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Kapitel 21.

Peter Duntons Ende

Wyvill hatte Peter Dunton also ums Leben gebracht.

Einen Augenblick herrschte Schweigen.

Justus dachte lange nach, während Millbank sich zurücklehnte, unregelmäßig atmete und seine Hand an die Seite preßte.

»Wyvill tötete Peter Dunton.« wiederholte Justus, »das habe ich schon seit einiger Zeit geglaubt, aber Herr Millbank, er ist jetzt geflohen und Sie befinden sich in großer Not. Lassen Sie mich Hilfe holen, ich möchte einen Arzt rufen.«

Millbank hob die Hand.

»Erst will ich meine Geschichte zu Ende erzählen. Ich bin ja doch dem Tode verfallen, das weiß ich und deshalb denke ich jetzt an meinen Sohn. Ich will seine Zukunft sicher stellen und das kann ich nur, indem ich meine Geschichte zu Ende erzähle. Mein Tod ist nahe, aber dazu werde ich noch lange genug leben. Ein Arzt kann mich vielleicht noch einige Stunden länger am Leben erhalten, aber was nützen mir diese wenigen Stunden. Hören Sie mir zu.

»Ich wußte also, daß Dunton von Wyvill ermordet war, aber ich wußte noch mehr und wie ich das erfuhr, will ich Ihnen erzählen.«

»Als Dunton nicht in sein Hotel zurückkehrte, mir auch keinen Bescheid sandte, wurde ich nervös und als die Zeit immer weiter schritt und ich noch immer keine Nachricht erhielt, steigerte sich meine Besorgnis und ich beschloß, zu untersuchen, was aus ihm geworden war. Hätte ich nicht ein solch vollkommenes Vertrauen in ihn gesetzt, so würde ich vielleicht den Verdacht gehegt haben, daß Wyvill und West ihn herüber gelockt haben könnten und daß er sich nun von mir fernhielt. Aber ich vertraute ihm – ja ich würde mein Leben darauf zum Pfände gesetzt haben und ich ahnte, daß ihm ein Unfall begegnet sein müsse.

In den von mir zu treffenden Maßnahmen mußte ich aber sehr vorsichtig sein, denn durch einen falschen Schritt konnte alles verdorben werden.

Glücklicherweise hatte die Vorsehung das Schicksal von West und seinem Partner in die Hände eines Narren gelegt. Das war einer von den Angestellten Wyvills, ein junger Mensch von zwanzig Jahren, der den Verstand eines Schuljungen besah und keinen anderen Gedanken im Kopfe hatte, als das Züchten von Brieftauben.

Ich handelte schlau genug, mich nicht bei Wyvill oder West erst nach dem Aufenthalt von Dunton zu erkundigen, denn sie sollten nicht ahnen, daß ich Dunton vermißte oder irgend welchen Verdacht schöpfte. So stieß ich auf jenen jungen Menschen, der durch eine seltsame Schicksalsfügung zufällig in das Bureau zu der Stunde zurückgekehrt war, auf die jene Verabredung mit Dunton anberaumt gewesen, obgleich er und seine Kollegen unter den verschiedensten Gründen schon früher am Tage entlassen worden waren. Er hatte alles gesehen, seine Nervosität, sein ängstliches Benehmen bei meiner ersten Frage verrieten mir sofort, daß etwas unrechtes dort geschehen war und er davon wußte. Ich entwarf meinen Plan und sehr bald, teils dadurch, daß ich ihm drohte, teils dadurch, daß ich ihm Straflosigkeit versprach und teils, jetzt werden Sie lachen – daß ich seiner Taubensammlung ein seltenes und kostbares Exemplar zuführte, zog ich die ganze Wahrheit aus ihm heraus.

Es war gräßlich. Und wenn der junge Mensch nicht ein so ausgesprochener Narr gewesen, hätte das Entsetzen zweifellos auf seinen Geist so einwirken müssen, daß er wider seinen Willen zur Polizei gegangen und das Geheimnis verraten haben würde, trotz aller Drohungen und aller Furcht.

