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22. Kapitel

Der Fürst war tatsächlich vor mehreren Tagen nach Samoschtsch abgereist, um neue Fahnen auszuheben; man erwartete seine Rückkunft nicht so bald, also reisten Wolodyjowski, Sagloba und Rzendzian in tiefster Stille ab, keinem Menschen das Geheimnis verratend, um welches von allen in Sbarasch Zurückgebliebenen nur der einzige, Longinus, wußte, der jedoch, an sein Ehrenwort gebunden, wie der Tod schwieg.

Wierschul und andere Offiziere, welche um den Tod der Prinzessin wußten, mutmaßten durchaus nicht, daß die Abreise des kleinen Ritters und Saglobas in irgendwelchem Zusammenhange mit der Verlobten des unglücklichen Skrzetuski stand, sondern glaubten, daß vielmehr die beiden Freunde zu ihm reisten, um so mehr, als Rzendzian mit ihnen war, von dem man wußte, daß er Skrzetuskis Diener sei.

Die Freunde selbst gingen direkt nach Chlebanowka, um dort ihre Vorbereitungen zu dem Unternehmen zu treffen.

Sagloba kaufte vor allem für Geld, welches er von Longinus geliehen hatte, fünf Paar große podolische Pferde, die fähig waren, lange Ritte auszuhalten, und die von der polnischen Reiterei und den Kosaken-Ältesten benutzt wurden. Ein solches Pferd konnte den ganzen Tag hinter einem tatarischen Klepper herjagen und übertraf an Schnelligkeit sogar die türkischen, denen es noch durch die größere Widerstandsfähigkeit gegen den Witterungswechsel, kalte Nächte und Nebel vorzuziehen war. Fünf solche Traber also erwarb Sagloba; außerdem kaufte er für sich, die Gefährten, sowie für die Prinzessin reichlich Kosakenkleider. Rzendzian befaßte sich mit dem Schirrzeug der Pferde, und als alles bedacht und bereit war, machten sie sich auf den Weg, ihr Unternehmen Gottes und des heiligen Nikolaus, des Patrons der Jungfrauen, Schutze unterstellend.

So verkleidet konnte man sie leicht für kosakische Attamans halten, und es begab sich oft, daß sie von den Soldaten aus polnischen Quartieren und deren Wachen bis weithin nach Kamieniez zu angehalten wurden. Aber bei diesen legitimierte Sagloba sich leicht. Längere Zeit ritten sie durch sicheres Land, welches von den Fahnen des General-Regimentarius Landskron okkupiert war, der sich immer näher nach Bar hinzog, um die dort sich ansammelnden Kosakenhaufen im Auge zu behalten. Es war schon allgemein bekannt, daß keine Verträge zustande kommen würden und der Krieg über dem Lande schwebte, obgleich die Hauptmächte sich noch nicht regten. Der Perejeslawer Waffenstillstand lief zu Pfingsten ab; die Plänkeleien unter den Streifpatrouillen hatten noch niemals ganz aufgehört, jetzt wurden sie ernsthafter, man wartete auf beiden Seiten nur auf den Schlachtruf. Unterdes breitete sich der Frühling in den Steppen aus. Die von den Pferdehufen zerstampfte Erde bedeckte sich mit dem Flaum der Gräser und Blüten, die aus den Leibern der gefallenen Ritter emporsproßten. Über den Schlachtfeldern schwebten im Äther die Lerchen, in der Höhe zogen verschiedene Vogelscharen schreiend durch die Lüfte, die ausgetretenen Wasser sammelten sich zu einem blitzenden Schuppenpanzer unter dem warmen Wehen des Windes, und abends führten die in dem erwärmten Wasser plätschernden Frösche bis spät in die Nacht freudige Zwiegespräche.

