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Kapitel 18.

Endlich gestellt!

Justus und der Fremde starrten sich gegenseitig einen Augenblick an: beide schöpften tief Atem.

»Ach, Sie sind es,« sagte der Fremde schroff, »was wollen Sie?«

Justus ärgerte der Ton: er schritt weiter in den Raum hinein.

»Ich wünsche ein Wort mit Ihnen zu sprechen. Herr Charleswort, vielmehr Herr Millbank.«

Millbank stieß einen wütenden Ruf aus und stürzte sich ohne weiteres auf sein Gegenüber. Der überraschte Justus stürzte zu Boden, zog aber seinen Gegner mit hinunter und packte ihn mit kräftiger Hand an der Kehle.

Zum größten Entzücken des rothaarigen Burschen, der in sicherer Entfernung um sie herumtanzte, kämpften sie eine Weile. Millbank, der über eine enorme Kraft zu verfügen schien, erhob sich dann wieder, doch der Griff von Justus war wie von Eisen, er klammerte sich an den anderen und erhob sich mit ihm, sie rangen durch den ganzen Raum wild miteinander.

Die Schlacht konnte aber nicht länger dauern. Justus war für seine Größe kräftig und entschlossen, doch der Aeltere besah mit seinem höheren Gewicht, den breiten Schultern und langen Armen die Stärke eines Ringers und offenbar noch dazu die Geschicklichkeit eines solchen. Er warf Justus umher, als ob dieser ein Fußball am Ende eines Strickes sei, und jeden Augenblick fürchtete Wise, gegen die Mauer zu fliegen.

Das wäre auch höchst wahrscheinlich geschehen, wäre nicht ein Zwischenfall eingetreten, der die Dinge auf kurze Zeit zu seinen Gunsten wendete. Indem sich der Aeltere umwandte, um die Last, die sich an seine Schulter klammerte, abzuwerfen, war er mit der Stirn gegen die Kante der offenstehenden Tür geflogen und taumelte halbbetäubt rückwärts.

Justus hatte die Veranlassung zu dem Schwächerwerden seines Gegners nicht bemerkt, wuchtete aber mit dem ganzen Gewicht seines Körpers gegen ihn, so daß der ältere Mann abermals taumelte. Jedoch dauerte auch dieses nur einen kurzen Augenblick, denn im nächsten hatte er sich bereits erholt, packte Justus mit einem besonders geschickten Handgriff und warf ihn über sich.

»Habe ich es Ihnen nicht gesagt?« schrie der rothaarige Bursche. »Auf mein Wort, Sie kriegen es jetzt, Sie alter Schnurrbart! Sapperlot, was ist denn das? Der andere ist ja auch am Boden.«

Justus, der ruhig dagelegen hatte, da ihm der Atem schier vergangen war und der erwartete, daß jeden Augenblick sein Gegner auf ihn knien und ihm den Garaus machen würde, spitzte die Ohren bei den Worten des kleinen Teufels und hob den Oberkörper schwerfällig vor, um sich nach seinem Gegner umzuschauen.

Und da sah er zu seiner Ueberraschung, daß dieser schwer atmete und purpurrot im Gesicht war. Dann sank er in die Knie auf den Boden und griff nach seinem Halskragen. Eine Sekunde später stöhnte er tief auf und wälzte sich auf den Rucken, die Knie waren unter ihm gebogen.

»Gott im Himmel!« Justus richtete sich auf und schritt mit bebenden Gliedern an ihn heran. Der Mann gab kein Lebenszeichen von sich, sah sonderbar blau aus, seine Augen stierten unbeweglich zur Decke empor.

»Der ist tot, den haben Sie getötet,« schrie der Junge und lugte über die Schulter von Justus. »Ich fürchte mich, ich mache mich aus dem Staube.« Blaß und zitternd erreichte er die Tür und lief hinaus.

Seine Furcht hatte Justus angesteckt, der von dem Ringen noch halb ohnmächtig war und eine Weile auf den Bewußtlosen, ohne sich zu rühren, hinabblickte.

