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Elftes Kapitel.
Magdalene

»Wir werden uns eine Kuh halten,« sagte Frisson, als sie nach der ersten Verzückung nebeneinander weiter gingen, »eine Wiese muß für das Tier eingezäunt werden. Einen Blumengarten haben wir auch, ich sehe ihn schon, und Bienenkörbe.«

»Ja,« stimmte Cäcilie bei, die aber ganz in Gedanken versunken zu sein schien.

»Wenn mein Stück aufgeführt wird, darf ich auf eine wöchentliche Einnahme von mindestens achthundert Franken rechnen. Bleibt es ein Jahr auf dem Spielplan, so macht das vierzigtausend Franken, und warum sollte es nicht ein Jahr bleiben? Im Ambigutheater sind ›Die kleinen Mädchen‹ siebenhundertmal nacheinander gegeben worden … nehmen wir aber auch nur ein halbes Jahr an, so sind's schon zwanzigtausend Franken …«

»Zwanzigtausend Franken,« bestätigte Cäcilie, die, wie man aus der Bewegung ihrer Finger auf dem Wagengriff sah, Frissons Kopfrechnungen pünktlich mitmachte.

»Und natürlich schreibe ich sofort ein neues Stück – am Geld kann es uns gar nicht fehlen.«

»Nun muß ich aber nach Hause,« erklärte Cäcilie. »Es ist schon etwas über die Zeit, wir müssen uns leider trennen. Frau Bordelais darf uns nicht beisammen sehen … Sie wollten doch Ihre Tante besuchen? Dann ist's vielleicht am besten, Sie gehen jetzt ins Haus und ich komme erst in zehn Minuten. Aber, Karl … versprechen Sie mir noch einmal, den Namen Lacenaire nicht zu nennen?«

»Ich verspreche es, aber wie soll ich Sie wiedersehen, Cäcilie, und wann? Könnten wir uns nicht morgen auf der Straße treffen?«

»Nicht gern. Es ist gefährlich, sich auf der Straße zu treffen! Die Leute klatschen, man spricht schon über mich. Neben uns wohnt eine alte Dame, die den lieben langen Tag zum Fenster hinaussieht. Als Frau Bordelais heute früh nach Hause kam, stand die boshafte alte Person gleich da, um ihr zu erzählen, daß in ihrer Abwesenheit jeden Tag Herren gekommen seien, und daß ich vom Fenster aus die Aufmerksamkeit jedes Vorübergehenden zu erregen gesucht hätte.«

»Du meine Güte! Und dabei war meine Tante ja nur zwei Tage verreist!«

»Freilich. Ich habe ihr die Wahrheit gesagt, gesagt, daß nur Sie und Ihr Freund dagewesen sind.«

»Das weiß sie also?«

»Weshalb hätte ich's verheimlichen sollen?« fragte Cäcilie. »Glauben Sie mir, Karl, man fährt immer am besten, wenn man die Wahrheit sagt. Am ersten Tag, den ich in Passy zubrachte, hat Manon die Milchkanne umgeworfen, was auf dem Teppich im Eßzimmer Flecken gab. Dann behauptete sie, die Katze habe es getan, ich konnte es aber nicht ertragen, Mitwisserin einer Lüge zu sein und habe Frau Bordelais die Wahrheit gesagt. Seither glaubt sie mir unbedingt, denn sie weiß, daß ich nichts verheimliche, was im Kinderzimmer oder bei den Leuten geschieht, und so hat sie auch heute früh mir geglaubt und nicht der alten Klatschbase vom Nachbarhaus.«

»Das will ich hoffen!« rief Karl. »Was hätte sie für ein Recht, an Ihnen zu zweifeln? Sie soll gütigst vor ihrer eigenen Türe kehren!«

»Um noch eins muß ich bitten, Karl! Versprechen Sie mir, Herrn Lacenaire nicht merken zu lassen, was Sie wissen.«

»Das verspreche ich.«

»Und noch eins – Sie dürfen Ihrer Tante gegenüber nicht wissen, daß sie meine Patin ist. Sie erinnern sich doch, daß mir's gestern so herausfuhr, sie sei meine Patin?«

»Jawohl, aber weshalb in aller Welt soll davon nicht gesprochen werden? Sie wird sich doch wohl nicht daran schämen, hoffe ich?«

