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3. Kapitel

Zwei Tage später, am Morgen, saß die Donzowna mit Bohun unter einer Weide neben dem Mühlenrade und sah auf das schäumende Wasser.

»Du wirst sie bewachen, wirst sie schützen, sie nicht aus den Augen lassen, damit sie niemals die Schlucht verläßt,« sagte Bohun.

»Nach dem Flusse zu hat die Schlucht einen engen Hals, und hier gibt es Platz genug. Laß den Eingang mit Steinen verschütten, und wir sitzen hier, wie auf dem Boden eines Topfes; wenn ich es nötig habe, so werde ich einen Ausweg finden.«

»Wovon lebt ihr hier?«

»Tscheremis pflanzt an den Felsen Kukuruz, auch Wein pflanzt er und fängt Vögel in Netzen. Mit dem zusammen, was du mitgebracht hast, wird es ihr an nichts fehlen, außer an Vogelmilch. Fürchte dich nicht, sie wird nicht aus der Schlucht entkommen, und niemand wird erfahren, daß sie hier ist, wenn nicht etwa deine Leute es ausplaudern.«

»Ich habe sie schwören lassen. Es sind alles treue Kriegsknechte, die sprechen nicht davon, und wenn sie in Stücke gehauen werden. Aber du selbst hast gesagt, daß hierher zu dir Leute kommen, um sich weissagen zu lassen.«

»Manchmal kommen welche aus Raschkow, manchmal, wenn sie es erfahren, weiß Gott woher. Aber sie bleiben am Fluß; in die Schlucht kommt niemand, weil sie sich fürchten. Du sahest die Gebeine. Es gab solche, die herein wollten, dort liegen ihre Knochen.«

»Du hast sie ermordet?«

»Wer sie mordete, ist gleichgültig! Will jemand sich wahrsagen lassen, so wartet er vor der Schlucht, und ich gehe zum Rade. Was ich am Wasser sehe, das sage ich ihm dann. Ich werde auch gleich für dich hineinsehen, ich weiß nur nicht, ob sich etwas zeigen wird, denn nicht immer kann man etwas sehen.«

»Wenn du nur nichts Böses siehst.«

»Wenn es etwas Böses ist, wirst du nicht fortreiten. Auch so wäre es besser, du rittest nicht.«

»Ich muß. Chmielnizki hat mir nach Bar ein Schreiben gesandt, ich soll zurückkommen, auch Krschywonos befahl es. Jetzt kommen die Lechen mit großer Macht gegen uns gezogen, da müssen auch wir zusammenhalten.«

»Und wann kommst du zurück?«

»Ich weiß nicht. Das wird eine große Schlacht, wie noch keine war. Entweder sterben wir, oder die Lechen. Wenn sie uns schlagen, so verstecke ich mich hierher, schlagen wir sie, dann komme ich nach meinem Liebling und fahre mit ihr nach Kijew.«

»Und wenn du fällst?«

»Dazu bist du eine Wahrsagerin, daß ich es erfahre.«

»Und wenn du fällst?«

»Nur einmal hat die Mutter mich geboren.«

»Bah! Und was soll ich dann mit dem Mädchen anfangen? Soll ich ihr das Genick umdrehen, oder was?«

»Rührst du sie an, so lasse ich dich von Ochsen auf den Pfahl schleifen.«

Der Hauptmann sann düster nach.

»Wenn ich falle, dann sage ihr, daß sie an mich denken soll.«

Bohun sah starr in das schäumende Wasser über dem Rade, als wollte er sich selbst wahrsagen.

»Horpyna!« sagte er nach einer Weile. »Wird sie nach mir bangen, wenn ich fortgehe?«

»Wenn du sie nicht nach Kosakenart dir zu Willen machen willst, so ist es vielleicht besser, du gehst.«

»Horpyna, sieh in das Wasser und sage, was du erblickst. Sage die Wahrheit und lüge nicht, und sähest du mich als Toten.«

Die Donzowna näherte sich dem Mühlentrog und hob das zweite Schutzbrett des Sturzbaches in die Höhe. Bald strömten die munteren Wellen mit verdoppelter Kraft durch den Trog; das Rad drehte sich schneller, bis es endlich ganz in Wasserstaub gehüllt war. Breiiger Schaum ballte sich unter dem Rade wie von siedendem Wasser.

