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Zehntes Kapitel.
Rosa oder Gelb

Halten wir eine Weile Rast und besehen wir uns Karl Frissons Tante, seinen angeheirateten Onkel und die vier Dienstboten in beider Haushalt.

Ein hervorragend uninteressanter Haushalt wäre es ohne den vierten Dienstboten, die kleine Cäcilie Bonvalot, von der wir alsbald mehr zu sagen haben werden.

Frisson war ein Mensch, der die Welt weder im Sonnen- noch im Mondlicht sah. Sein Gehirn enthielt vielmehr eine mächtige Lampe, die alles beleuchtete, was ihm in den Weg kam. Unglücklicherweise hatte diese Lampe zwei verschiedene Gläser, das eine rosenfarben, das andere gelb. Auf alles, was ihm zusagte, fielen die rosenfarbigen Strahlen, auf alles, was ihm zuwiderlief, die gelben, und wir haben bis jetzt seine Tante, Frau Bordelais, nur in Frissons gelben Strahlen gesehen. Betrachten wir sie bei Tageslicht, so wirft sie ihrerseits ein verblüffendes Licht auf Frissons Seele. Frau Bordelais war nämlich unter den Tanten noch lange nicht die schlimmste. Sie war sorglich, ein bißchen streberisch und hatte ihr Herz daran gehängt, den Neffen als Landarzt mit anständiger Praxis, Pferd und Kutsche in einem eigenen, mit Klematis umrankten Häuschen zu sehen. Was das Geld betraf, das sie für ihn zu verwalten hatte, so hielt sie es fest, damit es nicht vergeudet werde oder gar in Carabins Taschen gleite. Carabin war ihr nämlich ein Greuel, und dieses Gefühl kann ihr ebensogut als Tugend wie als Laster angerechnet werden.

Aus dieser harmlosen Dame nun hatte sich Frisson einen Drachen zurecht gemacht.

Herr Bordelais war genau das, wozu ihn die Natur gemacht hatte, nämlich ein Prachtexemplar von einem Bourgeois. Er erfreute sich einer untersetzten Behäbigkeit und ließ jeden Anspruch auf Charaktereigenschaften vermissen, die samt und sonders die Frau gepachtet hatte. Manon, das Hausmädchen, war nicht hübsch, aber auch kein Scheusal, die Köchin und die Kinderfrau waren sogar ganz leidlich anzusehen.

Dieser Art waren, flüchtig skizziert, die Bewohner von Numero 18. Hätte man sie mit den rosenfarbenen Strahlen beleuchtet, wären es Huris gewesen, die weiblichen nämlich, im gelben Licht dagegen waren sie Ungeheuer.

Nur eine Gestalt in diesem Hause war mit rosigem Schein übergossen – Cäcilie Bonvalot. Cäcilie Bonvalot in Frau Bordelais' Teekleid, das sie rasch übergeworfen hatte, als Peter Alabaster am Haus hinaufgeblickt und sie ihm vom Schlafzimmerfenster zugelächelt hatte. Für Frisson war Cäcilie ein Engel, dem nur die Flügel fehlten, aber wir trösten uns über den Mangel von Flügeln, wenn unser Engel durchbrochene Strümpfe trägt. Cäcilies durchbrochene Strümpfe kamen ihm zuerst in den Sinn, als er an dem Morgen nach der Nacht, wo er Peter Alabaster glücklich zu Bett gebracht hatte, so fröhlichen Sinns erwachte. Nichts natürlicher, als daß ein junges Mädchen mit den Füßen voraus in eines jungen Mannes Gemüt eindringt, besonders wenn sie hübsche Füße hat.

Carabin war mit einem Freund frühstücken gegangen, da sich im eigenen Heim wenig Aussicht auf ein nahrhaftes Frühstück bot, und so konnte Frisson ganz ungestört zur Erbauung von Herrn Prud'homme laute Lobgesänge auf Cäcilies Reize anstimmen, konnte ihren Namen hundertmal auf seine Schreibunterlage kritzeln und wieder durchstreichen.