Es war, als ob die Natur selbst das Verlangen habe, die Wunden zu verharschen, die Schmerzen zu stillen und die Grabhügel unter Blumen zu verbergen. Licht war es am Himmel, und auf der Erde, frisch, luftig, fröhlich, die ganze Steppe glänzte; ein herrliches Gemälde, schillerte sie in allen Farben des Regenbogens, oder wie ein breiter polnischer Gurt, auf welchem die geschickte Stickerin alle Farben sinnig zueinander gefügt. Es jauchzte die Steppe im Gesange der Vögel, und ein breiter, warmer Luftstrom zog über sie dahin, alle Wasser trocknend und die Gesichter der Menschen bräunend.

In solcher Zeit ist jedes Herz von Lust erfüllt, und eine unbegrenzte Zuversicht kommt über die Menschen; so sahen denn auch unsere Ritter mit ebensolcher Zuversicht der Zukunft entgegen. Wolodyjowski sang unaufhörlich, Sagloba streckte sich auf dem Pferde und gab mit Vorliebe den breiten Rücken der Sonnenwärme preis, und einmal, da sie ihn gut durchwärmt hatte, sagte er zu dem kleinen Ritter:

»Mir ist so wohl, denn, die Wahrheit zu sagen, gibt es nach dem Met und dem Ungarnwein nichts Besseres für die alten Glieder, als die Sonne.«

»Sie ist für alle gut!« antwortete Wolodyjowski, »denn gebt nur acht, wie sogar die Tiere es lieben, sich an der Sonne zu wärmen.«

»Es ist ein Glück, daß wir in dieser Zeit nach der Prinzessin reisen,« sprach Sagloba weiter, »im Winter, beim Frost, würde uns die Flucht mit dem Mädchen schwer werden.«

»Haben wir sie nur erst in Händen, dann will ich ein Schelm heißen, wenn sie uns jemand wieder entreißt.«

»Ich muß Euch sagen, Herr Michael, daß ich nur eines befürchte, und das ist: wenn der Krieg losbricht, können die Tataren leicht die Gegend überschwemmen und uns aufgreifen; vor den Kosaken bange ich nicht. Den Bauern werden wir uns auszuweisen gar nicht nötig haben, denn Ihr habt wohl bemerkt, daß sie uns für Älteste halten; die Saporoger ehren den Geleitsschein, und Bohuns Name ist unser Schild.«

»Ich kenne die Tataren, denn in dem Herrschaftsgebiet Lubnie ist uns das Leben unter unaufhörlichen Plänkeleien mit ihnen verflossen. Ich und Wierschul hatten niemals Ruhe vor ihnen!« antwortete Herr Michael.

»Auch ich kenne sie!« sagte Sagloba. »Ich habe Euch schon früher angedeutet, daß ich viele Jahre unter ihnen lebte, und zu Rang und Würden bei ihnen hätte kommen können. Aber da ich kein Heide werden wollte, so mußte ich alles über den Haufen werfen, denn sie wollten mich sogar den Märtyrertod sterben lassen, weil ich ihren ältesten Geistlichen zum allein seligmachenden Glauben bekehren wollte.«

»Ihr erzähltet doch ein anderes Mal, Herr, daß das in Galati war?«

»Das in Galati war eine Sache für sich, und das in der Krim auch. Denn, wenn Ihr denkt, daß in Galati die Welt ein Ende hat, so wißt Ihr nicht, wo der Pfeffer wächst. Es gibt mehr Belials Söhne in dieser Welt als Christen.«

Hier mischte sich Rzendzian in die Unterhaltung.

