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15. Kapitel

Longinus reiste also nach Krakau, einen Stachel im Herzen, und der grausame Sagloba mit Wolodyjowski nach Samoschtsch, wo sie nicht länger als einen Tag verweilten. Der Kommandant, Starost von Walezk, hatte ihnen gesagt, daß er schon lange nichts von Skrzetuski gehört, und glaube, daß die Regimenter, welche unter Skrzetuskis Führung seien, zum Präsidium nach Sbarasch gehen würden, um jene Ländereien vor den Banden der Freizügler zu schützen.

Das war um so wahrscheinlicher, da Sbarasch, als Eigentum der Wischniowiezkis, besonders den Anfällen der Todfeinde des Fürsten ausgesetzt war. Vor Sagloba und Wolodyjowski lag also ein weiter und schwerer Weg, aber da sie denselben auf ihrer Forschungsreise nach der Prinzessin ohnehin zurücklegen mußten, so war es schließlich gleich, ob das früher oder später geschah, sie traten ihn also unverzüglich an, so lange rastend, als zur Erholung nötig war, oder die Zersprengung der noch hier und da umherziehenden Banden es erforderte.

Sie zogen durch Ländereien, so verwüstet, daß sie oft tagelang keine menschliche Seele antrafen. Die Städtchen lagen in Asche, die Dörfer waren niedergebrannt und verödet, die Menschen erschlagen oder in Sklaverei genommen. Sie trafen auf ihrem Wege nur Leichen, Ruinen von Häusern und Kirchen, rauchende Brandstätten und auf Trümmerstätten heulende Hunde. Wer die tatarisch-kosakische Sintflut überlebt hatte, verkroch sich in den Tiefen der Wälder, erlag der Kalte oder dem Hunger und wagte nicht, aus den Wäldern herauszukommen, aus Furcht, daß die Gefahr noch nicht vorüber sei. Wolodyjowski mußte seine Pferde mit der Rinde der Bäume oder halbverbranntem Korn nähren, welches sie aus den Trümmern früherer Speicher hervorholten. Aber sie eilten vorwärts, ihre Rettung hauptsächlich in den Vorräten suchend, welche sie räuberischen Abteilungen abnahmen. Es war schon Ende Oktober, und in dem Maße, wie der vorige Winter, zur größten Verwunderung der Menschheit, ohne Schnee, Frost und Eis vergangen war, zeigte er sich jetzt strenger als gewöhnlich. Die Erde war fest gefroren, auf den Feldern lag schon Schnee, und die Ufer der Flüsse waren am Morgen von einer durchsichtigen Eiskruste umsäumt. Das Wetter war trocken, die blassen Sonnenstrahlen wärmten nur schwach um die Mittagszeit, dafür leuchtete früh und abends am Himmel eine dunkle Röte, – das sichere Anzeichen eines frühen und strengen Winters.

Nach Krieg und Hungersnot nahte der dritte Todfeind der elenden Menschheit, – der Frost; dennoch sahen ihm die Menschen sehnlich entgegen, war er doch ein viel sichererer Hemmschuh des Krieges als alle Verträge.

Herr Wolodyjowski war, als erfahrener Mensch und mit den Wäldern und Schluchten der Ukraine genau bekannt, voll Hoffnung, daß die Expedition zur Auffindung der Prinzessin unfehlbar von Erfolg sein werde, denn das Haupthindernis, der Krieg, – war auf längere Zeit beseitigt.

»Ich glaube nicht an die Aufrichtigkeit Chmielnizkis,« sagte er, »und daß er aus Liebe zum Könige sich nach der Ukraine zurückzieht. Er ist ein listiger Fuchs! Er weiß, daß die Kosaken nichts gelten, wenn sie sich nicht verschanzen können, denn auf offenem Felde richten sie nichts gegen unsere Fahnen aus, und wären sie uns fünffach überlegen. Sie gehen jetzt in die Winterquartiere und treiben die Herden in den Schnee hinaus. Die Tataren brauchen auch Zeit, ihre Gefangenen heimzuführen. Wenn der Winter streng ist, so werden wir Ruhe haben bis zum nächsten Graswuchs.«