»Ach, Karl! Das sind solche Familiengeschichten! Aus Gründen, die nur meine Familie angehen, bitte ich Sie, nicht davon zu sprechen – versprechen Sie mir's!«

»Ich verspreche es – mir ist alles einerlei bis auf die Frage, wie ich Sie wiedersehen soll? Wissen Sie, ich habe ja meine Tante höchstens alle paar Wochen besucht, und zwar nur in geschäftlichen Angelegenheiten; wenn ich jetzt plötzlich jeden Tag komme, muß ihr das auffallen, und sobald sie die Wahrheit merkt, wird sie alles aufbieten, uns auseinanderzureißen, Geliebte. Sie weiß, daß wir beide arm sind, vorläufig wenigstens, und das ist für eine Spießbürgerin wie sie Grund genug, unsre Liebe zu bekämpfen.«

»Ich habe einen kleinen Plan …«

»Was für einen?«

»Magdalene …«

»Meine Cousine? Die ist ja in Deutschland.«

»Jetzt nicht mehr. Sie ist gestern abend zurückgekommen.«

»Aber was soll uns die nützen?«

»Mit Hilfe Ihres steinreichen Freundes, dieses Herrn Alabaster, kann sie uns nützlich werden.«

»Magdalene und Peter Alabaster sollen uns zusammenbringen? Peter, ja, der ist ein guter Kerl, aber Magdalene hilft keinem Menschen. Sie ist ein charakterloses Ding, ein in Essig getunkter Lappen, säuerlich und haltlos.«

Cäcilie zog etwas ärgerlich die Augenbrauen in die Höhe.

»Sie verstehen mich durchaus nicht, lieber Karl! – Still! Du abscheulicher Junge! Wenn du so brüllst, kommt der schwarze Mann!«

Montmorency konnte sich zwar noch nicht aussprechen, aber daß Cäcilies drohende Miene auf Püffe und Klapse deutete, war ihm offenbar klar, denn er stellte sein Gewinsel ein und klammerte sich an sein Hündchen.

»Sie verstehen mich nicht. Führen Sie Herrn Alabaster im Haus ein und sorgen Sie, daß er sich in diese Magdalene verliebt. Dann wird Frau Bordelais im siebenten Himmel sein und Magdalene desgleichen. Sie können in seiner Begleitung so oft kommen, als Sie Lust haben, und die ganze Familie wird so glücklich sein, daß niemand Augen hat für uns beide, mein Karl!«

»Der Kuckuck!« rief Frisson, sich an die Stirne schlagend. »Ein glänzender Einfall – nur, einen Haken hat die Sache! Peter mitzubringen ist sehr leicht, aber daß er sich in Magdalene verliebt, ist minder wahrscheinlich. Wenn sie wenigstens hübsch wäre, auch nur einen hübschen Mund hätte …«

Cäcilie verzog schmollend den ihrigen.

»Seid ihr Männer doch dumm! Bringen Sie ihn nur einmal her. Verliebt er sich in Magdalene, so ist's gut, tut er's nicht, so werde ich schon Mittel und Wege finden, ihm diese Besuche angenehm zu machen. Im Notfall stelle ich mich selbst in ihn verliebt! Er ist im Grunde gar nicht übel, nur daß er so schafsköpfig aussieht, aber Ihnen zuliebe, Karl, damit wir uns sehen können, würde ich sogar diesem Alabaster samt seiner Brille den Hof machen.«

»Mein süßes Mädchen,« flüsterte Frisson, ganz überwältigt von diesem Beweis hingebender Opferfreudigkeit.

»Und dann habe ich noch eine Idee. Im Wohnzimmer, wo ihr gestern waret, steht nämlich eine Photographie von Magdalene. Sie könnten ja Frau Bordelais gleich jetzt sagen, Ihr Freund habe sich gestern in das Bild verliebt! Aber nein, das ist nichts, man darf nichts überstürzen! Lassen Sie Magdalene ganz aus dem Spiel, sie wird der Mutter schon in den Sinn kommen, sobald diese von Herrn Alabasters Reichtum hört. Bitten Sie nur um die Erlaubnis, Ihren Freund morgen mitzubringen, und überlassen Sie mir das übrige. Ich werde ihr etwas vorschwatzen vom Reichtum der Amerikaner, werde die Bemerkung fallen lassen, der fremde Herr habe immer nach der Photographie hingeschielt. Ach, wie schlau man doch wird, wenn man verliebt ist!«

Frisson machte in seinem Entzücken den Versuch, Cäcilie noch einmal zu umarmen, wurde aber sanft zurückgestoßen, weil ein wenig weiter unten verschiedene Fahrgäste aus einem Omnibus stiegen. Man trennte sich also, Frisson begab sich sofort in die Montmorencystraße Nummer achtzehn, Cäcilie aber fuhr ihren Schützling noch zehn Minuten in der Passystraße auf und ab, sowohl damit Frau Bordelais nichts merken solle, als um das unter der Wagendecke versteckte Buch, einen reizenden Roman von Ponson du Terrail, zu Ende lesen zu können.