»Wir werden nicht bloß mit den Tataren Gefahren zu bestehen haben,« sagte er; »ich habe den Herren noch gar nicht erzählt, daß Bohun mir gesagt hat, wie die Schlucht von gräßlichen Mächten bewacht wird. Die Riesin selbst, welche die Prinzessin bewacht, ist eine Hexe, sie steht mit dem Teufel im Bunde, und wer kann wissen, ob sie nicht von diesem vor uns gewarnt wird. Ich habe zwar eine Kugel, die ich selbst über geweihtem Weizen gegossen habe; jede andere prallte ab an ihr, aber außerdem sollen ganze Regimenter Gespenster und Vampire dort den Eingang hüten. Die Herren müssen mit ihrem Kopfe dafür einstehen, daß mir nichts Böses passiert, denn dann wäre mein Lohn mir verloren.«

»Erztölpel!« sagte Sagloba, »wir haben wohl gar nichts zu tun, als an dein Leben zu denken. Der Teufel wird dir das Genick nicht umdrehen, und wenn er es täte, so wäre das einerlei, denn für deine Habgier bist du ihm doch verfallen. Ich bin der erste, der dich zur Hölle schickt,« antwortete der Edelmann, »wenn es sich zeigen sollte, daß du den Ort nicht genau weißt.«

»Wie, ich wüßte ihn nicht? Wenn wir nur erst an der Waladynka sind, finde ich die Schlucht mit verbundenen Augen. Wir reiten am Ufer entlang, dem Dniestr zu, die Schlucht bleibt zur Rechten; wir erkennen sie daran, daß der Eingang mit einem Felsen verlegt ist. Im ersten Augenblick scheint es, als könne man gar nicht hinein, aber in dem Felsen ist ein Bruch, durch den zwei Pferde nebeneinander gehen können. Wenn wir erst dort sind, so entkommt uns niemand, denn es ist der einzige Ein- und Ausgang der Schlucht, und ringsum sind so hohe Felsenwände, daß kaum ein Vogel darüberfliegt. Die Zauberin mordet die Menschen, die ohne Erlaubnis hinein wollen; es gibt viele Totengerippe dort, aber Bohun befahl mir, nicht darauf zu achten, immer weiter zu reiten und Bohun! Bohun! zu rufen! ... Erst dann wird sie uns als Freunde empfangen. – Außer der Horpyna ist dort noch Tscheremis, der ein guter Bogenschütze ist. Beide müssen wir töten.«

»Den Tscheremis wohl, aber das Weib, – das binden wir nur.«

»Wenn der gnädige Herr das nur imstande wäre! Sie ist so stark, daß sie einen Panzer wie ein Hemd zerreißt, und ein Hufeisen in der Hand zermalmt. Der einzige, Herr Longinus, könnte sie vielleicht bezwingen, nicht wir. Laßt nur sein, gnädiger Herr, ich habe eine geweihte Kugel für sie; – mag sie diesem Teufelsweibe die letzte Stunde bringen, sonst möchte sie hinter uns her rennen wie eine Wölfin und sämtliche Kosaken wachheulen, und wir brächten nicht bloß das Fräulein, sondern auch unsere eigenen Köpfe nicht heil fort.«

Unter solchen Gesprächen und Beratungen verging die Zeit unterwegs. Sie eilten vorwärts durch Städtchen, an Ansiedelungen, Höfen und Grabhügeln vorbei. Ihr Weg führte über Jarmoliniez nach Bar, von wo sie erst schräg auf Jampol und den Dniestr zu gehen sollten. Sie kamen durch dieselbe Gegend, wo Wolodyjowski einst den Bohun schlug und Herrn Sagloba aus dessen Händen befreit hatte. Sogar denselben Hof fanden sie wieder und blieben die Nacht dort. Zuweilen mußten sie ihr Nachtlager unter freiem Himmel, in der Steppe, aufschlagen; dann brachte Sagloba Abwechslung in die stillen Nächte durch die Erzählungen seiner früheren Abenteuer, solcher, die er wirklich bestanden, und solcher, die niemals existiert hatten. Am meisten jedoch unterhielten sie sich von der Prinzessin, ihrer Gefangenschaft bei der Hexe und ihrer bevorstehenden Befreiung.

