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5. Kapitel

Während dieser denkwürdigen Belagerung von Sbarasch bedeckten sich viele gewöhnliche Ritter mit unsterblichem Ruhme; vor allen aber wird das Lied den Herrn Longinus rühmen, mit dessen großen Verdiensten höchstens seine Bescheidenheit wetteifern konnte.

Die Nacht war düster, finster und feucht; die von den Wachen bei den Wällen ermüdeten Soldaten schlummerten, auf die Waffe gestützt. Nach abermals zehntägigem Schießen und Stürmen war das erste Mal Ruhe eingetreten. In den nahen, kaum dreißig Schritt entfernten feindlichen Schanzen hörte man kein Rufen und keine Flüche; der gewöhnliche Lärm hatte aufgehört. Es war, als ob der Feind, welcher die Belagerten ermüden wollte, selbst endlich müde geworden war. Hier und da nur blinkte ein schwacher Feuerschein, halb vom Rasen verdeckt; von irgendwoher tönte der süße, leise Ton einer Leier, welche wohl ein Kosak spielte; in der Ferne wieherten in den tatarischen Pferdekoppeln die Pferde, und auf den Wällen hörte man von Zeit zu Zeit die Rufe der Wachen.

Die Panzerfahnen des Fürsten waren in dieser Nacht zum Fußdienst im Lager. Skrzetuski, Longinus, der kleine Ritter und Sagloba flüsterten leise miteinander auf der Schanze, in den Gesprächspausen auf das Plätschern des in den Laufgräben fallenden Regens horchend. Skrzetuski sagte:

»Diese Stille ist wunderbar. Die Ohren sind so sehr an den Donner und den Lärm gewöhnt, daß sie in der Stille klingen. Wenn nur nicht irgend ein Verrat sich hinter dieser Stille birgt.«

»Von der Zeit an, wo ich auf halbe Rationen gesetzt bin, ist mir alles einerlei,« murmelte Sagloba düster. »Mein Mut bedarf dreierlei Dinge: gut essen, gut trinken und schlafen. Der beste Riemen dorrt aus und platzt, wenn er nicht geschmiert wird, und nun gar, wenn er zum Überfluß noch wie der Hanf im Wasser zugerichtet wird. Der Regen durchnäßt uns, und die Kosaken hecheln uns, wie sollten nicht Splitter von uns fliegen? Schöne Lage das: die Semmel kostet schon einen Floren, und ein Quartierchen Branntwein fünf. Dieses stinkige Wasser möchte ein Hund nicht in das Maul nehmen, denn auch die Brunnen sind schon von den Leichen verpestet, und ich durste ebenso wie meine Stiefeln, welche die Fressen aufsperren wie Fische.«

»Aber Eure Stiefeln trinken doch Wasser, ohne zu wählen,« sagte Wolodyjowski.

»Ihr schwiegt besser still, Herr Michael. Seid Ihr doch nicht größer wie eine Meise, ernährt Euch mit einem Körnchen Hirse und trinkt Euch aus einem Fingerhut satt. Ich aber danke Gott, daß ich nicht so zierlich bin, und daß mich nicht eine Henne mit dem Hinterfuß aus dem Sande gescharrt, sondern ein Weib geboren hat; deshalb brauche ich Essen und Trinken wie ein Mensch, nicht wie ein Käfer, und weil ich seit der Mittagszeit nichts im Munde hatte wie Speichel, deshalb munden mir auch Eure Späße nicht.«

Hier fing Herr Sagloba an zornig zu schnaufen; Herr Michael aber langte nach seiner Seite und sagte:

»Ich habe hier im Stiefel eine Feldflasche, die ich heute einem Kosaken entriß; aber wenn mich eine Henne aus dem Sande gescharrt hat, da – denke ich – wird wohl auch der Branntwein einer so unscheinbaren Person Euch nicht munden. – In deine Hände, Johann!« sagte er, sich zu Skrzetuski wendend.

»Gib her, es ist kalt!« sagte Skrzetuski.

»Trink Herrn Longinus zu.«

»Ihr seid ein Spötter, Herr Michael,« sagte Sagloba, »aber ein hundertfacher Mann und habt die Gewohnheit, Euch selbst etwas abzudarben, um es anderen zu geben. Geheiligt wären die Hühner, welche solche Soldaten, wie Ihr seid, aus dem Sande herauskratzten; leider gibt es keine solchen in der Welt, und ich dachte nicht an Euch dabei.«

»So nehmt die Flasche von Herrn Longinus; ich will Euch keinen Schaden zufügen,« sagte Herr Michael.

»Was tut Ihr, Herr? Laßt mir auch etwas,« rief Sagloba ängstlich, auf den trinkenden Litauer blickend, »was legt Ihr den Kopf so in den Nacken? Daß er Euch dort hängen bliebe! Ihr habt zu lange Därme, die sind nicht bald vollgegossen. Er gießt wie in eine vermorschte Tonne. Daß sie Euch totschlügen!«

»Kaum, daß ich etwas bekommen habe,« sagte Herr Longinus, die Feldflasche weitergebend.

Sagloba setzte sie an und trank den Rest aus, worauf er schnaufte und sprach:

»Es ist unser einziger Trost, daß wir dann alles nachholen werden, wenn unsere Misere endet und Gott uns unsere Köpfe gesund aus diesen Gefahren tragen läßt. Sie werden doch irgend einen Unterhalt für uns aussinnen. Der Bernhardiner Sabkowski versteht gut zu essen, aber ich jage ihn doch ins Bockshorn.«

»Was für Worte der Wahrheit hörtet Ihr und der Geistliche Sabkowski heute vom Probst Muchowiezki?« fragte Herr Michael.

»Still!« sagte Skrzetuski, »es kommt jemand vom Schloßhofe her.«

Sie verstummten; im selben Augenblick tauchte eine dunkle Gestalt neben ihnen auf, und eine gedampfte Stimme fragte: »Wacht ihr?«

»Wir wachen, fürstliche Gnaden!« sagte, sich aufrichtend, Skrzetuski.

»Gebt sorgfältig acht. Diese Ruhe kündet Unheil.«

Und der Fürst ging weiter, um nachzusehen, ob der Schlaf die müden Soldaten nicht übermannt habe. Longinus faltete die Hände.

»Ist das ein Feldherr! Ist das ein Krieger!«

»Er ruht weniger als wir,« sagte Skrzetuski. »So umschreitet er jede Nacht selbst alle Wälle, bis weit hin, zum zweiten Teich.«

»Gott gebe ihm Gesundheit.« »Amen!«

Sie schwiegen still. Alle blickten durchdringend in die Finsternis, aber es war nichts zu sehen, – in den Schanzen der Kosaken war es ruhig. Auch die letzten Feuer waren dort erloschen.

»Man könnte sie im Schlafe überrumpeln,« murmelte Herr Wolodyjowski.

»Wer weiß?« antwortete Skrzetuski.

»Der Schlaf quält mich so,« sagte Sagloba, »daß die Augen mir tief in den Kopf kriechen, und es ist doch nicht erlaubt zu schlafen. Ich möchte wissen, wann es erlaubt wird? Ob geschossen wird oder nicht, stehe du unter den Waffen und nicke vor Erschöpfung wie der Jude am Schabbes. Ein Hundedienst! Ich weiß nicht, was mich so außer mir bringt, ist es der Branntwein oder die Verwirrung von heute morgen, in welche mich samt dem Geistlichen Sabkowski die unverdiente Strafpredigt des Probstes Muchowiezki versetzt hat, die wir beide anhören mußten.«

»Wie war das?« fragte Longinus. »Ihr fingt davon an und kamt nicht zu Ende.«

»So will ich es jetzt erzählen, vielleicht vertreiben wir uns den Schlaf damit. Ich ging also mit dem Geistlichen Sabkowski in das Schloß mit dem Gedanken, dort vielleicht etwas zu beißen zu finden. Wir gingen und gingen, sahen überallhin, – es war nichts da. Ärgerlich kehrten wir zurück. Da treffen wir im Hofe den kalvinischen Geistlichen, welcher den Kapitän Schenbeck zum Tode vorbereitet hat, denselben, welcher gestern bei der Fahne Firlejs verwundet wurde. Ich sage ihm also: was kriechst du Steckmuschel hier herum und gibst Gott Ärgernis? – Du wirst noch Unsegen über uns bringen! Und er antwortete, sichtlich auf die Protektion des Herrn von Bitsch bauend: »Unser Glaube ist so gut wie der eure, oder vielleicht noch besser!« Als er das gesagt, standen wir wie versteinert vor Entsetzen. Aber ich blieb still. Ich denke mir: Sabkowski ist da, mag er disputieren. Und mein Geistlicher Sabkowski platzte gleich mit Gegenbeweisen heraus; er stieß ihn dabei in die Seite, daß dem Manne die Rippen knackten und er an die Wand taumelte. Da kam der Fürst mit dem Probst Muchowiezki vorbei, und nun ging's los auf uns. Wir sollten keine Zänkereien und keinen Lärm anfangen, dazu wäre nicht die Zeit und der Ort, auch nicht zu Argumenten! Sie wuschen uns die Köpfe wie Schuljungen, – und kaum mit Recht, denn utinam sim falsus vates, aber die Kalvinischen bringen noch Unglück über uns.«

»Und jener Kapitän Schenbeck, ist er bekehrt worden?« fragte Herr Michael.

