegentlich vor sich hin pfiff oder mit dem Fuß stampfte, je nachdem die Berechnung ihren Fortgang nahm. Nach einiger Zeit markierte er eine Stelle in seiner Rechnung durch einen dicken Strich, warf die Feder hin und steckte sich eine Zigarette an.

Dann kicherte er, den Stuhl zurückschiebend, in sich hinein. Er dachte an Cäcilie Bonvalot, Frisson, Peter Alabaster und sich selbst.

Peter und Frisson hatten zu passender Stunde ihren Besuch bei Frau Bordelais gemacht, und Magdalene hatte ihnen Tee bereitet. Als er gestern abend zur Dämmerstunde verabredetermaßen mit Cäcilie in einer kleinen Anlage bei der Montmorencystraße zusammengekommen war, hatte sie ihm die Sache haarklein geschildert – wie Peter seine Teetasse umgeworfen hatte, als sie mit dem kleinen Montmorency, der den Gästen gezeigt werden sollte, hereinkam; wie dann besagter Peter ihr geschickt einen Zettel in die Hand geschoben hatte, worin er um eine Unterredung bat, da er eine »Angelegenheit von höchster Wichtigkeit« mit ihr zu besprechen habe; wie Frisson das Kind geküßt hatte, um ihr heimlich die Hand zu drücken, und ihr dann in derselben Nacht noch einen sechs Seiten langen Brief geschrieben, den sie jetzt aus der Tasche zog und Lacenaire unter einer Gaslaterne vorlas, wobei er, den Arm um ihre Hüfte gelegt, mit ins Blatt sah und beide sich halb zu Tod lachen wollten über die wilde Liebesglut der Sprache und das übel angebrachte Zutrauen des betörten Dramatikers.

Dann hatte sie Lacenaire offen ihren Plan dargelegt, Peter Alabaster samt seiner Brille und allem, was er besaß, in Bande zu schlagen, und Lacenaire hatte ihr rückhaltlos allen erdenklichen Beistand angeboten.

»Er ist ja ein Geldsack, ein Amerikaner,« hatte sie gesagt, »was könnte ich mir Besseres wünschen? Sein Vater ist Millionen wert. Du hättest nur sehen sollen, wie diese alte Katze, die Magdalene, ihre grünen Augen funkeln ließ – es war zu drollig! Nun, wir werden ja sehen! Nicht wahr, geliebter Paul, du überbringst dem lieben Peter dieses Briefchen und dieses andre meinem Freund Frisson? Aber ich bitte dich inständig, Paul, verwechsle die Briefe nicht! Stecke sie in verschiedene Taschen, so – rechts den für Alabaster, links den für Frisson!«

Und Paul hatte sie nicht verwechselt; ein seltsames Mißgeschick wollte, daß er seiner doppelten Aufgabe eingedenk geblieben war und sie mit der Umsicht eines geriebenen Liebesboten ausgeführt hatte. Sein Gewissen machte ihm dabei nicht die leiseste Beschwerde. Er würde Frisson seinen letzten Centime geliehen haben, hatte es in der Tat oft genug getan, aber eine Liebesaffaire – pah! Lacenaire verachtete die Liebe, verachtete die Weiber von Grund aus; sie amüsierten ihn, wie ihn Dominosteine auch amüsierten; war das Spiel vorüber, so konnte man sie ja wegräumen. Und gerade weil die Weiber wohl fühlten, wie wenig er sich aus ihnen machte, wurden sie von ihm angezogen; außerdem war er kein übler Bursche. Er trug die entsetzlichsten alten Röcke, aber er trug sie mit einer solchen Unbefangenheit, daß sie sich andern mitteilte; man vergaß das Alter seiner Kleidungsstücke, weil er selbst nicht daran dachte.

