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Drittes Kapitel.

Drei Tage später fuhr Lohmann vom Gersdorfer Bahnhof aus hinter dem Sarge seiner Frau her ins Waldtal von Laubnitz hinein.

»Da geht's, wie zur Welt hinaus!« dachte er, als der Wagen durch eine dunkle Bahnüberführung klapperte, von deren Wölbung der harte Stoß der Roßhufe wiederhallte. Und mit einem unwillkürlichen Rucke richtete er sich auf.

Gott sei Dank, daß das alles hinter ihm lag! Es war ja schließlich all die »Teilnahme« gar nicht mehr zu ertragen gewesen!

Wie sie lawinenartig anwuchs, als man erst »diese Idee« erfahren hatte, er werde sich mit der Leiche zugleich lebendig und für immer in dem weltverlassenen Bergdorfe begraben, wo er sich für seinen Sommeraufenthalt angekauft habe! Da konnte man ja, ohne die Konsequenzen fürchten zu müssen, noch einmal das allergrößte Ergriffensein mit dem Schicksal des »ärmsten Sanitätsrates« bezeigen!

Er wußte, man war ihm dankbar dafür, daß man ihn so »auf die alleranständigste Weise der Welt« los wurde für immer.

Nun ja, sie sollten ihn los sein für immer, und darum hatte er auch »das da« mit sich genommen! Und wie liebkosend glitt dabei sein umflorter Blick über den Sarg hin, der vor ihm auf einem kleinstädtisch-überputzten Leichenwagen talaufwärts schwankte.

Eine verschwenderische Fülle von Palmenwedeln und Kränzen ließ nur hie und da das blanke Metall des Sarges in der milden Sonne des Spätherbstnachmittages aufblitzen, während die Wagen auf der baumlosen Straße dahinpolterten, die sich zwischen grünen Wiesen bergwärts schlängelte. Sie strebte einer waldigen Bucht der Gebirgsfront zu, die sich immer lauschiger vertiefte, je näher ihr der kurze Wagenzug kam. Rechts und links vom Taleingang schoben ein paar breitrückig-massive Waldberge ihren Fuß so nahe gegen einander vor, als seien sie zwei pfortenhütende Löwen, die zwischen ihren drohenden Tatzen nur einer Wegspur Breite freilassen wollten.

»Ja, hütet uns vor allem, was von da draußen kommt!« dachte Lohmann, und durch seine Erinnerung gingen gleich fernen und undeutlich erkennbaren Wanderern die Namen der beiden Berge, und er besann sich schließlich darauf, daß der linke wohl »Zimmerberg« genannt werde. Die bunte Pracht seines herbstlichen Blätterschmuckes konnte Lohmann auch nicht lange fesseln; bald wanderte sein Blick wieder grübelnd mit den Palmenwedeln hin und her, die schwermütig über dem Kopfende des Sarges schwankten.

Die Sonne stand schon nahe dem Rücken der Waldberge, und manchmal lag sie Lohmann blendend auf seinen trockenen, brennenden Lidern. Dann wandte er wohl den Blick seitwärts und ließ ihn verloren über die dünne Häuserzeile gleiten, die nun schon drüben, jenseits der Wiesen, die Straße begleitete.

Da, wo sie den breiten Bach des Tales auf einer primitiven Holzbrücke übersetzte, nahm eins der vielen Bilder, die ein schaulustiges Auge hier mit Wohlgefallen gefaßt hätte, auch Lohmanns Grübeln einen Augenblick gefangen. Vor einer Gruppe hoher Kastanien, die mit ihrem herbstbunten Laube einen spitzen, malerischen Fachwerkgiebel umrahmten, stand eine halbverfallene Brettschneidemühle. Aus ihrer morschen Holzrinne glitt ein breiter, silberfarbiger Wasserstrahl zur Tiefe, tatenlos; denn schon lange drehte sich unter ihm kein Rad mehr in rüstigem Schwunge.

