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Dreizehntes Kapitel.
Die Unzertrennlichen

Eine Stunde oder vielleicht zwei Stunden später lustwandelte Carabin auf dem Boulevard Saint Michel. Die Straße strahlte im Lichterglanz, die Caféhäuser waren innen und außen überfüllt und das gelbe Licht der Gaslaternen beschien ein kaleidoskopisches Gewimmel von Studenten, Frauenzimmern, Künstlern, Poeten, Zeitungsschreibern, Bummlern und Trunkenbolden. In nächster Nähe rasselte eine Straßenorgel einen kriegerischen Marsch, aus einiger Entfernung drang die schrille Stimme eines italienischen Jungen, der mit Harfenbegleitung sang, der Wind, der vom Boulevard Montparnasse herunterstrich, brachte Knoblauch- und Veilchendüfte, und die wolkenlose Nacht spannte ihr Sternenbanner über das bunte Treiben.

Carabin ging in wollenen Hausschuhen einher und hob die Füße mit der Genauigkeit und Gleichmäßigkeit, die Elefantenfußstapfen kennzeichnen. Diese Gangart hatte zwei Ursachen: erstens ziemte sie dem Philosophen, und zweitens waren ihm die Schuhe zu groß, so daß sie bei jedem Schritt durch Adhäsion angezogen werden mußten. Aus seiner hintern Rocktasche starrte die gestrige Nummer des »Intransigeant« in die Luft, und er betrachtete sich, vor dem Café Pradon auf und ab pendelnd, die wogende Menge mit der philosophischen Ruhe eines Menschen, der gut gegessen hat und gut verdaut.

Trotzdem war die Verdauung nicht der Zweck von Carabins Spaziergang. Er hatte allerdings vor einer Stunde gespeist, und zwar vermittels eines Gewaltstreichs. Ein schwermütiger bayerischer Student war ihm in die Hände gelaufen und er hatte, den schwachen Punkt des düstern jungen Mannes kennend, über Richard Wagner zu schimpfen angefangen. In der leidenschaftlichen Erörterung, die daraus hervorging, hatte Carabin den Bayern am Arm gefaßt, ihn ins Café Pradon hinein und an einen Tisch geschwatzt, ihn durch die zahllosen Gerichte eines Essens zu zweieinhalb Franken hindurchgeschwatzt. Bei der Zwischenspeise war Carabin halb und halb bekehrt, beim Nachtisch ein Wagnerschwärmer geworden, und so hatte der Bayer freudig die Zeche bezahlt und sogar noch Zigarren gespendet. Mit dem hohen Bewußtsein, eine Seele gewonnen zu haben, war der junge Mann, die Ouvertüre zum Tannhäuser summend, seines Wegs gegangen.

Nun lauerte Carabin andern Freunden auf, die im Besitz von Geld und Schwächen waren. Er sah ihrer einige, aber sie gingen mit Mädchen; an diesem warmen Maiabend hatte ja jeder Student, jeder Maler, jeder Poet ein Mädchen am Arm hängen. Carabin fluchte innerlich dem andern Geschlecht, während er seinen Wandel vor dem Café Pradon fortsetzte und es abwartete, ob ihm die Vorsehung etwas zu trinken schaffen werde oder nicht.

Er war, wie schon angedeutet wurde, selbst kein Verehrer des schönen Geschlechts, ja Carabin betrachtete die Weiber mit stumpfem Widerwillen als nutzlose Geschöpfe, die nur viel Nahrung verzehrten und das Geld seiner Freunde verschlangen. Die Damen der Nachbarschaft erwiderten seine feindseligen Gesinnungen, und er hieß unter ihnen »das fette alte Biest«. Heute abend hatte Hans noch besondern Grund zum Groll gegen das Weib. Auf Frissons Schreibunterlage stand halb ausgestrichen der Name Cäcilie. Mädchennamen auf Frissons Schreibunterlage waren nichts Ungewöhnliches, aber warum war dieser halb ausgestrichen worden? Auch andre Anzeichen deuteten darauf hin, daß es sich um eine Herzenssache handle, und die Herzenssachen seines Teilhabers bildeten in Carabins Dasein das Schreckgespenst. Er lebte in steter Angst, daß ein weibliches Wesen sich Frissons bemächtigen, ihn heiraten und ihn für sich arbeiten lassen könnte. Er war nach und nach dahin gelangt, in Frisson die Stütze seines Alters zu erblicken, und es war bitter zu denken, was geschehen könnte, wenn die verdammte Liebesnarrheit seinen Sklaven ergreifen würde.