Eifersucht in der Liebe, wenn man seine gelegentlichen Schäferspiele so nennen darf, war ihm ganz fremd, und Cäcilie beim Angeln nach Peter Alabasters Herzen und dessen Dollars behilflich zu sein, erschien diesem herzlosen Mathematiker ebenso spaßhaft, wie die Täuschung des unglücklichen Frisson. Dabei war er eigentlich ein guter Kerl und in den lichten Momenten, wo sein Hirn nicht von geschäftlichen Dingen, wie Hauszins, Berechnungen, verlegte Regenschirme und Handschuhe, in Anspruch genommen war, stets bereit, jedem einen Gefallen zu tun. Ihn als Liebesboten zu benützen, war eine Idee von Cäcilie, die fürchtete, Frau Bordelais könnte mit der Post ankommende Briefe öffnen. Frisson war sofort damit einverstanden, als ihm Lacenaire als Vermittler angeboten wurde, und Peter war so selig, als Lacenaire ihm am nämlichen Abend im Café d'Harcourt ein rosa Briefchen, duftend wie ein Riechkissen, in die Hand drückte, daß er nicht im entferntesten daran dachte, den Überbringer zu fragen: »Wie kommt sie dazu, Ihnen Briefe anzuvertrauen?«

Ein Schritt auf der Treppe veranlaßte Lacenaire nach der Türe zu springen und den Schlüssel umzudrehen. Unmittelbar darauf wurde richtig angeklopft.

»Ich bin beschäftigt,« rief der Mathematiker, der vor seinen Freunden nicht minder Angst hatte, als vor seinen Feinden, denn wenn der gefürchtete Grognard auch über den unbezahlten Hauszins wettern und toben und sein Schuhmacher Roche mit dem Gerichtsvollzieher drohen mochte, was wollte das heißen im Vergleich mit einem Besuch von Champardy, der stundenlang dasitzen, Zigaretten rauchen und mit eingeklemmtem Augenglas über die Freunde lästern konnte, oder de Joy, der in einem Anfall von Katzenjammer Trost suchen wollte, oder Carabin, der eine Anleihe von fünfundzwanzig Centimes zu machen wünschte, oder van Raalte, dem Fabulisten, der den Zungenschlag hatte und in seiner Dickfelligkeit nicht merkte, daß man ihn fort haben wollte.

»Ich bin beschäftigt,« rief Lacenaire. »Kommen Sie morgen!«

»Mein Herr,« erwiderte eine Stimme von außen, »ich bin nicht der Hausbesitzer, nicht Herr Grognard, ich komme von der Sternwarte mit einem Auftrag für Sie.«

Diese Mitteilung dünkte Lacenaire außerordentlich verdächtig, denn auf der Sternwarte wußte man so wenig von Herrn Grognard, als Herr Grognard von der Sternwarte wußte.

»So, so, von der Sternwarte,« sagte der vorsichtige Rechner. »Wer hat Sie denn geschickt?«

Diese Frage kam dem Unbekannten offenbar gar nicht gelegen, denn er hüstelte, räusperte sich und erwiderte dann in unsicherem Ton: »Die Sternwarte schickt mich, mein Herr …«

»Aha!« rief Lacenaire, jetzt eines feindlichen Überfalls ganz sicher. »Seit wann erteilt denn die Sternwarte selbständig und persönlich Aufträge? Gehen Sie nur wieder, woher Sie gekommen sind, und sagen Sie ihr, daß ich kommen werde – morgen.«

»Ist der Herr allein?«

»Ja.«

»Nun denn, die Wahrheit zu sagen, ist's Herr Sangarelle, der mich schickt. Er hat mir aber befohlen, Ihnen zu sagen, daß ich von der Sternwarte käme, damit Ihre Freunde nichts davon merken. Das ist die volle Wahrheit, mein Herr, so wahr ich lebe. Er hat mir auch fünf Franken mitgegeben, um Ihnen die Droschke zu bezahlen.«

»Oho … fünf Franken … haben Sie die bei sich?«

»Ja, ich habe sie in der Hand.«

»Schieben Sie das Geld unter der Türe herein.«

Der Bote zögerte ein wenig, faßte aber dann seinen Entschluß und schob das Fünffrankenstück durch den Spalt über der Schwelle. Lacenaire hob es auf, warf es auf den Tisch und öffnete, nachdem er sich von seiner Echtheit überzeugt hatte, die Türe.