Dann kehrte ihm aber seine Geistesgegenwart zurück, und da er sah, daß er keinen Toten vor sich hatte, denn der Mann atmete noch schwer, beugte er sich zu ihm hinunter und riß ihm den Kragen auf.

»Das ist ein Schlaganfall oder dergleichen,« murmelte er, »was fängt man dabei am besten an, so darf er hier nicht sterben, ich sollte ihn bluten lassen, aber wie – «

Während er noch grübelte, stöhnte der Mann am Boden, bewegte sich und versuchte sich aufzurichten.

Er blickte wie betäubt umher, und dann blieben seine Augen auf Justus haften, er seufzte und ließ die Hände lose auf die Knie fallen. »Es hat keinen Zweck mehr,« sagte er mit schwerer Zunge, »ich gebe es auf. Sie haben mich in der Hand, eines Tages werde ich auf diese Weise sterben: Ich habe an meine Jahre zu denken vergessen. Es ist eine fatale Sache, sich wie eine Ratte in der Falle zu ergeben, nachdem – ich meine, ich hätte Sie hübsch umhergeworfen?«

»Wenn Ihnen das zur Befriedigung gereicht, ja, Sie haben es getan, ich werde es noch Wochen lang fühlen.«

»Nun, Sie haben ja jetzt Ihre Revanche, denn schließlich haben Sie mich jetzt in der Gewalt, zu einem weiteren Kampfe fehlt mir die Kraft. Also nun heraus damit. Sie wissen meinen Namen. Machen Sie die Geschichte kurz. Wieviel fordern Sie?«

Justus starrte ihn an. »Wieviel ich fordere?« wiederholte er.

Justus reckte sich empor. »Ich verstehe Sie nicht,« sagte er würdevoll.

»Ach, kommen Sie.« lächelte der Andere. »Zu welchem Zwecke wären Sie mir denn gefolgt und hätten sich an meine Fersen geheftet, ich meine, doch nicht zum Scherz und auch nicht, um mir meine dreißig Pfund zurückzugeben, die zu behalten ich Ihnen übrigens gestattete.«

»Und für die ich Ihnen dankte.« entgegnete Justus.

»Ja, allerdings, ich frage also noch einmal, was beabsichtigen Sie?«

»Was ich beabsichtige?«

Justus war entrüstet. »Was ich beabsichtige, ist nichts anderes« –

»Ist Geld natürlich. Sollen wir es Erpressung nennen?«

Justus wechselte die Farbe.

»Sagen Sie doch lieber gleich Raub und Mord.«

»Raub und Mord?« wiederholte der andere und richtete sich auf. »Was zum Henker meinen Sie damit?«

»Ich meine damit das Schriftstück,« sagte Justus, »ich meine den Angriff auf Fräulein West und den Raub an ihr, und ich meine den Ermordeten in meinem Kamin.«

Der Fremde zuckte zusammen, seine Blicke kreuzten sich mit denen von Justus, er schwieg aber und schien offenbar gründlich nachzudenken.

Nach einer Weile fragte er: »Was sagen Sie da über Fräulein West?«

»Fräulein West wurde gestern abend ein wichtiges Schriftstück fortgenommen, und bei dem Kampf darüber wurde sie in ihrem eigenen Hause schwer verletzt.«

»Ein Schriftstück? Sie wurde tätlich mißhandelt! Mein Gott!«

Er machte anscheinend den Versuch aufzustehen, sank dann aber zurück und grübelte weiter. »Natürlich,« murmelte er vor sich hin, »das hätte ich ahnen müssen.« And nach einer Pause sagte er laut: »Fahren Sie fort.«

»Weshalb lagen Sie auf den Knien und blickten in meinen Schornstein hinauf?« fragte Justus und beugte sich vor.

In die Mienen Millbanks trat ein sonderbarer Ausdruck, aber was Justus überraschte: Von Furcht war nichts zu bemerken.

»Wie, zum Henker, wissen Sie das?« fragte er leise.

»Ich habe Sie gesehen.«

»Ja, das weiß ich, ich habe das nicht gemeint.«

»Ich weiß noch viel mehr.« erklärte Justus.

