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Ilse Frapan

In den dauernden Zusammenhang unsrer lebendigen Literatur tritt die Frau als Schöpferin erst mit der Romantik. Aber auch dann blieb der Kreis, aus dem Dichterinnen und Schriftstellerinnen kamen, verhältnismäßig eng begrenzt. Ein sehr großer Teil stammte aus dem Adel, wie Annette von Droste-Hülshoff, Luise von François, Marie von Ebner-Eschenbach, Malwida von Meisenbug und so viele noch schaffende junge Talente, andre wie Helene Böhlau oder Alberta von Puttkamer aus dem bürgerlichen Patriziat, oder wie Bettina von Arnim, Fanny Lewald, Adalbert Meinhardt aus reichem Kaufmannshause, wie Clara Viebig und Emmi Lewald aus dem hohen Beamtentum. Ganz selten nur trat eine Frau auf, die aus den Bezirken kam und zunächst aus dem Gesichtswinkel der Kreise heraus schrieb, die man öfters ausschließend als das Volk im engern Sinne bezeichnet. Es ist kein Zufall, daß die Erzählerin, die vor andern in der Welt der kleinern Leute heimisch gewesen und geblieben ist, hamburgischen Ursprungs war. Wenn Ilse Frapan aus der Volksschule, in der sie unterrichtete, ins große geistige Leben hineinwuchs und hineindrang, so ging sie ja nur die Pfade, die mit ihr Alfred Lichtwark und Otto Ernst emporgestiegen waren; die außerordentliche geistige Regsamkeit des hamburgischen Volksschullehrerstandes, die sich in Unterricht und Kunstpflege, ob auch nicht immer ohne allzustarkes Ausschwingen, lebendig erweist, hat auch bei der literarischen Tätigkeit von Ilse Frapan Gevatter gestanden.

Ilse Levien (das ist der bürgerliche Name der Schriftstellerin) wurde im Jahre 1852 am 3. Februar in Hamburg aus hugenottischer 117 Familie geboren. 1887 gab sie ihr erstes Buch heraus, das den nicht ganz richtigen Titel »Hamburger Novellen« trägt und dem bald danach eine neue Folge »Bescheidene Liebesgeschichten« nachgeschickt wurde Beide Bücher im Verlage von Otto Meißner in Hamburg, ebenso die »Hamburger Bilder für Kinder«. Alle übrigen Werke von Ilse Frapan sind bei Gebrüder Paetel in Berlin erschienen.. Die Aufschrift dieser ersten kleinen Bücher ist deshalb nicht ganz richtig, weil die meisten dieser kurzen Erzählungen weniger Novellen als Skizzen sind. Es sind kleine Geschichten aus dem eigentlichen innern Hamburg, das heute zum großen Teile so nicht mehr vorhanden ist, und das man sich bereits nach den vielen neuen Straßenbauten und Sanierungen wieder rekonstruieren muß, um es ganz zu verstehn. Dazu aber helfen schon diese ersten Bücher von Ilse Frapan. Wenn Adalbert Meinhardt, die andre hamburgische Schriftstellerin, die Welt des wohlhabenderen Bürgertums, große Kaufmannsfamilien, herzensfeine und geistig hochgebildete Frauen aus altem Kulturkreis schildert, ergänzt Ilse Frapan, mit andern, aber nicht minder weiblichen Instinkten ausgerüstet, das Bild durch Schilderungen aus dem kleinen Bürgertum, aus den engen Straßen des alten Hamburgs und den von spielenden Kindern erfüllten, im Sommer grün belebten und belaubten, dicht bewohnten Terrassen (eine Terrasse im hamburger Sprachgebrauche ist eine für Wagen nicht passierbare Querstraße mit zahlreichen kleinen Häusern). Wie da alles noch kleinstädtisch fast miteinander lebt und aufwächst, die Interessen hin- und herübergehn, das wird in diesen ersten Büchern sicher und echt geschildert. Aber freilich tut sich hier schon aus dem bescheidnen Rahmen ein Blick auf in die Welt da draußen, deren Reflexe dann aber noch nicht mit Sicherheit gegeben werden, sondern, etwa in der »Weihnachtsgeschichte«, in konventioneller Färbung hingestrichen erscheinen. Daß äußerlich der Blick der beginnenden Schriftstellerin über Hamburgs Mauern hinausschweift, ist ja natürlich; hat doch auch der kleine Mann hier es 118 fast stets mit dem großen Weltverkehr zu tun, der den Meisten Verwandte und Freunde übers Meer entführt hat. Und dieser Zug zur Ferne belebt stärker als anderswo gerade in Hamburg schon die Phantasie der Kinder, denen Ilse Frapan lehrend und träumend in ihren Anfängerjahren ein allerliebstes Büchlein »Hamburger Bilder für Kinder« auf den Tisch legte.

