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7. Kapitel

Im Herrenhause zu Toporow saßen im Gastgemach abends drei Herren zu heimlicher Unterredung eingeschlossen. Mehrere brennende Lichter standen auf dem mit Landkarten bedeckten Tische, welche die Gegend ringsum darstellten; neben ihnen lag ein hoher Hut mit schwarzer Feder, ein Fernrohr, ein Degen mit perlenbesetztem Griff, auf welchen ein Spitzentuch und ein Paar Handschuhe aus Elenhaut leicht hingeworfen waren. An dem Tische, in einem hohen Lehnstuhle, saß ein Mann, welcher etwa vierzig Jahre alt, sehr klein und mager, aber kräftig gebaut war. Sein Gesicht war sonnenverbrannt, gelblich, mit müdem Ausdruck, schwarzen Augen und einer eben solchen schwedischen Perücke, deren lange Locken über die Schultern und den Rücken herabfielen. Ein dünner, schwarzer Schnurrbart, an den Enden nach oben gedreht, zierte die Oberlippe, die Unterlippe dagegen trat samt dem Kinn stark hervor, der ganzen Physiognomie einen charakteristischen Zug von Löwenmut, Stolz und Eigensinn gebend.

Es war kein schönes, aber ein sehr bedeutendes Gesicht. Ein sinnlicher Ausdruck, welcher Neigung zu Lebensgenuß verriet, mischte sich seltsam mit einer gewissen schläfrigen Leblosigkeit und Kälte. Die Augen waren wie erloschen, aber man konnte leicht erraten, daß sie in Augenblicken der Begeisterung, der Lust oder des Zornes Blitze strahlen konnten, die nicht jedes Auge zu ertragen vermochte. Gleichzeitig verrieten sie Güte und Milde.

Der schwarze Anzug, der aus einem Wams von Atlas und einem Spitzenkragen bestand, unter welchem eine goldene Kette hervorsah, erhöhte noch das Ansehen dieser ungewöhnlichen Gestalt. Im allgemeinen lag über ihr, trotz der Trauer und Sorgen, die sich in Gesicht und Haltung ausprägten, etwas Majestätisches. Es war der König Johann Kasimir Wasa, der, noch nicht seit einem vollen Jahre der Nachfolger seines Bruders Ladislaus, mit seinen Räten hier beratschlagte.

Etwas hinter ihm, im Halbdunkel, saß Hieronymus Radsiejowski, der Starost von Lomscha, ein kleiner, dicker Mann, mit dem roten, fetten und frechen Gesicht des Höflings, und ihm gegenüber am Tisch der dritte Herr, mit aufgestemmten Ellbogen, aufmerksam die vor ihm liegenden Karten der Umgegend betrachtend, und von Zeit zu Zeit den Blick auf den König heftend.

Sein Antlitz war weniger majestätisch, aber es trug fast noch mehr den Ausdruck amtlicher Würde als dasjenige des Königs. Es war ein von Sorgen und Gedanken durchfurchtes Gesicht, kühl und verständig, wie das Gesicht eines Mannes von Stande, welchem der Ernst nichts von seiner außerordentlichen Schönheit benahm. Die Augen waren blau und durchdringend, polnische Kleidung, der nach schwedischer Art zugestutzte Bart, der über der Stirn befindliche Haarbüschel gaben seinen regelmäßigen, wie aus Stein gemeißelten Zügen eine noch größere, senatorische Würde.

Dieser Mann war Georg Ossolinski, der Kanzler der Krone und Fürst des römischen Reiches, ein Diplomat und Redner, welcher von allen Höfen Europas bewundert wurde, der berühmte Gegner Jeremias Wischniowiezkis.

Seine außerordentlichen Fähigkeiten hatten schon frühzeitig die Aufmerksamkeit der früheren Herrscher auf ihn gelenkt und ihm die wichtigsten Ämter eingetragen, kraft welcher er – in der herannahenden Stunde seiner vollständigen Zerschellung – das ganze Staatsschiff lenkte.