»I, woher! Er fuhr mit seinen Sünden dahin, so wie er gelebt.«

»Daß doch diese Menschen lieber ihr Seelenheil fahren lassen als ihren Eigensinn!« seufzte Longinus.

Hier unterbrach sie Wolodyjowski, welcher plötzlich flüsterte: »Still nur! ...«

Dann sprang er dicht an den Rand der Schanze und horchte aufmerksam.

»Ich höre nichts!« sagte Sagloba.

»Pst! Das Plätschern des Regens übertönt alles!« antwortete Skrzetuski.

Herr Michael winkte mit der Hand, ihn nicht zu stören, und horchte noch eine Zeitlang aufmerksam, endlich näherte er sich den Gefährten.

»Sie kommen!« flüsterte er.

»Melde es dem Fürsten! Er ist nach den Quartieren Ostrorogs zugegangen,« entgegnete Skrzetuski ebenso leise. »Wir wollen unterdes die Soldaten warnen.«

Und auf der Stelle liefen sie die Wälle entlang, alle Augenblicke unterwegs stillstehend und den wachthabenden Soldaten dann zuflüsternd:

»Sie kommen! Sie kommen!«

Die Worte flogen wie ein Blitz von Mund zu Mund. Eine Viertelstunde später schon kam der Fürst zu Pferde und erteilte den Offizieren Befehle. Da der Feind anscheinend die Absicht hatte, das Lager im Schlafe und unbewacht zu überrumpeln, so empfahl der Fürst, ihn in diesem Wahne zu lassen.

Die Soldaten sollten sich so still wie möglich verhalten und die Stürmenden bis auf die Wälle lassen und erst dann, wenn ein Kanonenschuß das Zeichen gebe, unversehens über sie herfallen.

Die Soldaten waren bereit; es senkten sich nur die Rohre der Musketen, dann trat die tiefste Stille ein. Skrzetuski, Longinus und Wolodyjowski standen nebeneinander, und auch Sagloba blieb bei ihnen, denn er wußte aus Erfahrung, daß die meisten Kugeln in den Schloßhof fielen – und auf dem Walle bei solchen drei Haudegen der sicherste Platz war. Er stellte sich nur ein wenig hinter die Ritter auf, um dem ersten Anprall zu entgehen. Etwas seitwärts kniete Longinus, den Ohnehut in der Hand, und Wolodyjowski kauerte dicht bei Skrzetuski und flüsterte ihm ins Ohr:

»Sie kommen bestimmt ...«

»Im gemessenen Schritt.«

»Das ist kein Gesindel, auch nicht Tataren.«

»Saporogische Fußsoldaten.«

»Oder Janitscharen, die marschieren gut. Zu Pferde könnte man mehr niederhauen.«

»Es ist zu finster zum Reiten heute.«

»Hörst du jetzt?«

»Pst! Pst!«

Das Lager schien im tiefsten Schlafe zu liegen. Nirgends eine Bewegung, nirgends ein Lichtschein, überall das tiefste Schweigen, nur unterbrochen von dem Geräusch des feinen, wie durch ein Sieb fallenden Regens. Allmählich jedoch entstand in diesem Geräusch ein zweites, dem Ohre leichter zugängliches, dann gemessenes Geräusch, immer näher, immer deutlicher; endlich erschien einige Schritte vom Laufgraben entfernt eine langgezogene, dichte Masse, deutlich sichtbar, da sie schwärzer war als die Finsternis, und blieb auf der Stelle stehen.

Die Soldaten hielten den Atem an, nur der kleine Ritter zwickte Skrzetuski in die Wade, als wolle er ihm auf diese Weise seine Zufriedenheit ausdrücken.

Unterdessen hatten die Stürmenden sich dem Laufgraben genähert und Leitern in denselben hinuntergelassen. Darauf stiegen sie selbst an ihnen hinab und lehnten sie an die andere Seite, dem Walle zu.

Der Wall lag immer noch im tiefen Schweigen, als wäre auf und hinter ihm alles ausgestorben, und Totenstille herrschte.

Hier und da knarrte trotz aller Vorsicht eine Sprosse ...

»Sie werden euch Bohnen zu kosten geben!« dachte Sagloba.

Wolodyjowski hatte aufgehört, Skrzetuski zu zwicken, und Longinus faßte den Griff seines Ohnehut fester und strengte die Augen an, denn er war dem Walle am nächsten und hoffte den ersten Schlag zu tun. Da tauchten drei Paar Hände am Lehm des Laufgrabens, und ihnen folgten langsam und vorsichtig drei Helmspitzen ... höher und immer höher ...

»Das sind Türken!« dachte Longinus.

In diesem Augenblick erscholl ein gräßlicher Knall von mehreren tausend Musketen; es wurde hell wie am Tage. Ehe das Licht erlosch, holte Longinus aus und führte einen so gewaltigen Hieb, daß die Luft unter der Wucht des Schwertes heulte. Drei Körper fielen in den Laufgraben, drei behelmte Köpfe kugelten vor die Füße des knienden Ritters.

Da tat sich der Himmel vor Longinus auf, obgleich die Hölle auf Erden wütete; Flügel schienen ihm zu wachsen, Engelchöre sangen ihm in der Brust, als sei er in den Himmel erhoben. Und er kämpfte wie im Traume, und jeder Hieb seines Schwertes war wie ein Dankgebet.

Und alle seine Ahnen, vom Vorfahren Stowejko an, freuten sich im Himmel, daß dieser letzte der Podbipienta Ohnehut, der da lebte, ein solcher Mann war.

Dieser Sturm, an welchem von seiten des Feindes die Hilfstruppen der rumelischen und silistrischen Türken, sowie die Garde des Khans den bei weitem größten Anteil nahmen, wurde blutiger als alle vorhergehenden zurückgeschlagen, und brachte ein schreckliches Unwetter über das Haupt Chmielnizkis. Er hatte nämlich versichert, daß die Polen mit den Türken minder erbittert kämpfen würden, und daß er, wenn man ihm diese Rotten gestattete, das Lager erobern würde. Er mußte jetzt den Khan und die wütend gewordenen Mirzen besänftigen und sie zugleich mit Geschenken sich willig machen. Dem Khan bewilligte er zehntausend Taler, dem Tuhaj-Bey, Kors-Adza, dem Subhagasi, Nuradyn und Gaddza je zweitausend. Unterdessen zogen die Lagerknechte die Leichen aus den Laufgräben, worin man sie nicht störte. Die Soldaten ruhten bis zum Morgen, denn es war sicher, daß der Sturm sich nicht wiederholen würde. Es schliefen daher alle den Schlaf des Gerechten, außer den wachthabenden Fahnen und Herrn Longinus, welcher die ganze Nacht zu Kreuz auf seinem Schwerte lag und Gott dankte, daß er ihm erlaubt hatte, sein Gelübde zu erfüllen und sich so mit Ruhm zu bedecken, daß sein Name im Lager und in der Stadt von Mund zu Munde ging. Am nächsten Morgen ließ ihn der Fürst-Wojewode zu sich rufen und rühmte ihn sehr. Die Soldaten kamen in Massen, ihm Glück zu wünschen und die drei Köpfe, zu betrachten, welche das Gesinde ihm vor das Zelt gebracht hatte, und die von der Luft schon ganz geschwärzt waren. Es gab daher nicht wenig Verwunderung und Neid, und manche wollten ihren Augen nicht trauen, denn sie waren samt den stählernen Helmfräsen wie mit dem Messer abgeschnitten.

»Ihr seid ja ein schrecklicher Eisenfresser!« sagten die Edelleute. »Wir wußten wohl, daß Ihr ein trefflicher Kavalier seid, aber einen solchen Hieb könnten Euch selbst die Helden des Altertums neiden, denn der geübteste Henker verstände ihn nicht besser zu führen.«

»Der Wind reißt keine Mützen so vom Kopfe, wie diese Köpfe heruntergehauen sind!« sagten andere.

Alle drückten Longinus die Hände; er stand mit gesenktem Blick, glückstrahlend – sanft und verschämt da, wie die Braut am Hochzeitstage, während er, wie um sich zu entschuldigen, sagte:

»Sie hatten sich so gut hingestellt ...«

Man versuchte darauf auch das Schwert, aber da es ein zweiseitiges breites Schwert, ein Kreuzritterschwert war, so war niemand imstande, es bequem zu handhaben, den Geistlichen Sabowski nicht ausgenommen, obgleich er ein Hufeisen wie einen Rohrstengel zerbrach.

Um das Zelt entstand ein immer größeres Stimmengewirr, und Sagloba, Skrzetuski und Wolydyjowski machten bei den Ankommenden die Honneurs und warteten mit Erzählungen auf, weil nichts Besseres da war. Man hatte fast den ganzen Zwieback im Lager verzehrt, und anderes Fleisch als geräuchertes Pferdefleisch gab es schon lange nicht mehr. Aber der Geist ersetzte Speise und Trank.

