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Achtzehntes Kapitel.
Die mißglückte Flucht

In der nämlichen Stunde, ja im nämlichen Augenblick, als der unselige Lacenaire den für Peter Alabaster bestimmten Liebesbrief Frisson aushändigte, stand Peter mit einer Kamelie im Knopfloch vor dem Kamin eines kleinen Wohnzimmers in der Berg-Taborstraße. Diese ist ein bescheidenes Seitengäßchen der St. Honoréstraße, und die Wohnung, die er als Zufluchtsstätte für Cäcilie gemietet hatte, befand sich über einem Weißwarenladen auf der linken Seite nahe der Straßenecke. Er hatte sie zur großen Belustigung von Frau Jensen, der Besitzerin von Haus und Laden, für »seine Schwester« gemietet. Frau Jensen war eine weltliche und ungläubige Seele, aber taktvoll und verschwiegen; es ging sie gar nichts an, daß Peter bei dem Wort »Schwester« bis unter die Brille rot geworden war. Der Scheck, womit er die Miete auf einen halben Monat vorausbezahlt hatte, war auf der Bank ohne weiteres eingelöst worden, und unter solchen Umständen würde Frau Jensen auch einem Elefanten Quartier gegeben haben, ohne sich im geringsten zu verwundern.

Es war schon fünf Minuten über die Zeit, die er Cäcilie angegeben hatte. Sein Brief war Freitag abend auf die Post gekommen. Eine Antwort war nicht unbedingt nötig, und doch hatte er eine erwartet. Er würde sie auch erhalten haben, wenn Cäcilie nicht, um Porto und den Gang zur Brieflade zu sparen, Lacenaire damit betraut hätte. Peter konnte in dieser Wartezeit seinen Gedanken nachhängen, und diese Gedanken waren etwas unruhiger Natur. Er hatte seinem Vater geschrieben und ihm seine Absichten mitgeteilt, worauf er ein Telegramm aus Nashville erhalten hatte, so rasch und todbringend wie ein Torpedo.

»Du wartest, bis ich komme. In zehn Tagen bin ich in Paris. Alabaster.«

Darauf war der Pariser Alabaster nicht vorbereitet gewesen. Er hatte in seinem Brief postwendend um einen Wechsel gebeten, denn die Ereignisse der letzten paar Wochen hatten seinen Kassenbestand bedenklich geschmälert. Cäcilie hatte ihrem Bruder, der auf einer Bank angestellt war, tausend Franken leihen müssen, und da Cäcilie keine tausend Franken besaß, hatte Alabaster ihr geliehen, was sie dem Bruder leihen wollte, und was dieser in vier Wochen heimzahlen würde. Dann hatte er auch Geschenke gekauft für Cäcilie und hatte ihr zweihundert Franken gegeben, um ihre Flucht aus dem Bordelaisschen Hause zu ermöglichen. Er hatte wertvolle, mit Juwelen besetzte Manschettenknöpfe besessen, die hatte ihm Cäcilie als Liebespfand abgeschwatzt und ihm dafür ein silbernes Ringlein mit einem silbernen Herzchen daran geschenkt. Allerdings war er noch im Besitz seiner goldenen Uhr und Kette, was man als ein Wunder betrachten konnte, und seinen besten Anzug hatte er auch noch, was allerdings weniger verwunderlich war.

Geld tat ihm also dringend not, auf die Anwesenheit seines Vaters dagegen würde er gerne verzichtet haben.

Cäcilie hatte, wie sie in dem von Lacenaire an den Unrichtigen bestellten Brief erwähnte, einen Teil ihres »Gepäcks« zum voraus in die Berg-Taborstraße befördern lassen. Zwei umfangreiche Koffer waren angelangt; der eine stand nahe an der Tür im Wohn-, der andre im Schlafzimmer. Peter hatte auch in dieses einen Blick geworfen, um sich zu überzeugen, ob es behaglich eingerichtet sei. Ihm schwebten alle möglichen Gefahren vor, als da sind feuchte Bettwäsche, schlecht schließende Gashahnen, mangelhafte Kanalisierung. Diese Ängstlichkeit war das Erbteil einer mütterlichen Großmutter, deren Peinlichkeit in derlei Dingen den Grad der Verrücktheit erreicht hatte. Er wußte, wie wenig Sorgfalt Zimmervermieterinnen auf diese Einzelheiten verwenden, und der Gedanke, Cäcilie könnte Rheumatismus bekommen oder an ausgeströmtem Gas ersticken, verfolgte ihn förmlich. In seiner Liebe war die Glut des Bräutigams mit der Fürsorge einer zärtlichen Mutter gemischt.