Und der Kanzler war wie geschaffen zum Steuermann eines solchen Fahrzeuges. Arbeitssam, ausdauernd, verständig, wie er war, den Blick in die ferne Zukunft gerichtet, alles auf Jahre voraus berechnend und erwägend, hätte er mit sicherer und ruhiger Hand jedes Staatsschiff, mit Ausnahme der Republik, in einen sicheren Hafen gelenkt, jedem anderen innere Kraft und lange Jahre der Macht gesichert, – wenn er selbständiger Minister, beispielsweise eines Monarchen wie der König von Frankreich oder Spanien, gewesen wäre.

Außerhalb der Landesgrenzen erzogen, an fremde Vorbilder sich anlehnend, konnte er, trotz des angeborenen Scharfblickes und Verstandes, trotz der jahrelangen Erfahrungen, sich nicht an die kraftlose Regierung der Republik gewöhnen, und lernte sein Leben lang nicht mit diesem Umstande rechnen, obgleich das der Fels war, an welchem alle seine Pläne, Absichten und Bemühungen scheiterten. – Er ahnte jetzt bereits den Abgrund, der sich vor ihm aufzutun begann, er sah den Ruin über das Reich hereinbrechen, über welchen er später, Verzweiflung im Herzen, starb.

Er war ein genialer Theoretiker, welcher jedoch nicht verstand, ein genialer Praktiker zu sein, darum geriet er in ein Wirrsal von Irrtümern, aus welchem zu entrinnen er nicht vermochte. Einmal erfaßt von einem Gedanken, welcher in der Zukunft Früchte tragen sollte, hing er diesem mit dem Eigensinn des Fanatikers nach, nicht erwägend, daß dieser Gedanke wohl in der Theorie heilbringend, doch angesichts der gegenwärtig bestehenden Tatsachen in der Praxis nur schreckliche Niederlagen nach sich ziehen mußte.

Indem er bemüht war, das Reich und die Regierung zu kräftigen, hatte er das schreckliche Element der Kosaken entfesselt, ahnungslos, daß sich der Sturm nicht nur gegen den Adel, die Vorrechte und Übergriffe der Magnaten und deren Übermut, sondern gegen die eigensten, innersten Interessen des Staates selbst richten würde.

Chmielnizki hatte sich in den Steppen erhoben und war zu einem Riesen angewachsen. Auf die Schultern der Republik wälzten sich die Niederlagen an den gelben Wassern bei Korsun und Pilawice. Schon bei dem ersten Schritt hatte dieser Chmielnizki sich mit dem Feinde des Staates, der Krimschen Macht, verbündet. Ein Schlag folgte dem anderen, – es blieb nur Krieg und wieder Krieg. Das schreckliche Element der Empörung mußte vor allem erdrückt werden, um es sich für die Zukunft nutzbar zu machen. Und der Kanzler, statt das zu tun, schlug, in seinen Gedanken verrannt, nur den Weg der Verträge ein, zögerte, ein Ende zu machen, und traute noch immer sogar dem Chmielnizki.

Die Macht der Verhältnisse zertrümmerte alle seine Theorien; mit jedem Tage zeigte es sich deutlicher, daß die Folgen der Bemühungen des Kanzlers ganz entgegengesetzt denjenigen waren, die er erwartet hatte, – bis endlich die Tage von Sbarasch gekommen waren und alle Befürchtungen auf das schlimmste bestätigten.

Den Kanzler erdrückte fast die Bürde der Sorgen, der Bitterkeit und des allgemeinen Hasses. Er tat also das, was in Tagen des Unglücks und der Widerwärtigkeiten alle Menschen tun, bei welchem das Selbstvertrauen stärker ist als alles Unglück, – er suchte Schuldige.