»Ich werde heute nachmittag hinkommen,« sagte er.

»Entschuldigen Sie, mein Herr,« entgegnete der Diener, »Sie müssen sofort mit mir kommen, die Sache ist dringend.«

Der unglückliche Rechner griff nach Hut, Schirm und Handschuhen, schloß sein Zimmer ab, steckte den Schlüssel zu sich und folgte dem Diener.

»Wir wollen im Omnibus fahren, ich liebe Droschken nicht,« erklärte er. »Ach Gott, nun hab' ich kein Kleingeld …«

Sie stiegen an der nächsten Haltestelle in einen Omnibus, der Diener bezahlte und zehn Minuten darauf war Lacenaire in der Rivolistraße. Sangarelle kannte ihn genau und bildete sich ein, mit besonderer Klugheit gerade diesen unter Frissons Freunden für seinen Zweck ausgesucht zu haben.

Als der Mathematiker die Wohnung des Artisten betrat, war er nicht wenig erstaunt über die Pracht, womit sich dieser umgab – schwere Seidenvorhänge, weiche Teppiche, Deckenmalereien, Büsten berühmter Schauspieler, Tanagrafiguren und allerlei Schönes war zu sehen. Sangarelle empfing ihn im Schlafrock und führte ihn in ein inneres Zimmer, wo ein Frühstück für zwei Personen aufgestellt war.

»Erst essen, dann reden,« sagte er.

Als die Mahlzeit beendigt war, blieb Sangarelle, der kaum von den Speisen gekostet hatte, eine Weile schweigend in Gedanken versunken. Auch Lacenaire, der ihm gegenüber saß, hing seinen Gedanken nach und wickelte sich eine Zigarette.

»Allem Anschein nach haben Sie hart ringen müssen im Leben, Herr Lacenaire,« begann der Hausherr plötzlich. »Aber allem Anschein nach sind Sie ein ehrlicher Mensch.«

»Sie meinen?« fragte Lacenaire, von seiner Zigarette aufblickend. »Ein ehrlicher Mensch? O ja, soviel ich weiß … hol's der Teufel, ich hatte doch eine Streichholzschachtel. Wo die jetzt wieder sein mag?«

Er suchte in den Westen-, Hosen- und Rocktaschen, fand die Streichholzschachtel und machte sie auf – sie war leer.

»Mein Gott! Gestern abend hatte ich noch sechs Streichhölzchen, drei davon hab' ich gebraucht – wo sind die andern drei? Eins habe ich zum Feueranstecken gebraucht, eins für meine Lampe, eins ist zu Boden gefallen und ich bin darauf getreten, aber wo sind die drei andern?«

»Machen Sie sich keinen Kummer um die paar Streichhölzchen,« sagte Sangarelle, ihm eine brennende Kerze hinschiebend. »Ich möchte eine ziemlich wichtige Angelegenheit mit Ihnen besprechen.«

»Ich bin ganz Ohr,« versicherte Lacenaire.

»Nun denn … zuerst muß ich Ihnen sagen, daß es mit meiner Gesundheit schlecht steht, ganz schlecht, ich leide nämlich an Angina pectoris, Asthma oder wie man's nennen will. Tod mit der Tischlerahle wäre die richtige Bezeichnung für die Krankheit. Ich habe nämlich einmal einen Geisteskranken gekannt, der einen Haß auf jemand hatte und ihn umbrachte. Auf welche Weise denken Sie wohl? Mit einem Messer, mit einer Pistole oder einem Degen? Nein, mit einem Spitzbohrer, wie ihn die Tischler gebrauchen, hat er ihn getötet, und als Grund dafür gab er an, er habe auf diese Weise ›mehr an dem Mann zu morden gehabt‹. Das war auch richtig, denn an vierundfünfzig Stellen hatte er den Mann durchbohrt, bis er den Sitz des Lebens traf.«

»Ganz richtig,« sagte Lacenaire, der mit gespannter Aufmerksamkeit zuzuhören schien.

