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Kapitel 24.

Der Mann am Schalter

Justus vertrieb sich die Zeit, so gut es ging, indem er mit dem Schaffner plauderte.

In Woking angekommen, wurde, nachdem er den Zug verlassen, ein Protokoll mit ihm aufgenommen: er mußte seine Adresse hinterlassen. Dann setzte er sich nieder und wartete geduldig auf den Zug nach Southampton.

Das ließ ihm Ruhe, gemächlich und trostreich zu überlegen, daß Wyvill nicht vor halb zwölf am andern Morgen nach dem Kap absegeln konnte und bis zu der Zeit in Southampton zu warten hatte. Er wollte Southampton vom Westbahnhof bis zu den Werften durchforschen, damit Wyvill ihm nicht wieder entwischte.

Endlich fuhr sein Zug ein. Justus hatte ihn bestiegen und freute sich, auf dem Wege zum Seehafen zu sein. Vor seiner Abreise hatte er jedoch an Georg Millbank sowohl nach dem »Marquis von Granby« als nach Berkeley-Square depeschiert, um ihm mitzuteilen, daß er plötzlich abberufen sei, so schnell als möglich aber in das Haus von West zurückkehren und jedenfalls dorthin seine Adresse senden würde, falls er noch länger fortbleiben müßte.

Seine jetzige Fahrt verlief ungestört und bald hatte er sein geistiges Gleichgewicht und seinen angeborenen Optimismus wieder erlangt.

Der Zug hielt sowohl in Southampton West als an der Werft. Justus entschloß sich, auf der ersten Station auszusteigen und von dort seine Nachforschungen zu beginnen. Southampton war schließlich kein London und Wyvill eine ziemlich auffällige Erscheinung. Es wäre sonderbar, wenn er nicht die Aufmerksamkeit von irgend jemand auf sich gelenkt hätte, der dadurch imstande war, Justus beizustehen.

Indeß schon nach einer Stunde reger Nachfrage leuchtete es Justus ein, daß Wyvill nicht am Westbahnhofe in Southampton ausgestiegen war. Weder seine Anfragen bei den Stationsbeamten, noch sein diskretes »Anklopfen« in den verschiedenen Hotels gaben Justus irgend welche Kunde über den Generalsekretär. Er beschloß daher, sich nach den Werften aufzumachen.

Der Weg vom Westen Southamptons nach dem Hafen unter der großen Brücke hindurch und längs der sonderbar riechenden, schlammigen Küste ist nach Dunkelwerden sehr einsam. Es liegt aber ein gewisser Reiz in dem eigenartigen Fischgeruch, die Lichter der Schiffe und der gegenüberliegenden Küste üben eine farbenreiche Wirkung aus, überall herrscht rühriges Leben, und so schritt Justus trotz seiner Aufregungen und Enttäuschungen dieses Tages ganz zufrieden weiter.

Bald befand sich Justus vor den Bureaus der verschiedenen Dampferlinien. Wyvill muhte sich ja für die Ueberfahrt eine Fahrkarte gelöst haben und danach erkundigte sich Justus. Er erhielt zu seiner Enttäuschung jedoch die Auskunft, daß auf der Castel-Linie kein Mensch, auf den eine Beschreibung Wyvills passen konnte, in den letzten Stunden einen Platz gekauft hatte und in der Passagierliste für das am folgenden Morgen ausfahrende Schiff fand sich Wyvills Name auch nicht.

Gerade im Begriff, das Bureau zu verlassen, sah Justus einen Mann eintreten, der beim Anblick von Justus sich schnell zurückzog, aber als er bemerkte, daß Justus seine Bewegung beobachtet hatte, zögerte er und schritt dann wieder vorwärts. Doch trat er nicht an den Ladentisch heran, sondern scharrte unruhig mit den Füßen und es kam Justus so vor, als ob die angebliche Beschäftigung des Fremden mit der Besichtigung der Bilder von den verschiedenen Dampferlinien und dem Durchblättern der Fahrplanbücher lediglich einen Vorwand abgab, auf die Entfernung von Justus zu warten und dann erst den Zweck seiner Anwesenheit zu verfolgen.

Das Benehmen des Mannes lieferte Justus Stoff genug, um aufmerksam zu werden; er warf ihm deshalb einen langen forschenden Blick zu, unter dem der andere offenbar sehr verlegen wurde.