Schuldig war die ganze Republik, sämtliche Stände derselben, ihre Vergangenheit und die Form ihrer Regierung. Aber wer aus Furcht, ein am Bergesabhange liegender Felsblock könne herabstürzen und alles auf seinem Wege mit sich fortreißen, diesen Felsblock in die Höhe richten will und nicht mit den ihm zu Gebote stehenden Kräften rechnet, der bringt ihn vorzeitig ins Rollen. Der Kanzler hatte noch Schlimmeres getan, denn er hatte den schrecklichen, reißenden Strom der Kosaken zu Hilfe gerufen und nicht bedacht, daß derselbe den Boden unterminieren und fortreißen mußte, auf welchem der Fels ruhte.

Während er also Schuldige suchte, richteten sich aller Augen auf ihn, als den Anstifter des Krieges, der Niederlagen und des Elends.

Doch der König vertraute noch der besseren Einsicht seines Kanzlers um so mehr, da die öffentliche Meinung seine königliche Majestät nicht schonte und ihn gleich dem Kanzler beschuldigte.

So saßen sie nun in Toporow, düster und sorgenvoll, ohne zu wissen, was sie tun sollten, denn der König hatte nur fünfundzwanzigtausend Mann bei sich. Der Befehl zum allgemeinen Aufgebot war zu spät ausgeschickt worden, und dasselbe hatte sich kaum erst zum kleinsten Teil versammelt. Wer die Schuld daran trug, und ob die Verzögerung nicht ein neuer Fehler der eigensinnigen Politik des Kanzlers war, dieses Geheimnis waltete nur zwischen dem Könige und seinem Minister, – genug, beide fühlten sich in diesem Augenblick wehrlos gegenüber der Macht Chmielnizkis.

Noch wichtiger war, daß sie keine genauen Nachrichten über ihn hatten. Im königlichen Lager wußte man bis jetzt nicht, ob der Khan mit seiner ganzen Heeresmacht bei Chmielnizki sei, oder ob nur Tuhaj-Bey mit einer Anzahl seiner Horden die Kosaken begleite. Das war eine Frage um Leben und Tod. Mit Chmielnizki allein konnte der König im Notfalle sein Glück versuchen, obwohl der Rebellenhetman über eine zehnfach größere Macht gebot. Der Nimbus, welcher den königlichen Namen umgab, hatte für die Kosaken eine große Bedeutung, eine größere vielleicht, als für die Menge des allgemeinen Aufgebots und des rohen, ungeübten Adels. War aber der Khan gegenwärtig, so war es unmöglich, sich mit dessen Stärke zu messen.

Die allerverschiedensten Gerüchte waren im Umlauf, aber niemand wußte etwas Genaues. Der umsichtige Chmielnizki hielt alle Kräfte zusammen, ließ absichtlich keine Abteilung Kosaken, keinen tatarischen Streifzug aus dem Lager, damit der König keinen Kundschafter bekomme.

Der Rebellenhetman hatte die Absicht, – mit einem Teil seiner Truppen das sterbende Sbarasch vollends auszuhungern und selbst unvermutet mit dem Rest seiner Kosaken und der gesamten Tatarenmacht den König samt seinem Heere zu umzingeln und ihn dem Khan auszuliefern.

Es lagerte also nicht ohne Grund eine Wolke auf der Stirn des Königs, denn es gibt keinen größeren Schmerz für die Majestät, als das Gefühl der Machtlosigkeit. Johann Kasimir lehnte kraftlos im Lehnstuhl, ließ die Hand auf den Tisch sinken und sagte, auf die Karte zeigend:

»Das führt zu nichts, zu nichts! Schafft mir Kundschafter.«

»Auch ich wünsche mir nichts sehnlicher als Kundschafter,« entgegnete Ossolinski.

»Sind die Streifzüge zurück?«

»Sie sind zurück, brachten aber nichts Neues.«

»Auch nicht einen Gefangenen?«

»Nur Bauern aus der Umgegend, welche nichts wissen.«

»Und ist Herr Pelka zurück? Er ist ein berühmter Streifzügler.«

»Allergnädigster König!« begann hinter dem Lehnstuhl die Stimme des Starosten von Lomscha, »Herr Pelka ist nicht da und kommt auch nicht zurück, denn er ist gefallen.«

Eine Weile war alles still. Der König heftete den trüben Blick auf die brennenden Lichter und trommelte mit den Fingern auf dem Tische.