Eine Stunde verstrich, und Herr Alabaster, der es endlich müde wurde, von einem Fuß auf den andern zu treten und durchs Fenster nach dem gegenüberliegenden kleinen Café zu starren, klingelte der Hauswirtin.

»Das Fräulein ist noch nicht da,« sagte er, »aber ich erwarte sie jeden Augenblick.«

»Schön, mein Herr,« versetzte die sphinxartige Frau Jensen.

»Um neun Uhr möchten wir dann etwas Abendbrot haben.«

»Um neun.«

»Vielleicht einen Hummer …«

»Hummer? Befehlen Sie vielleicht Hummersalat?«

»Salat? Ja, ganz richtig, und eine Gänseleberpastete und eine Flasche moussierenden Mosel.«

Er legte ein Zwanzigfrankenstück auf den Tisch, das Frau Jensen sofort einsteckte.

»Zigaretten möchte ich auch haben« … ein Fünffrankenstück folgte … »türkische oder ägyptische oder noch besser eine kleine Schachtel von beiden Sorten. Ich rauche zwar nicht, aber meine Schwester, doch weiß ich nicht, welche Zigaretten sie bevorzugt … Das Rauchen ist ihr nämlich verordnet worden, weil sie etwas an – an Asthma leidet.«

Frau Jensen hatte das Fünffrankenstück eingesackt, blieb aber zuwartend stehen, weil sie merkte, daß Peter Alabaster noch etwas auf dem Herzen hatte.

»Ach – da fällt mir ein – der Gashahn!« sagte Peter. »Ich glaubte vorhin einen leichten Geruch von ausgeströmtem Gas zu bemerken. Nein? Dann muß ich mich wohl getäuscht, mir's eingebildet haben … Und dann noch eins: das Bett ist doch gelüftet worden und die Bettwäsche gut ausgetrocknet?«

Peter war dunkelrot geworden bei dieser Frage.

»Ich habe nämlich große Angst vor Rheumatismen. Ein Bekannter von mir schlief einmal in einem feuchten Bett, und junge Mädchen, wissen Sie, sind ja so empfindlich. Ich selbst hatte auch einmal Rheumatismus, und da werden Sie es begreiflich finden, das heißt, ich wollte sagen, für meine Person bin ich nicht im mindesten ängstlich, nur für andre Leute. Jawohl, danke, das ist alles. Wenn ich etwas brauche, werde ich klingeln. Danke, danke sehr.«

Frau Jensen zog sich mit Würde zurück, schloß lautlos die Türe hinter sich und erreichte glücklich ihre Küche, wo sie auf einen Stuhl sank, die Hände in die Seiten stemmte und eine ganze Weile von Zuckungen erschüttert wurde, von denen schwer zu sagen gewesen wäre, ob Schmerz oder Heiterkeit die Ursache bildeten. Als sie sich gefaßt hatte, schickte sie das Mädchen aus, um Hummer, moussierenden Mosel und Zigaretten zu besorgen.

Peter wartete indessen weiter. Zwanzig Minuten hielt er aus, dann aber rannte er, der bei jedem leisesten Geräusch von der St. Honoréstraße her im Innersten erbebte, ungestüm ans Fenster – endlich war ein Wagen vorgefahren! Nein, der Wagen hielt nicht vor seiner Türe, sondern an dem kleinen Café gegenüber war ein Viktoria angefahren. Eine dicke Frau stieg aus und zankte sich mit dem Kutscher um die Taxe.