Zuletzt, als die anderen sich schon zu zerstreuen anfingen, kam Herr Marcus Sobieski, der Starost von Krasnostaw, mit seinem Hauptmann Stempowski. Longinus eilte, ihn zu empfangen; er aber begrüßte ihn freundlich und sagte:

»Bei Euch ist also heute ein Feiertag?«

»Gewiß, ein Feiertag,« entgegnete Sagloba, »denn unser Freund hat sein Gelübde erfüllt.«

»Gott sei gelobt!« antwortete der Starost. »Dann werden wir Euch, Brüderchen, wohl bald als Bräutigam begrüßen können? Habt Ihr Euch schon etwas ausersehen?«

Herr Longinus wurde rot bis über die Ohren vor Verlegenheit, und der Starost fuhr fort:

»An Eurer Verlegenheit merke ich, daß es so ist. Es ist Eure heilige Pflicht, daran zu denken, daß ein solches Geschlecht nicht ausstirbt. Wollte Gott, daß solche Soldaten, wie ihr zu vieren hier seid, auf Steinen wüchsen.«

Indem er das sagte, drückte er Herrn Longinus, Skrzetuski, Sagloba und dem kleinen Ritter die Hände. Und sie waren im innersten Herzen erfreut über das Lob aus solchem Munde, denn der Starost von Krasnostaw war ein Muster der Tapferkeit, der Ehre und aller Rittertugenden. Er war der leibhaftige Mars; alle Gaben Gottes waren über ihn ausgeschüttet worden, da er an ungewöhnlicher Schönheit sogar seinen jüngeren Bruder Johann, den späteren König, übertraf, an Adel der Geburt und Glücksgütern den Ersten des Landes gleichstand und seine Rittereigenschaften selbst von dem großen Jeremias in den Himmel erhoben wurden. Ein Stern von ungewöhnlicher Größe wäre am Himmel der Republik in ihm aufgegangen, wenn nach dem höheren Ratschlusse Gottes seine Strahlen nicht der jüngere Bruder Johann aufgesogen hätte, da er selbst vor der Zeit an einem Tage des Unheils erlosch.

Die Ritter erfreuten sich sehr an dem Lobe des Helden; dieser aber wollte damit gar nicht aufhören und fuhr fort:

»Der Fürst-Wojewode selbst hat mir schon sehr viel von euch, die er vor allen anderen liebt, erzählt. Ich wundere mich auch nicht, daß ihr ihm dient, ohne auf Beförderung zu spekulieren, die euch im königlichen Dienste leicht erreichbar wäre.«

Darauf antwortete Skrzetuski:

»Wir alle sind in die Husarenfahne des Königs eingeschrieben, mit Ausnahme des Herrn Sagloba, welcher aus angeborenem Mute als Freiwilliger dient. Und daß wir unter dem Fürst-Wojewoden dienen, das geschieht erstens aus Liebe zu seiner Person, und dann, weil wir so viel Kämpfe wie möglich genießen wollten.«

»Wenn ihr dazu so große Lust hattet, dann habt ihr recht getan. Herr Longinus hätte wohl unter keiner anderen Fahne so leicht seine drei Köpfe gefunden,« antwortete der Starost. »Aber, was den Krieg anbetrifft, so haben wir ihn in diesen Zeiten wohl alle satt.«

»Mehr als alles!« entgegnete Sagloba. »Vom frühen Morgen an sind die Soldaten mit Lobeserhebungen hierher gekommen, aber wer uns statt dieser mit einem Bissen Brot und einem Schluck Branntwein aufgewartet hätte, der hätte uns am angenehmsten traktiert.«

Bei diesen Worten blickte Sagloba aufmerksam dem Starosten von Krasnostaw in die Augen und blinzelte unruhig. Der Starost lächelte und sagte:

»Seit gestern mittag habe ich nichts in den Mund genommen, aber ein Schluck Branntwein findet sich vielleicht noch irgendwo. Ich kann den Herren dienen.«

Aber Skrzetuski, Longinus und der kleine Ritter lehnten sich dagegen auf und schalten Sagloba, der sich herauswand und entschuldigte, so gut er konnte.

»Ich wollte nicht betteln,« sagte er, »denn auch ich setze etwas darein, es ist mein Stolz, lieber von dem meinigen etwas abzugeben, als fremdes anzunehmen, aber wenn so eine würdige Person bittet, so wäre es eine Grobheit, abzulehnen.«

»Kommt nur mit mir,« sagte der Starost. »Auch ich sitze gern in angenehmer Gesellschaft, und solange nicht geschossen wird, haben wir Zeit. Zum Essen bitte ich euch nicht, denn auch das Pferdefleisch ist schon rar, und wird uns auf dem Schloßhofe ein Gaul niedergeschossen, so langen gleich hundert Hände danach. Aber ich habe noch etwa zwei Flaschen Branntwein, die ich für mich allein nicht aufbewahren werde.«

Jene aber wehrten sich noch und wollten nicht mitgehen, aber als er sehr in sie drang, gingen sie doch, und Stempowski eilte voraus und sorgte dafür, daß auch einige Zwiebäcke und einige Stückchen Pferdefleisch sich zum Imbiß vorfanden. Sagloba wurde gleich froher und sagte:

»So Gott will, daß Seine Majestät der König uns Entsatz bringt, dann schließen wir uns gleich der allgemeinen Bewegung zu den Wagen an. O, die führen immer eine Menge Spezialitäten mit sich, und jeder von ihnen versorgt seinen Bauch besser als die Republik. Mit ihnen will ich lieber essen als kämpfen, aber – vielleicht halten sie sich unter den Augen des Königs tapferer.«

Der Starost wurde ernst.

»Wir haben uns doch geschworen,« sagte er, »daß wir lieber einer nach dem anderen fallen, ehe wir uns ergeben. So soll es auch sein. Wir müssen uns darauf vorbereiten, daß immer schlimmere Zeiten kommen. Die Lebensmittel sind fast zu Ende und, was noch schlimmer ist, auch das Pulver. Den anderen möchte ich es nicht sagen, euch darf ich's sagen. Über kurz oder lang bleibt uns nur noch die Erbitterung im Herzen, der Säbel in der Hand – und die Todesbereitschaft übrig, sonst nichts. Gott führe uns den König recht bald her, – das ist die letzte Hoffnung. Er ist ein kriegerischer Herr! Um uns zu befreien, würde er weder Kampf noch Tod scheuen, – aber er allein ist zu schwach, und ihr Herren wißt selbst, wie langsam das allgemeine Aufgebot zusammenkommt. Übrigens, woher soll der König auch wissen, in welcher Lage wir sind, wie wir uns verteidigen und – daß wir nur noch von Brocken leben?«

»Wir sind entschlossen, uns zu opfern,« sagte Skrzetuski.

»Wie – wenn man den König durch einen Boten benachrichtigte?« fragte Sagloba.

»Einer, der tugendhaft genug wäre, um das Unternehmen zu wagen,« sagte der Starost, »würde sich bei Lebzeiten unsterblichen Ruhm erwerben; er würde der Retter des ganzen Heeres werden und vom Vaterlande großes Unheil abwenden. Wenn auch das allgemeine Aufgebot noch nicht ganz beisammen wäre, so würde doch die bloße Nähe des Königs schon imstande sein, die Aufwiegler zu zerstreuen. Aber, wer möchte gehen? Wer das unternehmen, da Chmielnizki alle Wege und Ausgänge so besetzt hat, daß keine Maus durchzuschlüpfen vermöchte. Ein solches Unternehmen wäre der unfehlbare Tod.«

»Und wozu haben wir denn die List?« sagte Sagloba. »Mir kommt schon ein guter Gedanke.«

»Was für einer? Was für einer?« fragte der Starost.

»Nehmen wir nicht täglich eine Handvoll Gefangene? Wie wäre es, wenn wir einen von ihnen bestechen könnten? Er könnte sagen, daß er uns entflohen ist, und dann zum Könige eilen.«

»Ich muß darüber mit dem Fürsten sprechen,« sagte der Starost.

Longinus dachte lange nach. Seine Stirn bedeckte sich mit Runzeln, er saß lange schweigend da. Plötzlich erhob er den Kopf und sagte mit seiner gewöhnlichen Milde:

»Ich unternehme es, mich durch die Kosaken zu schleichen.«

Als die Ritter diese Worte hörten, sprangen sie erstaunt auf, Sagloba stand mit offenem Munde da, Wolodyjowski zuckte ein über das andere Mal mit dem Schnurrbart, Skrzetuski erbleichte, und der Starost von Krasnostaw schlug sich auf seinen Samtrock und rief:

»Ihr wolltet das unternehmen?«

»Habt Ihr auch überlegt, was Ihr redet?« sagte Skrzetuski.

»Ich denke schon lange daran,« sagte der Litauer. »Nicht erst seit heute spricht man unter den Rittern davon, daß man den König unsere Lage wissen lassen müsse. Und ich, da ich das hörte, habe mir im stillen gedacht: wenn Gott mir vergönnt, mein Gelöbnis zu erfüllen, ginge ich gleich. Was habe ich armseliger Mensch zu bedeuten? Was für ein Schaden wäre es, wenn man mich unterwegs totschlüge?«

»Aber Ihr werdet unfehlbar totgeschlagen!« sagte Sagloba.

»Was tut es, Brüderchen?« sagte Longinus. »Ist es Gottes Wille, so führt er mich glücklich hindurch, wenn nicht, so lohnt er es im Himmel.«

»Mensch, habt Ihr den Verstand verloren?« sagte Sagloba. »Sie fangen Euch erst und geben Euch dann einen qualvollen Tod.«

»Ich gehe auch so, Brüderchen,« entgegnete mild der Litauer.