Bis jetzt war Frisson wenigstens eine Niete in der Lotterie des Heiratsmarktes, aber wenn zum Beispiel der »Bourgeois« Erfolg haben sollte, würde sich die Lage der Dinge sehr verändern. Dann würden sie aus den Pflastersteinen wachsen, diese Frauen, sie würden vom Himmel fallen, um Frisson zu umgarnen. Unter diesen düstern Betrachtungen sah er plötzlich einen brauchbaren Gegenstand herannahen – es war de Joy, der Absinthtrinker, von dem Peter durch Frisson gehört hatte, der Mann, der immer davonlaufen wollte. Erheiternd war sein Anblick eben nicht; kaum zweiundzwanzig Jahre alt, sah de Joy aus wie ein Mann in mittleren Jahren, der viel Not und Elend durchgemacht hat. Er schien sehr aufgeregt zu sein und lachte krankhaft, während er Carabins Hand schüttelte.

»Mich verlangt sehr nach einem Freund,« sagte er, »denn ich lechze nach einem Trunk.«

»Donnerwetter!« sagte Carabin. »Das trifft sich schlecht, denn ich bin im selben Fall.«

»Geld habe ich wohl,« versetzte de Joy ordentlich verschämt, »aber Geld nützt mich nichts.«

»Du liebe Zeit! Geld nützt nichts?«

»Ich bin wie Tantalus … oder war's Ikthion, das heißt Ixion?«

»Was soll das heißen?«

»Ja, sehen Sie, Geld habe ich, auf dem Boul' Miche ist ein Café am andern, in jedem Café gibt's Absinth die Menge, aber ich komme nicht in eins von den Cafés hinein …«

»Ja, weshalb denn nicht, ums Himmels willen?«

»Die Gichter und das Leräusch – Himmel, ich meine den Gärm, nein, das ist's auch nicht … die Lichter und das Geräusch, ja so heißt's! Dem kann ich mich nicht aussetzen, mein teurer Frisson, wenn nicht ein Freund mich am Arm führt.«

»Ich will Sie mit Vergnügen am Arm führen, nur bin ich nicht Frisson, sondern Carabin.«

»Das weiß ich, weiß ich … ich verwechsle nur die Namen.«

»Also gehen wir hinein …«

»Warten Sie noch einen Augenblick!«

»Wozu denn warten?«

»Ich möchte das Gefühl länger genießen.«

»Was für ein Gefühl?«

»Das Gefühl, Durst zu haben und zugleich die Gewißheit, zu einem Trunk zu gelangen, nun Sie bei mir sind.«

»Mein Gott! Wie drollig!«

»Nicht wahr? Man muß lachen. Ich lache oft stundenlang.«

»Worüber?«

»Über mich selbst. Ich bin solch eine seltsame Zusammensetzung …«

»Keineswegs, Sie sind ganz normal, Sie brauchen nur etwas Alkohol, um sich wieder aufzurappeln.«

»Ach! Sie kennen mich nicht, mein lieber Farabin! Ich bin zu sechs oder sieben, falls ich nicht zu dreien oder zweien bin. Gerade vorhin zum Beispiel gingen drei von mir an meiner Seite! Ich weiß ja, daß es nur eine Selbsttäuschung ist, aber drollig ist's nichtsdestoweniger. Heute nacht lagen so viele von mir in meinem Bett, daß sie nicht mehr Platz hatten, da habe ich den Hausmeister gerufen und es gab großen Lärm. Man hat mir die Wohnung gekündigt, weil ›wir‹ zu geräuschvoll seien – lauter Wahnvorstellungen, ich weiß es. Ich war auch bei Guiot, dem Nervenmann vom Spital. Er sagte mir, ein Fall wie der meinige sei ihm bis jetzt nur einmal vorgekommen; Nikotin und Absinth hätten mich dahin gebracht. Als ich ihn aber fragte, ob ich das Rauchen und Trinken aufgeben solle, sagte er: ›Nein,‹ ich sei schon zu weit vorgeschritten. Nett von dem Mann, nicht? Er sagte, meine Gehirnteile korrespondierten nicht mehr miteinander, und gab mir den Rat, nach Hause zu gehen zu meinen Freunden. Ich sagte, das werde ich tun, ging und speiste mit van Raalte. Wollen wir jetzt hineingehen? Was für ein Café ist es denn? Aha, Pafé Cradon – Crafé Padon – hol's der Teufel! – C – C – Café Pradon?«

»Sie sind doch ganz sicher, daß Sie Geld bei sich haben?« fragte der vorsichtige Carabin.

