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Kapitel 12.

Vor Wyvills Heim

Justus Wise hatte erklärt, daß der Generaldirektor der Wapiti-Gesellschaft unbedingt ins Bureau zurückkehren müsse und daß sich dann Gelegenheit böte, über den geheimnisvollen Fremden Auskunft zu erlangen. Aber Wyvill kehrte nicht zurück.

Der nächste Tag verstrich und brachte keine Kunde, auch am folgenden Nachmittag war es Dark auf seine vorsichtigen Nachfragen bei seinem Bekannten, dem Taubenliebhaber, nicht möglich, über Wyvill etwas zu erfahren. Der rothaarige Mann, der ohne Kopfbedeckung. von Furcht gejagt, aus seinem Bureau geflohen war, schien verschwunden zu sein, in dem gewaltigen London spurlos untergetaucht und seine Angestellten sahen zum Teil müßig da, auf die Rückkehr ihres Chefs vergeblich wartend.

Blieb jedoch Wyvill unsichtbar, so war es Justus Wise doch beschieden, auf die Fährte des Mannes zu kommen, der jenen so wütend angegriffen hatte.

Nicht leicht entmutigt, war es Justus mit der Unterstützung von Dark nach vielen Bemühungen gelungen. sich die Privatadresse von Wyvill zu verschaffen, die dieser anscheinend sehr geheim zu halten pflegte.

In einem kleinen Hause, das ein Garten umgab, im Distrikt von St. Johns Wood hatte Wyvill sein Heim aufgeschlagen und dorthin begab sich Justus am Nachmittag des zweiten Tages.

Eine hohe Mauer umschloß den Garten derart, daß das Haus kaum sichtbar war, und die obersten Fenster, die gerade noch über die Mauer hinweglugten, waren mit Läden versperrt. Eine kleine grüne Tür führte in den Garten und ins Haus; sie war aus schwerem Holz.

»Etwas geheimnisvoll,« meinte Justus, nachdem er einen gründlichen Ueberblick gehalten hatte, der ihm jedoch wenig verriet. Er entschloß sich, die Bewohner des Hauses herauszuklingeln und seine Nachfrage unverblümt zu stellen. Nach einigem Suchen entdeckte er einen kleinen Klingelknopf, der ganz versteckt neben der grünen Gartentür angebracht war.

Er drückte darauf, aber es erfolgte keinerlei Erwiderung. Das Anwesen lag wie völlig verlassen da, so daß Justus auf die Vermutung kam, es habe der Gesuchte seinen ganzen Haushalt mitgenommen. Der Schrecken, den der Fremde Wyvill eingeflößt hatte, mußte doch ganz gewaltig gewesen sein, um so nachhaltig zu wirken.

Während Justus solchen Gedanken noch nachhing, wurde ein kleines Gitter in der Tür, das er bisher noch nicht bemerkt hatte, geöffnet und ein Auge sichtbar.

Ihm fiel das Wort ein: »Süß ist es, zu wissen, daß ein Auge unser Kommen bemerkt und heller leuchtet, so wir eintreten.« In diesem Falle konnte allerdings nicht behauptet werden, daß das Auge heller leuchtete, es schien vielmehr sehr böse auszuschauen und war im Nu wieder verschwunden. Das Gitter schloß sich mit einem hörbaren Knipsen.

»Hallo! Bitte.« rief Justus schnell. »Kommen Sie doch wieder. Ich möchte Sie sprechen.«

Da niemand antwortete, schlug er mit den Fäusten gegen das Holzwerk der Tür.

»Aber wollen Sie denn die Tür einschlagen?« ließ sich jetzt eine rauhe Stimme vernehmen und das kleine Gitter flog auf. Es enthüllte dem schönheitsliebenden Wise ein häßliches und offenbar wütendes altes Weib, das sich wie eine Scheuerfrau trug.

Mochte ihm dieser Anblick noch so widerwärtig sein, sein gewohntes Pathos verließ ihn nicht, und schnell sich fassend, lächelte er das bärtige Gesicht der Alten äußerst freundlich an.