»Wißt Ihr gar keinen Rat?« sagte er endlich.

»Abwarten!« sagte der Kanzler ernst.

Johann Kasimirs Stirn runzelte sich.

»Warten!« wiederholte er. »Und dort in Sbarasch zehrt sich Wischniowiezki mit den Regimentariern auf.«

»Sie werden es noch eine Zeitlang aushalten!« warf Radsiejowski nachlässig hin.

»Schweigt lieber, Herr Starost, wenn Ihr nichts Besseres zu sagen wißt.«

»Ich habe dennoch einen Rat, allergnädigster Herr.«

»Welchen?«

»Schicken wir jemanden zu Chmielnizki vor Sbarasch, angeblich um Verträge zu schließen. Der Gesandte wird sich überzeugen, ob der Khan in eigener Person dort ist, und uns die Nachricht bringen.«

»Das geht nicht!« sagte der König. »Jetzt, wo wir den Chmielnizki als Rebellen erklären, einen Preis auf seinen Kopf gesetzt und den Feldherrnstab über die Saporoger dem Herrn Sabulski verliehen haben, wäre es unserer unwürdig, mit Chmielnizki Verhandlungen anzufangen.«

»So schicken wir zum Khan.«

Der König richtete einen fragenden Blick auf den Kanzler, welcher demselben mit seinen blauen, ernsten Augen begegnete und nach einigem Nachdenken sagte:

»Der Rat wäre gut, aber Chmielnizki wird zweifelsohne den Boten aufgreifen und festhalten, deshalb wäre es nutzlos.«

Johann Kasimir winkte mit der Hand.

»Wir sehen,« sagte er langsam, »daß ihr kein Mittel wißt, darum will ich euch das meinige sagen. Seht, ich lasse zum Aufsitzen blasen und gehe mit dem ganzen Heere nach Sbarasch. Gottes Wille geschehe! Dort erfahren wir, ob der Khan da ist oder nicht.«

Der Kanzler kannte den unbezähmbaren Mut des Königs und zweifelt nicht, daß er imstande war, das zu tun. Andererseits wußte er aus Erfahrung, daß, wenn der König einen Beschluß gefaßt hatte, kein Abraten etwas nütze. Er widersetzte sich deshalb auch nicht sogleich, lobte sogar den Gedanken, aber er riet von zu großer Eile ab; er setzte dem Könige auseinander, daß das morgen oder übermorgen noch geschehen könne; – inzwischen würden vielleicht gute Nachrichten eintreffen. Jeder Tag mußte die Zuchtlosigkeit unter dem Volke durch die fortwährenden Niederlagen und die Nachricht von der Nähe des Königs vergrößern. Der Aufstand könne sich vor dem Glänze der Majestät auflösen wie der Schnee vor den Strahlen der Sonne, aber man müsse ihm Zeit dazu lassen. Der König trage in seiner Person, angesichts Gottes und der Nachwelt, die Rettung der ganzen Republik, er dürfte sich keiner Gefahr aussetzen, um so weniger, als im Falle eines Unglücks das Heer in Sbarasch rettungslos verloren wäre.

»Tut, was Ihr wollt, wenn ich nur bis morgen einen Kundschafter habe.«

Wieder trat Stillschweigen ein.

Durch das Fenster schien der große, goldene Vollmond, aber in dem Gemach wurde es dunkel, denn die Lichter hatten Schnuppen bekommen.

»Wie spät ist es?« fragte der König.

»Mitternacht ist nahe!« antwortete Radsiejowski.