Diese Schreibunterlage war das Asyl seiner Gedankensplitter. Was ihm durch den Sinn ging, gewann hier in Bild, Vers oder Prosa Gestalt. Hier hatte seine Tante schon einmal an einem kleinen Galgen gehangen mit der Aufschrift »Kalter Hackbraten«, hier waren tausend und eine Aufführungen des Bourgeois und die Tantiemen, die sie eintrugen, mit hoffnungsloser Arithmetik ausgerechnet worden oder vielmehr mit sehr hoffnungsvoller, denn hundert und hundert Franken zu tausend addiert weniger hundertfünfzig Franken für Carabins Pelzrock, fünfzig Franken für eine Angorakatze, ein Diner in der »Kleinen Ananas«, eine blaue Halsbinde, blieben immer noch über zweitausend Franken.

Hier hätten Ju-Ju und Lu-Lu und Lolotte und Jenny Fancy und andre Sterne des Stadtviertels ihre Namen gleich Edelsteinen in Verse gefaßt finden können. Es waren wunderliche kleine Verse darunter, die ihren eigenen Duft und ihr eigenes Pathos hatten, Verse, auf die Carabin lauerte und die er herauskratzte, wie eine Katze Blumen herauskratzt.

Carabin konnte nämlich Verse nicht leiden.

»Mit Versen ist kein Geld zu machen,« sagte er. »Wenn du dich in diesen verdammten Unsinn verrennst, kannst du Hungers sterben! Nebenbei kannst du auch nicht einmal Verse machen! Sieh dir mal das Zeug an, das hier steht –

»Auf einem Fenstersims an meinem Weg
Wuchs eine Tulpe groß im Einmachglas.
Der roten Tulpe wurde Trank und Pfleg'
Von einem Arm in Blau, der ihrer nie vergaß.
Da kam ein Tag, sie zog die Blätter kraus,
Am nächsten senkt' verdorrt die Blume rot
Ihr Haupt und starb – und in dem kleinen Haus
Lag Unschuld oder lag ein Mädchen tot.«

»Tulpen wachsen doch nicht in Einmachgläsern. Ich sage dir das zu deinem eigenen Besten, mein guter Karl. Sei so freundlich und lies die Korrekturen des ›Ratgebers für junge Männer, die eine Frau suchen‹. Dafür bekommen wir fünfzig Franken, und die sind mir lieber, als eine rote Tulpe!«

Heute kritzelte Frisson den Namen Cäcilie auf diese Schreibunterlage, strich ihn durch, schrieb ihn wieder und kratzte ihn heraus und eh' das glückliche Lächeln ganz verflogen war, das dieser Name auf seine Lippen zauberte, besann er sich auf die betrübliche Tatsache, daß sich sein bestes Paar Hosen in den Klauen des Hausmeisters befand.

Und Cäcilie hatte doch gesagt: »Kommen Sie morgen!«

Er sprang auf und setzte sich dann wieder, um den schwierigen Fall zu erwägen. Anderthalb Franken waren sein ganzer Kassenbestand und unter sechs gab der Hausmeister die Hosen nicht zurück.

»Das Jammern hilft gar nichts,« sagte er sich nach kurzer Überlegung, »man kann seine Hose nicht gleichzeitig aufessen und anziehen. Ohne die fünf Franken, die uns der Mensch darauf geliehen hat, wären wir verhungert … überlegen wir, was zu tun ist.«

Er überlegte, ob er in drei Stunden angestrengtester Arbeit nicht mit der Korrektur des »Ratgebers für junge Männer, die eine Frau suchen,« fertig werden, damit zum Verleger, der am Boulevard Michel eine Spelunke von Laden inne hatte, stürzen, sein Geld einheimsen, die Hose auslösen, sich umkleiden und bis vier Uhr in Passy sein könnte?

Aber nein, es war unmöglich, einfach unmöglich. Die nötigsten Korrekturen in diesen elenden Fahnen, die der billigste Drucker in ganz Paris mit cynischer Unpünktlichkeit hergestellt hatte, als ob er seine Verachtung für den Inhalt damit hätte kundtun wollen, kosteten mindestens drei Tage Arbeit. Sollte er zu Peter eilen und ihn anpumpen? Zu treffen war er sicher, denn nach der Orgie der vorigen Nacht mußte er mit einem Brummschädel im Bett liegen – aber nein, Peter anzupumpen, das war ihm entschieden zuwider.