»Guten Tag, meine liebe Frau. Verzeihen Sie. daß ich so heftig geklopft habe, ich fürchtete, Sie hätten mein Klingeln nicht gehört.«

»Sie haben aber doch gesehen, daß ich durch das Drahtgitter blickte?«

Justus war wieder etwas abgestoßen: »Doch, ich sah ein Auge.«

»Dann hätten Sie auch was Besseres tun können, als auf die Tür zu schlagen. Jetzt habe ich aufgemacht, um das Klopfen zu vermeiden. Was wünschen Sie denn eigentlich?«

»Ich wollte fragen, ob Herr Wyvill zu Hause ist.«

»Nein, das ist er nicht. Das hat Ihnen wohl Ihr Freund, der da an der Straßenecke wartet, wohl noch gar nicht gesagt?«

»Mein Freund, werte Frau? Jemand, der an der Ecke wartet? Wirklich, ich weiß nicht – ich verstehe Sie nicht.« Die Alte trat auf das Trottoir hinaus und blickte die Straße hinauf und hinunter. »Jetzt ist er gerade nicht da, wahrscheinlich nicht, aber ich wette, er ist nicht weit von hier. Er kommt tagsüber zwanzigmal her und hämmert auf die Tür.«

Justus folgte ihren Blicken und wandte sich ihr dann wieder zu. »Meine liebe Frau, Sie irren sich wirklich. Ich habe keinen Freund, der hier täglich zwanzigmal herkommen und an der Straßenecke warten würde. Ich bin zum ersten Male hier und aus eigenen Stücken, um mich zu erkundigen, ob Herr Wyvill zu Hause ist, und falls er abwesend wäre, wo ich ihn treffen könnte. Sie können mir wirklich glauben, bitte.«

Die Frau sah ihn etwas milder gestimmt an. »Nein, er ist wirklich nicht zu Hause, wie ich Ihnen schon gesagt habe. Er sagt mir niemals, wo er zu treffen ist. Leute, die ihn kennen, wissen das auch. Seit zwei Tagen war er schon nicht mehr hier. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Manche Leute trauen meiner Antwort nicht.«

»Sie glauben, daß der Herr, von dem Sie sprechen, mein Freund wäre!«

»Ein Gentleman? Ja, das mag er wohl sein, ich glaube aber, er ist verrückt. Und er kriegt mich nicht mehr dazu, für ihn an diese Tür zu kommen.«

»Verrückt? Meinen Sie das? Verzeihen Sie, ist dieser Unglückliche ein Mann zwischen vierzig und fünfzig, klein und breitschultrig, mit –«

»Gewiß, das ist er. Graues Haar, runzliches Gesicht – er sieht aus, als ob er jemand totschlagen möchte.«

»Armer Wyvill.« dachte Justus. »Er ist es! Möchte jemand totschlagen? Das hat er ja schon getan, oder ich müßte mich gewaltig irren. Es ist der Fremde, tatsächlich!«

»Wie lange ist es her, daß er zuletzt hier gewesen ist?« fragte er.

»Hier gewesen? Na, er ist eigentlich seit dem frühen Morgen noch gar nicht fortgegangen. Ich sehe ihn jetzt nicht mehr, aber wenn Sie es wollen, so brauchen Sie nur eine kleine Weile zu warten. Er kommt sicherlich zurück. Ich habe aber was Besseres zu tun, als mit Ihnen hier zu schwatzen.« und indem sie in den Garten zurückging, schlug sie Justus das Gitter vor der Nase zu, noch ehe er recht zur Besinnung gekommen war.

»Ich danke Ihnen, Sie liebenswürdiges Wesen.« sagte Justus, allerdings nur zu der Tür, denn die Frau, die diese so gut bewachte, hatte sich schon weit entfernt.

Justus war der Ansicht, daß er augenblicklich nichts Besseres tun könnte, als auf den exzentrischen Herrn zu warten, der zum einundzwanzigsten Male wiederkommen würde. Aber jener sollte ihn nicht sehen.

Er blickte sich um. Nicht weit ab und mit gutem Ueberblick auf die verbotene Pforte Wyvills stand ein Haus mit dem Plakat »Zu vermieten«.

Auch dieses Haus hatte einen Garten, der bis zur Straße führte und nur durch einen niedrigen Zaun abgegrenzt war. Da standen viele Pflanzen und Sträucher, hinter denen er sich verstecken konnte, um die grüne Tür zu Wyvills Garten zu beobachten. Schnell entschlossen ging er hinüber, schlüpfte unbemerkt über den Zaun und suchte sich einen Platz aus.

Der Garten war kalt und das Buschwerk feucht. Eine halbe Stunde ereignete sich gar nichts, doch Justus Wise besaß eine große Geduld. Unbeschränkte Aussicht auf Erfolg und im Hintergrunde bares Geld hatten sich kürzlich vor ihm entrollt, so daß ihn etwas Unbequemlichkeit nicht schreckte. Und deshalb ertrug er auch geduldig, daß hin und wieder ein widriges Insekt ihm von den Blättern in den Halskragen fiel und Mücken und Beine ihn zeitweise schmerzten. Unablässig hielt er seine Augen auf die Landstraße gerichtet und sein Ausharren sollte auch belohnt werden.