»Ein Vogel flöge nicht unbemerkt über ihren Köpfen fort, sie würden ihn mit einem Pfeile treffen. Sie haben uns ringsum eingegraben wie einen Dachs in der Höhle.«

»Ich gehe dennoch!« erwiderte der Litauer. »Ich schulde Gott Dank dafür, daß er mich mein Gelöbnis vollbringen ließ.«

»Nun, seht ihn! Blickt ihn an!« rief Sagloba verzweifelt. »So laßt Euch doch lieber gleich den Kopf abschlagen und ihn aus einer Kanone ins Lager hinüberschießen, denn nur auf diese Weise könntet Ihr den Weg hindurch nehmen.«

»Erlaubt es mir doch, Herren!« bat, die Hände faltend, der Litauer.

»O nein, Ihr geht nicht allein, denn ich gehe mit Euch!« sagte Skrzetuski.

»Und auch ich!« setzte Wolodyjowski hinzu, indem er mit dem kleinen Säbel klirrte.

»Da sollen doch gleich Kugeln dreinschlagen!« rief Sagloba, sich am Kopfe fassend. »Euch sollen Kugeln erschlagen mit eurem »ich auch, ich auch!« mit eurer Waghalsigkeit. Habt ihr noch zu wenig Blut, zu wenig Verluste, zu wenig Kugeln gesehen! Ist es nicht genug an dem, was hier geschieht? Nein? Wollt ihr eure Hälse mit Gewalt verlieren? Geht denn zum Kuckuck und laßt mich in Ruhe. Mögen sie euch erschlagen!«

Nachdem er das gesagt, fing er an wie geistesabwesend im Zelte umherzugehen.

»Gott straft mich!« rief er, »daß ich mich mit Windbeuteln einließ, anstatt in der Gesellschaft gesetzter Menschen zu leben. Es ist mir schon recht.«

Er rannte noch eine Weile fieberhaft im Zelte hin und her, endlich blieb er vor Skrzetuski stehen, faltete die Hände und, indem er ihm in die Augen sah, schnaufte er drohend:

»Was habe ich Euch so Böses getan, daß Ihr auf mein Verderben sinnt?«

»Gott bewahre!« antwortete der Ritter. »Wieso?«

»Denn, daß Herr Longinus auf solche Dinge verfällt, das wundert mich nicht. Er hat den Verstand immer in der Faust statt im Kopfe, und von der Zeit an, wo er den größten drei Narren unter den Türken die Köpfe abschlug, ist er selbst zum vierten geworden ...«

»Das hört sich schlecht an!« unterbrach der Litauer.

»Auch bei dem wundert es mich nicht,« fuhr Sagloba fort, auf Wolodyjowski zeigend. »Der springt einem Kosaken in den Stiefelschaft oder hängt sich ihm an die Hosen wie die Klette an den Hundeschwanz; er kommt von uns allen am ersten durch. Die beiden hat der Heilige Geist nicht erleuchtet; – aber, daß Ihr, anstatt sie vom Wahnsinn zurückzuhalten, sie dazu anspornt, indem Ihr selbst gehen wollt, daß Ihr uns alle vier dem sicheren Märtyrertode ausliefern wollt, – das ist ... das ist das letzte! – Pfui! Zum Kuckuck, das habe ich nicht von einem Offizier erwartet, welchen der Fürst selbst als einen gesetzten Mann betrachtet.«

»Wieso alle vier?« fragte der erstaunte Skrzetuski. »Wolltet Ihr auch?«

»So ist es!« schrie, sich an die Brust schlagend, Sagloba, »auch ich gehe. Wenn einer von euch sich rührt, oder alle zusammen, gehe auch ich. Mein Blut komme über euch. Ein andermal werde ich wissen, an wen ich mich halten soll, die Lehre habe ich mir gekauft.«

»Daß Euch doch!« sagte Skrzetuski.

Die drei Ritter umarmten ihn einer nach dem anderen; er aber war wirklich böse und stieß sie mit den Ellbogen von sich, indem er sagte:

»Geht zum Kuckuck! Ich brauche Eure Judasküsse nicht!«

Da erscholl von den Wällen her Kanonendonner und Musketenfeuer. Sagloba hielt still und sagte:

»Da habt ihr's! Da habt ihr's! Jetzt geht!«

»Das ist die gewöhnliche Beschießung!« sagte Skrzetuski.

»Die gewöhnliche Beschießung!« äffte der Edelmann nach. »Ich bitte! Habt Ihr noch zu wenig davon? Das halbe Heer ist bei dieser gewöhnlichen Beschießung zusammengeschmolzen, und sie rümpfen schon verächtlich die Nase dazu.«

»Beruhigt Euch doch, Herr!« sagte Longinus.

»Schweigt, Rübenzüchter!« brüllte Sagloba, »Ihr seid der Schuldigste. Ihr habt die Geschichte ausgesonnen, und wenn sie nicht dumm ist, so bin ich dumm!«

»Und ich gehe doch, Brüderchen,« antwortete Longinus.

»Ihr geht! Ihr geht! Und ich weiß, warum! Gebt Euch nicht für einen Helden aus, dafür seid Ihr bekannt. Ihr habt die Keuschheit zum Überdruß, und es drängt Euch, sie aus den Schanzen hinauszutragen; Ihr seid, gerade herausgesagt, eine Dirne, die ihre Tugend zu Markte trägt. Pfui! Eine Beleidigung Gottes! Seht, das ist es! Nicht zum Könige habt Ihr es eilig, Ihr möchtet nur in den Dörfern umherwiehern wie das Pferd auf der Weide. Seht nur, ein schöner Ritter, der seine Unschuld feilbietet. So wahr ich Gott liebe, nichts als Ärgernis!«

»Das hört sich schlecht an!« rief Longinus, sich die Ohren zuhaltend.

»Laßt die Zänkereien,« sagte Skrzetuski ernst. »Kommen wir lieber zur Sache.«

»Bei Gott!« sagte der Starost von Krasnostaw, welcher bisher erstaunt auf Sagloba gehört hatte, »das ist eine Sache von großer Wichtigkeit. Aber ohne den Fürsten können wir nichts beschließen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Herren sind im Dienst und haben den Befehlen zu gehorchen. Der Fürst muß zu Hause sein. Wir wollen hören, was er zu eurer freiwilligen Meldung sagt.«

»Dasselbe, was ich sage!« meinte Sagloba, und Hoffnung erheiterte sein Gesicht. »Gehen wir schnell.«

Sie gingen hinaus und schritten über den Schloßplatz, auf welchen schon die Kugeln von den feindlichen Schanzen fielen. Die Soldaten waren auf den Wällen, welche von weitem aussahen wie Jahrmarktsbuden, so viel alte Kleidungsstücke und Pelze hatte man dort aufgehängt, so viel Wagen und Überbleibsel von Zelten nebst anderen Gegenständen aufgestellt, die Schutz gewähren konnten gegen die Kugeln, welche nun schon wochenlang, Tag und Nacht, herübergeflogen kamen. Auch jetzt zog sich über den aufgehängten Lumpen eine lange, bläuliche Rauchwolke hin; vor denselben sah man Reihen roter und gelber Soldaten in liegender Stellung, welche schwer gegen die zunächst liegenden feindlichen Schanzen arbeiteten. Der Schloßhof selbst sah aus wie ein Trümmerhaufen; die Ebene, mit Spalten durchwühlt, von Pferden zertreten, hatte auch nicht ein grünes Hälmchen aufzuweisen. Hier und da lagen die beim Graben der Brunnen frisch aufgeworfenen Erdhaufen, Überreste zerbrochener Wagen, Kanonen, Tonnen oder Stöße benagter, an der Sonne gebleichter Knochen. Ein Pferdekadaver war nirgends zu sehen, denn jeder wurde sogleich als Proviant für die Soldaten genommen; dafür konnte man überall ganze Haufen eiserner, größtenteils schon vom Rost angefressener Kugeln sehen, mit denen man täglich dieses Stückchen Erde überschüttete. Der Krieg und die schwere Not waren bei jedem Schritte sichtbar. Auf ihrem Gange begegneten die Ritter größeren und kleineren Haufen Soldaten, die Verwundete oder Tote trugen, oder den Wällen zueilten, um die allzu ermüdeten Gefährten abzulösen. Aller Gesichter waren geschwärzt, eingefallen, mit Bärten bewachsen; – die düster blickenden Augen entzündet, die Kleidung verblichen und zerrissen, die Köpfe statt der Mützen und Helme oft mit schmutzigen Lappen bedeckt, die Waffen zerbrochen. Und wider Willen drängte sich ihnen der Gedanke auf, was aus dieser Handvoll bisheriger Sieger werden solle, wenn noch eine, – höchstens zwei Wochen verflossen?«

»Seht, meine Herren,« sagte der Starost, »es ist Zeit, daß der König es erfährt.«

»Das Elend weist uns schon die Zähne wie ein bissiger Hund!« antwortete der kleine Ritter.

»Und was soll geschehen, wenn wir die Pferde aufgegessen haben?« fragte Skrzetuski.

Während dieser Unterhaltung kamen sie an die Zelte des Fürsten, welche sich auf der rechten Seite der Wälle befanden; vor denselben standen etliche Reiter vom Dienst, deren Pferde mit gedörrtem und gemahlenem Pferdefleisch gefüttert wurden. Diese waren bestimmt, die Befehle des Fürsten in das Lager zu bringen. Die armen Tiere, durch Genuß des Fleisches von einem unaufhörlichen inneren Brande gequält, machten die tollsten Sprünge und waren um keinen Preis auf der Stelle festzuhalten. Und so stand es mit den Pferden der gesamten Reiterei, die, wenn sie jetzt gegen den Feind ging, aussah wie eine Herde Greife oder Hippokentauren, die über das Feld mehr in der Luft als auf der Erde jagen.