In Jampol empfing sie Burlaj, ein alter und ruhmbedeckter Häuptling, der hier mit seinen Soldaten aus den Niederungen und einer Menge Gesindel auf die Tataren wartete. Dieser hatte vor Jahren den Bohun im Kriegshandwerk unterwiesen; er hatte ihn auf seinen Expeditionen an das Schwarze Meer begleitet und gemeinschaftlich mit ihm Sinope gebrandschatzt. Deshalb liebte er ihn auch wie einen Sohn und empfing seine Boten ohne jedes Mißtrauen, besonders, da er im vorigen Jahre Rzendzian bei ihm gesehen hatte. Und als er vollends erfuhr, daß Bohun lebe und nach Wolhynien hinüber wolle, gab er vor Freude den Boten ein Gastmahl, bei welchem er selbst sich berauschte; Sagloba befürchtete, daß Rzendzian, etwas angetrunken, unvorsichtig plaudern könnte, aber der durchtriebene, listige Bursche wußte sich so klug zu benehmen, daß er immer nur die Wahrheit sagte, wenn er sie sagen durfte, ohne ihr Vorhaben zu gefährden, und sich dadurch um so größeres Vertrauen erwarb. Merkwürdig klang den beiden Rittern diese Unterhaltung Rzendzians deshalb, weil während derselben ihre Namen von ihm mit der entsetzlichsten Dreistigkeit wiederholt wurden.

»Wir haben gehört,« sagte Burlaj, »daß Bohun im Zweikampfe verwundet wurde. Wißt Ihr nicht, wer ihn schlug?«

»Wolodyjowski, ein Offizier des Fürsten Jarema,« antwortete Rzendzian ruhig.

»O, wenn der mir in die Hände fiele, ich würde ihn für unseren Falken auszahlen. Abhäuten würde ich ihn!«

Herr Wolodyjowski zuckte mit seinem Flachsbärtchen und sah den Burlaj an, wie der Windhund den Wolf, den er nicht an der Gurgel fassen darf.

Rzendzian aber sagte:

»Darum sage ich Euch ja seinen Namen, Herr Hauptmann.«

»Der Teufel wird seine aufrichtige Freude an dem Burschen haben!« dachte Sagloba.

»Aber,« sprach Rzendzian weiter, »der ist nicht so viel schuld, denn Bohun hat ihn selbst gefordert, ohne zu wissen, wen er vor sich hatte. Es war noch ein anderer Edelmann dort, Bohuns größter Feind, welcher schon einmal die Prinzessin seinen Händen entrissen hat.«

»Und wer war das?«

»Ein alter Trunkenbold, der sich in Tschechryn an unseren Attaman klammerte und ihm Freundschaft heuchelte.«

»Der wird aufgehängt!« rief Burlaj aus.

»Ich will ein Narr heißen, wenn ich diesem Windhunde nicht das Ohr abhaue!« murmelte Sagloba.

»Sie haben ihn so zugerichtet,« predigte Rzendzian weiter, »daß einen anderen längst die Krähen behackt hätten. Aber unser Attaman hat eine harte Seele, er wurde gesund, obgleich er sich kaum bis Wlodawa schleppte, und war auch dort ratlos, wenn wir nicht gekommen wären. Wir haben ihn nach Wolhynien gebracht, wo die Unsrigen die Oberhand haben, er hat uns allein nach dem Mädchen gesandt.«

»Diese Schwarzäugigen sind sein Verderben!« brummte Burlaj. »Ich habe ihm das vorausgesagt. War es nicht besser, nach Kosakenart mit dem Mädchen zu verfahren und dann, mit einem Stein am Halse, sie in das Wasser zu werfen, wie wir es am Schwarzen Meer gemacht?«

Herr Wolodyjowski konnte kaum an sich halten, so sehr fühlte er sich in seinen Gefühlen für das schöne Geschlecht verletzt. Sagloba aber lachte und sagte:

»Freilich war es besser.«

»Aber, ihr seid gute Freunde!« sagte Burlaj, »ihr habt ihn in der Not nicht verlassen, und du, Kleiner (hier wandte er sich an Rzendzian), du bist der Beste von allen, denn ich sah dich schon in Tschechryn, wie du dort unseren Falken beschütztest und pflegtest. Nun! Ich bin euch auch ein Freund, sprecht, was braucht ihr, Krieger oder Pferde? Ich gebe sie euch, auf daß euch auf dem Rückwege kein Unfall zustoße.«

»Krieger können wir nicht brauchen, Hauptmann,« antwortete Sagloba, »denn wir reiten ja als Freunde in Freundesland, und Gott verhüte irgend ein schlimmes Zusammentreffen, wir kämen dann mit einer größeren Anzahl schlechter weg als allein, aber leichtfüßige Pferde könnten wir gut gebrauchen.«

»Ich gebe euch solche, die von keinem Klepper des Khans eingeholt werden.«

Jetzt nahm Rzendzian wieder die gebotene Gelegenheit wahr:

»Der Attaman hat uns auch wenig Geld gegeben, er hatte selbst nicht viel, und hinter Brazlaw gilt das Maß Hafer einen Taler.«

»So kommt mit mir auf die Kammer,« sagte Burlaj.

Rzendzian ließ sich das nicht zweimal sagen, verschwand mit dem alten Hauptmanne hinter der Tür, und als er nach einer Weile wieder erschien, leuchtete sein pausbäckiges Gesicht freudig, und der graue Oberrock auf seinem Bauche war bedenklich aufgebauscht.

»Jetzt reist mit Gott,« sagte der alte Kosak, »und wenn ihr das Mädchen habt, dann sprecht wieder bei mir vor, laßt auch mich Bohuns Liebling sehen.«

»Das kann nicht sein, Hauptmann,« antwortete dreist der Bursche, »denn diese Lechin ist furchtbar ängstlich und hat sich schon einmal mit dem Messer selbst töten wollen. Wir fürchten, daß ihr Schlimmes zustoßen könnte. Mag der Attaman sehen, wie er selbst mit ihr fertig wird.«

»Er wird schon; sie wird sich vor ihm nicht ängstigen. Sie ist eine Lechin von Fleisch und Blut! Ihr ist der Kosak zuwider!« brummte Burlaj. »Reitet mit Gott! Ihr habt nicht mehr weit.«

Von Jampol bis Waladynka war es nicht mehr weit, aber der Weg war beschwerlich, oder vielmehr, es gab gar keinen Weg. Das Land breitete sich pfadlos vor den Rittern aus, denn in jener Zeit waren diese Gegenden noch eine Wüstenei, nur hier und da angesiedelt und bebaut. Sie gingen also von Jampol aus etwas nach Westen zu, vom Dniestr sich entfernend, um später dem Laufe der Waladynka folgend nach Raschkow zu kommen, denn nur auf diese Weise konnten sie die Schlucht finden. Am Himmel graute der Morgen, denn das Gastmahl bei Burlaj hatte bis spät in die Nacht gedauert, und Sagloba rechnete aus, daß sie vor Sonnenuntergang die Schlucht nicht erreichen konnten, aber das war ihm gerade recht, da er nach der Befreiung Helenens die Nacht hinter sich haben wollte. Inzwischen unterhielten sie sich reitend, wie das Glück ihnen bis jetzt in allem günstig gewesen sei.

Unter diesen Gesprächen verging ihnen der Morgen, aber als die Sonne schon hoch am Himmelsgewölbe emporgestiegen war, da wurden sie ernst, denn in wenigen Stunden sollten sie ja die Waladynka erblicken. Nach langer Reise waren sie endlich am Ziel; eine in solchen Fällen natürliche Unruhe schlich sich in ihre Herzen. Lebte Helene noch? Und wenn sie lebte, würden sie das Mädchen in der Schlucht finden? Die Horpyna konnte sie schon fortgebracht haben oder sie im letzten Augenblick noch in einer Felsspalte verstecken oder töten. Die Hindernisse waren noch nicht beseitigt, die Gefahren noch nicht alle überwunden. Die Herzen schlugen ihnen immer stärker, und als sie endlich nach mehrstündigem Marsche, von der hohen Lehne einer Schlucht aus, ein in der Ferne glitzerndes Wasserband erblickten, wurde das pausbäckige Gesicht Rzendzians ein wenig bleich.

