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Kapitel 6.

Der Langarmige

Justus Wise war mit dem Verlauf der Dinge nunmehr sehr zufrieden.

Nach seiner Gewohnheit sprach er mit sich selbst, als er sich nach Verabschiedung von Millbank auf dem Rückwege zu seinem Bureau befand.

»Die Angelegenheit entwickelt sich viel verheißender, als ich mir je habe träumen lassen und sie ist zugleich ungemein interessant. Dieser Herr West benimmt sich recht komisch. Ich möchte rekapitulieren: Ein reicher angesehener Mann, der noch vor ganz kurzer Zeit alles tut, was in seinen Kräften steht, sowohl als Vater wie als zukünftiger Schwiegervater, das Pärchen glücklich zu machen, ändert plötzlich sein ganzes Verhalten, namentlich meinem liebenswürdigen Klienten gegenüber. Er wird nervös, unzuverlässig, sonderbar. Er empfängt fremde Menschen, die sich mit ihm zanken und ihm drohen. Dann verschwindet er, ohne eine Spur zu hinterlassen, und taucht wieder unerwartet auf, ohne eine Erklärung dafür notwendig zu halten. Er steht mit einer sehr hübschen Dame auf recht gutem Fuße, die weit jünger als er ist und die nicht zu seiner Gesellschaftsklasse zählt, mit der er indeß nach Südamerika zu fliehen beabsichtigt. Und während er sich damit beschäftigt, weiß er meinem jungen Freunde einen Diebstahl von zweitausend Pfund Sterling unterzuschieben, nicht in der Absicht, ihn deswegen verhaften zu lassen, sondern lediglich, um sich seiner zu entledigen. Endlich pflegt er Beziehungen zu Herrn Wyvill, in dessen Bureau, wie ich annehmen möchte, die Leiche verschleppt worden ist, die in meinem Kamin steckte. Das ist alles tatsächlich für einen Mann seiner Stellung recht sonderbar.«

»Und zugleich ist die Geschichte sehr angenehm, denn nicht allein, daß es zum Schluß Geld gibt, es gibt es sogar jetzt schon. Und so werde ich für etwas gut bezahlt, was mein angeborener Instinkt mich doch auch – umsonst – hätte tun lassen, nämlich zu sehen, was hinter allem steckt. Ich muß mich aber vorsehen, nach welcher Richtung ich mich zuerst wende, um keinen falschen Schritt zu tun, denn solche Chancen habe ich ja nicht alle Tage.«

Es war ein Glück, daß die Schnurrbarthaare fest saßen, denn Wise zupfte unablässig an ihnen, bis er die Berklandstraße erreichte und die Treppe zu seinem Bureau hinanstieg, wo der getreue Dark auf ihn wartete.

Der lange Weg schien Wise gut getan zu haben, denn er hatte einen weit klareren Kopf, als er seinen Schreiber begrüßte.

»Nun, Dark, Sie haben mich hier gut vertreten,« sagte er heiter. »War denn noch jemand da?«

»Nein, Herr Wise, es ist niemand hier gewesen.«

»Nein? Das Inserat hat meinen Erwartungen doch schlecht entsprochen. Ich hätte die Anzeige größer fassen lassen müssen, aber das läßt sich nicht mehr ändern. Wir werden trotzdem schon vorwärts kommen. Uebrigens, was ich sagen wollte. Dark, die Leiche ist gefunden.«

»Die wir im Kamin entdeckt haben?«

»Natürlich, natürlich, mit einer anderen haben wir doch nichts zu tun gehabt. Also man fand den Körper in der Themse.«

»Was Sie sagen, in der Themse?«

»Ja, und nun hat man sie in die Leichenhalle von St. Giles gebracht.«

»Ist sie schon identifiziert?«

»Ich glaube nicht, aber das wird schon geschehen. Wir müssen versuchen, den Dingen zuvorzukommen, Dark, aber der Weg dazu ist recht schwer. Indeß, ich kann ja wohl mit Recht behaupten, daß mich Schwierigkeiten nicht abschrecken. Und das erinnert mich daran, daß ich Ihnen etwas aufzutragen habe.«