»Eine Masse! Hier ist ein Fünffrankenstück. Nehmen Sie's und bezahlen Sie für mich.«

de Joy hing sich an den Arm seines Begleiters und sie traten ein. Seinem Gang nach zu urteilen mußten nicht nur die Gehirnteile den Zusammenhang verloren haben, sondern auch die Gehwerkzeuge den Gehorsam versagen.

»Das nenne ich Gemütlichkeit,« bemerkte de Joy, als sie ein freies Tischchen für zwei Personen ausfindig gemacht hatten. »Der Tabakqualm ist so dicht, daß man gar nicht gesehen wird. Sagen Sie dem Kellner, daß er mir einen Absinth bringen soll mit sehr wenig Gummisirup – de Joy-Mischung sagen Sie nur, dann weiß der alte Pradon schon, was gemeint ist.«

Er nippte an seinem Absinth und nach dem ersten Schluck war's, als ob der Frühling ihn mit seiner »Zaubergerte« berührt hätte. Seine Augen wurden hell, die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück und seine Stimme, die kurz vorher geklungen hatte wie durch eine Nebelschicht dringendes Gekrächz einer alten Dirne, wurde jugendlicher, klangvoller.

»Jetzt sind Sie schon wohler,« sagte Carabin, sein Bier schlürfend.

»Mir ist, als ob ich dem Himmel – will sagen der Hölle entronnen wäre! Sehen Sie, wenn ich essen könnte, wäre mir überhaupt wohler, aber das ist auch eins von meinen Leiden. Ich gehe spazieren, gehe immerzu, aber essen kann ich nicht, nichts reizt mich. Dann gehe ich heim, lege mich ins Bett und wache mitten in der Nacht mit einem Heißhunger auf, aber nicht etwa mit einem Gelüste nach Alltäglichem. Heute nacht zum Beispiel würde ich mein Seelenheil verkauft haben um einen gebratenen Pfau mit Kastanien gefüllt; wenn ein guter Geist mir den Pfau gebracht hätte, ich würde ihn mitsamt den Knochen verschlungen haben! Aber solche Dinge bekommt man eben mitten in der Nacht nicht. Die Nacht zuvor befiel mich ein Gelüste nach einem jungen Hähnchen mit Austernfülle. Ich habe sogar den Hausmeister herausgeklopft deshalb, der mich dann anwetterte, als ob ich sein Eheweib begehrt hätte.«

»Aber, lieber Emil, warum schaffen Sie sich denn nicht Lebensmittel ins Haus für die Nacht, eine Gänseleberpastete etwa?«

»Tue ich ja. Meine Stube sieht aus wie eine Delikatessenhandlung, so viel Mundvorrat schleppe ich heim, um mich zum Essen zu reizen. Aber hilft nichts, denn mich gelüstet dann immer nach Dingen, die gerade nicht da sind.«

»Was haben Sie denn heute gegessen?«

»Ein Stück Napfkuchen, drei belegte Brötchen und ein paar Bananen. Nein – ich glaube, das war gestern, daß ich die Brötchen und die Bananen aß, ich vergesse es wirklich. Leisten Sie mir eine Zigarette, bitte.«

»Da ist ja Frisson,« sagte Carabin, der sich nach dem Kellner umsah, um Zigaretten zu bestellen, und dabei Frissons Gesicht in dem Tabakdunst auftauchend entdeckte.

Frisson trug einen in braunes Packpapier gewickelten Vogelkäfig, stellte ihn auf den Boden und zog sich von einem benachbarten Tisch einen Stuhl heran.

»Ich bringe einen Sack voll Neuigkeiten,« rief er, sichtlich aufgeregt. »Eben war ich daheim und fand einen Brief von Rougon vom ›Gelben Theater‹ vor. Heute über vier Wochen soll mein Stück aufgeführt werden und morgen will er mich sprechen.«

»Hm!« brummte Carabin.