»Ich werde in dieser Nacht nicht schlafen gehen. Ich will das Lager umreiten, und ihr reitet mit mir. Wo sind Ubald und Arzischewski?«

»Im Lager. Ich werde gehen und sagen, daß man die Pferde vorführt,« antwortete der Starost.

Und er näherte sich der Tür. Da entstand im Vorzimmer eine Bewegung, man hörte eine Weile eine lebhafte Unterhaltung, den Schall einiger Tritte, endlich wurde die Tür weit aufgerissen, und herein stürzte atemlos der Kammerherr des Königs, Tysenhaus.

»Allergnädigster König!« rief er. »Ein Waffenbruder aus Sbarasch ist angekommen!«

Der König sprang auf, der Kanzler erhob sich ebenfalls, und beider Mund entrang sich gleichzeitig der Ausruf:

»Unmöglich!!«

»Es ist so! Er steht im Vorzimmer.«

»Bringe ihn her!« rief der König händeklatschend. »Er soll die Sorge von uns nehmen. Bring ihn, schnell, um der heiligsten Mutter willen.«

Tysenhaus verschwand, und einen Augenblick später erschien statt seiner eine hohe, unbekannte Gestalt im Gemach.

»Tretet näher, Herr!« rief der König, »näher! Wir freuen uns Eurer Ankunft.«

Der Waffenbruder schritt langsam bis an den Tisch vor. Bei seinem Anblick traten der König, der Kanzler und der Starost erstaunt zurück. Vor ihnen stand ein Mensch, – nein, ein Gespenst, gräßlich anzusehen. In Streifen zerfetzte Lumpen bedeckten kaum noch diesen abgezehrten Körper. Das Gesicht war fahl, mir Blut und Schmutz besudelt, die Augen glänzten fieberhaft, der schwarze, zerzauste Bart fiel bis auf die Brust herab, ein Leichengeruch strömte von ihm aus, und seine Füße zitterten so sehr, daß er sich auf den Tisch stützen mußte.

Der König und die beiden Herren starrten ihn mit weit geöffneten Augen an. In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und herein trat eine Menge höherer Militärs und Zivil-Würdenträger; die Generale Ubald, Arzischewski, der litauische Unterkanzler, Sapieha, der Starost von Rscheschyz, Herr von Sandomir. Alle stellten sich hinter dem Könige auf und betrachteten den Ankömmling, – der König aber fragte:

»Wer bist du?«

Der Arme öffnete den Mund, wollte sprechen, aber der Krampf zog ihm die Kinnladen zusammen, das Kinn zuckte, und er vermochte nur zu flüstern: »Aus Sbarasch.«

»Gebt ihm Wein!« sagte eine Stimme.

Man brachte im Augenblick einen gefüllten Becher, – der Ankömmling trank mit Anstrengung daraus. Währenddessen hatte der Kanzler seinen Waffenrock abgeworfen und ihm die Schultern damit bedeckt.

»Kannst du jetzt sprechen?« fragte nach einiger Zeit der König.

»Ich kann!« antwortete mit etwas festerer Stimme der Ritter.

»Wer bist du?«

»Johann Skrzetuski ... Husaren-Oberst.«

»In wessen Diensten?«

»Im Dienst des Wojewoden von Reußen.«

Ein Flüstern durchlief das Gemach.

»Was hört man bei euch? Was hört man?« fragte mit fieberhafter Eile der König.

»Elend! ... Hunger ... ein Grabhügel ...«

Der König bedeckte die Augen.

»Jesus von Nazareth! Jesus von Nazareth!« sagte er leise. Nach einer Weile fragte er wieder:

»Könnt ihr euch noch lange halten?«

»Es mangelt an Pulver. Der Feind sitzt in den Wällen.«

»Ist er stark?«

»Chmielnizki und der Khan mit allen seinen Horden.«

»Der Khan ist da?«

»Ja.«

Ein dumpfes Schweigen folgte. Die Anwesenden blickten sich gegenseitig an. – Unsicherheit malte sich auf allen Gesichtern.