»Doch lassen wir das! Ich habe Sie nicht rufen lassen, um von meinem Tod zu sprechen, sondern von Karl Frisson. Ich habe Frisson gern, ich bin reich und möchte ihm für den Fall meines Todes ein Legat aussetzen. Mein Testament ist schon gemacht. Haupterbe ist mein Bruder, eine bestimmte Summe aber ist für die Leichenkosten, eine andre für Frisson bestimmt. Er wird das Geld wahrscheinlich in einem halben Jahr verprassen, aber das ist mir einerlei, wenn er nur vergnügt dabei ist. Was ich vermieden haben möchte, ist nur, daß Carabin – Hans Carabin, Sie kennen ja den Mann – mein Geld in die Hände bekommt. Ich will nicht, daß er sich gute Tage mit meinem Geld macht, und das zu verhüten, habe ich Sie ausersehen.«

Lacenaire zog die Augbrauen in die Höhe.

»Sie können es verhüten, und zwar in dieser Weise: Im Fall meines Todes wird mein Diener zu Ihnen kommen und Ihnen die Adresse meines Notars geben. Dann werden Sie sofort Frisson aus Paris hinausschaffen, sagen wir nach Amiens – irgendwohin, wo er außer dem Bereich dieser verdammten Freunde ist. Nehmen wir also an, Sie befinden sich mit ihm in Amiens und haben ihn von seiner Erbschaft in Kenntnis gesetzt. Nun hat er dreierlei Möglichkeiten vor sich: entweder er kehrt spornstreichs nach Paris zurück und richtet sich zu Grund, oder er bleibt in der Provinz und richtet sich dort zu Grund, oder er fängt mit dem Kapital, das ihm zugefallen sein wird, irgend ein Geschäft an, sagen wir einen kleinen Laden. Ich würde zu einem Tabakladen raten, da könnte er in seinen Mußestunden Verse genug schreiben – Sie verstehen mich doch recht?«

»Gewiß. Einen Tabakladen, wo er Verse machen kann.«

»Ich überlasse ihm das Kapital ohne Einschränkungen oder Bedingungen. Er soll's machen, wie er will, sich damit emporarbeiten oder darunter zusammenbrechen; was ich ihm bestimmt habe, ist nämlich genügend, eine Zeitlang ein tolles Leben zu führen, das ihn umbringt, oder ein anständiges Auskommen damit zu gewinnen. So liegen die Dinge. Was zum Kuckuck kann ein Mensch mehr tun für einen andern? Sie sehen, ich habe nun einmal einen Affen gefressen an diesem Frisson. Sein Stück wird keinen Erfolg haben, der ganze Frisson wird nie Erfolg haben, keines seiner Werke wird je Früchte tragen, das ist unmöglich, weil seine Sachen keine Wurzeln haben. Nun habe ich gesagt, was ich zu sagen hatte. – Wissen Sie noch, was ich von Ihnen verlange?«

»Erstens,« erwiderte Lacenaire in einer geistesabwesenden Weise, wie ein Mensch, dessen Gedanken zwei verschiedene Richtungen verfolgen, »soll ich warten, bis Sie tot sind. Zweitens warten, bis Ihr Diener mich ruft. Drittens soll ich mit Frisson nach Amiens fahren. Viertens soll er Ihr Geld auf Liederlichkeit verwenden, wenn's ihm Spaß macht, oder auf einen Tabakladen … warten Sie einen Augenblick! … Sie sprachen noch etwas von Versen, aber das habe ich vergessen …«

»Darauf kommt's auch nicht an. In der Hauptsache haben Sie mich verstanden. Ich werde mich überdies noch schriftlich über die Sache äußern.«

Lacenaire stand auf, um sich zu verabschieden.