»Das rinnt mit Ungestüm,« dachte Lohmann, »und hat doch nichts mehr zu treiben!« Und mit leiser Gewalt unterdrückte er den Zusatz – »wie deine eigene Lebenskraft!«

Auf schmaler Straße fuhr der Zug nun durchs Dorf, zwischen verstreut liegenden Häusern und kleinen Gehöften hinauf. Mancherlei Gaffer, große und kleine, lockte das Schauspiel des »vornehmsten Begräbnisses«, das sich je diese Straße aufwärts bewegt hatte, vor die Türen und an die Zäune und weckten die Neugier des »Planeten« und »Trabanten«, die mit dem Gersdorfer Pastor Lohmann im nächsten Wagen folgten. Die beiden Damen, deren Anhänglichkeit an das Lohmann'sche Haus selbst zur Teilnahme an dieser Begräbnisfahrt ausreichte, bestürmten den freundlichen Geistlichen mit allerhand sprunghaften Fragen über das künftige Milieu ihres Idols. Bald wollten sie Auskunft über die Verpflegungsverhältnisse in Laubnitz haben, bald über die Gut- und Bösartigkeit der »Ureinwohner«, bald über die Namen der Berge, die das Dorftal eng und steilwandig umhegten.

»Wie heißt doch der da, Herr Pastor,« fragte der Planet, »der da den Talschluß bildet? Er hängt wie ein finstres Schicksal über dem unseligen Dorfe.«

»Der »Heidelberg« heißt er,« antwortete der Pastor, »einer der vielen seines Namens in Schlesien.«

»Er krümmt sich wie der Buckel einer tückischen Katze,« beeilte sich der Trabant hinzuzusetzen, dem getadelten Berge auch pflichtschuldigst eins versetzend.

»Und in solcher Umgebung und unter solchem Drucke will er seelisch genesen, liebste Albertine!« wandte sich der Planet dankend mit wehmütiger Miene der Gefährtin zu.

Der Wagenzug war indessen zu einer Gabelung des Dorftals gelangt, die ein schmaler, hoher Kamm verursachte, vom Pastor »Riegel« genannt, um dessen spitzwinkliges Ende man jetzt nach links in ein noch engeres Seitental einbog. Der Pastor bezeichnete es als den »süßen Grund«.

»Da kommen wir zum Hause des Herrn Sanitätsrats!« sagte der Geistliche nach einigen Minuten langsameren Berganfahrens, während er zum rechten Wagenfenster hinauswies. Er führte dadurch einen Zusammenprall der beiden Gestirnnamen-Träger vor sich herbei.

»Ach Gott, wie ärmlich!« riefen beide Damen wie aus einem Munde und rieben sich die Stirnen, die infolge der Kollision schmerzten.

»Da können ja kaum drei bewohnbare Zimmer drin sein!« seufzte die Planetarische.

»Nun ja, mehr kaum!« bestätigte der Pfarrer. »Es ist eben ein ehemaliges Weberhaus. Aber der Herr Sanitätsrat hat's ja schon hübsch ausbauen lassen. Und für ihn allein und seine Dienerschaft ist, denke ich, Raum genug drin.«

Die Damen ereiferten sich übereinstimmend beide innerlich über diesen »Hinterwäldler«, der sonderbare Vorstellungen von den Bedürfnissen eines Lohmann haben müsse, in dessen Stadt-Villa, die nun zum Verkauf stand, ja die Diele größer sei, als diese ganze Weberhütte.

Auch Lohmann hatte seinem Hause mit Spannung entgegengeblickt.

Wie würde heute sein Anblick auf ihn wirken, nun sich alles seinen Absichten so tragisch entgegengesetzt zutrug?

Im Hochsommer hatte er mit ihr zu stillen Feierwochen hier einkehren wollen, die nun in ihrer letzten Behausung, unter Totenkränzen begraben, an der geschlossenen Tür vorüberrollte. – –

Und auch er war bei diesem Wiedersehen mit seinem etwas hastig erworbenen Besitztum fast enttäuscht.

»Ärmlich und nüchtern!«

Unwillkürlich drängte sich ihm dies Urteil auf die Lippen, als die weißgetünchte Giebelwand zwischen den halbentlaubten Bäumen des kleinen Gartens hart an der schmalen, steilen Dorfstraße auftauchte.