»Jawohl, Herr Wise.«

»Ich möchte wissen, ob Herr Wyvill, der Generalsekretär des Wapiti Syndikates da unten, heute ausgewesen ist, ob er sich jetzt im Bureau befindet, und wenn das der Fall ist, zu welcher Zeit er dorthin zurückgekehrt ist. Glauben Sie, das in Erfahrung bringen zu können, ohne dabei Aufsehen zu erregen?«

»Ja, das glaube ich wohl. Einer seiner Angestellten ist mit mir bekannt; er kauft mir zuweilen Brieftauben ab.«

»Ach ja, ich erinnere mich, Sie sind Taubenzüchter. Na, Tauben kommen nicht durch den Schornstein herein, wie? Also versuchen Sie einmal, Ihren Bekannten zu sprechen und lassen Sie mich dann das Ergebnis wissen.«

Sobald sich sein Faktotum entfernt hatte, pflanzte sich Wise an seinem Schreibtisch auf und nach vielem Besinnen und nachdem er mehrere Bogen Papier zerrissen hatte, weil ihm das Geschriebene nicht geeignet erschien, brachte er endlich den folgenden Brief zustande, den er vor dem Absenden mit einer gewissen Nervosität noch einmal durchlas.

Fräulein Clementine Wise
Manicurin und Spezialistin
für Schönheitspflege.
478 Bondstraße
London W.

»Meine liebe Schwester!«

»Ich hoffe, daß Du Dich wohl befindest. Es ist schon geraume Zeit her, daß Du von mir gehört hast, und ich bin überzeugt, daß Du mit großer Freude erfährst, wie vorzüglich es mir ergeht, sodaß es nicht mehr lange dauern wird, bis ich in die Lage kommen werde, Dir die £ 49.11 sh. 6 d. zurückzugeben, die Du so gütig warst, mir zu verschiedenen Zeiten in kleineren Beträgen vorzustrecken, als die Welt mich nicht mit lachenden Augen ansah. Das hat sich nun alles glücklich geändert, und ich denke, jetzt in der Laufbahn gelandet zu sein, für die sich meine Fähigkeiten ganz hervorragend eignen, wie Du selbst schon häufig hervorgehoben hast, und zur Hauptsache: am Ende dieser Laufbahn winkt das Glück in Gestalt von viel Geld. Zu diesem Zwecke, meine liebe Schwester, bedarf ich gerade jetzt Deiner Unterstützung, aber fürchte nichts, nicht durch Geld, sondern vermöge Deines Berufs und Verstandes, den Du wie wenige Deines Geschlechts in hervorragender Weise besitzt. Es wird Dir weder Zeit noch Mühe kosten und doch für mich von wesentlichem Nutzen sein.

Ich bitte Dich also um folgendes und gebe Dir die Versicherung, daß Du mich nicht undankbar finden wirst, wie ich das auch bisher nicht gewesen bin.

Du hast ja in Deiner zahlreichen Kundschaft nicht allein Angehörige der allerersten Gesellschaftsklassen, sondern auch Damen aus ganz anderen Lebenssphären, wenngleich sie beide sich jetzt mit einander vermischen. Ich interessiere mich nur für die Damen vom Operettentheater.

Lasse mich wissen, ob Dir ein Fräulein Gertie Tillet bekannt ist. Ist das der Fall, oder gelingt es Dir, Dich mit ihr bekannt zu machen, so möchte ich, daß Du Dich bei ihr über einen gewissen Herrn William West in sehr erschöpfender Weise erkundigst. Es ist das der bekannte Finanzmann, der mit ihr sehr befreundet ist. Ich werde Dir, wie gesagt, außerordentlich dankbar für diese Auskunft sein, mit der Du zum hundertsten Male glühende Kohlen sammeln wirst auf das Haupt

Deines Dich liebenden
Bruders.«

Bald nach dem nochmaligen Durchlesen dieses Schriftstückes kehrte Dark zu ihm zurück.