»Vielleicht auch länger, denn sie haben doch wohl Respekt vor der Majestät des Königs. Aber wir brauchen nicht einmal so viel Zeit. So Gott will, richten wir zu Fastnacht Herrn Skrzetuski die Hochzeit aus.«

»Wenn wir ihn nur jetzt nicht verfehlen möchten, das wäre eine neue Qual.«

»Er hat ja drei Fahnen bei sich, das ist doch nicht so, als ob man aus einem Scheffel Getreide ein Körnchen herausfinden sollte. Vielleicht holen wir ihn noch vor Sbarasch ein, wenn er sich irgendwo länger bei dem Gesindel aufhält.«

»Einholen können wir ihn nicht, aber wir müßten unterwegs von ihm hören,« entgegnete Wolodyjowski.

Das hielt aber schwer. Die Bauern hatten wohl hier und da vorüberziehende Fahnen gesehen, von Gefechten gehört, die sie mit dem Gesindel ausgefochten, aber niemand wußte zu sagen, wessen Leute es waren. Da sie nun ebensogut zu Rogowski wie zu Skrzetuski gehören konnten, so hatten die beiden Freunde niemals Gewißheit. Dafür schlug eine andere Nachricht an ihr Ohr, die Kunde von dem Mißgeschick der Kosaken gegen die litauischen Soldaten. Die von Chmielnizki den Kronsheeren beigebrachten Niederlagen vergalt ihm jetzt die litauische Armee. Polksitschyze, der wilde Nebaba und der noch mächtigere Krschetschowski, welcher statt einer Starostei und Wojewodschaft, statt Ehren und Würden den Pfahl in den Reihen der Aufständischen erworben hatte, mußten ihr Leben lassen. Es war, als ob eine wunderbare Nemesis für das im Schilf des Dniepr vergossene deutsche Blut des Hauptmanns Flick und Werners Krschetschowski erreichen solle, denn er fiel in die Hände des deutschen Regiments Radziwill. Obgleich angeschossen und verwundet, wurde er doch sofort auf den Pfahl geschlagen, auf welchem der Unglückselige noch den ganzen Tag zuckte, ehe er die schwarze Seele aushauchte. Das war das Ende dessen, welcher durch seinen Mut und Krieger-Genius ein zweiter Stephan Chmielnizki hätte werden können, dessen unbezähmbares Verlangen nach Reichtümern und Würden ihn aber auf den Weg des Verrates, des Meineides und des fürchterlichsten, nur eines Krschywonos würdigen Mordes getrieben hatte.

Aber gerade durch den Untergang Krschetschowskis und den Eintritt des Winters währte der Frieden länger. Das Land fing an, sich zu beruhigen, die verwüsteten Dörfer bevölkerten sich, Zuversicht kehrte allmählich in alle verzweifelten und geängstigten Herzen ein.

Mit eben dieser Zuversicht langten nach langer und beschwerlicher Reise unsere zwei Freunde glücklich in Sbarasch an, wo sie sich nach der Meldung im Schloß sofort zum Kommandanten begaben, in welchem sie, zu ihrem nicht geringen Erstaunen, Wierschul erkannten.

»Und wo ist Skrzetuski?« fragte nach den ersten Begrüßungen Sagloba.

»Er ist nicht hier!« antwortete Wierschul.

»So habt Ihr das Kommando über das Präsidium?«

»So ist es. Skrzetuski hatte es, aber er ist abgereist und hat mir bis zu seiner Rückkehr die Besatzung übergeben.«

»Und wann will er zurück sein?«

»Er hat nichts gesagt; er wußte es selbst nicht, er sagte nur bei der Abreise: Wenn jemand zu mir kommen sollte, so sage ihm, daß er hier auf mich warten soll.«

Sagloba und Wolodyjowski sahen einander an.

»Wie lange ist er fort?« fragte Herr Michael.