Diese Enttäuschung brachte die Seifenblase der Hoffnung zum Platzen – Cäcilie kam nicht! Was konnte sie aufgehalten haben? Hatte die Droschke umgeworfen und lag die Ärmste vielleicht bewußtlos in irgend einem Spital, vielleicht tot? War Frau Bordelais dazwischen getreten? Hielt sie Cäcilie hinter Schloß und Riegel gefangen? Eines stand jetzt fest für Peter: kam Cäcilie in den nächsten zehn Minuten nicht, so fuhr er nach Passy, um geradeswegs nach dem Grund zu fragen.

Diese zehn Minuten vergingen, der verlassene Liebhaber setzte seinen Hut auf, sagte Frau Jensen, daß er spätestens in zwei Stunden wieder da sein werde, und stürzte durch die Berg-Tabor- nach der St. Honoréstraße, wo er in der Nähe der Madeleinekirche eine Droschke traf, in die er sofort sprang. Den Hut tief in die Stirne schiebend, um sich vor dem grellen Licht des Abendhimmels zu schützen, saß er still und gab sich Mühe, nicht zu denken.

»Doch wer sind sie, die mit Schlangenlocken
Und ehernen Schwingen den Himmel erklettern?«

Die Eumeniden. Man kann sie nicht zurückdrängen, wenn man sich auch müht, nicht zu denken.

Drei Furien waren es, die Herrn Peter Alabaster in den Gestalten der Frau Bordelais, ihrer Tochter Magdalene und Karl Frissons verfolgten. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, nichtsdestoweniger hatte er in Frisson den Freund, den Kameraden verraten. Er hatte Frissons vertrauliche Herzensergießungen angehört, sich die Traumgesichte von dem Bauernhäuschen, der Kuh, den Hühnern und Cäcilie schildern lassen und hatte noch während des Zuhörens gegen ihn gearbeitet, sich gegen ihn verschworen. Peters gesundes, gutes Herz sagte Peters von der Liebe verwirrtem Verstand, daß es sich schäme, in einer Brust wie Peter Alabasters Brust zu schlagen. Das mag etwas übertrieben sein, aber Herzen reden gern in Hyperbeln. Peters von Liebe betörtes Gehirn gebot diesem Herzen, stille zu sein, denn im Krieg und in der Liebe sei alles erlaubt.

Mit Magdalene Bordelais war's ein noch schlimmerer Fall. Um Zutritt in dem Haus zu haben, worin Cäcilie lebte, hatte er Magdalene den Hof gemacht, hatte sie benützt, gerade wie man eine Leiter benützt, um auf eine Mauer zu steigen; ihr die Hand gedrückt, ihr in die Augen gesehen, ihr Grund zum Hoffen gegeben. Und dann Frau Bordelais! Das war der allerschlimmste Fall, denn ihr sollte er in Fleisch und Blut gegenübertreten, und doch wollte er nicht um Magdalene werben, sondern um Cäcilie!

Das war eine furchtbare Aufgabe. Einer Bulldogge einen Knochen wegzunehmen oder einen Tiger zu rasieren, wäre angenehmer gewesen, und doch zögerte Peter nicht, sondern mahnte den Kutscher, rascher zu fahren.

Es war schon dunkel, als er die Montmorencystraße erreicht, seinen Kutscher entlassen hatte und nun an der grünen Haustüre klingelte, die ihm von Manon aufgetan wurde.

Manon sah sehr erhitzt aus. Sämtliche vom Hauseingang aus sichtbaren Zimmertüren standen offen, überall war Licht. Das ganze Hauswesen machte einen nicht zu verkennenden Eindruck der Verwirrung; es mußte etwas passiert sein.

Manon führte Herrn Alabaster nach dem kleinen Zimmer, das Herr Bordelais seine Bibliothek zu nennen liebte. Im Vorübergehen an der Salontüre nahm Peter eine Momentphotographie in sich auf – er sah einen Schutzmann, der ein mit Falbeln besetztes weibliches Unterkleid in die Höhe hielt, wobei Frau Bordelais, die daneben stand, die Arme emporwarf, als ob sie den Himmel zum Zeugen anriefe.