»Nun, was bringen Sie?«

»Mein Freund sagt mir, daß Herr Wyvill heute, kurz nachdem Sie fortgegangen waren – Whytner hatte Sie auf der Treppe gesehen – ebenfalls das Bureau verließ und bis jetzt noch nicht zurückgekommen ist.«

Justus überlegte. »Also wird er es wohl gewesen sein, den ich im Leichenschauhause sah. Sobald er sich sicher fühlte, daß er mir entschlüpfte, wird er vielleicht wieder hingegangen sein. Das ist sehr wahrscheinlich, aber ich darf mich nicht von ihm sehen lassen.« Und laut sagte er: »Kennen Sie Herrn Wyvill von Ansehen, Dark?«

»Ja, sehr gut. Er ist ein großer Herr mit rotem Haar und die Augen stehen ihm auffallend dicht über der Nase zusammen.«

Justus nickte. »Das ist richtig. Ich möchte also, Sie eilen sofort zu dem Schauhause von St. Giles. Gehen Sie nicht hinein, sondern warten Sie an einer versteckten Stelle ab, wo Sie den Eingang betrachten und sehen können, wer da ein- und ausgeht. Wenn Wyvill kommt, so folgen Sie ihm, natürlich ohne daß er es merken kann, und prägen sich ein, wie er sich benimmt und wie er aussieht. Sie brauchen ihn, wenn er fortgeht, nicht länger im Auge zu behalten, sondern kommen Sie dann sofort zu mir. Ich glaube, ihn heute dort gesehen zu haben, sollte er sich nun noch einmal da einfinden, so wäre es für mich von größter Wichtigkeit, das zu erfahren. Das begreifen Sie? Also, trollen Sie sich und werfen Sie diesen Brief in den Kasten.«

Dark grüßte und verschwand.

Wise befand sich abermals allein.

Er hoffte, daß sich Wyvill in St. Giles wieder sehen lassen würde, nachdem er vor ihm selbst davongelaufen war, denn damit würde er seinen Verdacht wesentlich bestätigt finden. Aus seinen Grübeleien wurde er durch ein Klopfen an der Tür aufgescheucht. Er fuhr förmlich zusammen und meinte, er sei doch seit der Kamingeschichte entsetzlich nervös geworden.

Vermutlich ein neuer Klient, aber wie albern von mir, mich so erschrecken zu lassen.

Er raffte sich auf, schritt zur Tür und öffnete sie.

»Guten Tag,« sagte ein Herr, der so dicht an der Tür stand, daß es Wise vorkam, als habe jener das Auge am Schlüsselloch gehalten. »Sind Sie Herr Wise?«

»Ja, der bin ich. Wollen Sie nicht näher treten?«

Der Fremde antwortete nicht gleich, sondern betrachtete Justus sehr genau, wobei dieser die Empfindung hatte, daß er noch niemals in seinem Leben so scharf durchforscht worden war.

Und trotzdem war an dem Manne gar nichts besonders Auffälliges, nur schien er eine Riesenkraft zu besitzen, die sich teils durch seine untersetzte Gestalt und den breiten Brustkasten und breite Schultern, teils aber auch durch die Tatsache kennzeichnete, daß seine lose herabhängenden Arme fast bis zu den Knien reichten.

Er mochte fünfundvierzig Jahre alt sein. Sein kurzgeschnittenes dichtes Haar war ergraut. Das Gesicht war glatt rasiert und sowohl um die Augen, wie um den festen Mund lagen viele Falten. Die grauen Augen waren trübe und blickten etwas hoffnungslos ins Leere, wenn auch eine nähere Betrachtung sonderbar genug ergab, wie richtig der erste Eindruck von Justus Wise gewesen, mit diesen Augen durch und durch geschaut worden zu sein. Das hatte ihm das sonst so fremde Gefühl der Verlegenheit bereitet.

Diese Verlegenheit dauerte denn auch nur ganz kurze Zeit. Er lächelte den Herrn an und wiederholte:

»Ja, mein Name ist Wise. Wünschen Sie mich geschäftlich zu sprechen?«

Es war, als ob die Gedanken des Besuchers sich mit anderen Dingen beschäftigt hätten; er betrachtete die Tür zum zweiten Bureau.