Diese Verlegenheit gab sich so sichtbar kund, daß Justus einige Sekunden von dem ungeheuerlichen Gedanken erfüllt wurde, der Mann könne der verkleidete Wyvill sein. Ein zweiter Blick überzeugte ihn jedoch von der Torheit dieses Gedankens. Wyvill war groß, dieser Mann kurz und breit. Wyvill war blaß und rothaarig, dieser Mann hatte die Gesichtsfarbe eines Mulatten, dessen dunkles Haar sich ganz natürlich auf dem eiförmig großen Kopfe kräuselte und dessen dicke Lippen und dunkle Augen mit ihrem Gelblich-Weiß deutlich das Heimatland des Mannes bekundeten. Nein, Wyvill war das nicht, aber ganz bestimmt war dem Manne die Anwesenheit von Justus unbequem, weil er etwas zu verbergen hatte. Justus hörte nicht auf, ihn scharf zu beobachten.

Aber auch der andere schielte unausgesetzt zu Justus hinüber bis dieser zu einem plötzlichen Entschluß kam. Er riß seine Uhr heraus und murmelte vor sich hin: »Himmel, ist das spät.« Dann verließ er das Bureau. Draußen aber blieb er stehen und blickte durch die Glastür. Genau wie er erwartet hatte, sah er nun, daß sich der Mulatte an den Zahltisch begab und eine eifrige Unterredung mit dem Angestellten begann.

»Aha.« sagte sich Justus, »jetzt nimmt er eine Fahrkarte für sich oder für –«

Justus wartete noch einige Minuten, betrat dann das Bureau wieder und schritt direkt auf den Zahltisch zu, indem er den Angestellten ansprach:

»Verzeihen Sie. wollen Sie mir gefälligst sagen, wann die »Saxonia« morgen früh abfährt?«

»Etwa um halb zwölf. Können Sie das nicht dort gedruckt lesen?« meinte wenig höflich der Angestellte.

»Das kann ich wohl, aber ich wollte es nicht.« sagte sich Justus, nachdem er das Bureau wieder verlassen und auf der Straße stand. »D. Winter, eine Erste Klassenkabine nach Kapetown. soviel habe ich erspähen können, aber nun möchte ich auch wissen, wer dieser D. Winter ist. Daß es dieser Mulatte nicht war. davon bin ich überzeugt.«

»Hier, mein Junge.« sprach er einen zerlumpten Knirps an, dem er einen Penny auf dessen klägliche Gebärde zugeworfen hatte. »Ich gebe Dir das doppelte, wenn du mir sagst, wer der Mann da drinnen ist, der mit dem Beamten der Schiffsgesellschaft spricht.«

Der Knirps stellte sich auf seine nackten Zehen und blickte durch die Tür.

»Ach, das ist ja nur der Vater.«

»O, dein Vater, das ist schön, hier sind deine zwei Pence. Wie heißt denn dein Vater?«

»Der schwarze Jack.«

»Ei, der schwarze Jack, ja natürlich, das dachte ich mir auch. Was macht er denn?«

»Nix. Was soll er denn auch tun? Er verhaut mich und Mutter.«

»Ich meine, womit verdient er sich sein Brot?«

»Er hält ein Logierhaus für Matrosen und dergleichen Leute und trägt das Gepäck für Herren von der Bahnstation. Ich will Ihren Koffer tragen, mein Herr, ich wohne jetzt nicht bei Vater.«

»Ich danke Dir, mein Junge, ich habe augenblicklich keinen Koffer bei mir. Das ist wohl ein sehr einträgliches Geschäft solch' Koffertragen und Gasthaushalten? Es tut mir leid, daß du augenblicklich nicht bei deinem Vater wohnst, aber sieh dir mal hier dieses Sechspencestück an, es gehört dir, wenn du mir das Gasthaus zeigst.«

Die Augen des Jungen weiteten sich. »Vater wird Sie selbst dorthin führen.«

Justus drehte sich den Schnurrbart. »Ja, ja. das glaube ich wohl, du siehst ja, er ist augenblicklich beschäftigt und ich möchte mir nur das Haus ansehen und das kannst du mir doch gerade so gut zeigen wie er.«

Der Junge blickte scharf auf. »Hat Vater Angelegenheit?«

»Angelegenheit, nein, keineswegs. Aber willst du dir jetzt das Geld verdienen, dann komm, mein Junge.«

»Ja,« sagte der Junge, »es tut mir nur leid, daß Vater keine Prügel bekommt.«

Justus kam zu der Annahme, daß der Vater dieses Knaben keinen sonderlichen Charakter haben müsse. Im übrigen sah er zu seiner Genugtuung, daß die breite Straße jetzt ganz vereinsamt dalag. Von dem Mulatten war auch nichts zu sehen. Er folgte dem vorangehenden Knaben.


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