Peter, dem's zu Mut war, als ob ein böser Traum ihn umfange, trat in die Bibliothek und setzte sich. Manon verschwand, um den Besucher zu melden.

Die Polizei im Hause zu wissen, hat immer etwas Ungemütliches, und Peter Alabaster hatte von Kinderzeiten her ein geheimes Grauen vor Schutzleuten, weil seine Wärterin ihn mit Geschichten von einem erfundenen schwarzen Polizisten geängstigt hatte, dessen Amt es sei, ungebärdige kleine Jungen persönlich – nicht in den Himmel zu befördern. So saß er denn in höchst unbehaglicher Stimmung auf seinem Stuhl, preßte den Knopf seines Spazierstocks gegen das Kinn und starrte die Bilder, die Bücher, den Bodenteppich an. Mit einem Male ging die Türe auf.

»Ach, mein lieber Herr Alabaster!« kreischte Frau Bordelais förmlich, indem sie die Türe rasch hinter sich zuzog und mit ausgestreckten Händen auf ihn zuging. »Sie treffen das ganze Haus in Aufruhr, aber Sie sind trotzdem willkommen, höchst willkommen, stets willkommen! Und wie geht es Ihrem verehrten Herrn Vater?«

Man schüttelte sich enthusiastisch die Hände und nahm Platz. Die Kamelie in Peters Knopfloch überzeugte Frau Bordelais, daß er als Freier gekommen sei.

»Er befindet sich wohl, danke,« stieß Peter heraus, nach Luft schnappend wie ein Mensch, der in eiskaltem Wasser watet. »Ich habe Nachricht von ihm, ein Telegramm, wonach er in zehn Tagen hier sein wird. Ich schrieb ihm nämlich – schrieb ihm, um ihm mitzuteilen – teilte ihm meine Absicht mit – meine Absicht, ein reizendes Mädchen, tatsächlich einen Engel zu heiraten.«

Der Schluß des Satzes wurde mit unerhörter Geschwindigkeit abgehaspelt, wie die Angelschnur, wenn der Lachs daran zerrt. Frau Bordelais lächelte holdselig, lispelte etwas Süßes – der Fisch hing am Haken, aber die Schnur war furchtbar angespannt, sie mußte ihm etwas Spielraum gönnen. Peter seinerseits sah wohl, daß Frau Bordelais sich einbildete, der Köder, den er verschluckt hatte, sei ihre Tochter, und es war sein ehrlicher Wille, sie aufzuklären, dem Irrtum ein Ende zu machen, nur in diesem Augenblick hatte er den Mut nicht. Alles, alles für eine kurze Gnadenfrist!

»Ich bin nicht, was man eine gute Partie nennt – durchaus nicht – im Gegenteil, ich fürchte eine sehr schlechte Partie zu sein, bin vollkommen abhängig von meinem Vater in jeder Hinsicht.«

Er schnappte nach Luft, Frau Bordelais aber lächelte.

»Vollkommen abhängig von meinem Vater in jeder Hinsicht …«

Damit versank er wieder in Schweigen; es war so still, daß man fast die Angelleine rascheln hörte.

»Was ich am höchsten schätze, ist Ehrlichkeit,« begann Frau Bordelais in ruhigem, gütigem Ton. »Offenes Vorgehen spricht mich mehr an als Reichtum. Ein wohlhabender Mann wie Ihr Herr Vater tut ganz recht, dem Sohn einige Beschränkung aufzuerlegen, besonders in Paris, das der Jugend so viele Verlockungen bietet, wenn mir auch allerdings mein Gefühl sagt – und mein Gefühl beruht auf ausgebreiteter Kenntnis menschlicher Natur – daß solche Vorsicht Ihnen gegenüber nicht nötig wäre, Herr Alabaster. Tugend verbirgt sich nicht, auch wenn sie sich in den Mantel der Bescheidenheit hüllt – ja, was ist Bescheidenheit andres als die Dienerin der Tugend?«

Peter nahm sich nicht Zeit zu überlegen, wie man's wohl angreifen müsse, eine Dienerin als Mantel zu verwenden, ihm trieb die Verzweiflung den kalten Angstschweiß auf die Stirne.