»Da hinten liegt noch ein Zimmer?« fragte er.

Justus machte ein erstauntes Gesicht.

»Ja – ja. da ist noch ein Zimmer.«

»Darf ich das einmal ansehen?«

»Gewiß,« sagte Justus und führte den Herrn weiter.

Sie standen nun beide auf der Schwelle und betrachteten das Bureau wie eine Sehenswürdigkeit.

Mit einem raschen Ueberblick bemerkte Justus sofort, daß die Spuren von Asche und Ruß noch erkenntlich waren, die von dem geheimnisvollen Gast aus dem Kamin herrührten. Vermutlich hatte Dark nicht darüber entscheiden wollen, sie ohne Weisung zu beseitigen. Wise überzeugte sich dann, daß der Fremde jene Spuren nicht wahrnahm und nur den ganzen Raum mit ausdruckslosen Augen durchmaß.

»Ich danke Ihnen. Ich glaubte, es wäre hier noch jemand, mehr wollte ich nicht wissen. Meine Angelegenheit ist privater Natur.«

Sie kehrten in das vordere Zimmer zurück, ließen die Mitteltür offen und der Fremde, der sich Justus gegenübersetzte, begann nun, auf sein Geschäft zurückzukommen.

Mit einer ruhigen tiefen Stimme hub er an: »Ich befand mich zufällig in diesem Hause, sah Ihr Schild und daß Sie Privatagent sind.«

Justus verbeugte sich. »Ja, ein Privatagent. Darf ich Ihnen meinen Prospekt geben? Sie werden daraus sehen –«

»Ich danke Ihnen. Ich faßte das so auf, daß Sie unter gewissen Verhältnissen auch Recherchen im Auftrage anderer anstellen.«

»Gewiß, das ist ein Zweig meines Geschäftes.«

»Und solche Recherchen und ihr Ergebnis bleiben streng diskret?«

»Durchaus – durchaus. Nur der Kunde und ich.«

Der Fremde nickte. »Also habe ich richtig gedacht. Ich möchte also jemand auffinden.

Justus strahlte. »Sie wären nirgends besser damit angekommen als bei mir. Handelt es sich um eine Dame oder um einen Herrn?«

»Um einen jungen Mann.«

»Darf ich den Namen – und seinen Beruf erfahren? Wird er schon lange vermißt?«

»Es läßt sich nicht gerade sagen, daß er vermißt wird. Es sind viele Jahre darüber hingegangen, seitdem ich ihn gesehen und von ihm gehört habe, aber das ist eine lange Geschichte, und es wäre zwecklos, sich darin zu vertiefen. Er ist in London, ich habe wenigstens Gründe, dies anzunehmen. Er heißt Millbank – Georg Millbank.«

Justus erhob sich rasch und ging ans Fenster. Um seine Verwirrung zu verbergen, tat er, als ob er es schließen wollte.

Nachdem er das Fenster zugemacht hatte, wandte er sich zu dem Fremden um.

»Georg Millbank – wie alt ist er?«

»Sechsundzwanzig Jahre. Er ist ein hübscher, stattlicher junger Mann. Bis vor kurzer Zeit wohnte er, soviel ich weiß, in der Duckestraße in St. James, er ist aber von dort verzogen und ich kann seine jetzige Adresse nicht herausbekommen. Ich möchte wissen, wo er sich jetzt befindet und was er treibt. Können Sie mir dabei behilflich sein?«

Justus machte eine Miene, als ob er ernstlich überlege. »Ich halte es für höchstwahrscheinlich, daß ich dazu imstande bin, zumal ich behaupten kann, daß ich in solchen Fällen noch niemals versagt habe, und dieser Fall scheint ganz besonders einfach zu liegen. Wieviel Zeit geben Sie mir dazu?«

»Ich will in einer Woche wiederkommen. Inzwischen möchte ich Ihnen auf Ihre Unkosten eine Anzahlung leisten.«

»Sehr freundlich,« murmelte Justus und versuchte, seine Freude nicht merken zu lassen.

