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Erstes Kapitel.
Herr Peter Alabaster der Jüngere

»Mein lieber Junge,« schrieb Herr Peter Alabaster der Ältere in einem vom 8. März 189. datierten Brief, der den Poststempel ›Stadt Kansas‹ trug, »ich bin hier mit meinen Geschäften fertig und breche morgen nach Mobile auf. Was ich an Pferden hierher gebracht habe, ist verkauft, und außerdem habe ich mit der Pferdebahngesellschaft in Mobile einen Lieferungsvertrag abgeschlossen. Deshalb fahre ich, wie schon gesagt, morgen hin. Ich lege Dir einen Scheck auf zweitausend Dollars bei; hole sie Dir, wenn Du nach Paris kommst, und nimm Dich in acht, daß Du mit dem Kurs nicht beschwindelt wirst und möglichst viel dafür bekommst. Du kannst zu Bogel & Boß gehen, ein elendes kleines Loch am Boulevard Exelmans, aber sichere Leute. Sie sind Juden, das schadet aber nichts, denn im Geschäft gibt's kein Christentum, so wenig als Heilige im Pferdehandel.

Das Geld wird Dir für ein Jahr ausreichen, dann werde ich Dir einen neuen Scheck ausstellen, und sobald Du Deinen Dr. med. gemacht hast, liegt der Weg klar vor Dir. Je mehr ich vom Geschäftsleben sehe, desto mehr freue ich mich, daß Dein Handwerk die Medizin ist. Die Doktorei nährt ihren Mann in der ganzen Welt. Pferde dagegen – ja was wird mit denen in zwanzig Jahren los sein? Ich glaube, daß man sie nur noch ausgestopft in Museen sehen wird, denn alles geht auf Rädern, und im Zeitalter der elektrischen und Dampfstraßenbahnen, Zahnradbahnen und Automobile haben Beine keinen Wert mehr, Lebern aber und Nieren können durch Neuerungen nicht aus der Welt geschafft werden, und wenn auch, so blieben Dir immer noch die Dummen, die nicht alle werden, wenigstens nicht zu meiner oder Deiner Lebenszeit.

Verplempre Dich nur nicht mit Frauenzimmern. Es gibt da Dutzende von kleinen billigen Bürgermädchen, deren Väter und Mütter immer auf dem Anstand liegen nach Amerikanern. Als ich die Roßdoktorei lernte, zwanzig Jahre ehe ich mich auf den Roßhandel verlegte, wohnte ich im Studentenviertel und ein Bekannter pflegte mich zu Teeabenden bei seiner Mutter und seinen Tanten zu schleppen, wo kleine Mädchen frisch aus dem Kloster den ganzen Abend hindurch ›Das Gebet einer Jungfrau‹ und ›Einsam bin ich nicht alleine‹ spielten. Ich hatte aber bald los, worauf sie abzielten, und machte mich aus dem Staub.

Die Jungfrauen und ihre Gebete gehen Dich gar nichts an. Wenn Du fertig bist, so komm heim und heirate eine reinliche Amerikanerin. Dollars sind mehr wert als Franken, und in Paris macht man mit Heiraten kein Geld, keinen roten Heller.

Nun zu den Männern. Nimm Dich vor den sogenannten Künstlern in acht, das ist eine verfluchte Bande. Die verschlemmen Dein Geld, rauben Deine Zeit und schwatzen Dir den Kopf voll mit Unsinn. Ich habe einmal solch einem Künstler einen Überzieher geliehen, und als ich den Mann wieder traf, trug er meinen Überzieher kurz abgeschnitten als Juppe. Das ist jetzt vierzig Jahre her, aber vergessen hab' ich's nie, und so oft ich ein Bild sehe, fällt mir der Lump wieder ein und der Fußtritt, den ich ihm gegeben.

Einen aber kann ich Dir empfehlen, mit dem magst Du Freundschaft schließen. Ich lernte ihn kennen, als ich vor acht Monaten in Paris war – vor Deinem Abgang von der Schule in Yale. Er heißt Frisson und lebt mit einem Freund namens Carabin, einem Erfinder, zusammen. Ich habe Dir, soviel ich mich erinnere, schon von ihm erzählt. Nur eine Stunde war ich mit den beiden zusammen, da ich aber keine Scheuleder trage und nicht blind bin, so magst Du mich bei unserm Wiedersehen einen Narren heißen, wenn sie nicht das beste Paar Franzosen in Paris sind.

Suche sie auf. Ihre Adresse ist Numero – ja das weiß ich nicht mehr, aber sie wohnen in der Rollinstraße, und sage ihnen, daß ich Dein Vater sei. Sie erinnern sich meines Namens gewiß. Frisson ist Mediziner und studiert im Beaujonspital. Carabin spricht Englisch. Soviel ich weiß, ist er auch Mediziner, wenigstens hatte er damals gerade eine Pille oder ein Haarwasser erfunden.

Und nun – Gott sei mit Dir! Halte Dich ordentlich und bleibe auf dem geraden Wege, er ist bequemer als die krummen und man kommt weiter darauf.

P.S. Der Schecke, von dem ich Dir erzählt habe, der mit dem Kopfübel, ist verkauft. Einer von den Halsabschneidern in Vermont hat ihn für hundert Dollars erstanden. Der Gaul ließ schon die Ohren hängen wie ein Kaninchen, aber der Mann merkte nicht das Geringste von dem Schaden. Der hat eben nie Roßdoktorei gelernt in Paris. Das spricht wieder dafür – kein besseres Geschäft in der ganzen Welt als Medizin.«

Während ihn der Nachtzug von Calais in grauer Morgenfrühe am nebelumwallten Chantilly vorbeitrug, las Peter Alabaster der Jüngere diesen scharfsinnigen Brief zum vierten Male.

Er war ein junger Mann von ruhigem Wesen mit bartlosem Gesicht, das eine Brille zierte, und zwar eine in Gold gefaßte Brille.

Man hätte sich einbilden können, durch das Lesen dieses Briefes hätten sich die Gläser beschlagen, denn der junge Mann nahm die Brille ab, rieb sie mit seinem seidenen Taschentuch klar und setzte sie wieder auf. Dann starrte er, den Ellbogen auf den Fensterrahmen und sein Kinn in die Hand gestützt, hinaus in den Morgennebel, der sich wie ein westlich ziehendes Hexenregiment von den Feldern und Pappeln löste.

Er dachte dabei an den alten Peter Alabaster und seine Rosse, zollte den Roßtäuschern von Mobile einiges Mitleid, dachte an Yale, seine Klassenzimmer, Vorträge und Fußballspiele und an die kleinen billigen Bürgermädchen von Paris. Dann erwachte die Melodie des »Gebets einer Jungfrau«, die zwanzig Jahre in einem Winkel seines Gehirns geschlafen hatte, wieder zum Leben; sie mischte sich mit dem gleichmäßigen Rhythmus der Wagenräder, bis er fest eingeschlafen und wieder ein kleiner Junge in Ogden war. Dort blieb er, bis der Zug in den Nordbahnhof einfuhr und er sich, erwachend, in Paris befand.


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