»Sehen Sie,« sagte Sangarelle, »ich wünsche, daß mein Tod Frisson zu gut komme, aber ich wünsche nicht, daß Carabin Nutzen daraus ziehe – dieser Schmarotzer in Gestalt eines Walfischs, dieser Wolf, der wie ein Kater schnurrt!«

Lacenaires Gehirn, das seit zwanzig Minuten geduldig und unablässig gearbeitet hatte, brachte beim Wort »Kater« plötzlich eine Erinnerung zur Welt. Den drei verschwundenen Streichhölzchen, die Einlaß begehrend an der Schwelle seines Bewußtseins gestanden und ihn mit der Frage: »Wo sind wir?« geängstigt hatten, wurde aufgetan.

»Jetzt erinnere ich mich,« sagte er, mit einem Ausdruck unendlicher Erleichterung über seine Stirne streichend.

»Woran?«

»An die drei Streichhölzchen. Nachdem ich zu Bett gegangen war, kam mir's vor, als ob eine Katze im Zimmer wäre, und ich gebrauchte drei Streichhölzchen, um nach ihr zu sehen. Zum Glück war keine da, denn Katzen sind mir ein Greuel.«

»Ein wunderlicher Kauz,« überlegte Sangarelle, während sein Gast das Zimmer verließ. »Ein vollständiges Kind ohne die Unbeständigkeit, Grausamkeit und Selbstgenügsamkeit, die das menschliche Tier im Werden kennzeichnen. Ich hätte für meinen Zweck kein besseres Werkzeug finden können. Er ist einfach eine Maschine, und auf einen Mechanismus kann man sich verlassen; es ist wenigstens kein Mensch.«

So weise war Sangarelle! Er dachte noch einen Augenblick nach, eilte dann hinaus auf den Vorplatz und rief dem eben die Treppe Hinuntergehenden nach: »Herr Lacenaire!«

»Ja?«

»Sie werden natürlich mit niemand über unsre Unterredung sprechen?«

»Ich schweige wie das Grab.«

Langsamen Schritts ging Lacenaire die Rivolistraße entlang, besah sich die Schaufenster der Läden und betastete von Zeit zu Zeit das Fünffrankenstück in seiner Tasche. Da wurden seine Träumereien durch eine Berührung seines Arms unterbrochen, und als er den Kopf wandte, sah er in Peter Alabasters aufgeregtes Gesicht.

»Wie froh bin ich, Sie getroffen zu haben!« sagte Peter. »Ich möchte Sie nämlich um Rat bitten, mein lieber Lacenaire … ich werde nie vergessen, wie hilfreich Sie sich mir in dieser Angelegenheit schon erwiesen, welch wahre Herzensgüte Sie mir gezeigt haben. Nur ein Franzose kann in einer derartigen Angelegenheit so zartfühlend, so verständnisvoll handeln! Die Art und Weise, in der Sie mir im Café d'Harcourt das Briefchen zugesteckt haben, ohne daß Frisson oder irgend einer von den Herren etwas davon gemerkt hätte, wird mir ebenso unvergeßlich bleiben, wie die Güte, die Sie trieb, die Vermittlung zu übernehmen. Darum möchte ich Ihnen auch sagen, daß die Lage ernst geworden ist, sehr ernst. Cäcilie kann nicht länger in Passy bleiben, denn das Leben in diesem Haus ist eine Qual für sie. Sie hat mir geschrieben, daß Herrn Bordelais' Zudringlichkeiten ihr nachgerade unerträglich geworden seien. Ein verheirateter Mann! Ein Mann von fünfundfünfzig Jahren, ein Strumpfwarenhändler in der Aboukirstraße – es wird einem ja übel bei dem Gedanken! Diese Verhältnisse machen einen raschen Entschluß nötig, und ich habe ihn heute früh gefaßt. In acht Tagen wird die Wohnung bereit sein, die ich als Zufluchtstätte für sie gemietet habe; sie befindet sich kaum einen Büchsenschuß von hier in der Berg-Taborstraße.«

»Sie wollen also mit ihr leben?« fragte Lacenaire.