Aber, als er nun an dem Häuschen vorüberfuhr und sah, wie es, beschirmt von einem neuen, weit überstehenden Schieferdache, mehr noch aber vom Geäst eines rundkronigen Ahornbaumes dastand, hineingebaut in den waldigen, steilen Abhang des »Riegels«, der es gleich einer himmelhohen Mauer schützend umwallte, da kam's wie ein Gefühl des Geborgenseins über ihn. Und als ihm die dunkle Purpurglut der Ranken des wilden Weins entgegenleuchtete, die sich um die weiße Birkenbalustrade vor der Vorderfront in üppigen Gewinden schlangen und sich bereits zur talwärts gewendeten weißen Giebelwand hinaufgetastet hatten, da bat er seinem »Refugium« auch das »Nüchtern« im Geiste wieder ab. Und er dachte: »Wenn irgend wo, muß es hier möglich sein, den Frieden zu finden, den ich suche!«

Langsamer und immer langsamer ging die stille Totenfahrt durch den »süßen Grund« waldwärts weiter, auf immer steilerem und steinigerem Wege ins Bergland hinein. Die dünne Häuserzeile des Dorfes wurde zurückgelassen; dunkelgrüner Tannenwald umhegte jetzt den porphyrroten Weg, und drunten in der Tiefe zur Seite der Straße mischte nun der nahe Bach sein nimmermüdes Murmeln auch in dieses Menschenleid.

Nun wieder eine Lichtung, ein kreisrunder Feld- und Wiesenplan, umhegt rundum von dunklen Waldbergen, verstreut auf ihm der irre Schwarm der »Glasehütten-Häuser,« mitten unter ihnen, die eine Kolonie von Laubnitz bildeten, der »Kretscham,« ein unschöner Rohbau mit neumodischem Pappdache, wie eine Glucke in einer Schar ängstlicher Küchlein dastehend. Dann abermals eine Verengung zu schmaler Waldstraße und endlich, endlich das Ziel der langen, trauervollen Fahrt: der schwermütig-schöne Kirchhof von Laubnitz.

Gleich einer Welle, die im begriff ist, sich zu überstürzen, bildete hier ein Berg den Talschluß, den der Pastor in immerreger Bereitwilligkeit seinen entzückten Fahrtgenossinnen als »Spitzberg« benamste.

Hinter seinen Gipfel sank soeben die Sonne, und ihr herbstlicher Schein wob in schöner Beugung um seine scharfen Konturen ein goldiges Strahlenband. Verirrte Lichter vergoldeten auch die zottigen Zweige der dunklen Tannen, die am Fuße dieses Talbeherrschers einen ansehnlichen Bannwald über dem Kirchhofplänchen bildeten, das eine niedrige Fichtenhecke umzäunte. Von rechts und links her aber schlug im weiteren Bogen der Hochwald seine dunklen Mantelflügel um diese einzigartige Ruhestätte, so bergend, daß Lohmann beim Anblick dieser grünen Gräbereinsamkeit murmelte: »Es war doch die rechte Wahl!«

Mit all dem störenden Drum und Dran, mit dem gefühllose und ungeschickte Hände den leidvoll Zuschauenden nun einmal quälen, ward der Sarg vom Wagen abgehoben und durch den kahlen Torbau einer primitiven hölzernen Leichenhalle auf den Friedhof getragen. Zwischen schiefstehenden Holzkreuzen und Grabtafeln, an verfallenen oder grell geschmückten Hügeln vorüber schritt der Zug bis zu dem hohen Kruzifixe hin, das auch über diesem Gräberfelde seine stumme Tröstersprache redete.

Lohmann stand in starrer Qual neben dem Sarge, den nur noch ein paar untergeschobene Stangen von dem Versinken in die Grube trennten. Er sah die dörflichen Träger in ihren schlecht sitzenden Urväterröcken, den verwitterten Hochzeitszylinder zwischen den klobigen Holzfällerhänden; er sah die unverhüllteste Neugier in den Gesichtern der scharenweise herbeigeströmten Talbevölkerung, die ein so »vürnahmes Begräbnis« hier noch nicht erlebt hatten. Er sah's gedankenabwesend und ließ es über sich ergehen wie den Gesang aus frischen Dorfkinderkehlen und die Rede des fremden Geistlichen, der mit unvorsichtiger Sonde in seinen frischen Herzenswunden wühlte nach Herzenslust.