»Ist der Fürst im Zelt?« fragte der Starost einen der Reiter.

»Er ist mit dem Herrn Prschyjemski dort,« antwortete der Botenreiter.

Der Starost ging zuerst hinein, ohne sich anmelden zu lassen; die vier Reiter blieben vor dem Zelte.

Aber nach einer Weile wurde die Leinwand des Zeltes emporgehoben, und Herr Prschyjemski steckte den Kopf heraus.

»Der Fürst will die Herren sogleich sehen,« sagte er.

Herr Sagloba ging guter Dinge in das Zelt; er hoffte, der Fürst werde nicht zugeben, daß seine besten Ritter in das Verderben gingen. Aber er irrte, denn, noch hatten sie kaum Zeit gehabt, sich vor ihm zu verneigen, als er auch schon sagte:

»Der Herr Starost sagte mir von eurer Bereitschaft, das Lager zu verlassen, und ich nehme euren guten Willen an. Dem Vaterlande kann man kein Opfer bringen, das zu groß wäre.«

»Wir kamen nur um Erlaubnis zu fragen,« sagte Skrzetuski, »da Eure Durchlaucht über unser Leben zu gebieten haben.«

»Ihr wollt also alle vier gehen?«

»Durchlaucht!« sagte Sagloba, »sie wollen gehen, aber ich nicht. Gott ist mein Zeuge, ich kam nicht her, um mich zu loben oder meine Verdienste in Erinnerung zu bringen, und wenn ich das tue, so geschieht das nur, damit nicht der Verdacht auf mich falle, ich sei ein Feigling. Herr Skrzetuski, Wolodyjowski und Longinus aus Myschykischki sind große Kavaliere, aber auch Burlaj, welcher von meiner Hand fiel (anderer Taten nicht zu gedenken), war ein großer Krieger, wert eines Burdabut, eines Bohun und dreier Türkenköpfe. Ich glaube also, in Werken der Tapferkeit bin ich nicht schlechter als andere. Es ist aber etwas anderes um die Tapferkeit, und etwas anderes um den Wahnsinn. Flügel haben wir nicht, und auf der Erde kommen wir nicht durch – das ist sicher.«

»Ihr geht also nicht?« fragte der Fürst.

»Ich sagte, daß ich nicht gehen will, aber ich sagte nicht, daß ich nicht gehen werde. Hat mich Gott einmal mit ihrer Kameradschaft gestraft, so muß ich schon bis zum Tode darin ausharren. Wenn es schlimm kommt, so ist Saglobas Schwert auch noch zu etwas nütze; nur weiß ich nicht, wozu der Tod von uns vieren nützen könne, und ich habe das Vertrauen, daß Eure Durchlaucht uns davon zurückhalten will, indem Sie uns die Erlaubnis zu diesem wahnsinnigen Vorhaben versagen.«

»Ihr seid ein guter Kamerad,« antwortete der Fürst, »und es ist edel von Euch, daß Ihr die Freunde nicht verlassen wollt, aber in Eurem Vertrauen auf mich habt Ihr Euch getäuscht, denn ich nehme Euer Opfer an.«

»Der Hund ist krepiert!« murmelte Sagloba und ließ die Hände sinken.

In diesem Augenblick trat der Burgvogt von Bitsch in das Zelt.

»Gnädigster Fürst,« sagte er, »meine Leute haben einen Kosaken gefangen, welcher aussagt, daß zur Nacht ein Sturm vorbereitet werde.«

»Ich habe auch schon Kenntnis davon,« antwortete der Fürst. »Es ist alles in Bereitschaft – sie mögen sich nur mit dem Aufschütten der Wälle beeilen.«

»Die sind beinahe vollendet.«

»Das ist gut!« sagte der Fürst, »bis zum Abend siedeln wir über.«

Dann wandte er sich an die vier Ritter:

»Wenn die Nacht finster ist, nach dem Sturme, wird die geeignetste Zeit zum Ausmarsche sein.«

»Wie?« sagte Firlej, »Ihr bereitet einen Ausfall vor, gnädiger Fürst?«

»Der Ausfall ist eine Sache für sich,« sagte der Fürst; »ich selbst werde ihn führen. Jetzt sprachen wir von etwas anderem. Diese Herren wollen es unternehmen, sich durch den Feind zu schleichen und den König von unserer Lage zu benachrichtigen.«

Firlej staunte; er öffnete die Augen weit und sah der Reihe nach die Ritter an.

Der Fürst lächelte zufrieden. Er hatte die Schwäche, daß er es liebte, wenn man seine Soldaten bewunderte.«

»Bei Gott!« sagte Firlej, »es gibt also noch solche tapfere Herzen in der Welt? Bei Gott! Ich werde euch nicht von diesem Hazardspiele zurückhalten, meine Herren.«

Sagloba wurde rot vor Zorn, sagte aber nichts mehr; – er schnaubte nur wie ein Bär. Der Fürst versank eine Weile in Nachdenken und sprach dann die folgenden Worte:

»Ich will jedoch nicht umsonst euer Blut verschwenden, meine Herren, und gehe nicht darauf ein, daß ihr alle vier zusammen auszieht. Erst soll einer gehen; wird er erschlagen, so werden die Feinde nicht versäumen, sich damit zu rühmen, wie sie sich ja schon einmal des Todes eines meiner Diener rühmten, welchen sie bei Lemberg fingen. Wird also der erste erschlagen, so wird der zweite gehen, und dann, im Falle der Not, der dritte und vierte. Es kann ja sein, daß der erste sich glücklich durchschleicht; – in diesem Falle will ich das Leben der anderen nicht in Todesgefahr bringen.«

»Durchlaucht!« unterbrach Skrzetuski.

»Das ist mein Wille und Befehl!« sagte Jeremias mit Nachdruck. »Um euch aber zufriedenzustellen, erkläre ich, daß derjenige zuerst gehen soll, der sich zuerst angeboten hat.«

»Das bin ich!« sagte Longinus mit glückstrahlendem Gesicht.

»Also, heute abend, nach dem Sturm, wenn die Nacht finster ist,« setzte der Fürst hinzu. »Briefe an den König gebe ich nicht mit: was Ihr sahet, das erzählt, – nur mein Petschaft nehmt Ihr zur Legitimation mit.«

Longinus nahm das Petschaft in Empfang und verneigte sich vor dem Fürsten. – Dieser aber nahm ihn mit beiden Händen an den Schläfen, hielt seinen Kopf eine Zeitlang, küßte ihn dann wiederholt und sagte mit gerührter Stimme:

»Ihr steht meinem Herzen so nahe wie ein Bruder ... Es geleite und führe Euch der Gott der Heerscharen und unsere Königin der Engel durch die Feinde, Streiter Gottes. Amen!«

»Amen!« wiederholte der Starost von Krasnostaw, Herr Prschyjemski und Firlej.

Der Fürst hatte die Augen voll Tränen, denn er war ein wahrhafter Vater der Ritterschaft; – die anderen weinten, und Longinus erbebte in einem Schauer der Begeisterung – Feuer lief ihm durch die Glieder, und diese reine, demütige Heldenseele war bis ins Innerste erfreut durch die Hoffnung des nahen Opfers.

»Die Weltgeschichte wird von Euch erzählen!« rief der Burgvogt von Bitsch aus.

» Non nobis, non nobis, sed nomini Tuo, Domine da Gloriam!« sagte der Fürst.

Die Ritter verließen das Zelt.

»Puh! Mich hat etwas an der Gurgel gepackt und hält mich fest, und im Munde ist es bitter, wie nach Tausendgüldenkraut,« sagte Sagloba. »Und die dort schießen immerzu – daß euch der Blitz treffe. – O, wie schwer ist das Leben in der Welt! Herr Longinus, müßt Ihr durchaus schon fort? Die heiligen Engel mögen Euch schützen ... Wenn doch die Pest dieses Gesindel erwürgte!«

»Ich muß jetzt die Herren verlassen,« sagte Longinus.

»Warum? Wohin geht Ihr?« fragte Sagloba.