Dann wandelte sich die Lehrerin in eine Studentin um, die sich im Süden, in Stuttgart und Zürich, durstig Belehrung holte, nun selbst wieder auf der Schulbank. Friedrich Theodor Vischer war ihr verehrter Meister, dessen Gedächtnis sie in wertvollen »Vischererinnerungen« (1889) festhielt. Heute, da die Frauenbewegung nur noch um ihre Grenzen, nicht mehr um ihre Existenzberechtigung zu streiten hat, liegt die schwere Zeit der Kämpfe schon wieder weit hinter uns, die Ilse Frapan und mit ihr so viele junge Frauen damals durchzukosten hatten, und an denen sich so manche Kraft fruchtlos zerrieb. Und unsre jungen Studentinnen, wenn man ihnen auch immer noch den Weg zur Universität unnütz erschwert und bureaukratische Lässigkeit ihnen das gebührende volle akademische Bürgerrecht an manchen Hochschulen versagt, werden kaum noch so ganz naiv das Glück der Immatrikulation empfinden wie die junge Seele, der Ilse Frapan in dem Buch »Wir Frauen haben kein Vaterland, Monologe einer Fledermaus« (1898) viel von ihrem eignen stürmischen Empfinden mitgegeben hat. »In zwei Tagen ist die Immatrikulation. Mir ist es so feierlich zumute, wie einer armen Seele, die in den Kreis der Unsterblichen geführt werden soll. Der Rektor hat mir solch einen kleinen Vorgeschmack von allem gegeben; Tag und Nacht denke ich nichts Andres. Sogar im Spiegel habe ich mich schon darauf angesehen: Du, eine Studentin! eine wirkliche Studentin! – Ich trete gar nicht mehr auf den Boden, ich bin eigentlich immer da oben, wo es blau ist, zwischen den weißen Wolken! Da treib ich mich herum und bin ein kleiner, kleiner Vogel mit weitausgespannten Flügeln und schwimme, schwimme, stumm vor Freude!« 119 Unausgeglichen und darum durchaus typisch für jene ersten Anfängerinnen auf den Wegen, die Ilse Frapan nun ging, ist dieses Buch, dessen Umwelt sie etwa gleichzeitig in dem Roman »Die Betrogenen« sehr viel sicherer gestaltete; es ist das ganz eigne Milieu des zürcher Studentenlebens, das niemand wieder vergißt, der auch nur einige Tage dort geweilt und in jenen Kreisen die eigentümliche Atmosphäre von heißem Wissensdrang, revolutionären Umsturzgelüsten, entbehrungsvollen Kämpfen und internationaler Kameradschaftlichkeit, die freilich oft auch Kameraderie wird, eingesogen hat.

Begreiflich, daß nun ein leiser Zug zum Aparten stärkere Herrschaft über Ilse Frapan gewann. Hatte sie früher, um den Titel eines ihrer spätern Werke vorwegzunehmen, geschrieben, »Was der Alltag dichtet«, so nahten sich ihr jetzt Probleme, die in ihrer Besonderheit Ilse Frapan künstlerisch noch nicht soweit vorgeschritten fanden, daß sie dem besondern Stoff das fertig sitzende Kleid hätte geben können. Es ist in all diesen Novellen (»Enge Welt«, »Bittersüß« und andre) ein lautloses Ringen zwischen dem Stoff und der Form, selten so rein zu beobachten wie hier. Wenn da etwa die Liebe zwischen einem jungen, schönheitsdurstigen Bildhauer und einem ältern, häßlichen Mädchen geschildert wird, so fehlt Ilse Frapan durchaus noch die psychologische Kunst, solchen Konflikt nicht nur interessant, sondern auch menschlich wahr zu gestalten; das Gleiche gilt von der Ehegeschichte einer armen Frau (»Stilles Wasser«), die mit ihrem vorehelichen Kinde in die Ehe mit einem alten, brutalen Mann gegangen ist, der sie zu Tode hetzt.

In demselben Augenblick aber, in dem Ilse Frapan auf den Boden der Heimat zurückkehrte, erreichte sie in ihrem alten Genre der hamburger Novelle mit größern Mitteln, aber mit demselben Blick für das Wesentliche die Meisterschaft: in den beiden Bänden, deren Titel schon so hamburgisch anmutet, »Zwischen Elbe und Alster« (1890) und »Zu Wasser und zu Lande« (1894) bot sie reife 120 Gaben einer älter gewordnen, aber durchaus von den Quellen ihrer Jugend getränkten Kunst. Und ganz besonders die ruhige und doch von Leidenschaft nicht freie, lebensvolle Geschichte »Altmodische Leute« gewann mit Recht Erfolg, und zwar nicht etwa nur in Hamburg. Nicht jedem gelingt es, zu zeigen, daß in der nicht jeder Nase angenehm riechenden Luft eines Krämerkellers nicht nur gute, sondern feine Herzen sich erhalten und in sich einen Hauch idealen Lebens zu bewahren wissen. Die Klippe der Schönfärberei ist hier und in andern Stücken ebenso umschifft wie die einer zu weit getriebenen Gemütlichkeit im jetzt gebräuchlichen Sinne des Worts.