»Seit zehn Tagen.«

»Wolodyjowski,« sprach Sagloba, »mag Herr Wierschul uns ein Abendessen geben, denn es beratschlagt sich schlecht mit hungrigem Magen. Beim Abendessen sprechen wir weiter.«

»Von Herzen gern diene ich den Herren, denn ich selbst wollte mich eben zu Tische setzen. Übrigens übernimmt Herr Wolodyjowski als höherer Offizier jetzt das Kommando, ich bin also bei ihm, nicht er bei mir zu Gaste.«

»Behaltet das Kommando nur,« sagte Wolodyjowski, »denn Ihr seid älter als ich, überdies werde ich wohl bald fort müssen.«

Nach einer Weile war das Abendessen aufgetragen. Sie aßen und tranken, und nachdem Sagloba an zwei Schüsseln Schwarzsauer den ersten Appetit etwas gestillt hatte, sagte er zu Wierschul:

»Ihr ahnt also nicht, Herr, wohin Herr Skrzetuski gegangen ist?«

Wierschul befahl dem sie bedienenden Burschen hinauszugehen, und nachdem er eine Weile nachgedacht, begann er:

»Wohl ahne ich es. Es liegt Herrn Skrzetuski aber viel daran, die Sache geheim zu halten, darum wollte ich nicht vor den Dienern reden. Er benutzt die günstige Zeit, denn wir werden wohl in Ruhe bis zum Frühling hier bleiben; – nach meiner Überzeugung ist er fortgeritten, um die Prinzessin zu suchen.«

»Es handelt sich darum, ob er sie findet. Hat er Leute mitgenommen?«

»Niemanden, er ist allein, mit einem Burschen und drei Pferden fortgeritten.«

»Da ist er vorsichtig zu Werke gegangen, denn dort kommt man bloß mit List durch. Aber was fangen wir jetzt an, Herr Michael? Reiten wir ihm nach oder nicht?«

»Ich überlasse das Eurem Gutachten.«

»Hm! Es sind zehn Tage her, seit er gegangen, – wir holen ihn nicht mehr ein – und zudem befahl er, auf ihn zu warten. Gott weiß auch, welchen Weg er einschlug. Er kann über Ploskirow und Bar, die alte Landstraße, oder über Podolisch-Kamieniez gegangen sein. Das ist schwer zu entscheiden.«

»Bedenkt dazu, Herr,« sagte Wierschul, »daß es nur Mutmaßungen sind, und uns die Gewißheit fehlt, ob er wirklich die Prinzessin sucht.«

»Das ist es eben! Das ist es!« sagte Sagloba. »Wenn er nur fortgegangen wäre, um Kundschaft einzuholen, denn er wußte doch, daß wir mit ihm gehen sollten, und er konnte uns doch jetzt, als zur gelegensten Zeit, erwarten. Eine schwierige Sache.

Sagloba versank in so tiefes Sinnen, daß ihm die Schläfen zitterten. Endlich ermannte er sich aus demselben und sagte:

»Wenn man alles in Betracht zieht, so müßten wir eigentlich doch nachreiten.«

Wolodyjowski atmete zufrieden auf.

»Und wann?«

»Nachdem wir hier etwa drei Tage ausgeruht haben, damit der Leib und die Seele wieder frisch werden.«

Am anderen Tage begannen die beiden Freunde schon mit den Vorbereitungen zur Reise, als plötzlich ganz unerwartet am Vorabend ihrer Abreise Skrzetuskis Bursche, der junge Kosak Cyga, mit Nachrichten und Briefen für Wierschul ankam. Als Sagloba und Wolodyjowski das hörten, eilten sie in das Quartier des Kommandanten und lasen, was folgt:

»Ich bin in Kamieniez, wohin der Weg über Satanow sicher ist. Ich reite mit armenischen Kaufleuten nach Jahorlik, an die Herr Rogowski mich gewiesen hat. Sie haben tatarische und kosakische Geleitsbriefe zum freien Durchgange bis nach Akerman. Wir gehen mit Schnittwaren nach Uschyz, Mohylow, Jampol, unterwegs überall anhaltend, wo nur irgend ein menschliches Wesen lebt; vielleicht hilft Gott, daß wir finden, was wir suchen. Meinen Gefährten, Wolodyjowski und Sagloba sagt, daß sie in Sbarasch auf mich warten sollen, wenn sie nichts anderes zu tun haben, denn der Weg, welchen ich zurücklegen will, kann man in größeren Haufen nicht machen, wegen des großen Mißtrauens der Kosaken, welche in Jampol und am Dniestr entlang bis Jahorlik überwintern und die Pferde im Schnee halten. Was ich allein nicht schaffe, das schaffen wir zu dreien auch nicht, und ich kann eher als Armenier durchschlüpfen. Danket ihnen, Herr Christoph, aus voller Seele für ihren Entschluß, den ich, solange ich lebe, nicht vergessen werde; aber auf sie warten konnte ich nicht mehr, denn jeder Tag verging mir unter Qualen, – ich konnte ja auch nicht wissen, ob sie kommen werden, und zum Reisen ist jetzt die geeignetste Zeit, da alle Kaufleute reisen, um Südfrüchte und Seidenstoffe einzukaufen. Den treuen Burschen sende ich zurück; nehmt ihn in Euren Schutz, ich kann ihn nicht brauchen, denn ich fürchte, daß er bei seiner Jugend irgendwo etwas ausplaudert. Herr Rogowski bürgt für jene Kaufleute; sie sind brav, was auch ich denke, in dem Glauben, daß alles in der Hand des höchsten Gottes ruht, welcher, wenn er will, uns seine Barmherzigkeit erweist und meine Qualen verkürzt. Amen!«