Denn mit festem, raschem Schritt, nur wenige Fuß von der Stelle entfernt, wo Justus zusammengekauert am Boden saß, kam endlich der Mann vorüber, auf den er gewartet hatte.

Er näherte sich so schnell und sah so entschlossen aus, daß Justus sich noch weiter hinter den Strauch zurückzog. und bei dem dadurch entstehenden Geräusch hätte er beinahe seinen ganzen Zweck vereitelt. Der Fremde achtete aber gar nicht aus das Rauschen der Blätter, das er wohl dem Winde zuschrieb. Seine Blicke waren auf die Gartenpforte Wyvills gerichtet, seine Hände so erbost geballt, daß Justus sehen konnte, wie die Knöchel unter dem Drucke weiß wurden.

»Es wird doch interessant sein, zuzusehen, welchen Eindruck er auf mein liebenswürdiges »Fräulein«, die alte Dame, macht.« sagte sich Justus, indem er den breiten Rücken des Mannes betrachtete. »Er scheint ja in recht netter Stimmung zu sein und sie steht doch auch ihren Mann. Da schellt er. Die Klingel wird entzwei gehen.«

Justus hatte recht. Nach verschiedenem scharfen Anziehen des Knopfes blieb dieser in der Hand des Wütenden, der den Knopf eine Sekunde betrachtete und ihn dann auf die Straße warf. Jetzt begann er die Tür mit seinen kräftigen Fäusten zu bearbeiten.

Justus betrachtete ihn mit Entsetzen. »Das möchte selbst ich nicht wagen. Wie ärgerlich wohl die alte Dame sein wird, wenn sie wieder herauskommt.«

Doch die alte Dame schien keine Lust zu verspüren, sich zu zeigen. Weder der zerbrochene Klingelknopf, noch das Hämmern mit den Fäusten machte irgend welchen Eindruck auf sie. Außer diesem Klopfen an die Tür ließ sich ringsherum kein Ton vernehmen.

»Abgeblitzt! Sie werden Ihr Verfahren einstellen müssen!« So sagte sich Justus schadenfroh.

Der Unbekannte schlug noch einmal an die Tür und da noch immer keine Antwort erfolgte, stieß er mit der Schulter dagegen. Es entstand ein Knacken, ein Krach, das Schloß gab nach und der Feind befand sich in der Festung.

Justus holte tief Atem. Welch ein energischer Mensch! Jetzt begreife ich, weshalb Wyvill jüngst nicht mehr nach seinem Hute suchte und weshalb er seinem Bureau fernblieb. Was mag geschehen, wenn er sich jetzt im Hause befindet?«

Einige Minuten verstrichen.

Viel hätte Justus darum gegeben, wenn er hätte erfahren können, was nun in dem Hause vorging, aber er wagte es doch nicht, gerade jetzt hervorzutreten. Seitdem der Unbekannte sich den Eingang erzwungen hatte, war es ringsumher ganz still geworden.

Diese Stille wirkte auf Justus recht unheimlich und seine Neugierde wurde so groß, daß er sich doch genötigt gesehen hätte, die Dinge näher zu untersuchen und seinen Schlupfwinkel zu verlassen – wäre der Fremde nicht wieder erschienen.

»Er hat gegen Windmühlen gekämpft.« dachte Justus und lugte durch das Buschwerk. »Da steht er nun und weiß nicht, was er tun soll.«

Dieses Urteil traf zu. Die Wut des Mannes schien sich beruhigt zu haben, nachdem er sich den Eintritt in das Haus erzwungen und darin vergeblich gesucht hatte. Ein unsicherer, verdutzter Ausdruck lag aus seinen ernsten Mienen, als er auf der Straße nach rechts und links sich umsah.

Er nahm den Hut ab und trocknete sich die heiße Stirn. Er machte einige Schritte, blieb dann wieder stehen, stützte den Kopf auf die Hand und lehnte sich gegen den Zaunpfosten.

»Er gibt es für heute auf und wird jetzt nach Hause gehen. Da bietet sich mir die richtige Gelegenheit,« folgerte Justus. Und der Fremde raffte sich müde zusammen und schlenderte dann die Straße hinab.

Justus wartete, bis er an ihm vorüber war, abermals so nahe, daß er mit der Hand seinen Aermel hätte berühren können, dann kroch er aus dem Versteck hervor und folgte dem Fremden in einer gewissen Entfernung und leichten Schrittes.


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