Frau Bordelais saß im blitzsaubern Wohnzimmer der Montmorencystraße Nummer achtzehn an ihrem Nähtisch und stichelte an einem Kinderkleid. Sie war eine schmächtige, dem Aussehen nach etwas leberleidende Frau von etwa fünfunddreißig Jahren, deren Gesichtsausdruck jenen etwas herben, gesunden Menschenverstand verriet, der auf leichtlebige, unpraktische Menschen so besonders abstoßend wirkt. Sie trug Halbhandschuhe und Ringe mit Halbedelsteinen, und wenn sie in Gedanken versank, sah sie immer aus, als ob sie ihr Haushaltungsbuch im Kopf nachrechne. Daß sie jungen Männern Rosen zu schenken oder mit hilfsbedürftigen Mathematikern von Liebe zu flüstern im stande sein sollte, das sah man ihr wahrlich nicht an.

Magdalene, die Tochter aus einer früheren Ehe des Herrn Bordelais, saß der Mutter gegenüber. Sie war ein höchst reizloses Mädchen, das mit Achtzehn wie zwanzigjährig aussah und von der Mutter mehr die Herbheit als den mildernden Verstand angenommen zu haben schien. Bei Frissons Eintritt blickten beide auf, die Mutter von ihrem Kinderkleid, die Tochter von den Spitzen, woran sie arbeitete.

»Nun, Karl?« sagte Frau Bordelais, die Erscheinung ihres Neffen mit dem durchdringenden, sachlichen Hausfrauenblick musternd, der einen Sporfleck auf dem Tischtuch entdeckt, wenn er auch nicht größer ist als ein Stecknadelkopf.

»Guten Tag, liebe Tante,« sagte Frisson, sich nach einem Platz umsehend, wo er möglichst wenig beleuchtet sein würde.

Es war ihm heute nicht ganz so unbehaglich zu Mut wie sonst in Frau Bordelais' Haus. Die Tante kam ihm menschlicher vor und sein eigenes Dasein sonniger. Sonst glaubte er während seiner Besuche in diesem reinlichen, geordneten Haus immer eine innere Stimme flüstern zu hören: »Du bist ein nichtsnutziger Lump, Frisson!« Heute war diese Stimme beinahe stumm, wahrscheinlich weil er sich einbildete, daß die Tante auf ihre Weise gerade so nichtsnutzig sei wie er. Ganz schwieg die Stimme indes doch nicht, denn in den Tiefen seines Bewußtseins glaubte er eigentlich nicht so recht an die Schlechtigkeit seiner Tante. Er hatte das unbestimmte Gefühl, daß sie viel zu unliebenswürdig sei, um gleich ihm zu sündigen, er sprach ihr aber die Ehrbarkeit ab, weil er sie nicht leiden konnte, er glaubte an Cäcilies Geschwätz, weil es ihm erwünscht war, die Tante zu mißachten.

»Wie geht's den Kindern?« begann Frisson verbindlich, indem er sich auf einen ehrwürdigen Chippendalestuhl setzte, seiner Tante höchsten Stolz, und gleich damit zu wippen begann, daß sein volles Körpergewicht auf den beiden hinteren Stuhlbeinen lastete.

»Sie sind ganz wohl, Karl … Bitte, setze dich nicht auf diesen Stuhl, du wirst ihn zerbrechen. Setze dich aufs Sofa, das hält dich aus.«

»Ich sehe, du bist beschäftigt … wie immer,« bemerkte Frisson immer noch verbindlich, während er sich auf dem Sofa niederließ und im Vorübergehen eine winzige Stickschere auflas, die dem jungen Mädchen entfallen war.