»Zum Probst Muchowiezki, zur Beichte, Brüderchen. Man muß die sündige Seele reinigen.«

Nach diesen Worten ging Longinus eiligst dem Schlosse zu; die anderen wandten sich nach den Wällen. Skrzetuski und Wolodyjowski wäre wie betäubt und schwiegen, Sagloba aber sagte:

»Es hält mich immerfort an der Gurgel. Ich hätte nicht gedacht, daß er mir so leid tun würde, aber er ist der tugendhafteste Mensch in der Welt! Wer mir das bestreitet, dem gebe ich eine Maulschelle. O Gott! Gott! Ich dachte, der Firlej würde es verhindern, und er schlug noch die Trommel dazu. Der Kuckuck brachte uns diesen Häretiker her. Die Geschichte, sagt er, wird von euch schreiben. Mag sie über ihn selbst schreiben, aber nicht auf der Haut des Longinus. Warum geht er denn nicht selbst? Er hat als Kalvinist sechs Zehen an den Füßen, da kann er leichter laufen. Ich sage euch, meine Herren, es wird immer schlimmer in der Welt, und es ist wohl wahr, was Probst Sabkowski prophezeit, daß der Welt Ende nahe ist. Setzen wir uns etwas auf den Wall, dann gehen wir in das Schloß, um die Gesellschaft unseres Freundes wenigstens bis zum Abend zu genießen.«

Aber Longinus verbrachte die ganze Zeit nach der Beichte und Kommunion im Gebet. Er erschien erst gegen Abend beim Sturm, welcher einer der fürchterlichsten wurde, da die Kosaken gerade zu der Zeit herauskamen, als die Mannschaften die Geschütze und Wagen hinter die neu aufgeschütteten Wälle übersiedeln wollten. Einen Augenblick schien es, als müßten die geringen polnischen Kräfte dem Andrang der zwanzigtausend Feinde erliegen. Die polnischen Fahnen vermischten sich so mit denen der Feinde, daß sie einander nicht mehr zu unterscheiden vermochten, und das geschah dreimal. Chmielnizki strengte alle seine Kräfte an, denn der Khan und die eigenen Hauptleute hatten ihm erklärt, daß das der letzte Sturm sei, den sie mitmachen wollten, und daß von jetzt ab die Belagerten ausgehungert werden sollten. Aber nach drei Stunden waren alle Attacken mit so schrecklichen Verlusten zurückgeschlagen, daß später die Gerüchte umliefen, an vierzigtausend Feinde seien in der Schlacht gefallen. Das aber steht fest, daß man nach der Schlacht dem Fürsten einen ganzen Stoß eroberter Fahnen zu Füßen legte – und daß dieses tatsächlich der letzte Sturm war, welchem für die Belagerten nur noch schwerere Zeiten folgten, das unaufhörliche Schießen, das Unterminieren der Wälle, Wegnehmen der Wagen, Elend und Hunger.

Der unermüdliche Fürst Jeremias führte sofort nach dem Sturme die vor Erschöpfung fast hinfallenden Soldaten zu einem Ausfall, welcher wieder mit der Niederlage des Feindes endete, – dann erst wurde es um das Lager und die Wagenburg still.

Die Nacht war warm, aber wolkig. Vier dunkle Gestalten bewegten sich still und vorsichtig dem östlichen Ende der Wälle zu. Es waren Longinus, Sagloba, Skrzetuski und Wolodyjowski.

»Bewahrt die Pistolen gut,« flüsterte Skrzetuski, »damit das Pulver nicht feucht wird. Zwei Fahnen werden die ganze Nacht in Bereitschaft stehen. Sobald Ihr Feuer gebt, eilen wir zu Hilfe.«

»Es ist finster, daß man sich das Auge ausstoßen könnte!« flüsterte Sagloba.

»Desto besser!« antwortete Longinus.

»Stille nur!« unterbrach Wolodyjowski, »ich höre etwas.«

»Es ist nichts! Ein Sterbender röchelt. Wenn Ihr nur erst bei den Eichen wäret.«

»O Gott! Gott!« seufzte Sagloba, sich wie im Fieber schüttelnd.

»In drei Stunden wird es tagen.«

»So ist es Zeit, daß ich gehe!« sagte Longinus.

»Ja, es ist Zeit, es ist Zeit!« wiederholte Skrzetuski mit erstickter Stimme. »Geht mit Gott!«

»Mit Gott! Mit Gott!«

»Bleibt gesund, Brüder, und vergebt, wenn ich einem von euch etwas verschuldet.«

»Ihr verschuldet? O Gott!« rief Sagloba, sich ihm in die Arme werfend.

Der Reihe nach umarmten ihn dann Skrzetuski und Wolodyjowski. Der Augenblick war da, wo unterdrücktes Schluchzen die Brust dieser Ritter erschütterte. Nur Longinus blieb ruhig, obgleich er tief bewegt war.

»Bleibt gesund!« wiederholte er noch einmal.

Und sich dem Rande des Walles nähernd, glitt er in den Laufgraben hinab; nach einer Weile tauchte er am anderen Ufer desselben auf, – einmal noch gab er ein Zeichen des Abschiedes an die Freunde, dann verschwand er in der Finsternis.

Zwischen dem Wege nach Saloschtschiz und der Landstraße aus Wischniowze wuchs ein Eichengehölz, unterbrochen von schmalen, dasselbe quer durchschneidenden Wiesen und im Zusammenhange mit einem alten, dichten und mächtigen Walde, welcher sich weit hin, bis hinter Saloschtschiz, zog, Dorthin wollte Longinus zu gelangen suchen.

Der Weg war sehr gefährlich, denn um dahin zu gelangen, mußte man an der Wagenburg der Kosaken ihrer ganzen Länge nach vorübergehen; aber Longinus hatte absichtlich diesen Weg gewählt, weil bei der Wagenburg die ganze Nacht hindurch die meisten Menschen hin- und herliefen, und die Wachen auf die Vorübergehenden am wenigsten achteten. Alle anderen Wege, Schluchten, Stege und Dickichte waren mit Wachen besetzt, die fortwährend von Esauls, Hauptleuten und von Chmielnizki selbst kontrolliert wurden. An den Weg über die Wiesen an der Gniesna entlang war gar nicht zu denken, denn dort hüteten die Troßbuben von der Abend- bis zur Morgendämmerung die Pferde.

Die Nacht war trübe und so finster, daß auf zehn Schritte umher nichts zu erkennen war, weder Mensch noch Baum. Das war für Longinus ein günstiger Umstand, obgleich er andererseits selbst sehr langsam und vorsichtig gehen mußte, um nicht in irgend einen Graben oder eines der Löcher zu fallen, die auf dem ganzen Schlachtfelde von den sich umhertreibenden Hunden ausgescharrt waren.

Auf diese Weise gelangte er bis zu den zweiten Wällen der Polen, welche man an diesem Abend verlassen hatte, und nachdem er den Laufgraben überschritten, schlich er gebückt den Schanzen und Laufgräben der Kosaken zu. Er stand und horchte: die Schanzen waren leer. Der Ausfall des Fürsten hatte die Krieger nach dem Sturme daraus vertrieben; sie waren entweder gefallen oder hatten sich in die Wagenburg geflüchtet. Eine Menge Leichen lagen an den Abhängen und auf der Krone dieser Erdaufschüttungen. Longinus stolperte alle Augenblicke über Körper, stieg über sie hinweg und ging weiter. Von Zeit zu Zeit verriet ein Stöhnen oder Seufzen, daß manche der Daliegenden noch lebten.

Hinter den Wällen lag eine geräumige Strecke, die sich bis zur zweiten Schanze zog und noch von den Regimentariern aufgeschüttet worden war, ebenfalls voller Leichen. Hier gab es noch mehr Löcher und Gräben, dann lagen in kurzen Entfernungen jene Erdbedeckungen, die in der Dunkelheit wie Heuschober aussahen. Aber sie waren ebenfalls verlassen. Überall herrschte die tiefste Stille, nirgends ein Feuer, nirgends ein Mensch, niemand auf dem ganzen Platze als Tote.

Longinus fing an, das Gebet für die Seelen der Verstorbenen zu beten. Das Summen aus dem polnischen Lager, welches ihm noch bis zu den zweiten Wällen gefolgt war, wurde immer leiser, verschwamm in der Ferne, bis es vollständig aufhörte. Longinus blieb stehen und blickte ein letztes Mal zurück.

Er konnte fast nichts mehr erkennen; denn im Lager brannte kein Licht. Ein einziges Fensterchen blinkte nur noch im Schlosse wie ein Stern, welchen die Wolken bald verhüllen, bald durchscheinen lassen, oder wie ein Johanniswürmchen, welches abwechselnd leuchtet und erlischt.

»Meine Brüder, ob ich euch noch einmal im Leben wiedersehe?« dachte Longinus.

Und Bangigkeit befiel ihn, drückte ihn schwer, wie ein riesengroßer Stein, kaum konnte er atmen. Dort, wo jenes Licht gaukelt, dort sind die Seinigen, die Herzen der Brüder, der Fürst Jeremias, Skrzetuski, Wolodyjowski, Sagloba, der Probst Muchowiezki, – dort liebte man ihn, möchte man ihn gern schützen, – und hier – Nacht, Öde, Finsternis, Leichen unter den Füßen, Geisterspuk ringsum – in der Ferne aber die Wagenburg der verdammten Blutfresser, der unbarmherzigen Feinde.

Die Bangigkeit drückte schwer die Schultern dieses Riesen. Der Mut fing ihm an zu sinken.

Eine entsetzliche Unruhe kam in der Finsternis über ihn. Sie flüsterte ihm ins Ohr: »Du kommst nicht durch, es ist unmöglich! – Kehre um, noch ist es Zeit. Schieße die Pistole ab, und eine ganze Fahne eilt dir zu Hilfe. – Durch diese Wagenburg, durch diese Wilden kommt niemand.«

Jenes hungrige, täglich mit Kugeln überschüttete Lager voll Todesschrecken und Leichengeruch erschien Longinus jetzt als ein stiller, sicherer Aufenthalt.

Dort würden die Freunde ihn nicht schelten, wenn er zurückkäme. Er würde ihnen sagen, daß die Sache menschliche Kräfte übersteige, – sie selbst würden nicht mehr gehen, auch niemanden ausschicken und weiter auf Gottes und des Königs Barmherzigkeit warten.