»Ja, Sie scheinen etwas zu wissen, aber doch nicht so viel, wie Sie sich einbilden.«

»Ich weiß, daß die Leiche von dem Mörder in meinem Kamin versteckt wurde,« entgegnete Justus ärgerlich, »und ich weiß, daß Ihr Sohn und ich Sie ertappten.«

»Mein Sohn!« Jetzt sprang der Alte aus und griff Justus am Arm. »Mein Sohn! Wollen Sie sagen, daß Ihr Begleiter mein Sohn war?«

»Das war Herr Georg Millbank, ja, ein Kunde von mir und ein junger Herr, vor dem ich die größte Hochachtung habe.«

»Mein Sohn? Das war Georg? Mein Gott, wie sonderbar, dann haben Sie mich aber getäuscht! Sie haben mir kein Wort davon gesagt.«

Justus biß sich auf die Lippen. »Sie erklärten mir, daß Sie Ihre Nachforschungen aufgeben wollten, Sie sagten mir wiederholt, Sie wollten ihn nicht suchen.«

Der andere fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Und das sagte ich in seiner Gegenwart! Und ich wußte nicht ...«

Einen Augenblick herrschte Schweigen und dann fragte er hastig: »Wo ist er, was treibt er?«

»Augenblicklich ist er im Hause von Fräulein West.«

»Im Hause von West?«

»Ja, er wartet, daß die junge Dame sich erholt –«

»Im Hause von West? Aber weshalb, weshalb dort?«

Justus starrte ihn an. »Es kommt mir sonderbar vor, daß ich Ihnen das sagen muß, er ist doch mit Fräulein West verlobt oder war es, denn ihr Vater hob die Verlobung auf.«

»Er hob sie auf. Weshalb? Wo? War das kürzlich? Sagen Sie mir, war das kürzlich?« »Ja. nach Ihrem Besuch bei ihm.«

»Mein Besuch! Mein Gott! Bin ich verrückt, bin ich wahnsinnig, oder sind Sie der Teufel in Person? Mein Besuch! Wie kommt es, daß Sie von all diesen Dingen Kenntnis haben, und was wissen Sie eigentlich?«

Justus blickte ihn schweigend an. Was wußte er eigentlich? Gewiß manches, aber wie der andere ihm gesagt hatte, doch nicht soviel, wie er sich selbst eingebildet, und diese Unterredung hatte manchem seiner Gedanken eine ganz andere Wendung gegeben. Doch davon ahnte jener nichts und konnte auch nicht ermessen. was Justus wußte. Justus entschied sich dafür, die Rolle des Unwissenden zu spielen.

»Wie ich bereits sagte, Herr Millbank, weiß ich sehr viel. Ich will Ihnen bekennen, daß ich das meiste in meiner Eigenschaft als Berater Ihres Sohnes erfuhr, und deshalb können Sie mich auch getrost als jemand betrachten, der durchaus nicht unfreundlich gegen Sie gesinnt ist.«

Plötzlich schreckte der ältere Mann zusammen. »Wohin mag der Junge gegangen sein, der eben noch hier war. Wollte er Hilfe holen oder meinen Sie, daß er zur Polizei lief?«

»Zur Polizei?« Justus erbleichte. Wenn die Polizei jetzt käme –!

»Es wäre das beste, wir gingen jetzt schnell von hier fort, Herr Millbank. Nein, die Polizei darf Sie jetzt nicht finden.«

Millbank faßte ihn am Arm. »Natürlich darf sie mich jetzt nicht finden, das wäre sehr fatal. Sie dürfen mich auch nicht verlassen. Wir haben viel mit einander zu sprechen. Es handelt sich um Leben und Tod dabei. Sie müssen volles Vertrauen zu mir haben. Ich bin mit meinen Kräften zu Ende und bedarf Ihres Bescheides und auch vielleicht den meines Sohnes. Wohin können wir gehen, um ungestört zu bleiben?«

»In mein Bureau? Nein, das wäre nicht geeignet. Ich kenne einen Platz, wo wir ganz allein sind und uns niemand stören wird. Es ist nicht weit von hier.«

»Dann kommen Sie also schnell, Gott weiß, wir haben keine Zeit zu verlieren.«


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