»Wie konntet ihr das aushalten?« fragte der Kanzler mit dem Ausdruck des Zweifels.

Bei diesen Worten erhob Skrzetuski den Kopf, als würde er von einer neuen Kraft aufgerichtet, ein Anflug von Stolz erhellte sein Gesicht, und mit über Erwarten starker Stimme sagte er:

»Zwanzig Stürme sind abgewehrt, sechzehn Schlachten auf offenem Felde gewonnen, fünfundsiebzig Ausfälle gemacht ...«

Und wieder folgte Schweigen. Da richtete der König sich auf, schüttelte die Perücke, wie der Löwe die Mähne, das gelbliche Gesicht färbte sich rot, und die Augen flammten.

»Bei Gott!« schrie er. »Genug dieses Rates, dieses Stillstandes und Zögerns! Ob der Khan da ist, oder nicht, ob das allgemeine Aufgebot zusammen ist, oder nicht, – bei Gott! Ich habe genug davon! Heute noch rücken wir nach Sbarasch aus.«

»Nach Sbarasch! Nach Sbarasch!« wiederholten einige kräftigere Stimmen.

Das Antlitz des Ankömmlings hellte sich auf wie die Morgenröte.

»Allergnädigster König und Herr!« sagte er, »ich will mit Euch leben und sterben.«

Bei diesen Worten wurde das edle Herz des Königs weich wie Wachs, und, das widerwärtige Aussehen des Ritters nicht achtend, nahm der königliche Herr den Kopf desselben zwischen seine Hände und sagte:

»Du bist mir lieber als andere in Atlas. Bei der Allerheiligsten Mutter, man belohnt Unwürdigere mit Starosteien; es soll auch dir an Belohnung nicht fehlen für das, was du getan. Widersprich nicht! Ich bin dein Schuldner!«

Und andere riefen gleich dem Könige:

»Es gab noch keinen größeren Ritter! Dieser hier ist euch unter denen in Sbarasch der Vorzüglichste! – Er hat unsterblichen Ruhm errungen!«

»Wie hast du dich zwischen den Kosaken und Tataren durchgebracht?«

»Ich versteckte mich in den Sümpfen, durch das Röhricht, durch die Wälder ging ich ... irrte ich ... ohne zu essen.«

»Gebt ihm zu essen!« rief der König.

»Essen!« wiederholten andere. »Bekleidet ihn!«

»Morgen soll man dir ein Pferd und Kleider geben,« sagte der König wieder. »Nichts soll dir mangeln.«

Alle wetteiferten nach dem Beispiel des Königs, den Ritter zu loben.

Bald legte man ihm wieder Fragen vor, auf die er nur sehr schwer zu antworten vermochte, denn immer größere Schwäche befiel ihn, er war kaum noch bei Besinnung. Da brachte man eine Stärkung, und gleichzeitig trat der Probst Tschiezichowski, der königliche Hofpriester, ein.

Sogleich machten die Würdenträger ihm Platz, denn er war ein sehr gelehrter und würdiger Geistlicher. Sein Wort galt beim Könige fast noch mehr als das Wort des Kanzlers, und es kam vor, daß er auf der Kanzel offen über Dinge sprach, welche selbst auf den Landtagen niemand zu berühren wagte. Man umringte ihn also und fing an, ihm zu erzählen, daß ein Waffenbruder aus Sbarasch angekommen sei, daß dort der Fürst Wischniowiezki, trotz Hunger und Elend, den Khan bekriege, welcher vor Sbarasch sich in eigener Person bei Chmielnizki befinde, der während des ganzen vorigen Jahres nicht so viel Menschen verloren hätte, wie bei Sbarasch, – endlich, daß der König jenen zu Hilfe eilen wolle, und sollte er samt dem ganzen Heere zugrunde gehen.