Nun gelang der Novellistin mehr, und ihre Sehnsucht, aparte Konflikte, wie ichs vorher nannte, zu schildern, führte sie zum Ziele. So gab sie in »Weiße Flamme« (»Flügel auf!« 1895) mit völliger Keuschheit die Liebe einer alten Frau zu einem jungen Studenten, der sie erst nach dem Tode der Liebenden erfährt. So gelang ihr, die inzwischen den Armenier Akunian geheiratet und mit ihm Kaukasien bereist hatte, in der ausgezeichneten Skizze »Die verfluchte Stelle« (»Schreie« 1901) ein Bild aus dem Naphthagebiet am kaspischen Meer, das auch rein ethnologisch wenig Seitenstücke bei uns hat. Und in demselben Band steht vielleicht die beste, jedenfalls die schärfste hamburger Skizze, die Ilse Frapan geschrieben hat: »Mahlzeit«, ein Ausschnitt aus dem Leben einer armen Familie, die einen der zahllosen hamburger Mittagstische für alleinstehende junge Leute führt; der Stoff so gewöhnlich wie nur denkbar – die Ausführung in ihrer knappen Realistik restlos das sagend, was Ilse Frapan zeigen will: eins der kleinen Trauerspiele des täglichen, uns zerreibenden und umherwerfenden Lebens.

Denn der Zug zum ungewöhnlichen Stoff entspringt doch bei Ilse Frapan keinem Haschen nach Sensation, sondern einem durchaus weiblichen Gefühl unbefriedigten Durstes nach starker, die Seele füllender Tätigkeit. Ilse Frapan ist nie rein deskriptiv, und wenn man sie mit andern Schriftstellerinnen ihrer Zeit vergleichen will, 121 so wird man sagen müssen, daß ein so naturalistisch alle Tendenz unterdrückendes, einfach abschilderndes Buch wie »Das tägliche Brot« von Clara Viebig ihr nie gelungen wäre, so wenig freilich wie ein rein auf die Tendenz ausgerichtetes Werk, gleich dem Roman »Aus guter Familie« von Gabriele Reuter. Deshalb vielleicht fand Ilse Frapan ihren Stil in der Novelle (ihre Lyrik ist ohne besondern Ton und bedeutet nichts für sich), weil sie immer wieder im Zusammenstoß von Tendenz und Stoff die Sucht empfand, sich rasch auszugeben. Wie bezeichnend dafür auch der unschöne Titel »Schreie«, hinter dem man doch keineswegs die heute so beliebten brünstigen Exklamationen hysterischer Frauenzimmer zu suchen hat, sondern immer wieder nur den Ruf einer edlen Weibesnatur nach den Zielen einer Emporentwicklung zu neuer Höhe. Und mit leiser Wehmut treten neben die vorwärtsstürmenden Charaktere die still wehrlosen, wie die prachtvolle Phitje Ohrt (»Wehrlose« 1900), deren Glück dann Ilse Frapan leider (1902) zu einem völlig mißlungenen Drama ausgestaltete.

Die Sehnsucht nach einer höhern Entwicklung gibt auch dem Roman »Arbeit« (1903) seinen eigentlichen Ton, wenn auch manches an dem Werk wunderlich und nicht recht ausgereift erscheint. Es geht doch ein großer Zug durch das Leben der tapfern Frau, die dieses Buches Heldin ist, durch ihre Arbeit für sich und andre. Es ist ein tüchtiges und ungewöhnliches Werk, und echt weiblich bleibt darin, wie am Schluß eine über weite Länder greifende Liebe das stürmische Blut zu ruhiger Barmherzigkeit leitet. Denn das wird doch schließlich der letzte Maßstab sein, an dem wir den Wert einer Schriftstellerin ablesen: ob sie lediglich geschaffen hat, wie wir Männer auch, oder ob sie von dem Besten ihrer Weiblichkeit nahm, als sie zu erzählen begann. Es ist heute nicht mehr üblich, daß junge Schriftstellerinnen ihre Werke unter männlichem Decknamen hinaussenden, denn das Vorurteil gegen Bücher von weiblicher Hand ist verschwunden; aber damit schwand auch jene Art Kritik, die sich in den Worten ausspricht: Dies 122 Werk könnte auch von einem Manne sein. Wir wissen, daß das für eine schaffende Frau kein Lob ist. Wir wissen, daß die Arbeit der Frau der unsrigen nicht gleichartig, aber gleichwertig ist, und meinen, daß gerade die Worte: Dies Buch stammt von einer echten Frau, mehr Rühmens enthalten als jene alte Redensart. »Wenn nur unsre Männer nicht wie die Weiber schrieben!« hat Goethe einst geseufzt und könnte er heute manchmal wieder seufzen. Unsre Frauen aber, soweit sie in diesem Zusammenhang überhaupt in Betracht kommen, schreiben wirklich wie Frauen. Jede ist zugleich ein Typus aus dem Frauenleben unsrer Tage – nicht jeder aber gelingt es, aus den jähen Dissonanzen einer Übergangszeit doch den eignen Ton zu retten, wie zu ihrem Teil Ilse Frapan, die ein furchtbares Leiden in einen freiwilligen Tod trieb. Sie starb in Genf am 5. Dezember 1908. 123

 


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