»Ach, mein lieber Herr Prud'homme!« rief er mit einem Male, die Hände in die Hosentaschen steckend und sich an diesen nicht sehr vertrauenerweckenden Kunden wendend, der in tiefer Verstimmung auf seiner Stange saß. »Das ist eine verteufelte Sorte von Welt, in der wir leben. Da kommt der Frühling, schüttet all seine Riechfläschchen über Paris aus, der Bourgeois blüht auf in weißen Westen, die Bäume auf den Champs Elysées werden grün, und die in Passy noch grüner, die Liebe liegt in der Luft, das holdseligste Mädchen der ganzen Welt erwartet mich und ich muß ihr in dieser Hose gegenübertreten! Sieh sie dir nur an! Der Saum ausgefranst, die Kniee ausgebaucht! – Sind sie grün oder sind sie blau oder bin ich farbenblind? Mein Gott, wie soll man ein Paar Hosen, wie diese, überwinden, wenn sie sich in ein Mädchenherz geschlichen haben? Die Liebe mag weinen oder zanken oder schmollen, das schadet nichts, aber wenn sie lachen muß, dann ist's um uns geschehen. – Herein!«

»Mein lieber Frisson!« begann Lacenaire, sachte durch die Tür schlüpfend, »ich wollte dich bitten, mir nur auf ein paar Stunden dein bestes Paar Hosen zu borgen …«

»O gewiß,« erwiderte Frisson mit bitterem Lachen. »Nimm sie nur, mir macht's Freude. Du kannst drei oder vier Paar haben und eine Weste obendrein. Such dir eine von meinen geblümten seidenen Westen aus, vielleicht die mit den gelben Primeln und den Alt-Meißener Porzellanknöpfen, auch einen Hut – du kannst meinen Klapphut nehmen – meinen Spazierstock und meine Tabaksdose. Nein, verrückt bin ich nicht, aber wütend. Meinst du, ich könne Hosen pflanzen, wie Papa Grognard in seinem Keller Pilze züchtet? Ich besitze ein einziges gutes Paar und das ist in den Händen des Hausmeisters, wie du wissen solltest, da du dich wohl erinnern wirst, was vorgestern abend geschah.«

»Ach, richtig!« gab Lacenaire seufzend zu. »Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht. Da muß ich eben in meinen eigenen hingehen.«

»Außerdem würde ich sie selbst anziehen, wenn ich sie hätte. Ich will eben zum Hausmeister und einen verzweifelten Versuch machen. Du kannst den Erfolg abwarten.«

Lacenaire drehte sich aus einem Restchen Tabak eine etwas schwindsüchtig aussehende Zigarette, und während er sie rauchte, fiel sein Blick von ungefähr auf Frissons Schreibunterlage und den unvollständig ausgekratzten Namen: »Cäcilie!«

»Aha!« brummte er. »Ich merke etwas – Frisson und Alabaster müssen die Herren gewesen sein, die sie gestern durch den Garten hinausließ, als ich geklingelt hatte. Sie sagte, der Pfarrer sei dagewesen! Kurios! Beide möchten wir das nämliche Paar Hosen haben, um das nämliche Mädchen zu besuchen!«

Der philosophische Lacenaire fuhr fort zu rauchen und zu denken, bis von der Treppe her höchst erregte Stimmen vernehmlich wurden und er auf den Flur trat, um zu lauschen.

»Nicht für hundert Papageien,« schrie der Hausmeister, »und besonders nicht für den Ihrigen. Das Zeug, was das Vieh redet, bringt das ganze Haus in Verruf …«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,« entgegnete Frisson, »daß er dreißig Franken wert ist, und dann handelt sich's ja auch nur um zwei Stunden und morgen bringe ich Ihnen ein paar sehr drollige Bilder von Port Said. Mein Verleger gibt sie unentgeltlich her als Reklame …«

»Nun, so bringen Sie ihn in Gottes Namen herunter,« sagte der Hausmeister, »vergessen Sie aber die Bilder nicht.«

Zwei Stufen auf einmal nehmend, kam Frisson die Treppe heraufgestürmt, ergriff Herrn Prud'homme samt seiner Behausung und trug ihn im Triumph davon, wobei der Papagei gellende Schreie ausstieß und auf Deutsch, Holländisch und Spanisch fluchte, denn er hatte offenbar den Eindruck, daß sein letztes Stündlein geschlagen habe und daß sein Herr die oft geäußerte Drohung, ihn zu braten, nun ausführen werde.

»Du gehst also aus?« fragte Lacenaire, als der zurückgekehrte Frisson das wieder eroberte Kleidungsstück anlegte.

»Ja, ich muß meine Tante besuchen.«

Lacenaire brummte etwas vor sich hin.