»Hier sind zwanzig Pfund in Banknoten.« Er reichte Justus vier Fünfpfundnoten. »Genügt das?«

»Reichlich, reichlich.« erklärte Justus, nachdem er seine weiße Hand ausgestreckt hatte. »Der Betrag wird alle Unkosten decken. Darf ich mir Ihren werten Namen und Ihre Adresse erbitten?« Er hatte die Banknoten sorgfältig eingesteckt und ging auf wie eine Blume im Sonnenschein. »Es wäre ja möglich, daß ich Ihnen eine Mitteilung zu machen hätte.«

Der Andere schüttelte den Kopf.

»Die möchte ich Ihnen heute noch nicht geben. Ich komme in acht Tagen zurück und dann –«

Ehe er weiter sprechen konnte, wurde die Außentür rasch geöffnet und Dark trat ein.

Der Fremde nickte schweigend.

»Wyvill war wieder da.« sagte Dark hastig, »und jetzt kommt er gleich hierher zurück.« Als er den Besuch gewahrte, unterbrach er sich plötzlich. »Ich bitte um Entschuldigung, Herr Wise.«

Justus zog die Stirne kraus, der Fremde trat auf das zweite Bureau zu.

»Es ist mir, als ob es da drinnen noch eine zweite Tür gibt,« sagte er schnell. »Sie führt wohl hinaus?«

Justus zauderte. »Da ist eine Hintertreppe, aber sehr schmutzig und wenig benutzt und ich –«

»Ei, das tut nichts. Sie genügt mir, wenn ich nur auf die Straße komme. Es liegt mir besonders daran, heute hier nicht gesehen zu werden. Ich danke schön, ich werde den Weg schon allein finden. Bitte vergessen Sie nicht. Ich verlasse mich auf Ihre strengste Diskretion.«

Er begab sich schnell zu der Ausgangstür und war wie verschwunden.

Justus und sein Schreiber sahen sich verdutzt an, folgten dem Fremden dann, um gerade noch zu sehen, wie sich die Tür von außen schloß. Dann hörten sie die Tritte auf den Steinstufen.

Justus führte die Hand in die Tasche, um die Banknoten zu befühlen. Dann zog er sie heraus, um sie zu prüfen. Sie waren zweifelsohne echt und lächelnd steckte er sie wieder ein.

»Ein sehr wohlhabender Herr, aber exzentrisch, Dark.« sagte er leichthin, »recht komisch – aber nun erzählen Sie mal, was Sie erlebt haben.«

Dark sah noch immer verwundert nach der Tür, hinter der der Fremde verschwunden war, und trocknete sich die Stirn.

»Ich kann Ihnen nicht viel mehr erzählen, Herr Wise, als was ich Ihnen schon gesagt habe. Entschuldigen Sie, daß ich so außer Atem bin und daß ich auch so hereingestürzt kam, ich war schnell gelaufen und ahnte nicht, daß jemand bei Ihnen war.«

»Ich will Ihnen dieses Mal noch verzeihen, aber vergessen Sie für die Folge nicht, daß hier ein Bureau ist, in dem jeden Augenblick Kunden erscheinen können. Also, weiter jetzt.«

»Ja, Herr Wise. Ich ging also zu dem Schauhause St. Giles und wartete, wie Sie mich geheißen hatten, auf einer Stelle, wo mich niemand bemerken konnte, von wo ich aber das Portal betrachtete. Ich brauchte gar nicht mal lange zu warten, da kam auch schon Herr Wyvill. Er sah sich um, mußte aber weder mich noch jemand anders bemerkt haben, der ihn genieren konnte, und ging hinein. Ich folgte ihm und da lag auch die Leiche des armen Mannes, die durch unseren Kamin gekommen war.«

»Hoffentlich haben Sie sich doch nicht verraten, daß Sie die Leiche erkannten?«

»Nein, Herr Wise, gewiß nicht. Und selbst, wenn ich es getan hätte, würde es niemand gesehen haben. Herr Wyvill und der Aufseher unterhielten sich, als sie vor dem Toten standen und achteten gar nicht auf mich.«