Ich erfuhr von ihm. daß er auf seinem Wege zum Bureau am Morgen ein besonderes Futter für seine Tauben eingekauft, das er in sein Pult gelegt hatte. Plötzlich von Wyvill, den alle Angestellten fürchteten, fortgeschickt, hatte er vergessen, das Paketchen Futter mitzunehmen und sich erst kurz vor seiner Haustür daran erinnert. Da es am Ende der Woche war und er kein Geld mehr übrig hatte, um neues Futter zu kaufen, entschloß er sich, ins Bureau zurückzukehren, statt Gefahr zu laufen, seine Tauben durch Hunger zu verlieren. Sein Schreibtisch stand im ersten Bureau und so hoffte er, sich das Paket holen zu können, ohne von seinem Chef bemerkt zu werden, den er in dem nach der Innenseite gelegenen Bureau vermutete.

Das wäre ihm auch wohl gelungen, aber beim Betreten des Bureaus drang der Lärm heftigen Zankens an sein Ohr. Von Schreck ergriffen, schlich er sich an die Tür des inneren Bureaus, horchte und sah durch das Schlüsselloch.

In dem Zimmer befanden sich drei Herren. Wyvill, West, den er von Ansehen gut kannte und ein dritter, den er mir als kahlköpfig beschrieb und den West Peter und Wyvill Dunton nannte.

Zu der Zeit, als der junge Mensch sich am Schlüsselloch befand. mußte der Streit offenbar seinen Höhepunkt erreicht haben, denn der Lauscher sah, wie Dunton ein schweres Lineal ergriff und damit auf Wyvill zustürzte.

Er schlug ihn damit mehrere Male, doch der Sekretär wich den Schlägen aus und entging den Verletzungen, indem er einen Schlag mit dem Arm auffing, ein anderes Mal den Kopf so geschickt wandte, daß der Schlag seine Augen nur streifte, statt die Hirnschale zu teilen. West stürzte sich nun dazwischen, ergriff den Arm des wütenden Mannes und in diesem Augenblick packte Wyvill das Lineal und versetzte Dunton einen einzigen heftigen Schlag.

Dunton sank nieder und rührte kein Glied mehr. Der junge, über alle Maßen entsetzte Kommis fiel gegen die Tür und stolperte ins Zimmer.

In einem Nu hatte Wyvill, der seine Geistesgegenwart nicht verlor, ihn an der Kehle gepackt. »Was haben Sie gesehen?« schrie er ihn an. »Ich sah, wie er Sie angriff,« stammelte der junge Mensch, »ich sah. wie er Sie zweimal schlug und Sie ihn niederschlugen. O. er ist tot, er ist tot.«

Seine Antwort rettete ihn. »Ja, er schlug mich. Sie haben gesehen, daß er mich schlug.« rief Wyvill, aber das ist eine böse Sache, die für mich, die für uns alle Verderben bedeutet, wenn sie herauskommt. Man wird Fragen stellen, wird Zweifel hegen und wird uns verdächtigen, wenn wir die Leiche nicht beseitigen. Wir müssen sie fortschaffen, aber wie sollten wir das machen?«

Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Wyvill blickte wütend um sich her. Der junge Mensch stand bleich und bebend da und spähte allenthalben hin, wobei er ängstlich vermied, die Leiche auf dem Boden anzusehen und West, der zusammengesunken war, hielt das Lineal in der Hand und schwenkte die blutbefleckte Waffe wie geistesabwesend hin und her.

Nun sprach Wyvill schnell: »Einige Treppen höher befindet sich ein leeres Bureau, in dem ein Unbekannter leicht seinen Tod finden kann, wenn er den Ort als letzte Zufluchtsstätte aufgesucht hat. Hinten führt eine Treppe hinauf. Wir müssen die Leiche dort hinaufschaffen. Kommen Sie mit.«

Viel zu erschüttert, um Widerstand zu leisten, bei der Berührung des Toten erschaudernd, standen sie doch zu sehr unter der Gewalt des Generalsekretärs, und die beiden unschuldigen Leute, der Finanzmann und der junge Angestellte trugen die Leiche Duntons in Ihr Bureau hinauf, Herr Wise.

Soweit befanden sie sich in Sicherheit, denn man hatte sie nicht gesehen, doch als sie gerade die Leiche auf den Fußboden gelegt hatten, wurde auf der Treppe ein Schritt hörbar und der Betreffende schien gerade vor der Tür stillzustehen.

Das Entsetzen ließ sie verstummen und Wyvill flüsterte: »Der Kamin – der Kamin.« Sie packten die Leiche und wie wahnsinnig vor Schrecken steckten sie sie in den Kamin.

Wer dort draußen vorübergegangen war, erfuhren sie nicht.«


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