»Das ist die Waladynka,« sagte er mit etwas gepreßter Stimme.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Vorwärts!«

»Vorwärts, vorwärts!«

Nach kurzer Zeit befanden sie sich am Ufer des Flüßchens und lenkten die Pferde der Richtung seines Laufes zu. Hier hielt Wolodyjowski einen Augenblick an und sprach:

»Mag Rzendzian den Geleitsschein nehmen, denn die Hexe kennt ihn, mag er mit ihr zuerst verhandeln, damit sie vor uns nicht erschrickt und mit der Prinzessin in eine Felsspalte flieht.«

»Ich gehe nicht zuerst, macht, was ihr wollt, meine Herren!« sagte Rzendzian.

»So reite zuletzt, du Windhund.«

Indem er dies sagte, ritt Wolodyjowski voraus, hinter ihm Sagloba und zuletzt Rzendzian mit den Handpferden, nach allen Seiten unruhig um sich blickend. Die Pferdehufe klirrten auf den Steinen, ringsum herrschte die tiefe Stille der Wüste, nur die in Ritzen und Felsspalten versteckten Heuschrecken und Grillen zirpten laut, denn der Tag war heiß, obgleich die Sonne sich schon tief nach dem Westen neigte. Die Reiter waren endlich zu einer runden Erhöhung gekommen, welche aussah wie ein umgekehrter Ritterschild.

»Es ist nicht mehr weit,« sprach Rzendzian.

»Gott sei gelobt!« antwortete Sagloba, und seine Gedanken wandten sich alsobald der Prinzessin zu.

Es war ihm sonderbar zumute beim Anblick der wilden Ufer der Waladynka, dieser Wüste, dieser Stille; fast schien es ihm unglaublich, daß die Prinzessin so in der Nähe sei, sie, für die er so viele Abenteuer und Gefahren bestanden, die er so liebte, daß, als die Nachricht von ihrem Tode kam, er nicht mehr wußte, was er mit dem Leben im Alter anfangen sollte.

»Deine Tränen hören auf zu fließen, mein Töchterchen!« dachte Sagloba, »und bald kommt grenzenlose Freude über dich. O, und wie dankbar wird sie sein, wie die Hände falten und danken!«

Hier sah Sagloba das Mädchen vor sich; sie lebte und war tiefbewegt, und er vertiefte sich in Nachdenken über das, was in der nächsten Stunde geschehen würde.

Kaum waren sie ein Stückchen geritten, so fingen die Pferde an zu schnaufen und die Ohren einzuziehen. Rzendzian überlief es eisig, denn er glaubte, daß jeden Augenblick aus den Felsbrüchen das Geheul eines Vampirs ertönen oder irgend eine gräßliche, unbekannte Gestalt hervorstürzen müsse, – aber es zeigte sich bald, daß die Pferde nur deshalb so schnauften, weil sie dicht am Lager des Wolfes vorübergekommen waren, welcher vorher den Burschen so beunruhigt hatte. Ringsum herrschte Stille, sogar die Grillen hörten auf zu zirpen, denn die Sonne war nahe am Untergehen.

Rzendzian bekreuzte sich und wurde ruhig.

Plötzlich hielt Wolodyjowski sein Pferd an.

»Ich sehe die Schlucht, deren Hals mit einem Felsen verlegt ist, und den Bruch im Felsen.«

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!« flüsterte Rzendzian, »hier ist es!«

»Mir nach!« kommandierte Herr Michael, indem er das Pferd schwenkte.