Und als dann der Sarg ins Dunkel hinabgeglitten war, ertrug er gedankenlos auch noch die Händedrücke und nochmaligen Beileidsbezeugungen derer, die sich zu so was an ihn herantrauten, und nur, als die beiden unzertrennlichen Getreuen seines Hauses sich schluchzend von ihm verabschiedeten, – eilig, um noch rechtzeitig den letzten Zug zur Heimfahrt zu erreichen – da kam ein wärmerer Hauch in seine starren Mienen, und mit weicherer Stimme dankte er ihnen für alle Beweise von Anhänglichkeit und Liebe für die Verstorbene. –

Und dann war er endlich allein bei der Toten und ihren stummen Friedhofsgenossen!

Die Hände über der Krücke seines Schirmes gefaltet, stand er vorgebeugt am Grabrande und starrte hinunter auf den durchs Grün der Kränze schimmernden Deckel des Sarges.

Ihn schauderte. – –

»Zum Verwesen!«

Es wollte ihm kein anderer, lichterer Gedanke kommen.

»Zum Verwesen!«

Und es war einst so viel Liebe und Leben und Hingabe und auch Lebensfreude in diesem Leibe gewesen! Und wenn auch immer die Sorge um den Verlust drohte, der nun da war, und wenn er's auch tausendmal in seinem Berufe beobachtet hatte, nun's da war, dies Verfallen, Vergehen, Verwesen, nun packte es ihn mit den kalten Händen des Grausens. Und ganz anders auch dies Mal, als all die andern Male, da er an offenen Gräbern seiner Nächsten stand, an Vaters und Mutters Grabe und an dem der Geschwister.

Was war's Besonderes, was dies Mal der dunkle Schlund da mit sich hinabwürgte an schwereren Verlusten?! – So wand sich in erbarmungsloser Umkrallung Lohmanns Herz, und ob seine Finger gleich gefaltet waren, stumm und abweisend würde er mit dem Kopfe geschüttelt haben, wenn ihm jetzt eine Stimme ins Ohr geraunt hätte: »Bete!« Und wenn sie's ihm donnernd zugerufen hätte, dann würde er in trotziger Abwehr den Arm erhoben haben.

Und er wollte so als ein von Menschen und Gott Verlassener vor der dunklen Tiefe stehen, aus deren Grunde die Rätselblumen erblühen. – – –

* * *

Ein leises Frösteln, das durch seinen Körper lief, weckte Lohmann endlich aus dem bilderlosen Starren ins Grab der Lebensgefährtin. Mit leeren Augen durchmaß er den kleinen Friedhof, den der Hochwald schon in violette Schatten hüllte.

Am offenen Tore der Leichenhalle sah Lohmann einen zahnlückigen Mann für sich und eine Frau, die zu unförmlicher Rundung aufgedunsen war, Schaufel und Grabscheit zurechtstellen. Der Mann hatte vorhin neben dem Geistlichen gestanden und ihm die kleine Schaufel gereicht, mit der der Pastor dem Sarge die üblichen drei Häufchen Erde nachwarf. Es war offenbar der Totengräber.

Jetzt hatte er den schäbigen »Gottstischrock« abgelegt und fein säuberlich in der Halle aufgehängt, dafür aber ein Schurzfell umgetan. Auch die Frau begann, ihr dünnes, schwarzes Kleid heraufzuschlagen, wobei ein scharlachroter, vielfach mit bunten Flicken besetzter Unterrock zum Vorschein kam. Beide aber hantierten absichtlich hörbar mit ihren Geräten herum, und ihr anfänglich bescheidenes Flüstern ward schon zum mahnenden Brummen.

Lohmann begriff.

»Das Opfer fiel; die Raben steigen nieder!« dachte er, der sich der Sentenzen so schwer erwehren konnte, und angewidert riß er sich schnell von Sarg und Grab los und ging mit schleppenden Füßen zum Friedhofe hinaus, an dem verlegen grinsenden Totengräberpaare vorüber.