»Rougon – der Name ist mir bekannt,« sagte de Joy. »Wo kann ich ihn nur gehört haben?«

»Ist das nicht eine Freudenbotschaft? Und in Passy war ich, und meine Tante hat mich mit Gold überschüttet. Ein Glückstag, obwohl es Freitag ist! Kellner, ein Bock!«

»Könnten Sie mir wohl fünf Franken leihen, Carabin? Nein, Frisson meine ich,« sagte de Joy, »ich habe nämlich Frisson – Carabin wollte ich sagen – mein letztes Fünffrankenstück geliehen.«

»Versteht sich,« rief der Dramatiker, indem er die Münze über den Tisch reichte, wozu Carabin ärgerlich brummte, indes de Joy die Augen zudrückte vor Wonne.

Er war wohlhabend, hielt aber sein Geld so fest wie ein Geizhals. Nikotin und Absinth hatten über seinen Hang zur Knickrigkeit nichts vermocht; er war ein Felsblock, der ihrer Macht widerstand.

»Heute über vier Wochen, man denke sich!« fuhr der beglückte Frisson fort. »Rougon will mich sprechen, um Szenerie und Toiletten zu verabreden.«

Carabin sagte nichts als: »Ein Bock, Kellner!«

»Du könntest wohl einige Teilnahme äußern,« bemerkte Frisson. »Zum Kuckuck! Wenn du nicht reden magst, könntest du wenigstens lachen!«

»Ich bin sehr beglückt,« versetzte Carabin, »aber zu lachen habe ich verlernt. Des Lebens Elend hat meine Lachmuskeln gelähmt … Kellner, ein Bock!«

»Zum Henker mit deinen Lachmuskeln! Von des Lebens Elend reden, wenn ich diese Nachricht verkünde, heißt meinem Stück ein böses Omen mit auf den Weg geben. De Joy lacht wenigstens, das hebt die üble Wirkung wieder auf!«

»Mir ist endlich wieder eingefallen, woher mir der Name Rougon bekannt ist,« sagte de Joy. »So hieß ein Leichenbesorger, der mir gegenüber wohnte. Er starb an einem Herzleiden – sich einen Leichenbesorger sterbend vorzustellen, ist zu komisch!«

»Ach, Sie sind ja noch schlimmer als Carabin!« rief Frisson, ganz außer sich geratend. »Hol's der Kuckuck! Ich spreche von keinem Leichenbesorger.«

»Nein, aber mir fiel einer ein. Was haben Sie denn in Ihrem Vogelkäfig?« fragte de Joy, indem er ein kleines Loch in das Packpapier bohrte.

Erschrocken, als ob er den Teufel in Person erblickt hätte, fuhr er nach einem Blick in den Käfig zurück.

»Ja, was ist denn jetzt los?« erkundigte sich Frisson.

»Was los ist? Nichts, ich bin nur erschrocken. Guiot fragte mich nämlich, ob ich je die Dinge doppelt sehe. Nun habe ich mich selbst oft doppelt, ja drei- und vierfach gefühlt, aber er wollte wissen, ob ich Gegenstände doppelt sehe. Darauf konnte ich nein sagen und das war der einzige lichte Punkt in meinem Fall.«

»Nun, und?«

»Als ich in den Käfig hineinsah, sah ich doppelt. Auf der Stange saß ein Vogel neben sich selbst.«

»Darüber hätten Sie nicht zu erschrecken brauchen …«

Frisson löste die Umhüllung von dem Käfig und zeigte den Tischgenossen ein eng aneinander gedrücktes Paar Unzertrennlicher.

»Ja ja,« sagte de Joy mit düsterer Miene. »Das ist der Anfang vom Ende, ist, als ob ich meinen eigenen Sarg hobeln sähe.«

»Aber Sie sehen nicht doppelt! Es sitzen ja wirklich zwei Vögel in dem Käfig, Unzertrennliche heißen sie. Haben Sie denn diese Papageienart nie gesehen? Waren Sie nie in einer Vogelausstellung?«

»Nie. Stellen Sie das Ding weg. Nächstens werden Sie behaupten, es sitze nur ein halber Vogel darin. Todesvögel wäre ein passender Name für dieses Federvieh, aber einerlei, ich fürchte mich nicht.«

»Sage du ihm doch, daß es zwei sind, Hans!«

»Stelle sie weg,« rief Carabin, der wütend war, daß de Joy seine fünf Franken wieder eingesackt hatte, und dem der Anblick der Unzertrennlichen die Laune nicht verbesserte. »Es können zwei sein oder auch zwanzig oder nur einer, mir kommt's nicht darauf an, diese Vogelgeschichte ist jedenfalls ein Blödsinn … du hast wohl im Sinn, unsre Behausung zu einer Vogelhecke zu machen? Die reine Komödie! Wenn ich deine Narrheiten in ein Stück brächte, ich könnte ein reicher Mann werden! Wieviel Geld hast du wieder für die verdammten Kröten hinausgeschmissen?«

»Hol dich der Kuckuck!« brummte Frisson gründlich verärgert, während er den Käfig wieder mit Papier umwickelte.