»Ich bin auch nicht, wie ich sein sollte – ich halte es für meine Pflicht, mich darüber auszusprechen – ich war ein wilder Bursche …«

Schlauheit, die zuweilen die Dienerin der Furcht ist, kam ihm zu Hilfe.

»Ich war nahe daran, von der Unver – will sagen der Unervi – der Universität gejagt zu werden wegen Spielens.«

»Aber Sie spielen jetzt nicht mehr,« sagte Frau Bordelais mit wohlwollender Zuversicht.

»Nein,« gab Peter zerknirscht zu, »nicht eigentlich –« lange Pause – »aber man kann nie wissen, was geschieht. Ich halte es auch für meine Pflicht, zu sagen, daß ich mitunter dem Wein unterlegen bin – Ihr Neffe Frisson kann Ihnen sagen, daß er mich betrunken … eines Abends betrunken gesehen hat.«

»Ach Paris! Paris!« seufzte Frau Bordelais. »Was für ein Strudel! Wer anders als der allerstärkste Schwimmer vermag deinem verhängnisvollen Wirbel zu entrinnen, wenn nicht die Liebe einer reinen, guten Frau ihn stützt und emporträgt! Sie versprechen mir aber, nicht wahr, in Zukunft dieser verderblichen Versuchung aus dem Weg zu gehen? Ach, ich fürchte, daß jeder junge Mann ihr irgendeinmal anheimgefallen ist, und ich weiß nicht einmal, ob das nicht im Grund gut ist, denn er muß ja die Gefahr kennen lernen, um sie zu vermeiden. Sie versprechen mir das, mein lieber Peter?«

»Ja,« versetzte der liebe Peter sehr in die Enge getrieben. »Unglücklicherweise hatte ich einen Großvater, der dem Trunk – ich halte es für meine Pflicht, auch das zu sagen – der an Trunksucht gestorben ist.«

Frau Bordelais' Züge drückten tiefes Mitgefühl aus, innerlich aber begann sie etwas verstimmt zu werden über all diese Bekenntnisse und sich zu sagen, daß wirklich ein wunderlicher Fisch an ihrer Leine zapple. Sie beschloß daher, ihn schleunigst aufs Trockene zu schnellen.

»Ich glaube nicht an Vererbung,« erklärte sie. »Wir haben unsern freien Willen, und mit dem Halt, den eine Frau von Magdalenes Gediegenheit ihrem Gatten gibt, bin ich unbesorgt über Ihre Zukunft, um so mehr, als Magdalene Sie liebt, wie ein Mädchen nur einmal im Leben lieben kann. Es erfüllt mein Herz mit Wonne, daß Sie mir Vertrauen schenken und bei mir um sie werben.«

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Peter, »was für eine entsetzliche Lage … welch peinlicher Irrtum … Wie das mir passieren konnte, verstehe ich nicht … ich liebe und achte, das heißt ich achte und verehre Fräulein Magdalene, aber ich liebe … das heißt ich sprach Ihnen von Cäcilie … meine Achtung für …«

Frau Bordelais starrte entgeistert auf den Fang, den sie gemacht hatte, ungefähr wie der Junge, der einen »Prachtkerl« gefangen zu haben glaubt, und – einen alten Stiefel erblickt!

»Cäcilie? Bitte, wer ist das?«

»Cäcilie Bordelais – ach nein, Cäcilie Bonvalot!«

»Höre ich recht? Sie sind heute abend gekommen, nicht um die Hand meiner Tochter, sondern um die meiner Magd …«

»Ihres Patenkinds,« fiel Peter verbessernd ein.

»Meines was?« kreischte die Dame.