»Du willst Geld von deiner Tante?«

»Ja, nur aus dem Grund gehe ich hin.«

»Dann würde ich diese Hose lieber nicht anziehen!«

»Warum denn nicht?«

»Weil du zu anständig aussiehst darin. Sie würde ihre Börse eher auftun, wenn du einen abgebrannten Eindruck machtest.«

»Findest du wirklich, daß ich so anständig aussehe?« fragte Frisson seelenvergnügt.

»Hervorragend … allerdings, dein Rock und dein Hut – Donnerwetter, sieht der aus. Nun, um eine Tante zu besuchen, ist er immerhin gut genug.«

Lacenaire in etwas wehmütiger Stimmung zurücklassend, machte sich Frisson auf den Weg, nicht ohne im Vorübergehen Herrn Prud'homme, der als Liebespfand in des Hausmeisters Klauen blieb, ein aufmunterndes Wort zuzurufen. Das Wetter war herrlich, und Frisson vergaß augenblicklich die Altertümlichkeit von Rock und Hut, ja sogar das Hochgefühl, womit ihn die Hose erfüllt hatte. Während er gestern in der stillen, blumendurchdufteten Straße von Passy nur Knoblauch gerochen hatte, spürte er heute in den mannigfaltigen Ausdünstungen der Rollinstraße Veilchenduft.

Auf dem Boulevard Michel ging's drunter und drüber. Studenten mit Halsbinden, deren Enden frei im Wind flatterten, Studenten mit lang herabhängenden Haaren und großen Schlapphüten standen in Gruppen umher. Die Juden waren wieder einmal auf dem Tapet. Vor ein paar Tagen war einer gekreuzigt worden, nicht am Kreuz zwar, aber auch nicht minder grausamer Weise, und das versetzte das Boulevard Michel in Aufruhr – gegen die Kreuziger? Nein, gegen den Gekreuzigten.

Eine lärmende Schar junger Leute zog mit dem Feldgeschrei: »Tod den Juden!« das Boulevard entlang. Aus der entgegengesetzten Richtung sah Frisson Schutzleute anrücken und er wartete den Zusammenstoß nicht ab, sondern bog in eine Seitenstraße ein. Für seine Person war er ja nicht besorgt, aber für seine Hose. Im Omnibus hielt ein Herr antisemitische Reden.

»Ich für mein Teil,« sagte Frisson, dessen Herz heute in Liebe für die ganze Menschheit, das Volk Israel mit eingeschlossen, erglühte, »sehe gar nicht ein, was man gegen diese armen Juden hat. Sie sind sogar ein großes Volk, denn ich frage Sie, mein Herr, welche andre Nation hat einen Moses hervorgebracht und nach dreitausend Jahren eine solche Trumpfkarte ausgespielt wie das Haus Rothschild? Auf der Anatomie habe ich einmal einen Juden seziert und zu meiner Überraschung ein Herz vorgefunden. Ich hatte einen Geldbeutel erwartet, aber man erfährt ja manches Neue, wenn man älter wird …«

»Mein Herr,« versetzte der Unbekannte, »meine Bemerkungen waren an meinen Freund gerichtet.«

Die übrigen Insassen des Wagens verfielen in düsteres Schweigen, offenbar überzeugt, daß Frisson mit seinem dunkeln Haar, der gelblichen Haut und den geäußerten Ansichten selbst ein Jude sein müsse. An der Turmstraße stieg er aus und wanderte dann, den Karneval von Venedig pfeifend, seines Wegs, Juden, Christen und die ganze Welt vergessend im Gedanken an Cäcilie. Mit einem Male aber machte er halt, denn keine drei Schritte vor ihm stand – ein Traumgesicht: Ein Kindermädchen, das einen Wagen mit einem sehr fetten Kind und einem Kautschukhund darin schob, und das Kindermädchen war – Cäcilie Bonvalot.