Da hörte er hinter sich mit hartem Pralle das Tor schließen, und als er sich, wie von Händen gepackt, hastig umwandte, versperrte ihm die wetterschwarze Planke den Blick auf Friedhof und Grab. Nur das hohe Kruzifix sah er wie einen mahnenden Arm hoch emporgestreckt zum Abendhimmel, auf dessen brokatfarbenem Hintergrunde das Kreuz, der Spitzberg und seine waldigen Trabanten in messerscharfen Umrissen dastanden. »Wie auf einem byzantinischen Heiligenbilde,« dachte Lohmann, und es war ihm wie ein Trost, daß er sein totes Weib unter einem solchen Baldachin ruhen wußte.

Langsam schritt er talwärts, den Häusern der »Glasehütte« zu.

Draußen in weiter Ferne umrahmte den engen Horizont ein spitzgipfliger Berg. Auf seinem Hange lag noch heller Sonnenglanz, und Lohmann sah mit wehem Gefühl die fernen Freudenfeuer des Abends. Um ihn her im Waldtal düsterte schon überall ein frühes Dämmern.

Ein Fußpfad leitete ihn mitten über den Wiesenplan des Waldkessels, auf den sich die Hütten nun noch enger an den hohen Kretschambau zu drängen schienen. Am Waldsaume stiegen aus den kurzen, engen Tälern, in die sich hier der Wiesenplan fältelte, graublaue Rauchsäulen von den Kartoffelfeuern der Hütejungen empor. Hie und da scholl auch schon der eintönige Lockruf eines frühzeitig eintreibenden Hirten durch die schwermutatmende Stille der Landschaft.

Zwischen den Häusern begegnete Lohmann keinem Menschen. Er hörte nur manchmal beim Vorübergehen im Innern Türen schlagen und eilige Worte wechseln. Sie mußten wohl alle einholen, was ihnen das seltene Tagesereignis an Zeit geraubt hatte.

Nun war er wieder im Innengehege des »süßen Grundes«, wo der Bach so hastig in der Tiefe drunten hinausstrebt aus der Bergeinsamkeit, in die sich der weltmüde Mann neben seinem toten Weibe begraben wollte.

Mochte er immer rauschend an seiner Schwelle vorüberhasten, ihn sollte er nicht mit hinauslocken ins Weite, wo auf den Hängen die heiße Sonne liegt!

Im Schatten des engen Tales wollte er fernerhin hausen unter dem niedrigen Dache, das er nun schon zu seinen Füßen zwischen den Wipfeln auftauchen sah! –

Er fand schon Licht im Hause entzündet. Frau Wachler, die langjährige Wirtschafterin der Verstorbenen, die ihm auch hier sein Hauswesen führen sollte, wartete wohl schon mit der ersten Mahlzeit im neuen Heim auf ihn. –

Zögernd kam er dem Hause näher und trat an die Balustrade heran, deren Birkengestänge im Halbdunkel gespenstisch-weiß aus seiner roten Blattumschlingung leuchtete. Müde lehnte er sich gegen den Stamm des schlanken Ahornbaumes, dessen Krone das halbe Dach des Hauses überwölbte, und ließ den Blick verloren umherschweifen.

Wie eng das Tal hier war, beängstigend eng!

Und wie leblos!

Das kleine Weberhaus drüben überm Bache lag zwar kaum hundert Schritt entfernt, aber so viel tiefer, daß es zwischen den Bäumen seines Gartens fast ganz vor den Blicken versank. Sonst war keine menschliche Wohnstätte zu sehen.

Und wie steil die Lehnen links und rechts! Selbst mit dem Auge mühsam zu erklimmen, besonders die »süße Grund-Lehne« drüben überm Bache, die der dunkle Hochwald mit schwarzem Saume krönte! Talabwärts aber, wo sich die Lehnen enger und enger zusammenschlossen, prallte der suchende Blick, der in die freie Ferne und lichte Weite strebte, gegen die gewaltig gewölbte Wächter-Brust des »Zimmerberges.« –

Wie er so stand und ins Düstere sah, war's Lohmann, als wüchsen die dunklen Berge des Kessels um ihn her immer höher und höher, und als sänke er samt seiner stillen Klause immer tiefer und tiefer in den klaffenden Abgrund einer trostlosen Einsamkeit.

Da griff die Vereinsamung mit eisiger Hand an das Herz des durchschauderten Mannes, der so jäh den Sprung ins Dunkel dieser Weltabgeschiedenheit gewagt hatte.


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