Eine Zeitlang hörte man nur das Rasseln des Rades, welches sich wie toll drehte.

»Was siehst du?« schrie Bohun.

»Ich sehe eine Schlacht! Die Lechen fliehen vor unseren Kriegsknechten.«

»Und ich, verfolge ich sie?«

»Ich sehe auch dich. Du triffst mit einem kleinen Ritter zusammen. Hurra! Hurra! Hurra! Hüte dich vor dem kleinen Ritter!«

»Und die Prinzessin?«

»Sie ist nicht da. Ich sehe dich wieder, es ist jemand bei dir, der dich verrät. Dein falscher Freund.«

»Und ist die Prinzessin bei mir?«

»Nein, sie ist nicht da, du bist allein.«

Wieder schwiegen sie eine Weile. Das Rad brauste, daß die ganze Mühle zitterte.

»Ha! Was ist hier, viel Blut, viel Blut! Wie viele Leichen, Wölfe und Raben bei ihnen! – Eine Seuche geht von ihnen aus. Nichts als Leichen, nichts als Leichen! Bis in die blaue Ferne nur Leichen, man sieht nichts als Blut!«

Plötzlich fuhr ein Windstoß über das Rad und fegte den Sprühregen fort, und gleichzeitig erschien höher, oberhalb der Mühle, der häßliche Tscheremis mit einem Bündel Holz auf dem Rücken.

»Tscheremis, laß das Schutzbrett herunter,« rief das Mädchen.

Nachdem sie das gesagt, ging sie Gesicht und Hände im Bache zu waschen; der Zwerg hemmte inzwischen den Lauf des Wassers.

Bohun saß in Gedanken versunken; erst das Herannahen der Horpyna erweckte ihn daraus.

»Hast du nichts weiter gesehen?« fragte er sie.

»Was sich zeigte, das sagte ich, ich sehe nichts weiter.«

»Ich gehe jetzt zu den Knechten, daß sie die Pferde bereit halten, in der Nacht reiten wir.«

»Ja, es ist notwendig, daß du reitest.«

»Chmielnizki hat es befohlen, und Krschywonos hat es befohlen. Du hast recht gesehen, daß ein großer Krieg kommen wird, denn dasselbe habe ich in Bar in dem Schreiben Chmielnizkis gelesen.«

»So reite denn,« sagte die Seherin. »Du bist glücklich, denn du wirst Hetman werden; ich habe über dir drei Roßschweife gesehen, wie ich diese Finger sehe.«

»Ein Hetman werde ich, und eine Prinzessin heirate ich – es schickt sich nicht für mich, ein Bauernmädchen zu nehmen.«

»Mit einem Bauernmädchen würdest du anders reden, aber vor jener schämst du dich. Du solltest ein Leche sein.«

»Ich bin nicht schlechter als ein Leche.« Nach diesen Worten ging Bohun in den Stall zu den Kriegsknechten – und Horpyna entfernte sich, das Essen zu kochen.

Am Abend waren die Pferde zur Abreise bereit, aber es war Bohun gar nicht eilig damit. Er saß im Gastzimmer auf einem Haufen Teppiche, mit der Laute in der Hand, und sah nach seiner Prinzessin hin, die sich zwar schon vom Lager erhoben, aber in die andere Ecke der Stube geflüchtet hatte, dort leise den Rosenkranz betete und ihn gar nicht beachtete, als ob er nicht da wäre. Der arme Kosak wand sich im Schmerz; er fühlte, daß er ihr hier eine Last sei. Hätte sie ihm nur einmal zugelächelt, ihm ein gutes Wort gesagt – er wäre ihr zu Füßen gefallen und dann zum Teufel geritten, um seinen Gram, seinen Zorn und das Gefühl des Verschmähtseins im Lechenblute zu ertränken.

