Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Kapitel

Man mußte dennoch wieder an die Errichtung neuer Wälle gehen und das Lager verkleinern, um die schon vollendeten Erdarbeiten der Kosaken nutzlos zu machen und den verringerten Kräften die Verteidigung zu erleichtern. Man arbeitete daher die ganze Nacht nach dem Sturme. Aber auch die Kosaken feierten nicht. Leise kamen sie in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch heran, warfen um das Lager einen zweiten, viel höheren Wall auf, von dem aus sie bei Tagesanbruch unter allgemeinem Geschrei gleich zu schießen anfingen und volle vier Tage und vier Nächte schossen. Man tat sich gegenseitig großen Schaden, da von beiden Seiten die besten Schützen miteinander wetteiferten.

Von Zeit zu Zeit lösten sich Massen von Kosaken und Gesindel los und liefen zum Sturm, aber sie kamen nicht bis an die Wälle, das Schießen wurde immer heftiger. Der Feind, welcher mächtige Kräfte hatte, wechselte die Kämpfenden, führte die eine Abteilung zur Ruhe, die andere zum Kampfe. Im Lager aber waren keine Ablösungstruppen, es mußten immer dieselben schießen, alle Augenblicke unter den drohenden Stürmen zu den Waffen greifen, die Toten begraben, Brunnen ausgraben und die Wälle höher aufschütten, um besseren Schutz zu bekommen. Man schlief oder vielmehr schlummerte bei den Wällen mitten im Feuer und den dicht umherliegenden Kugeln, welche man jeden Morgen bequem vom Schloßhofe herunterfegen konnte.

Vier Tage lang legte niemand die Kleider ab, welche, vom Regen naß geworden, an der Sonne trockneten, am Tage auf dem Körper brannten, des Nachts kühlten; vier Tage lang brachte niemand etwas Warmes in den Mund. Man trank Branntwein, den man durch einen Zusatz von Pulver verstärkte, kaute Zwieback und zerriß mit den Zähnen ausgedörrtes Räucherfleisch dazu, und das alles mitten im Dampf der Schüsse, dem Sausen und Pfeifen der Kugeln und dem Donner der Kanonen.

Niemand war da, »dem man hätte den Kopf abhauen oder in die Seite stechen können.« Die Soldaten umwickelten die blutigen Köpfe mit schmutzigen Lappen und fochten weiter. Es waren wunderbare Menschen. In zerfetztem Koller, mit verrosteten Waffen, zersplitterten Musketen in der Hand, die Augen von Schlaflosigkeit gerötet und immer wachsam, waren sie heiter bei Tag und Nacht, ob es regnete oder die Sonne schien, immer kampfbereit.

Die Soldaten waren verliebt in ihren Führer, in die Gefahr, in die Stürme, in Wunden und Tod. Eine wahre Helden-Ekstase beseelte sie; das Herz war gestählt, der Sinn abgehärtet. Das Furchtbare wurde für sie zur Wonne. Die verschiedenen Fahnen wetteiferten miteinander, im Dienst, in der Ausdauer, beim Hungern, der Schlaflosigkeit, der Arbeit, der Tapferkeit und Standhaftigkeit. Es ging so weit, daß es schwer wurde, die Soldaten auf den Wällen zu erhalten; sie hatten nicht genug an der Verteidigung, sie rissen sich nach dem Feinde, wie tolle Wölfe vor Hunger nach den Schafen. In allen Abteilungen herrschte eine wilde Lustigkeit. Wer an eine Übergabe gedacht hätte, der wäre im Augenblick in Stücke gerissen worden. »Hier wollen wir sterben!« wiederholte jeder Mund.

Jeder Befehl des Führers wurde blitzschnell ausgeführt. Einmal geschah es, daß der Fürst bei einem Abendritt um die Wälle heraushörte, wie das Feuer der Grenzfahnen Leschtschynskis schwächer ward. Er ritt an die Soldaten heran und fragte: »Warum schießt ihr nicht?«

»Das Pulver ist uns ausgegangen, wir haben ins Schloß nach frischem geschickt.«

»Dorthin habt ihr's näher,« sagte der Fürst, auf die feindlichen Schanzen zeigend.