»Und wenn nun Skrzetuski doch ginge und umkäme?«

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Das sind Versuchungen des Teufels!« dachte Longinus. »Ich bin auf den Tod vorbereitet, und Schlimmeres kann mich nicht treffen. Der Satan will die schwache Seele mit der Öde, der Finsternis und den Leichen schrecken, denn er benutzt alles, um die arme Seele sich zuzueignen.«

»Sollte ein Ritter sich mit Schande bedecken, den Ruhm verlieren, den Namen schänden – das Heer nicht erlösen, der Himmelskrone entsagen? Niemals!«

Und er ging mit vorgestreckten Händen weiter.

Da hörte er wieder ein Summen, aber es kam nicht mehr vom polnischen Lager her, sondern von der entgegengesetzten Seite, noch undeutlich, aber tief und drohend, wie das Brummen des Bären, der plötzlich im finsteren Walde wach wird. Aber die Unruhe hatte seine Seele schon verlassen, die Bangigkeit aufgehört, ihn zu bedrücken, und sich in ein süßes Erinnern an die Nächsten verwandelt; zuletzt, wie um auf das drohende Gemurmel von der Wagenburg her zu antworten, wiederholte er sich im Innern noch einmal:

»Und ich gehe doch.«

Nach einiger Zeit befand er sich auf jenem Teile des Schlachtfeldes, wo am Tage des ersten Sturmes die Reiterei des Fürsten die Kosaken und Janitscharen in die Flucht getrieben hatten. Hier war der Weg ebener, es fanden sich weniger Gräben, Gruben, Erdbedeckungen, und fast gar keine Leichen, denn die früher Gefallenen waren von den Kosaken beseitigt. Es war hier auch etwas Heller, da der Raum nicht so viel mit dunklen Gegenständen bedeckt war. Der Boden senkte sich nach Süden zu, aber Longinus bog gleich seitwärts ab, um sich zwischen dem westlichen Teiche und der Wagenburg durchzuschleichen. Er konnte jetzt schnell, ohne Hindernisse vorwärts gehen, und hatte fast schon die Außenlinie der Wagenburg erreicht, als ein neues Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Er hielt sofort an, und nach einer Viertelstunde der Erwartung hörte er näherkommenden Hufschlag und das Schnaufen von Pferden.

»Die Wachen der Kosaken!« dachte er.

Jetzt drangen auch menschliche Stimmen an sein Ohr; er lief also schnell seitwärts, und sobald er die erste Bodenunebenheit unter den Füßen fühlte, warf er sich zur Erde und streckte sich regungslos hin, in der einen Hand die Pistole, mit der anderen das Schwert haltend.

Die Reiter waren noch näher gekommen, jetzt waren sie in gleicher Linie mit ihm. Es war so finster, daß er sie nicht zählen konnte, aber er hörte jedes Wort ihrer Unterhaltung.

»Es wird ihnen schwer, aber auch uns wird es schwer,« sagte eine schläfrige Stimme. »Und wie viele Krieger haben ins Gras gebissen!«

»Himmelskönigin!« sagte eine andere Stimme. »Man sagt, der König ist nicht mehr weit, was wird mit uns geschehen?«

»Der Khan ist erzürnt auf unser Brüderchen, und die Tataren drohen, daß sie uns Fesseln anlegen werden, wenn niemand sonst da ist.«

»Auf den Weideplätzen schlagen sie sich mit den Unsrigen. Das Brüderchen hat verboten, in die Pferdekoppeln zu gehen, denn wer dorthin kommt, ist verloren.«

»Sie sagen, daß unter den Krämern verkleidete Lechen stecken. Daß doch dieser Krieg niemals gekommen wäre!«

»Und es geht jetzt schlimmer als vordem.«

»Der König ist mit der Macht der Lechen in der Nähe, das ist das Schlimmste!«

»He! In der Sitsch konntest du jetzt schlafen, und hier schlägst du dich in der Finsternis herum wie ein Spukgeist.«

»Es müssen auch Spukgeister herumschleichen, denn die Pferde schnauben.«

Die Stimmen entfernten sich mehr und mehr, zuletzt schwiegen sie.

Longinus erhob sich und ging weiter.

Ein feiner, nebliger Regen rieselte hernieder. Es wurde noch finsterer.

Zur Linken blinkte in einiger Entfernung ein Lichtlein auf, dann ein zweites, ein drittes, ein zehntes. Jetzt war er sicher, daß er sich auf der Linie der Wagenburg befand.

Die kleinen Lichter lagen weit auseinander und schimmerten blaß. Wahrscheinlich schlief dort alles, und nur hier und dort wurde vielleicht getrunken oder ein Gericht für morgen gekocht.

»Gott sei Dank, daß ich nach einem Sturme und einem Ausfall hierher gekommen bin, sie müssen zum Tode ermüdet sein,« sagte Longinus still für sich.

Kaum hatte er das gedacht, da hörte er Pferdegetrappel, – die zweite Wachtpatrouille kam.

Der Boden war hier nicht mehr zerrissen, er konnte sich leichter verstecken.

Die Wache ritt so dicht an ihm vorbei, daß sie ihn fast überritt. Glücklicherweise scheuten die Pferde, an das Überreiten der Leichen gewöhnt, nicht. Longinus ging weiter.

Auf einer Fläche von tausend Schritt stieß er noch auf zwei Patrouillen. Ersichtlich war der ganze Umkreis der Wagenburg bewacht wie ein Augapfel. Longinus freute sich nur, daß er nicht auf Wachtposten zu Fuß stieß, welche gewöhnlich vor den Wagenlagern aufgestellt waren, um den Patrouillen Nachricht zu geben.

Aber seine Freude sollte nicht lange währen. Kaum war er etwa ein Gewende weit gegangen, da tauchte etwa zehn Schritte vor ihm eine dunkle Gestalt auf. Longinus, obwohl unerschrocken, fühlte dennoch einen leisen Schauer seinen Körper durchrieseln. Sich zurückzuziehen und die Wache zu umgehen, dazu war es zu spät. Die Gestalt kam auf ihn zu, sie mußte ihn gesehen haben.

Es folgte ein Augenblick des Hin- und Herschwankens. Plötzlich fragte eine leise Stimme: »Wasyl, bist du es?«

»Ich bin es!« erwiderte leise Longinus.

»Hast du Branntwein?«

»Ich habe ihn.«

»Gib her.«

Longinus näherte sich.

»Was bist du denn so groß?« wiederholte dieselbe Stimme ängstlich.

Es schwankte etwas in der Finsternis. In demselben Augenblick entriß ein unterdrückter Aufschrei »Gott ...« sich dem Munde der Wache, dann hörte man ein Knirschen, wie von zerbrochenen Knochen, ein Röcheln – und eine Gestalt fiel zur Erde.

Longinus ging weiter. Aber er ging nicht mehr dieselbe Linie entlang; das war offenbar die Linie der Wachtposten. So lenkte er seine Schritte noch näher zur Wagenburg, in der Absicht, im Rücken der Vedetten und der Wagenreihe durchzugehen. Wenn es keinen zweiten Wachkordon hier gab, so konnte Longinus auf diesem Raum nur noch die Ablösungsmannschaften treffen, denn Abteilungen zu Pferde hatten hier nichts zu tun.

Nach einer Weile zeigte es sich, daß ein zweiter Kordon nicht da war. Dafür war die Wagenreihe nicht weiter als zwei Bogenschüsse von ihm entfernt. Wunderbarerweise schien er ihnen immer näher zu kommen, trotzdem er sich bemühte, immer in gleicher Entfernung von ihnen zu bleiben.

Es zeigte sich auch, daß nicht alle dort schliefen. An den hier und da glimmenden Feuerherden sah er deutlich die daran sitzenden Gestalten. An einer Stelle war das Feuer größer, so groß, daß sein Schein Longinus fast streifte, und er sich den Wachen wieder nähern mußte, um nicht in den Lichtkreis zu treten. Von fern erkannte er in der Nähe des Feuers an Säulen hängende Ochsen, welche von den Fleischern abgehäutet wurden. Ganze Gruppen Menschen sahen dieser Beschäftigung zu. Etliche spielten leise auf Pfeifen dazu auf. Es war also derjenige Teil des Lagers, welchen die Viehtreiber einnahmen. Die weiteren Wagenreihen waren in Finsternis gehüllt.

Aber die Wand der Wagenburg, welche matt beleuchtet war, schien ihm wieder näher zu kommen. Anfangs hatte er sie nur zur Linken gehabt; jetzt sah er sie plötzlich auch vor sich.

Er blieb stehen und dachte nach, was zu tun sei. Die Wagenburg, die Pferdekoppeln der Tataren und die Lager des Gesindels umgaben Sbarasch wie einen Ring. Inmitten dieses Ringes standen die Wachtposten und kreisten die Patrouillen, damit niemand hindurch könne.

Die Lage des Herrn Longinus war gräßlich. Er hatte nur die Wahl, entweder zwischen den Wagen durchzukriechen, oder zwischen dem Gesindel und den Pferdekoppeln einen anderen Ausweg zu suchen. So mußte er bis Tagesanbruch im Kreise umherirren oder nach Sbarasch zurückkehren; aber auch da konnte er in die Hände der Wachen fallen. Er sagte sich jedoch, es liege in der Natur der Sache, daß nicht ein Wagen dicht am anderen stehe. Es mußten in der Reihe bedeutende Lücken gelassen sein, denn solche Lücken waren für die Kommunikation unerläßlich.