»O, wenn das nicht die Prinzessin Helene wäre, die von eigener Hand mit dem Messer Verwundete, die sich selbst den Tod geben wollte, die ihm so lieb, so lieb ist: um so lieber, je stolzer und grausamer sie ist! ...

Jetzt wieherte ein Pferd unter dem Fenster.

Der Hauptmann faßte Mut.

»Prinzessin,« sagte er, »es ist Zeit, daß ich aufbreche.«

Helene schwieg.

»Und Ihr sagt mir nicht: Geh mit Gott?«

»Geht mit Gott!« sagte sie ernst.

Dem Kosaken preßte es das Herz; sie hatte das gesagt, was er wollte, aber er hätte es gern anders gehört.

»Nun, ich weiß,« sagte er, »daß Ihr mir zürnt, mich verachtet, aber das kann ich Euch sagen, daß ein anderer schlimmer mit Euch wäre, als ich es bin. Ich habe Euch hierher gebracht, weil ich nicht anders konnte. Aber was habe ich Euch Böses getan? Bin ich nicht mit Euch umgegangen, wie es sich gebührt, wie mit einer Königstochter? Sagt selbst, bin ich denn ein gar so großer Bösewicht, daß Ihr mir kein gutes Wort geben könnt? Und doch seid Ihr in meiner Macht.«

»Ich bin in Gottes Macht,« sagte sie ebenso ernst wie vorher, »aber, da Ihr Euch in meiner Gegenwart bezähmt, so danke ich Euch noch dafür.«

»So will ich gehen, auch mit diesem Abschiedswort. Vielleicht bereut Ihr einmal, vielleicht kommt Euch noch einmal die Sehnsucht!«

Helene schwieg.

»Es tut mir leid, Euch hier allein zu lassen,« sagte Bohun, »leid auch, daß ich fortgehen soll, aber es muß sein. Leichter würde es mir, wenn Ihr lächeln könntet, mir ein Kreuzlein mit aufrichtigem Herzen auf den Weg geben wolltet. Was soll ich tun, Euch zu versöhnen?«

»Gebt mir die Freiheit zurück, so wird Gott Euch alles vergeben, auch ich will Euch dafür segnen.«

»Nun, vielleicht geschieht auch das noch,« entgegnete der Kosak, »vielleicht bereut Ihr noch, daß Ihr so grausam zu mir wäret.«

Bohun wollte sich noch einen Augenblick des Abschiedes erkaufen, und sei es durch ein halbes Zugeständnis, welches er nicht zu halten gedachte. Er erreichte seinen Zweck auch, denn ein Strahl der Hoffnung glänzte in den Augen Helenens, und der Ausdruck der Strenge wich aus ihrem Gesicht. Sie faltete die Hände über der Brust und sah ihn mit hellem Blick an.

»Würdest du? ...«

»Nein, ich weiß nicht,« sagte leise der Kosak, denn Scham und Mitleid stritten in ihm. »Jetzt kann ich nicht, ich kann nicht. Horden lagern in den »wilden Feldern«, überall ziehen Heeresabteilungen umher – von Raschkow her ziehen die Tataren der Dobrudscha – es geht nicht, denn ich habe Angst, aber wenn ich zurückkomme ... Ich bin wie ein Kind bei dir. Du machst mit mir, was du willst ... Ich weiß nicht, ich weiß nicht ...«

»Mögen Gott und die heilige Jungfrau dich erleuchten ... Gehe mit Gott!«

Sie streckte ihm die Hand entgegen.

Bohun sprang hinzu und preßte seine Lippen darauf – plötzlich hob er den Kopf, ein ernster Blick traf ihn, er ließ die Hand fallen. Sich schnell nach der Tür zurückziehend, verbeugte er sich nach Kosakenart wiederholt tief und verschwand hinter dem Vorhange.


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