»Jawohl, so heißt's immer, wenn man von Sparsamkeit redet! Du vergeudest deine Zeit, läufst umher, um Vögel zu kaufen, und die Korrektur des ›Ratgebers für einen jungen Mann‹ bleibt liegen. Flandrin ist wütend.«

»Sag ihm einen schönen Gruß von mir und er soll sich aufhängen. Ich werde diese Korrektur nicht besorgen, lies du sie nur selbst. Ratschläge für einen jungen Mann, der sich verheiraten will – und was für Ratschläge! Nicht anrühren werd' ich die Geschichte, dazu hab' ich denn doch zu viel Achtung vor den Frauen.«

» Was hast du?« brüllte Carabin, der mit Angst und Grauen sein Lebenswerk zerbröckeln sah.

»Zu viel Achtung vor den Frauen. Jede von ihnen ist zehnmal so viel wert als unsereiner.«

»Du bist wohl abermals verliebt?«

»Dabei ist kein ›abermals‹!«

»Ach so! Die Geschichte ist also ernsthaft?«

»Ja!«

»Das ist wirklich drollig. Zur vollständigen Posse wäre nur noch nötig, daß du heiraten würdest …«

»Was ich tun werde.«

»Frisson ist immer ein Spaßvogel,« sagte Carabin zu de Joy gewendet mit einem erzwungenen Lächeln.

»Von Spaß ist hier gar nicht die Rede. Wenn mein Stück einschlägt, so – doch reden wir von etwas anderm. Hallo, Champardy!«

Champardy, der eben erschienen war, zog sich einen Stuhl an den Tisch und setzte sich rittlings darauf, die Arme auf der Stuhllehne kreuzend.

»Riesenspaß gehabt,« begann er. »Zu zwei oder drei Hundert haben wir Rothschild ein Ständchen gebracht und gebrüllt: ›Schwein!‹ und ›Nieder mit den Juden!‹ Dann haben wir einen Lumpensammler gehetzt und schier umgebracht. Es war famos! Der Kerl hatte eine ellenlange Nase und schrie immerzu, er sei gar kein Jude, sondern ein Christ. Könnte mir gar nicht denken, was das Leben heutzutage wäre, wenn wir keine Juden hätten! Paris war auf dem besten Weg, langweilig zu werden, bis dieser Sport aufkam.«

Der Rechtsanwalt und Notar, bei dem Champardy als Schreiber arbeitete, war auch ein Jude namens Löwenfeld, und Champardy kroch vor ihm auf dem Bauch, bildlich gesprochen.

»Ihr solltet einmal in Löwenfelds Bureau ›Schwein‹ und ›Nieder mit den Juden!‹ schreien,« bemerkte Frisson, indem er sich zum Gehen anschickte.

Champardy klemmte mit mühsamem Lächeln sein Glas fester ins Auge.

»Bleiben Sie doch noch,« bat de Joy.

»Ich muß fort. Sie kommen doch in die erste Aufführung meines Stücks? Bringen Sie aber ja einen großen Regenschirm mit.«

»Kommen werde ich,« gelobte de Joy, »und wenn's in meinem Sarg sein müßte.«

Frisson ging.

»Sie hätten nicht von Juden sprechen sollen in Frissons Gegenwart,« bemerkte Carabin.

»Und warum nicht?« fragte Champardy, den der Hieb mit Löwenfeld stark wurmte.

»Weil Frisson selbst halb und halb Jude ist.«

»So, so!« sagte Champardy mit den Augen zwinkernd. »Wann soll denn sein Stück aufgeführt werden?«

»Heute in vier Wochen.«

»So so …«

Champardy schien sich etwas in das schmierige Notizbuch zu notieren, das er seine Seele zu nennen pflegte.


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