Der Probst hörte stillschweigend, nur die Lippen bewegend und fortwährend den abgemagerten Ritter betrachtend, welcher inzwischen aß, zu, denn der König hatte ihm befohlen, nicht auf seine Gegenwart zu achten, hatte selbst acht auf ihn und trank ihm von Zeit zu Zeit aus einem kleinen, silbernen Becher zu.

»Und wie heißt jener Waffenbruder?« fragte endlich der Probst.

»Skrzetuski.«

»Johann Skrzetuski?«

»So ist es.«

»Oberst des Fürst-Wojewoden von Reußen?«

»So ist es.«

Der Geistliche richtete das faltige Gesicht in die Höhe und fing wieder zu beten an, dann sagte er:

»Preisen wir den Namen des Herrn, denn die Wege sind unerforschlich, auf denen er den Menschen zur Glückseligkeit und zum Frieden führt. Amen. Ich kenne diesen Waffenbruder.«

Skrzetuski hatte diese Worte gehört, und wider Willen richteten sich seine Augen auf das Gesicht des Probstes, – aber das Gesicht, die Gestalt und die Stimme waren ihm vollständig fremd.

»Ihr allein also aus dem ganzen Lager habt es unternommen, durch das feindliche Lager zu gehen?« fragte ihn der Probst.

»Ein edler Waffenbruder unternahm es vor mir, aber er fiel,« antwortete Skrzetuski.

»Um so größer ist Euer Verdienst, daß Ihr es dennoch wagtet. Ich merke an Eurem Aussehen, daß das ein schrecklicher Weg sein mußte. Gott sah Euer Opfer, Eure Tugend, Eure Jugend, und geleitete Euch.«

Plötzlich wandte sich der Probst an Johann Kasimir.

»Allergnädigster König,« sagte er, »es ist also der unumstößliche Beschluß Ew. Königlichen Majestät, dem Fürst-Wojewoden zu Hilfe zu eilen?«

»Eurem Gebet, Vater,« antwortete der König, »empfehle ich das Vaterland, das Heer und mich selbst, denn ich weiß, daß es ein schreckliches Unternehmen ist, aber ich kann nicht länger mit ansehen, daß der Fürst-Wojewode in diesen unglückseligen Schanzen mit solchen Rittern wie dieser Waffenbruder hier vor uns zugrunde gehe.«

»Gott wird uns den Sieg verleihen!« riefen mehrere Stimmen.

Der Probst hob die Hände in die Höhe, und tiefe Stille trat ein.

»Ich segne euch, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«

»Amen!« sagte der König.

»Amen!« antworteten alle Stimmen.

Friede übergoß das bisher so kummervolle Gesicht Johann Kasimirs, nur seine Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz. Unter den Anwesenden verbreitete sich ein Flüstern, eine leise Unterhaltung über die nahe Expedition, denn viele zweifelten noch, daß der König wirklich gleich ausrücken werde, dieser aber nahm den Degen vom Tische und winkte den Kammerherrn Tysenhaus herbei, ihm denselben umzulegen.

»Wann wollen Ew. Königliche Majestät ausrücken?« fragte der Kanzler.

»Gott hat uns eine helle Nacht gegeben,« entgegnete der König, »die Pferde werden nicht heiß werden; Herr Lagerwächter,« setzte er hinzu, sich an die Würdenträger wendend, »laßt zum Aufsitzen blasen.«

Der Lagerwächter entfernte sich sofort aus dem Gemach. Der Kanzler Ossolinski machte die leise Bemerkung, daß nicht alle bereit seien, und daß die Wagen vor dem Morgen nicht fortkommen würden, aber der König entgegnete sogleich:

»Wem die Wagen lieber sind als das Vaterland und die Majestät, der bleibe hier.«

Der Saal fing an sich zu leeren. Alles eilte, zu seiner Fahne zu kommen, um sie »auf die Füße zu bringen« und dem Zuge einzureihen. Es blieben nur der König, der Kanzler, der Probst, Skrzetuski und Tysenhaus zurück.