»Ach, Herr Karl!« flüsterte Cäcilie, ihr Fuhrwerk anhaltend und keineswegs betroffen, daß man sie bei so untergeordneter Tätigkeit ertappte. »Wie merkwürdig, daß wir uns hier treffen! Gerade vorhin dachte ich an den gestrigen Nachmittag …«

Sie blickte an Frisson hinauf, der nun ihr Gesicht zum ersten Male im hellen Sonnenschein sah. Es war ein Gesicht, das dieser Probe gewachsen war, denn Jugendfrische und Unschuld haben den Tag nicht zu scheuen. Das Kind fing, durch den Stillstand beunruhigt, zu brüllen an und Cäcilie beugte sich zu ihm hinunter, rückte die Wagendecke zurecht, ließ den Kautschukhund zu seinem Trost quieksen, und das alles geschah so unbefangen, die reizenden Linien ihrer Gestalt kamen durch die Bewegung so ungesucht zu schönster Wirkung, daß Frisson das Teekleid und die durchbrochenen Strümpfe der feinen Dame von gestern gar nicht vermißte, obwohl er sich den Kopf darüber zerbrach, wie sie sich über Nacht in dieses Aschenbrödel verwandelt haben könne.

»Sie sehen, Herr Karl,« sagte Cäcilie, indem sie sich aufrichtete und den Wagen umdrehte, um sich ihm anzuschließen, »wenn man nicht reich ist, muß man froh sein, Arbeit zu finden. Das habe ich erst vor acht Tagen zu Ihrer lieben Tante gesagt. Sie schlug mir vor, Nachhilfestunden bei Kindern zu suchen oder in den Morgenstunden in einem Geschäft Briefe zu schreiben, aber mir sind Sonnenschein und frische Luft lieber als Bücher und, unter uns gesagt, vor Geschäftsleuten graute mir. Es mag daher kommen, daß meine ganze Familie nie etwas mit dem Handelsstand zu tun hatte. Der verehrte Herr Bordelais ist gewiß ein vortrefflicher Mann, aber wenn ich ihn lachen höre oder sehe, wie er bei Tisch Messer und Gabel handhabt, bekomme ich immer eine Gänsehaut. Darum habe ich mich entschlossen, meine Selbständigkeit durch die Pflege des kleinen Montmorency zu gewinnen. Ist er nicht ein süßes Kind?«

»Fräulein Cäcilie,« versetzte Frisson, dem kleinen Jungen, der ihn seiner Meinung nach mit dem Stumpfsinn des echten Bourgeoissprößlings anstarrte, einen empörten Blick zuwerfend, »wenn ich meine Tante nicht kennte, hätte ich ihr das nicht zugetraut – Sie Ihr Brot verdienen lassen! Mein Gott, in was für einer Welt leben wir nicht! Demnächst wird man die Lilien und die Rosen zur Arbeit zwingen.«

»Wie reizend Sie sich ausdrücken,« flötete Cäcilie mit einem leisen Seufzer. »Wie herrlich es sein muß, wenn man so gescheit ist wie Sie und dabei ein Mann – es gibt ja auch viele Männer, die gar nicht gescheit sind. Ist Ihr Freund von gestern auch so klug, Herr Karl?«

»Peter Alabaster? Ganz außerordentlich. Das heißt, ich meine natürlich auf seine Weise, die wieder eine andre ist.«

»Und ist er reich?«

»Ungeheuer,« erwiderte der arglose Frisson, der das Gefühl hatte, daß eines Reichen Freund zu sein, eine gewisse Vornehmheit verleihe.

»Er ist ein Amerikaner?« sagte Cäcilie, die Wagendecke zurechtziehend, unter der die Ecke eines Buchs zum Vorschein gekommen war.

»Jawohl, ein Amerikaner,« sagte Frisson, der Peter Alabaster als Gesprächsgegenstand ermüdend fand. »Aber woher wissen Sie das, Fräulein Cäcilie?«

»O, ich habe von Herrn Lacenaire etwas Derartiges gehört,« erwiderte sie geistesabwesend.

»Von Lacenaire? Sie kennen Lacenaire?« rief Frisson.

»Er hat vor einigen Tagen Frau Bordelais besucht,« versetzte Cäcilie, die mit einem Male sehr rot geworden war.

»Natürlich! Ich hatte ihn ja zu meiner Tante geschickt, um eine Geldangelegenheit zu besprechen … es handelt sich um einen Hausanteil … Er blieb beinah den ganzen Tag bei ihr und kam heim – mit einer Rose im Knopfloch! Wer ihm die gegeben hatte, das wollte er nicht sagen.«

»Herr Karl,« sagte Cäcilie, samt dem Kinderwagen stillstehend, »wollen Sie mir versprechen, Herrn Lacenaires Namen bei der lieben Frau Bordelais nie mehr zu erwähnen?«

»Ich verspreche Ihnen alles,« versetzte Frisson, seine Hand auf die mit feinen Zwirnhandschuhen bekleideten Händchen an dem Wagengriff legend.