Kaum hatte er ausgesprochen, da stürzte das ganze Fähnlein auf die Wälle, warf sich im Laufe auf den Feind und fiel wie ein Orkan über die Schanzen her. Sie erschlugen die Kosaken mit den Kolben der Musketen und Stangen, vernagelten vier Geschütze, und nach Verlauf einer halben Stunde kehrten sie zurück, zwar je um den zehnten Mann ärmer, aber doch als Sieger, beladen mit bedeutendem Pulvervorrat in Tönnchen und Pulverhörnern. Ein Tag verfloß nach dem anderen. Die Laufgräben der Kosaken schlossen immer engere Ringe um die Verschanzten und drangen in die Schanzen ein wie Keile in das Holz. Es wurde schon so nahe geschossen, daß, ungerechnet die Stürme, bei jeder Fahne wohl an zehn Mann täglich fielen. Die Geistlichen konnten mit den Sakramenten nicht zu ihnen gelangen. Die Belagerten schützten sich mit Wagen, Zelten, Fellen und aufgehängten Kleidungsstücken. Die Gefallenen wurden in der Nacht an der Stelle, an der sie gefallen waren, begraben; die Lebenden aber kämpften um so erbitterter auf den Grabhügeln der gestrigen Gefährten. Chmielnizki verschwendete das Blut seiner Leute maßlos, aber jeder Sturm brachte ihm nur neuen, immer größeren Schaden. Er selbst war erstaunt über den Widerstand; er rechnete nur darauf, daß die Zeit den Mut und die Kräfte der Belagerten mürbe machen würde, – doch die Zeit verstrich, und sie zeigten immer größere Todesverachtung.

Die Führer gingen den Soldaten mit gutem Beispiel voran. Fürst Jeremias schlief auf der blanken Erde am Wall; er trank Branntwein, aß geräuchertes Pferdefleisch und ertrug Mühsale und Witterungswechsel »über seinen Herrenstand«. Der Kronsfähnrich Koniezpolski und der Starost von Krasnostaw führten persönlich ihre Abteilungen zu den Ausfällen. Während der Stürme standen sie unbewaffnet im größten Kugelregen. Sogar diejenigen Führer, welchen, wie dem Ostrorog, jede Kriegserfahrung fehlte, auf welche der Soldat mit Mißtrauen blickte, schienen unter der Hand Jeremias andere Menschen zu werden. Der alte Firlej, Landskron und Prschyjemski schliefen ebenfalls bei den Wällen, richteten tagsüber die Geschütze, gruben in der Nacht wie Maulwürfe unter der Erde, indem sie Gegenminen unter die Minen der Kosaken legten, sie in die Luft sprengten oder unterirdische Wege eröffneten, durch welche die Soldaten wie Gespenster unter die schlafenden Kosaken gelangen konnten.

Endlich beschloß Chmielnizki, es mit Verträgen zu versuchen, indem er den Nebengedanken hatte, inzwischen durch List etwas zu erreichen. Am 24. Juli gegen Abend fingen die Kosaken an, den Soldaten zuzurufen, sie möchten das Schießen einstellen. Der ausgesandte Saporoge erklärte, der Hetman wünsche den alten Sazwilichowski zu sehen. Nach kurzer Beratung gingen die Regimentarier auf diesen Vorschlag ein: der Greis verließ die Verschanzungen.

So unterhielten sie sich dort. Nachmittags kehrte Herr Sazwilichowski in das Lager zurück. Verträge waren nicht geschlossen, ein Waffenstillstand kam nicht zustande. Chmielnizki stellte das seltsame Verlangen, ihm den Fürsten und den Kronsfähnrich Koniezpolski auszuliefern. Zuletzt hatte er das dem Saporogischen Heere widerfahrene Unrecht hergezählt und Sazwilichowski zu überreden gesucht, für immer bei ihm zu bleiben. Das hatte den alten Ritter zornig gemacht; er war aufgesprungen und fortgeritten. Abends folgte ein Sturm, der mit viel Blutvergießen abgeschlagen wurde. Das ganze Lager war während zweier Stunden im Feuer. Man hatte nicht nur die Kosaken von den Wällen zurückgeworfen, sondern auch die ersten Schanzen erobert, die Schießstände zerstört, die Erdbedeckungen vernichtet und wieder vierzehn Höllenmaschinen verbrannt. Chmielnizki hatte in dieser Nacht dem Khan geschworen, daß er nicht von der Stelle weichen wolle, solange ein lebender Mensch in den Verschanzungen bleibe.