Longinus beschloß, einen solchen Durchgang zu suchen, und näherte sich zu diesem Zweck noch mehr der Wagenreihe. Die Strahlen der hier und da brennenden Feuer konnten ihn verraten, andererseits aber waren sie ihm von Nutzen, denn ohne sie hätte er weder die Wagen noch die Durchgänge zwischen ihnen gesehen.

Nach etwa einer Viertelstunde vorsichtigen Suchens fand und erkannte er einen solchen Durchgang; er sah aus wie ein schwarzer Gürtel. Dort waren keine Feuer, dort konnten auch keine Kosaken sein, dort mußte für die Reiterei eine Straße gelassen sein. Longinus legte sich auf den Bauch und fing an, jener schwarzen Öffnung zuzukriechen, wie die Schlange dem Loche.

Es verfloß eine viertel, eine halbe Stunde, er kroch noch immer, betend und Leib und Seele den himmlischen Mächten empfehlend. Er dachte daran, daß das Geschick von ganz Sbarasch in diesem Augenblick davon abhing, daß er durch diesen Rachen hindurchkomme; also betete er nicht allein für sich, sondern auch für diejenigen, welche dort in den Schanzen für ihn beteten. Auf beiden Seiten war alles still. Kein Mensch rührte sich, kein Pferd schnaufte, kein Hund bellte, und Longinus kam glücklich durch; vor ihm dunkelte schon das Gestrüpp, hinter dem das Eichengehölz wuchs, welchem sich der Wald anschloß, bis weit nach Toporow. Hinter dem Walde war der König, die Erlösung, der Ruhm und das Verdienst vor Gott und den Menschen. Was war der Hieb, mit welchem er die drei Köpfe abschlug, gegen diese Tat, zu welcher etwas mehr als eine eiserne Hand gehörte.

Longinus fühlte selbst den Unterschied, – aber dieses reine Herz schwellte kein Stolz – wie das Herz eines Kindes zerfloß es in Tränen der Dankbarkeit.

Dann erhob er sich und ging weiter. Jenseits der Wagen gab es gar keine oder nur wenige Wachen, welche leicht zu vermeiden waren. Der Regen fiel stärker und rauschte in dem Gestrüpp und übertönte das Geräusch seiner Schritte. Longinus griff jetzt mit seinen langen Beinen aus und schritt wie ein Riese, alles zertretend; ein Schritt von ihm hatte die Länge von den Schritten fünf anderer. Die Wagen entfernten sich immer mehr, das Eichengehölz kam immer näher, die Erlösung war bald da.

Dort sind schon die Eichen! Zwischen ihnen ist es finster wie unter der Erde. Aber das ist gut. Ein leichter Wind hat sich erhoben, die Eichen rauschen leise, als murmelten sie ein Gebet: »Großer Gott, guter Gott, behüte diesen Ritter, denn er ist dein Diener und ein treuer Sohn dieser Erde, auf welcher wir dir zu Ehren wachsen!«

Ein und eine halbe Meile trennt ihn schon vom polnischen Lager. Schweiß bedeckt die Stirn des Herrn Longinus, denn die Luft war seltsam schwül geworden, ein Gewitter scheint sich zu sammeln, aber er eilt weiter, ohne auf das Wetter zu achten, denn er hört im Herzen die Engel singen. Das Gehölz wird lichter. Jetzt kommt wohl die erste Wiese. Die Eichen rauschen lauter, als wollten sie sagen: »Warte noch, du warst sicher bei uns!« – Aber der Ritter hat keine Zeit, er tritt auf die offene Wiese. Nur eine Eiche, größer als die anderen, steht mitten darin. Longinus schreitet auf sie zu.

Plötzlich, da er nur noch wenige Schritte davon entfernt ist, kommen unter den breiten Ästen des Riesen etwa zwanzig dunkle Gestalten hervor und nähern sich in Wolfssprüngen dem Ritter.

»Wer bist du? Wer bist du?«

Ihre Sprache ist unverständlich, ihre Köpfe seltsam eckig – das sind Tataren, das sind Troßknechte, welche hier vor dem Regen Schutz suchten.

In demselben Augenblick erleuchtete ein roter Blitz die Eiche, die wilden Gestalten und den riesenhaften Ritter. Ein entsetzlicher Schrei erschüttert die Luft, im Augenblick ist der Kampf entbrannt.

Die Tataren warfen sich auf Longinus, wie die Wölfin auf den Hirsch, und faßten ihn mit den sehnigen Armen; aber er schüttelte sich nur, und die Angreifer flogen los von ihm, wie reifes Obst vom Baume. Dann klirrte der schreckliche Ohnehut in der Scheide, und bald erschollen Stöhnen, Geheul, Hilferufe, das Sausen des Schwertes, das Röcheln der Sterbenden, Pferdegewieher und das Knirschen zerbrochener Tatarensäbel. Die stille Wiese hallte von den schrecklichsten Tönen wieder, welche die menschliche Stimme hervorzubringen vermag.

Die Tataren warfen sich in Pausen in geschlossener Kolonne auf den Ritter; aber er lehnte schon mit dem Rücken an der Eiche und schützte sich von vorn mit dem sausenden Schwerte und hieb schrecklich drein, Leichen lagen ihm zu Füßen – die anderen wichen im panischen Schrecken zurück.

»Ein Wunder! Ein Wunder!« erscholl es in gräßlichem Geheul.

Aber das Geheul blieb nicht unbeantwortet. Es verfloß keine halbe Stunde, da füllte sich die ganze Wiese mit Leuten zu Fuß und zu Pferde. Kosaken und Tataren kamen mit Sensen, Stangen und Bogen, mit brennenden Kienscheiten. Eilige Fragen kreuzten sich, flogen von Mund zu Mund: »Was gibt's, was ist geschehen?«

»Ein Wunder!« antworteten die Troßknechte.

»Ein Wunder!« wiederholte die Menge. »Ein Leche! Ein Wunder! Schlagt ihn! Nehmt ihn lebendig, lebendig!«

Longinus schoß zwei Schüsse aus seinen Pistolen ab, aber sie konnten im polnischen Lager nicht mehr gehört werden.

Jetzt kam ihm die Menge im Halbkreise näher; er stand im Schatten des Riesen, an den Stamm gelehnt, und wartete, mit dem Schwert in der Hand.

Immer näher rückte die Menge. Endlich erscholl der Kommandoruf:

»Greift ihn!«

Was da lebte, stürzte vorwärts. Das Geschrei hörte auf. Diejenigen, welche nicht dazu konnten, leuchteten den Angreifern. Ein Menschengewirr wälzte sich unter dem Baume; Stöhnen drang daraus hervor, lange Zeit konnte man nichts erkennen. Endlich erscholl ein Schrei des Schreckens aus der Brust der Angreifer. Die Menge zerstob im Augenblick.

Unter dem Baume stand Longinus allein, ihm zu Füßen ein Haufen Körper, im Todeskampfe zuckend.

»Stricke! Stricke!« rief eine Stimme.

Mehrere Reiter flogen davon und brachten im Augenblick das Verlangte. Da faßten etliche starke Männer an beiden Enden einen langen Strick und bemühten sich, Longinus an den Baum zu fesseln.

Aber Longinus schlug zu – die Männer zu beiden Seiten fielen zur Erde. Dasselbe Resultat hatte ein zweiter Versuch.

Als sie sahen, daß eine allzu große Menge sich nur im Wege war, gingen noch einmal einige der Dreisteren vor, um den Riesen lebendig zu fangen. Aber er zerriß sie, wie der Jagdhund den erzürnten Kläffer zerreißt. Die Eiche, welche aus zwei mächtigen zusammengewachsenen Bäumen bestand, schützte mit ihrer mittleren Vertiefung den Ritter; – wer ihm aber von vorn auf Schwerteslänge nahte, der starb, ohne einen Laut von sich zu geben. Longinus' übernatürliche Kraft schien mit jeder Minute zu wachsen.

Als die tollgewordene Horde das sah, trieb sie die Kosaken auseinander, und ringsherum erscholl der wilde Ruf:

»Uk! Uk!«

Da, beim Anblick der Bogen und der aus den Köchern vor die Füße aufgeschütteten Pfeile, erkannte auch Longinus, daß seine Sterbestunde gekommen sei, und er fing an, die Litanei zur allerheiligsten Jungfrau zu beten.

Es wurde still. Die Menge hielt den Atem an, in Erwartung dessen, was folgen würde.

Der erste Pfeil schwirrte, als Longinus sagte: »Mutter des Erlösers!« und streifte ihm die Schläfe.

Der zweite Pfeil schwirrte, als Longinus sagte: »Benedeite Jungfrau!« – er blieb ihm in der Schulter stecken.

Die Worte der Litanei vermischten sich mit dem Schwirren der Pfeile. Und als Longinus sagte: »Du Morgenstern!« steckten ihm die Pfeile schon in den Schultern, den Seiten und den Füßen. Das Blut aus der Schläfenwunde überströmte ihm die Augen, er sah alles nur noch wie im Nebel, die Wiese, die Tataren, und hörte nichts mehr, als das Schwirren der Pfeile. Er fühlte, daß die Kräfte ihn verließen, daß die Füße unter ihm wankten, der Kopf auf die Brust sank ... zuletzt kniete er nieder.

»Königin der Engel!« sprach er stöhnend. Das war sein letztes Wort auf Erden.

Die himmlischen Heerscharen nahmen seine Seele und legten sie als eine lichte Perle zu Füßen der »Königin der Engel«.


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