Herr Sagloba blickte, nachdem er den Brief zu Ende gelesen, auf seine Gefährten, sie aber schwiegen, – bis zuletzt Wierschul sagte:

»Ich dachte es mir, daß er dorthin gegangen ist.«

»Und was bleibt uns zu tun?« fragte Wolodyjowski.

»Nun, was?« sagte Sagloba, die Arme ausbreitend. »Wir haben dort nichts mehr zu suchen. Daß er mit den Kaufleuten reist, ist gut, denn er kann überall Umschau halten, ohne daß es jemanden verwundert. In jeder Hütte, auf jedem Hofe wird etwas gekauft, da ja die halbe Republik ausgeraubt ist. Uns, Herr Michael, würde es schwer fallen, bis hinter Jampol zu kommen. Skrzetuski ist braun wie ein Walache und kann gut für einen Armenier gelten. Euch würde man sogleich an Eurem Flachsbärtchen erkennen. In bäuerlicher Verkleidung ginge es ebenfalls nicht gut ... Gott segne ihn! Wir sind dort nichts nütze, das muß ich gestehen, obgleich es mir leid tut, daß wir zur Befreiung dieser Armen keine Hand rühren können. Jedoch haben wir Skrzetuski einen großen Dienst geleistet, daß wir Bohun getötet haben, denn wenn der lebte, könnte ich nicht für Johanns Leben einstehen.«

Wolodyjowski war sehr unzufrieden. Er hatte sich auf eine Reise voll Abenteuer gefreut, jetzt stand ihm ein langer und langweiliger Aufenthalt in Sbarasch bevor.

»Vielleicht reiten wir bis nach Kamieniez?« fragte er.

»Und was sollen wir dort tun, und wovon leben?« antwortete Sagloba. »Es ist ja einerlei, an welche Mauern wir als Pilze anwachsen; man wird warten und warten müssen, denn eine solche Reise kann dem Skrzetuski viel Zeit fortnehmen. Der Mensch bleibt jung, solange er sich rührt (hier ließ Herr Sagloba den Kopf melancholisch auf die Brust sinken), und er altert in der Untätigkeit, aber was hilft es ... es mag auch ohne uns gehen. Morgen lassen wir eine feierliche Messe lesen, auf daß ihm Gott Glück gebe. Den Bohun haben wir getötet, – das ist die Hauptsache. Laßt die Pferde absatteln, Herr Michael – wir müssen warten.«

Am anderen Morgen begannen für die beiden Freunde lange, einförmige Tage der Erwartung, in welcher weder Trinkgelage noch Würfelspiel Abwechselung zu bringen vermochten. Sie dehnten sich endlos. Unterdessen kam der harte Winter. Der Schnee bedeckte – ein ellendickes Leichentuch – die Zinnen von Sbarasch und die ganze Erde; das Wild und wilde Vogelscharen näherten sich den menschlichen Wohnungen. Tagelang hörte man nichts als das Gekrächze unermeßlicher Scharen von Krähen und Raben. Der ganze Dezember verfloß, der Januar, Februar, – von Skrzetuski war nichts zu hören.

Herr Wolodyjowski ritt zuweilen nach Tarnopol, um Abenteuer zu suchen.

Sagloba wurde trübsinnig und behauptete, daß er alt werde.


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