»Allergnädigster Herr!« sagte der Probst, »was Ihr von diesem Waffenbruder erfahren wolltet, habt Ihr erfahren. Man muß ihm jetzt Ruhe lasse«, denn er hält sich kaum auf den Füßen. Erlaubt mir, Majestät, ihn mit in mein Quartier zum Übernachten zu nehmen.«

»Gut, Vater!« antwortete der König. »Euer Verlangen ist gerechtfertigt. Mögen Tysenhaus und noch ein anderer ihn begleiten, denn allein würde er wohl nicht mehr hinkommen. Geh, geh, mein lieber Waffenbruder, niemand hat hier mehr Ruhe verdient als du. Und denke daran, daß ich dein Schuldner bin. Eher vergesse ich mich selbst, ehe ich deiner vergesse.«

Tysenhaus faßte Skrzetuski unter dem Arm und führte ihn hinaus. In den Vorzimmern trafen sie den Starosten von Rscheschyz, welcher den schwankenden Ritter von der anderen Seite stützte. Ihnen voraus ging der Probst, und vor diesem ein Bursche mit einer Laterne. Aber der Bursche leuchtete umsonst, denn die Nacht war hell, ruhig und warm. Der große goldene Mond schwamm wie eine Arche über Toporow. Vom Lagerhofe her drangen Stimmengewirr, das Knarren der Wagen und Trompetentöne an das Ohr, welche zum Aufsitzen bliesen. In der Ferne, vor der Kirche, die vom Monde beschienen war, sah man schon Haufen versammelter Soldaten, zu Fuß und zu Pferde. Im Dorfe wieherten die Pferde. Zu dem Knarren der Wagen gesellten sich noch das Klirren der Ketten und das Poltern der Kanonen, – der Lärm wurde immer größer.

»Sie ziehen schon aus!« sagte der Probst.

»Nach Sbarasch, zur Rettung!« flüsterte Skrzetuski.

Und war es die Freude oder die überstandenen Mühsale, oder beides zusammen, er wurde so schwach, daß Tysenhaus und der Starost von Rscheschyz ihn beinahe schleppen mußten.

Sie waren inzwischen auf dem Wege zur Probstei unter die vor der Kirche versammelten Soldaten gekommen. Es waren die Fahnen Sapiehas und die Füsiliere Arzischewskis. Noch nicht zum Zuge formiert, standen die Soldaten regellos, von Platz zu Platz drängend, den Weg versperrend.

»Macht Platz! Macht Platz!« rief der Probst.

»Und wer will dort durch?«

»Der Waffenbruder aus Sbarasch.«

»Ehre ihm! Ehre ihm!« riefen zahlreiche Stimmen.

Und sie traten sogleich auseinander, aber andere drängten noch mehr, um den Helden zu sehen. Und sie blickten staunend auf dieses Elend, dieses verunstaltete, vom Monde beleuchtete Gesicht, und flüsterten einander wieder staunend zu:

»Aus Sbarasch, aus Sbarasch! ...«

Nur mit größter Mühe brachte der Probst den Skrzetuski in die Probstei. Dort ließ er ihn, gebadet und von Blut und Schmutz gereinigt, auf das Bett des Ortspfarrers legen. Er selbst ging sogleich zum Heere, welches eben auszog.

Skrzetuski war fast besinnungslos, aber das Fieber ließ ihn nicht gleich einschlafen. Er wußte nicht mehr, wo er war, und was mit ihm geschah. Er hörte nur ein Summen, Hufschläge, Wagengerassel, den donnernden Tritt der Fußsoldaten, das Geschrei, die Trompetenklänge – und alles vermischte sich in seinen Ohren zu einem einzigen großen Brausen ... »Das Heer zieht ab« ... murmelte er vor sich hin. Dann fing das Brausen an sich zu entfernen, schwächer zu werden, zu verhallen, – bis endlich tiefe Stille Toporow umfing.

Da schien es Herrn Skrzetuski, als ob er samt dem Bette immer tiefer in einen bodenlosen Abgrund sinke.


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