Nach einer Weile standen sie an dem Felsbruch und ritten durch denselben, wie durch ein steinernes Gewölbe. Vor ihnen öffnete sich eine tiefe Schlucht, an den Seiten dicht bewachsen, in der Ferne sich zu einer halbkreisförmigen Ebene erweiternd, ringsum von riesenhaften Felsenmauern umgeben.

Rzendzian fing aus vollem Halse an zu rufen:

»Bohun! Bohun! Komm her, Seherin, komm, Bohun! Bohun!«

Sie hielten die Pferde an und warteten eine Zeitlang schweigend, dann fing der Bursche wieder an zu rufen:

»Bohun! Bohun! ...«

Von weitem hörte man Hundegebell.

»Bohun! Bohun! ...«

Auf der linken Seite der Schlucht, auf welche die roten Sonnenstrahlen fielen, rauschte es in den dichten Dorn- und Pflaumenbüschen, und gleich darauf erschien auf der äußersten Spitze des Abhanges eine menschliche Gestalt, welche sich niederbeugte und, die Augen mit der Hand bedeckend, aufmerksam die Angekommenen betrachtete.

»Das ist Horpyna!« sagte Rzendzian, und indem er die Hand an den Mund legte, rief er noch einmal:

»Bohun! Bohun!«

Horpyna begann herabzusteigen und bog, um das Gleichgewicht zu behalten, den Körper rückwärts. Sie kam schnell herab, und hinter ihr wälzte sich ein kleiner, untersetzter Mensch, eine lange türkische Büchse in der Hand. Die Sträucher brachen unter den mächtigen Füßen der Seherin, die Steine rollten polternd auf den Boden der Schlucht, und so, hintenüber gebeugt, im roten Abendschimmer, erschien sie wie ein riesiges, übernatürliches Wesen.

»Wer seid ihr?« sagte sie mit voller Stimme, als sie unten anlangte.

»Wie geht es dir, Dirne?« sprach Rzendzian, welchem beim Anblicke von Menschen, die keine Gespenster waren, die frühere Ruhe zurückkehrte.

»Du bist ein Diener Bohuns? Du! Dich erkenne ich! Du Kleiner! Und die dort, wer sind sie?«

»Bohuns Freunde.«

»Eine hübsche Hexe!« murmelte Herr Michael in den Bart.

»Und was wollt ihr?«

»Hier hast du den Geleitsschein, das Messer und den Ring. Weißt du, was das bedeutet?«

Die Riesin nahm die Zeichen in die Hand und betrachtete sie genau; darauf sagte sie:

»Es sind dieselben, die Bohun gehören! Ihr wollt die Prinzessin?«

»So ist es. Ist sie gesund?«

»Sie ist es. Warum kommt Bohun nicht selbst?«

»Bohun ist verwundet.«

»Verwundet? Ich sah es in der Mühle.«

»Wenn du es sahest, wozu fragst du? Du lügst, Kupplerin!« sagte Rzendzian vertraulich.

Die Seherin zeigte lachend ihre weißen Wolfszähne, und indem sie die Faust ballte, stieß sie Rzendzian in die Seite.

»Du Kleiner, du!«

»Scher dich fort!«

»Ich schenke es dir nicht! Küsse mich! Hu! Und wann nehmt ihr die Prinzessin?«

»Gleich, nur müssen die Pferde ruhen.«

»So nehmt sie! Ich gehe mit euch.«

»Und wozu?«

»Meinem Bruder ist der Tod bestimmt; er wird gepfählt, ich gehe mit.«

Rzendzian bückte sich im Sattel, wie, um sich leichter mit der Riesin zu unterhalten, und seine Hand ruhte wie absichtslos am Kolben der Pistole.

»Tscheremis! Tscheremis!« sagte er, um dadurch die Aufmerksamkeit seiner Gefährten auf den Zwerg zu lenken.