»Ich kann Ihnen sagen, wer Herrn Lacenaire jene Rose gegeben …«

»Ja, und?«

»Es war … ach, Herr Karl, die Welt, in der wir leben, ist wirklich seltsam! … wie Sie vermutet hatten, Frau Bordelais.«

»Meine Tante!!!«

»Ja, Ihre Tante.«

»Du liebe Zeit, ich habe ja nur einen Witz machen wollen! Daran hatte ich wirklich nie gedacht … sie könnte ja seine Mutter sein …«

Cäcilie seufzte.

»Und sie ist auch gar nicht die Art von Frau … ich wenigstens würde ihr nie zugetraut haben, daß sie jungen Herren Rosen schenkt …«

»Ach, wenn's nur die Rose gewesen wäre!«

»Was? Sie wollen doch nicht sagen …«

»Nichts, nichts! Ich hätte lieber schweigen sollen!«

»Nein, Cäcilie – ich darf Sie doch Cäcilie nennen? – jetzt müssen Sie mir mehr sagen von der Elenden … es ist immer von Wert, seine Tante zu kennen. Mein Gott! Ich ahne schon, was Sie mir zu sagen haben. Sie haben gesehen, wie die beiden sich küßten?«

»Nein, nein, das habe ich nicht gesehen, aber … mein Gott, wie soll ich nur sagen? Ich hörte sie …«

»Sie hörten! Also geschah es hinter verschlossener Türe. Das ist noch viel schlimmer. Aber sagen Sie mir … Sie haben noch mehr gehört?«

»Ja, Herr Karl, ich habe gehorcht, ich konnte der Versuchung nicht widerstehen … ich hörte sie flüstern …«

»Was?«

»Liebesworte, Kosenamen.«

»Donnerwetter!« flüsterte Frisson, dem vor Lacenaires Verkommenheit graute. »Ihr hätte ich ja alles zugetraut, aber ihm – ohne Zweifel ein verderblicher Einfluß der Astronomie, darum aber nicht minder greulich!«

Er starrte das Kind an, das unbekümmert um die Verleumdung seiner Mutter mit dem Kautschukhund spielte, dann brach er in ein Gelächter aus.

»Das ist der Frühling! Sie knospt wie ein alter Baum! Eine tolle Geschichte! Zum Totlachen! Papa Bordelais' Gesicht, wenn er die Turteltauben sehen könnte!«

»Turteltauben! O bitte, sprechen Sie nicht von Turteltauben,« bat Cäcilie, den Wagen wieder in Bewegung setzend, »das erinnert mich ans Land, an die Heimat …«

»Cäcilie,« begann Frisson, unter dem Vorwand, schieben zu helfen, seine Hand auf die ihrige legend, »möchten Sie ein kleines Landhaus haben, eine Altane mit Klematis bewachsen, ringsum einen Blumengarten …«

»O bitte, bitte, nicht von Blumen sprechen!«

»Sie sind selbst eine Blume, Cäcilie, eine Blume, die man in die Wildnis von Paris gestoßen hat … ach, mein Gott, Cäcilie, hassen Sie mich, weil ich so zu sprechen wage?«

»Ich Sie hassen? Nein, Herr Karl, ich hasse Sie nicht!«

»Cäcilie, seit gestern habe ich nicht schlafen, nicht essen können … ich habe einen Blick ins Paradies getan, ich habe Sie gesehen. Ich liebe Sie und ich muß es Ihnen sagen! Ich bin nicht so fischblütig wie manche Leute, ich muß sprechen oder daran sterben. Ich liebe Sie, Cäcilie, sagen Sie mir wenigstens, daß Sie mich nicht hassen!«

»Ich hasse Sie nicht,« wiederholte Cäcilie leise wie ein Hauch.

»Dann lieben Sie mich also?« rief der ungestüme Liebhaber, obwohl diese Folgerung nicht eben logisch war.

»O, Herr Karl!«

»Nennen Sie mich Karl!«

»Karl …«

»Wie glücklich bin ich! Mein Name auf Ihren Lippen … o Cäcilie …«

Er ergriff ihre beiden Hände. Sie aber versicherte sich durch einen raschen Blick, daß die Straße leer war, reckte sich ein wenig und bot ihm die kirschroten Lippen.


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