»Jawohl, sehr beschäftigt,« sagte Frau Bordelais, mit zusammengepreßten Lippen auf ihre Näharbeit blickend, als ob sie ausrechnete, wieviel Millimeter Besatz auf den Centimeter zu nehmen sei und sich überlegte, ob sie jeden Millimeter anstechen oder nur jedem zweiten einen Stich gönnen solle.

»Wir sind beschäftigt: es wäre sehr erfreulich, wenn sich alle Menschen beschäftigen wollten wie wir.«

Magdalene lächelte sauersüßlich und Frisson begann seine Fingernägel mit der Stickschere zu behandeln.

»Karl,« sagte Frau Bordelais in einem Ton, der den Neffen eine halbe Sekunde lang von mütterlicher Milde träumen ließ.

»Ja, Tante?«

»Wir sind hier nicht im Ankleidezimmer.«

Er legte die Schere hastig weg, und Magdalene griff danach mit einem abermaligen Lächeln, das Frisson zu dem Wunsch veranlaßte, Peter Alabaster möchte sie heiraten, sich als Trunkenbold entpuppen, sie prügeln und gänzlich elend machen.

»Ich setze voraus,« begann Frau Bordelais nach längerer Pause, in deren Stille die Nähterin und die Spitzenweberin vergiftete Pfeile zu rüsten schienen, die eine mit finster zusammengezogenen Brauen, die andre mit einem gespenstischen Lächeln. »Ich setze voraus, daß du immer noch zu keinem Entschluß gekommen bist über deine künftige Laufbahn?«

Diese Bemerkung war insofern sehr verletzend, als Frau Bordelais absichtlich sein Stück und die dazu gehörigen Möglichkeiten totschwieg. Der Dramatiker beherrschte sich aber, so gut er konnte.

»Ich warte den Durchfall meines Stückes ab,« sagte er.

»Und dann?« fragte Magdalene holdselig.

»Dann ersäufe ich mich,« stieß Frisson wütend heraus.

»Die Menschen ertränken sich nie,« bemerkte die Tante mit einem leisen Seufzer, als ob sie verlernt hätte, auf solch angenehme Lösungen zu hoffen. »In der Regel leben sie weiter, um ihren Verwandten Sorgen und Schwierigkeiten zu bereiten – dein Onkel Paul war ein Beispiel dafür. So oft jemand das Wort Faulenzerei hinwarf, schrie er nach einem Rasiermesser, um seinem Leben ein Ende zu machen, und dabei hat er lange genug gelebt, um allen zur Qual zu werden, die mit ihm zu tun hatten.«

»Wenn ich jemand von Selbstmord sprechen höre …« bemerkte Magdalene, als ob sie über eine Schar von Bekannten verfügte, die mit Vorliebe von Selbstmord sprächen, dann hielt sie aber inne.

»Nun, und dann?« fragte Frisson gereizt.

»Ich beunruhige mich nie darüber, denn es sind meist Leute, die zum Arzt laufen, wenn ihnen der kleine Finger wehtut, und in Todesangst geraten, wenn sie einen Schnupfen haben.«

»Zum Henker!« murmelte Frisson.

»Karl!« erklang es wieder mild aus der Tante Mund.

»Ja?«

»Wir sind nicht in der Kneipe.«

»Ich bitte um Verzeihung, Tante Elise.«

»Wie befindet sich Herr Carabin?« fragte Magdalene, wohl wissend, daß dieser Name auf die Mutter wirkte, wie das rote Tuch auf den Stier.

»Bitte, erwähne diesen Menschen nicht, Magdalene,« sagte diese auch richtig, indem sie sogar ihre Arbeit unterbrach. »Ein Mensch ist er überhaupt nicht – ein Kehrichthaufen!«

»Was? Hans?« rief Carabins Teilhaber, zu den Waffen greifend. »Hans ist einer der geistreichsten Männer in ganz Paris, wenn er auch freilich ein Verbrechen begangen hat.«

»Und was für ein Verbrechen wäre das?« fragte Magdalene, der Antwort gewiß.

»Das Verbrechen, Unglück zu haben.«

»Man braucht nur seine Augen anzusehen, um zu wissen, welcher Art sein Unglück ist,« bemerkte die Tante mit höhnischem Lachen.