»Und was machte Wyvill für ein Gesicht?«

»Ganz wie sonst, soweit ich sehen konnte. Gerade als ich hineinkam, hörte ich ihn sagen: »Ach, er ist es nicht; es ist nicht mein lieber Freund. Das war ein Militär, der auf der Stirn ein Zeichen hatte, bis wohin der Helm gegangen war, und dieser Tote sieht wie ein Kaufmann aus.«

»Das tut er,« meinte der Aufseher. »Ich bedauere, daß es nicht Ihr Freund ist, den Sie vermissen. Ich will aber gern Ihren Namen und Ihre Adresse notieren. so daß ich Ihnen Nachricht geben kann, wenn wir hier etwas von Ihrem Freund erfahren.«

»Gern,« entgegnete Wyvill. »Ich habe gerade keine Karte bei mir und will es Ihnen aufschreiben oder wenn Sie so gut sein wollen, können Sie es sich ja auch notieren: John Douglas. Albington Crescent, Battersea. Haben Sie das?«

Damit wendet er sich um und sieht mich.

»Adieu, Herr Aufseher.« sagte er. »Ich will Sie nicht länger aufhalten. Und fort ist er.«

»Hat er Sie erkannt?«

»Das kann ich nicht sagen. Ich habe noch nie ein Wort mit ihm gesprochen, aber er kann mich vielleicht auf der Treppe gesehen haben. Ich habe ihn wenigstens oft genug gesehen.«

Justus zog die Brauen hoch. »Hoffen wir, daß er Sie nicht kennt. Jedenfalls gehen Sie ihm vorläufig möglichst aus dem Wege. Und was geschah nun weiter?«

»Ich wollte ihm nachgehen, aber ehe ich noch aus der Tür bin, hält mich der Aufseher an und ein Inspektor kommt herein. Inzwischen war Wyvill natürlich längst fort.«

»Nannten Sie Ihren Namen?«

»Nein, ich hielt es für besser, das nicht zu tun.

Ich machte es Herrn Wyvill nach und nannte mich Tom Arnold aus Limehouse. Ich hatte gerade ein Rechnungsformular von ihm in der Tasche und Tom wird nichts dagegen haben, daß ich seinen Namen gebrauchte. wenn er es überhaupt jemals erfährt.«

»Sie haben das ganz gut gemacht.« sagte Justus. »Und dann?«

»Wie ich hinauskam, war Wyvill natürlich längst verschwunden. Ich lief aber in unserer Richtung weiter und in einer Viertelstunde hatte ich ihn eingeholt. Er ging ganz gemächlich und begab sich offenbar in sein Bureau zurück; ich eilte weiter. Durch das Fenster auf dem Treppenabsatz konnte ich sehen, daß er die Straße hinunterkam, und deshalb stürzte ich zu Ihnen herein, um Ihnen das zu melden.«

»Ich danke Ihnen, Dark. Sie haben das wirklich recht gut erledigt. Gehen Sie jetzt und trinken Sie Tee. Hier ist auch Ihr Salär. Wechseln Sie diese Banknote und machen Sie sich bezahlt.«

Wieder allein geblieben, verfiel Wise in seine Gewohnheit, mit sich selbst zu sprechen.

»Die Dinge nehmen doch einen interessanten Verlauf. Weshalb sich Wyvill plötzlich Douglas nennt und schwindelt, daß er in Battersea wohnt, gibt viel zu denken. Und was mag mein letzter Klient damit zu tun haben? Daß er Wyvill ausweichen wollte, unterliegt keinem Zweifel. Und daß gerade er meinen jungen liebenswürdigen Freund Millbank durch mich sucht, klingt fabelhaft, ist aber doch glücklicherweise die nackte Tatsache. Millbank liegt im Streit mit West, der wiederum mit Wyvill befreundet ist – ein prächtiger Kreis. Jedenfalls bleibe ich in diesem Bureau. Es zieht das Geschäft mächtig heran.«


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