Mit dem Morgengrauen ging das Schießen und das Unterminieren der Wälle wieder los; den ganzen Tag wurde mit Dreschflegeln, Sensen, Säbeln, Steinen und Erdklößen gekämpft. Am Morgen regnete es ab und zu. An diesem Tage gab man den Soldaten nur halbe Rationen, aber die hungrigen Magen verdoppelten die allgemeine Erbitterung der Ritter. Man schwor sich gegenseitig, einer nach dem anderen zu fallen, aber bis zum letzten Atemzuge sich nicht zu ergeben.

Die Soldaten hielt nur ein wildes Verlangen nach Gefahren und Blutvergießen aufrecht. Sie zogen singend, wie zu einer Hochzeit, in die Schlacht. An den Kanonendonner und das Getöse waren sie schon so gewöhnt, daß diejenigen Abteilungen, welche zum Schlaf kommandiert waren, mitten im Kugelregen und Kanonendonner fest schliefen. Die Lebensmittel nahmen immer mehr ab; die Regimentarier hatten das Lager vor der Ankunft des Fürsten ungenügend versorgt. Es entstand eine große Teuerung; wer jedoch Geld hatte und Branntwein oder Brot kaufte, der teilte fröhlich mit den anderen. Keiner sorgte um das »morgen«, denn jeder wußte, daß eines von beiden unvermeidlich sei: Entweder Entsatz von seiten des Königs oder der Tod. Sie waren auf beides gleich vorbereitet – am besten jedoch auf den Kampf. Mit einem in der Weltgeschichte beispiellosen Mute leisteten zehn gegen Tausende Widerstand mit einer Erbitterung, die jeden Sturm zu einer Niederlage der Kosaken machte. Außerdem gab es keinen Tag, an welchem sie nicht etliche Ausfälle gemacht und den Feind in den eigenen Schanzen überfallen hätten. Abends, wenn Chmielnizki dachte, daß die Ermüdung sie jetzt niedergeworfen haben müsse und er in der Stille einen Sturm vorbereitete, tönten fröhliche Lieder zu ihm herüber. Dann schlug er sich mit den Handflächen an die Waden vor Verwunderung und dachte im Ernste, Jeremias sei ein viel mächtigerer Hexenmeister als alle die im Kosakenlager sich bietenden zusammen. Raserei befiel ihn, er stürzte sich in den Kampf und vergoß ganze Ströme Blut, denn auch das wurde ihm immer klarer, daß sein Stern neben dem Stern des »schrecklichen« Fürsten zu erbleichen begann.

Im Kosakenlager sang man Lieder von Jarema, oder erzählte sich leise Geschichten von ihm, bei denen den Kriegern die Haare zu Berge standen. Man sagte, daß er zuweilen nachts auf den Verschanzungen stehe und zusehends wachse, bis er einen Kopf größer sei wie die Türme von Sbarasch, daß dann seine Augen die Gestalt zweier Mondscheiben annehmen und das Schwert in seiner Hand jener unheilvolle Stern sei, den Gott zuweilen den Menschen zum Verderben an den Himmel setzte. Man sagte auch, daß auf seinen Ruf die Leiber der im Kriege gefallenen Ritter mit Waffenklirren sich erheben und mit den Lebenden in Reih und Glied treten. Jeremias war in aller Munde! Von ihm sangen die Fahrenden, sprachen die alten Saporoger, das rohe Gesindel, die Tataren. Und in diesen Gesprächen, in diesem Haß, dieser abergläubischen Furcht steckte etwas, was wie eine wilde Liebe dieser Steppenvölker für ihren blutigen Vernichter hindurchklang. So war es! Chmielnizki schwand neben ihm hin, nicht nur in den Augen des Khan, der Tataren, nein, auch in den Augen des eigenen Volkes, – er sah – er mußte Sbarasch einnehmen, oder der Nimbus, welcher ihn umgab, zerstob wie der Nebel vor dem Morgenrot; er mußte diesen Löwen zertreten oder sterben.

Der Löwe aber wehrte sich nicht nur, er stürzte täglich schrecklicher aus seiner Höhle hervor. Weder die offene Übermacht noch Verrat und List halfen gegen ihn. Die Kosaken und das Gesindel fingen an zu murren. Auch ihnen wurde es schwer, in Feuer und Rauch, im Kugelregen, Leichendunst, Regen und Hitze, angesichts des Todes, auszuhalten. Übrigens fürchteten die tapferen Krieger nicht so die Mühen, die Unbequemlichkeit, nicht die Stürme, das Feuer, das Blut, den Tod, – sie fürchteten »den Jarema!« –


 << zurück weiter >>