»Ihres Patenkinds Cäcilie Bonvalot.«

»Ich, die Patin von Cäcilie Bonvalot, dieses Geschöpfs, das in einer Lumpenhandlung der Soufflotstraße zur Welt gekommen ist!«

»Das in Angers geboren ist,« verbesserte Peter, der verhältnismäßig ruhig war, seit er das Schlimmste hinter sich hatte, abermals. »Im Schloß von … ich habe den Namen vergessen, aber sie stammt aus einer sehr alten Familie!«

»Gott steh uns bei!« rief die Dame mit einem unheimlichen Lachen. »Aus einer sehr alten Familie!«

Dann verstummte sie und vertiefte sich schweigend in Peters Anblick, ja, sie weidete sich förmlich daran. Eine tödlich beleidigte, zornglühende Frau ist ja selten in der Lage, einen solchen Dolch zwischen den Falten ihres Gewands zu bergen, wie Frau Bordelais, sie wollte aber ihre Neugier befriedigen, ehe sie den Streich führte.

»Aber Sie haben ja nicht einmal mit der Person gesprochen,« platzte sie heraus.

»Ich muß Sie bitten, von Fräulein Cäcilie nicht als von einer ›Person‹ zu sprechen,« entgegnete Peter voll Ritterlichkeit. »Ich habe mit ihr gesprochen, Briefe gewechselt und – kurz, ich liebe sie.«

»Sie haben sich in mein Haus eingeschlichen, um eine Liebschaft anzubändeln mit dieser Person?«

»Dieser jungen Dame …«

»Eine nette Dame! Eingeschlichen haben Sie sich, ich wiederhole es, in unser Haus – eine schamlose Frechheit! Und nun unterstehen Sie sich, herzukommen und bei mir zu werben, als ob ich die Mutter dieser Person wäre.«

»Das war durchaus nicht meine Absicht,« entgegnete Herr Alabaster. »Ich habe ihr eine Wohnung gemietet, um ihr Zuflucht zu gewähren vor den – jawohl – vor den Zudringlichkeiten des Herrn Bordelais. Heute erwartete ich Cäcilie dort. Zwei Stunden habe ich in Nummer 10a der Berg-Taborstraße gewartet, aber sie kam nicht. Zwei Koffer waren angekommen, aber Cäcilie nicht. Wo ist sie? Ich fordere Auskunft. Ich bin ihr Verlobter und habe ein Recht, danach zu fragen.«

»Nummer 10a Berg-Taborstraße, sagten Sie?« fragte Frau Bordelais gelassen.

»Ja.«

»Und Sie wünschen zu wissen, wo sich ›Fräulein Cäcilie‹ befindet und weshalb sie nicht gekommen ist?«

»Ja.«

»Sie ist verhaftet worden.«

»Ich … was?«

»Verhaftet. Seit mehreren Wochen hat sie Ladendiebstähle begangen, gestern im Bon Marché. Dort wurde sie beobachtet, man folgte ihr und unser Haus wurde den ganzen Tag polizeilich bewacht. Um vier Uhr ließ sich ›Fräulein Cäcilie‹ eine Droschke kommen, erklärte mir, daß sie des Dienens müde sei, und gab mir wegen unterlassener Kündigung einen Monatslohn zurück. Sie hatte zwei Koffer. Die Polizei ließ es zu, daß beide auf den Wagen geladen wurden, dann verhaftete man die ›junge Dame‹. Die Koffer wurden ins Haus zurückgeschafft und hier geöffnet. Gestohlenes Gut im Wert von etwa zwanzigtausend Franken fand sich. Wie kann ich wissen, ob Sie nicht ihr Helfershelfer sind? Ich meine, das festzustellen ist Sache der Polizei. Einen Augenblick, bitte …«

Sie ging an die Türe und rief: »Herr Polizeiwachtmeister!«

»Gnädige Frau,« antwortete es in tiefem Baß.

»Dieser Herr ist ein Freund der Fräulein Cäcilie Bonvalot,« erklärte Frau Bordelais, als ein martialisch aussehender Polizist mit einer Hakennase, dummen, neugierigen Augen und einem stattlichen, steif gewichsten Schnurrbart unter der Türe erschien.

»Aha!« sagte er, Peter fixierend. »Da haben wir das Männchen von unserm saubern Vogel! Beide in eine Schlinge gegangen.«


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