»Was rufst du ihn? Ihm ist die Zunge abgeschnitten.«

»Ich rufe ihn nicht, ich staune nur über seine Schönheit. Du verlässest ihn nicht, er ist dein Mann.«

»Mein Hund ist er!«

»Ihr seid nur zwei in der Schlucht?«

»Nur zwei, – die Prinzessin ist die dritte!«

»Das ist gut. Du gehst nicht mit.«

»Ich gehe doch, ich sagte es.«

»Und ich sage dir, du bleibst!«

In dem Tone des Burschen lag etwas so Eigentümliches, daß die Riesin sich beunruhigt auf der Stelle umwandte, sie war mißtrauisch geworden.

»Was willst du?« sagte sie.

»Das will ich!« entgegnete Rzendzian und schoß sie mit dem Pistol mitten in die Brust, so nahe, daß der Rauch sie einen Augenblick ganz einhüllte.

Horpyna trat mit ausgebreiteten Armen zurück, die Augen traten aus ihren Höhlen, ein riesiges Gebrüll entrang sich ihrer Kehle, sie schwankte und fiel rückwärts der Länge nach hin.

In demselben Augenblick hieb Sagloba Tscheremis über den Kopf, daß die Hirnschale unter der Scheide knirschte. Der scheußliche Zwerg gab keinen Laut mehr von sich, er krümmte sich nur wie ein Wurm zusammen, zuckte, öffnete und schloß die Hände abwechselnd, wie die Klauen eines verendenden Luchses.

»Vorwärts!« kommandierte Wolodyjowski.

Sie flohen dahin, den Bach entlang, wie der Wirbelwind, sich in der Mitte der Schlucht haltend. Sie kamen an einzelnen verstreuten Eichen vorüber, dann erschien vor ihren Augen eine Hütte, eine hohe Mühle, deren feuchtes Rad in den Sonnenstrahlen wie ein roter Stern blitzte. Vor der Hütte fanden sich zwei mächtige schwarze Hunde, an Stricken angebunden; sie wollten sich auf die Ankommenden stürzen und zerrten an den Stricken mit wütendem Geheul. Wolodyjowski ritt voran und kam zuerst hin; er sprang vom Pferde, trat, an der Haustüre angelangt, dieselbe mit den Füßen ein und stürzte säbelklappernd in den Flur.

Rechts vom Flur sah man durch eine offene Tür in eine geräumige Stube mit einem in der Mitte befindlichen Herd, die mit Spänen angefüllt und in Rauch gehüllt war; links war die Tür geschlossen. »Dort muß sie sein!« dachte Herr Wolodyjowski und sprang hinzu.

Er rüttelte an der Tür, öffnete sie, stürzte über die Schwelle und blieb auf derselben wie angegossen stehen.

Im Innern der Stube, die Hand auf die Lehne des Lagers gestützt, stand Helene Kurzewitsch, bleich, mit über die Schultern und den Rücken herabfließenden Haaren. Die erschreckten, auf Wolodyjowski gerichteten Augen fragten: »Wer bist du! Was willst du hier?« Denn noch niemals hatten sie den kleinen Ritter gesehen.

Er aber stand da, in den Anblick ihrer Schönheit und dieses mit Samt und Goldbrokat bedeckten Gemaches versunken. Endlich fand er Worte und sagte eilig:

»Fürchtet nichts, Fräulein, wir sind die Freunde Skrzetuskis.«

Da sank die Prinzessin auf die Kniee.

»Rette mich!« rief sie, die Hände faltend.

Aber in demselben Augenblick stürzte Sagloba herein, bebend, rot und atemlos.

»Wir sind es!« schrie er, »wir, und wir bringen Hilfe!«

Als die Prinzessin diese Worte hörte und das wohlbekannte Gesicht Saglobas sah, beugte sie sich, wie eine geknickte Blume, vornüber, die Arme sanken ihr herab, und die langen Seidenfransen ihrer Wimpern bedeckten ihre Augen, – sie war ohnmächtig.

 

Ende des dritten Buches


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