»Merkwürdig,« sagte Frisson mit einem Male klug wie die Schlange. »Höchst merkwürdig!«

»Was ist denn so merkwürdig?«

»Deine Bemerkung. Erst gestern nämlich hat ein neuer Bekannter von mir, ein Herr Peter Alabaster, ganz dasselbe gesagt. Carabins Auge sei ihm unheimlich, sagte er.«

»Das spricht für diesen Bekannten. War das der Herr, der gestern mit dir hier war?«

»Ja, aber ich mache mir nicht viel aus seinen Ansichten, er ist so engherzig. Raucht nicht einmal, ein furchtbar braver Kerl, wie die Amerikaner so sind, im übrigen ganz nett. Er war ganz entzückt von Passy, und dein Haus fand er vollkommen amerikanisch. Ich habe ihn dann aufs Boulevard des Italiens begleitet, wo er Diamanten kaufen wollte.«

»Diamanten? Ist er denn Juwelier?«

»Der? Keine Rede! Seiner Schwester wollte er ein Geschenk kaufen!«

»Die ist in Amerika?«

»Ja, ein Halsband hat er genommen und dreitausend Franken bar dafür bezahlt.«

»Er geht wohl bald nach Amerika zurück?«

»O nein, er studiert hier Biologie – ist ein gelehrtes Haus. Man denke sich, wie verrückt – wenn der Vater Millionen hat! Ich an seiner Stelle, ich wüßte mein Leben zu genießen!«

»Zum Glück frönen nicht alle Menschen dem Müßiggang und dem Leichtsinn. Ein reicher junger Mann, der fleißig studiert, ist höchst achtenswert.«

»Übrigens,« bemerkte Frisson, Cäcilies Lehren eingedenk und eifrig beflissen, den Nagel einzutreiben, »hat ihm jemand sehr gut gefallen. Wenigstens starrte er, als ich ihm dieses Zimmer zeigte, immer Magdalenes Photographie an und behauptete, sie erinnere ihn an jemand in Amerika.«

Magdalene zog die Nase verächtlich in die Höhe, Frau Bordelais stichelte schweigend weiter und Frisson schalt sich innerlich einen Dummkopf, denn er fühlte wohl, daß er sein Porträt von Alabaster verdorben hatte. Somit ließ er den ganzen Plan fallen und entschloß sich, den Besuch abzukürzen.

»Übrigens,« sagte er, »wollte ich dich um etwas Geld bitten, Tante Elise – wenn es dir nicht zu viel Mühe macht.«

»Wieviel brauchst du?« fragte Frau Bordelais, mit ungewöhnlicher Bereitwilligkeit nach ihren Schlüsseln greifend.

»Ach … hundert Franken etwa,« erwiderte Frisson, ganz darauf gefaßt, nach viertelstündiger Verhandlung vielleicht zwanzig zu erhalten.

Frau Bordelais ging an ihren Schreibtisch und zog eine Schublade auf. Nachdem sie einen Eintrag in ein kleines Buch gemacht hatte, zählte sie hundert Franken in Gold auf die Tischplatte.

»Danke, liebe Tante!« sagte Frisson, sein Geld seelenvergnügt einsteckend.

»Gib das Geld nicht für Unnötiges aus, Karl,« bemerkte die Tante mild, »aber ein neuer Rock wäre nicht überflüssig, dieser ist wirklich zu schäbig.«

»Werde ich besorgen. Ich kenne ein Geschäft, wo ich ihn für zehn Franken bekomme, und nun empfehle ich mich.«

»Nimmst du nicht eine Tasse Tee?« fragte Magdalene. »Ich höre Manon mit dem Teezeug kommen.«

»Nein, danke, Tee bekommt meinen Nerven nicht,« sagte Frisson, indem er auf die Tür zuging. »Darf ich Alabaster einmal mitbringen, Tante?« fragte er, plötzlich stehen bleibend. »Das ist der rechte Mann für Tee, und er fühlt sich etwas einsam hier.«

Frau Bordelais warf über die wieder aufgenommene Arbeit hinweg einen scharfen Blick auf den Neffen, dann erwiderte sie, die Augen auf ihr Werk gesenkt: »Gewiß, Karl. Du weißt, daß mir deine Freunde stets willkommen sind, die anständigen wenigstens.«

»Dann bringe ich ihn übermorgen zur Teestunde. ›Fünfuhrtee‹ sagt man ja heutzutage,« erklärte Frisson.

Er beobachtete dabei, daß Magdalenes Abschiedslächeln einen merkwürdigen Gärungsprozeß durchmachte; der Essig verwandelte sich in Zucker.


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