»O Gott, nein! Nein, nicht ehe wir Mann und Frau sind.«

»Was?« entfuhr es Lacenaire, der vielleicht zum ersten Male im Leben ein überraschtes Gesicht zeigte. »Sie wollen sie heiraten?«

»Sie heiraten? Ja, lieber Freund, wie können Sie nur fragen? Sie haben sie ja gesehen! Könnten Sie sich vorstellen, daß ein Mann, der dieses Mädchens Herz gewonnen hat, es von sich würfe? Ob ich sie heiraten will! Natürlich werde ich sie heiraten, aber dazu sind mancherlei Vorbereitungen nötig, und zwar zum Teil peinlicher Art. Da ist zum Beispiel mein Vater, von dessen Seite ich Widerspruch voraussehe, freilich nur solange er sie nicht gesehen hat. Und dann Frisson! Ich fürchte sehr, er liebt sie! Ihr ist er unausstehlich, aber aus irgendwelchen Familienrücksichten, die mit Frau Bordelais im Zusammenhang stehen, will sie nicht mit Frisson brechen, das heißt ihn nicht verletzen. Er schreibt ihr, wie sie mir erzählt hat, denn ich besitze ihr ganzes Vertrauen.«

Peter nahm Lacenaire am Arm und zog ihn mit sich in ein Café. Dort fuhr er bei einer Flasche Wein fort: »Im Spital hat man mich seit acht Tagen nicht gesehen, denn arbeiten ist mir rein unmöglich in dieser Gemütsverfassung, ich kann kaum essen. Der Gedanke an Frisson verfolgt und quält mich! Frisson macht mich zum Vertrauten seiner Liebe, und ich habe ein erbärmliches Gefühl des Verrats, wenn ich ihm zuhöre. Erst heute früh sprach er mir von dem Häuschen, das er sich irgendwo auf dem Lande kaufen werde, Haus, Garten, eine Kuh und Hühner. Dabei wiederholt er beharrlich, daß er Cäcilie gar nicht kennen gelernt hätte ohne mich, ja seinen guten Geist nannte er mich diesen Morgen! Stellen Sie sich vor, wie mir dabei zu Mut war!«

»Ganz richtig,« bemerkte Lacenaire, der mittlerweile den Wein getrunken hatte, »aber ich muß jetzt aufbrechen. Ich habe eine Verabredung mit Hanfstängl, dem Instrumentenmacher der Sternwarte. An Ihrer Stelle würde ich die Sache nicht so schwer nehmen, Frisson kommt wohl los – ich meine, Cäcilie mag froh sein, Frisson los zu werden. Die Weiber sind eine faule Bande. Ja, ja – ich weiß, Cäcilie ist kein Weib, will sagen, keins wie die andern. Ach Gott! Man hat mir meinen Regenschirm gestohlen! Nein, da ist er ja! Dieser Schirm macht mir mehr Ungelegenheiten als ein Hund. Nein, nein, ich würde sehr gerne mit Ihnen speisen, aber Pagenstecher erwartet mich. Sagte ich vorhin Hanfstängl? Ich meinte Pagenstecher, die beiden führen das Geschäft gemeinsam.«

Er stürzte eilig zum Café hinaus und sah erst draußen auf seine alte kupferne Taschenuhr. Es war noch nicht so spät, als er gedacht hatte, und er konnte ruhig nach Passy gehen, wo er in einer kleinen Anlage mit »Pagenstecher« zusammentraf, der ein fliederfarbiges Kleid und einen höchst kleidsamen Sommerhut mit einer Straußenfeder trug.


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