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10. Kapitel

Eine Woche später, am Morgen des 6. Oktober, verbreitete sich in Lemberg die ebenso unerwartete als schreckliche Nachricht, daß der Fürst Jeremias unter Mitnahme des größeren Teiles des Heeres die Stadt verlassen, und niemand wisse, wohin er sich gewendet habe.

Vor dem erzbischöflichen Palast versammelten sich Volksmengen, – man wollte es anfangs nicht glauben. Die Soldaten mutmaßten, daß, wenn der Fürst wirklich ausgerückt, dies an der Spitze eines mächtigen Streifzuges geschehen sei, um die Umgegend auszukundschaften. Es hatte sich herausgestellt, daß (wie man sagte) Deserteure falsche Nachrichten verbreitet hätten, indem sie berichteten, daß Chmielnizki und die Tataren jeden Augenblick erscheinen würden, denn seit dem 26. September waren schon zehn Tage verflossen, ohne daß der Feind sich blicken ließ. Der Fürst wollte sich jedenfalls durch den Augenschein von der Gefahr überzeugen und würde nach der Richtigstellung der Gerüchte wohl zurückkehren. Übrigens hatte er einige Regimenter zurückgelassen und alles zur Verteidigung vorbereitet.

So war es in Wirklichkeit. Allerlei Anordnungen wurden getroffen, Plätze bestimmt, und die Kanonen auf die Wälle gebracht. Abends kam der Rittmeister Cichozki mit fünfzig Dragonern an. Sofort umringten ihn Neugierige, aber er wollte der Menge nicht Rede stehen und begab sich geraden Weges zum General Arzischewski. Beide ließen Großwayer kommen und gingen nach einer Beratung auf das Rathaus. Dort erklärte Cichozki den erschreckten Räten, daß der Fürst auf Nimmerwiederkehr gegangen sei.

Im ersten Augenblick ließen alle die Hände sinken, und ein frecher Mund sprach sogar das Wort: »Verräter.« Aber sogleich erhob sich Arzischewski, ein alter, durch große Taten in holländischen Diensten berühmt gewordener Führer, und sprach in folgender Weise zu den Soldaten und Räten:

»Ich habe Lästerworte gehört, welche besser niemand gesprochen hätte, denn selbst die Verzweiflung kann sie nicht rechtfertigen. Der Fürst ist ausgezogen und kommt nicht wieder – das ist wahr! Aber mit welchem Rechte habt ihr zu verlangen, daß ein Führer, auf dessen Schultern das Heil des ganzen Vaterlandes ruht, nur einzig eure Stadt verteidigen soll? Was sollte geschehen, wenn hier der Rest der Kräfte der Republik vom Feinde umringt würde? Wir haben hier weder Vorräte von Lebensmitteln noch Waffen für ein so großes Heer. So will ich euch sagen, – und meiner Erfahrung könnt ihr glauben – daß die Verteidigung, je mehr Soldaten hier eingeschlossen bleiben, um so kürzer dauern würde, denn der Hunger würde uns früher besiegen als der Feind. Chmielnizki ist es mehr um die Person des Fürsten zu tun als um eure Stadt. Wenn er also erfährt, daß er nicht mehr hier ist, und daß er ein neues Heer sammelt und mit Entsatz herankommen kann, um so leichter wird er euch nachgeben und auf Verhandlungen eingehen. Heute murrt ihr; aber ich sage euch, daß der Fürst, indem er diese Stadt, verließ und den Chmielnizki von außen her bedroht, euch und eure Kinder vor Unglück bewahrt. Haltet euch, wehrt euch, haltet diesen Feind eine Zeitlang ab, und ihr werdet nicht nur die Stadt retten, sondern auch der Republik einen ewig denkwürdigen Dienst erweisen, denn der Fürst kann unterdessen neue Kräfte sammeln, andere Festungen versehen; er wird die eingeschläferte Republik aus dem Schlummer aufrütteln und euch zu Hilfe eilen. Er hat den einzigen heilbringenden Weg eingeschlagen, denn wenn er mit dem Heere hier dem Hunger zum Opfer fiel, dann würde niemand mehr den Feind aufhalten, der ohne Widerstand nach Krakau und Warschau gehen und das ganze Vaterland überschwemmen würde. Deshalb, anstatt zu murren, eilt auf die Wälle, euch, eure Kinder, die Stadt und die ganze Republik zu verteidigen.«

»Auf die Wälle! Auf die Wälle!« wiederholten einige dreistere Stimmen.

Großwayer, ein energischer und mutiger Mann, bemerkte:

»Seine Durchlaucht schickt den Herren auch die Nachricht, daß der Feind nahe ist. Der Oberst Skrzetuski stieß mit einem Flügel auf ein Tatarenlager von zweitausend Mann und hat es zersprengt. Die Gefangenen sagten, daß eine grausige Macht ihnen folge.«

Diese Nachricht machte einen großen Eindruck. Stillschweigen folgte ihr, alle Herzen schlugen lebhafter.

»Auf die Wälle!« sagte Großwayer.

»Auf die Wälle! Auf die Wälle!« wiederholten die anwesenden Offiziere und Städter.

Der Saal verödete.

Eine Weile später erschütterte Kanonendonner die Mauern der Stadt, den Einwohnern des Ortes selbst, der Vorstädte und der umliegenden Dörfer verkündend, daß der Feind im Anzuge sei.

Im Osten färbte sich der Himmel blutrot, so weit das Auge reichte; es war, als nähere sich ein Feuermeer der Stadt.

Der Fürst war unterdes nach Samoschtsch gegangen und hatte sich, nachdem er das kleine Tatarenlager aufgehoben, von dem Cichozki erzählte, die Verbesserung und Befestigung dieser von Natur schon so mächtigen Veste angelegen sein lassen und sie in kurzer Zeit uneinnehmbar gemacht. Skrzetuski war mit Herrn Longinus und einem Teil der Fahne in der Festung, bei Herrn Weyher, dem Starosten von Walezk, geblieben, und der Fürst zog weiter nach Warschau, um vom Landtage die Mittel zur Einziehung eines neuen Heeres zu erlangen und sich gleichzeitig an der Königswahl zu beteiligen, welche eben abgehalten werden sollte. Das Los Wischniowiezkis und der ganzen Republik hing von dieser Wahl ab, denn wurde der Prinz Karl gewählt, so gewann die Kriegspartei die Oberhand, – der Fürst bekam den Oberbefehl über sämtliche Heere der Republik, und es mußte zu einer entscheidenden Schlacht auf Tod und Leben mit Chmielnizki kommen. Der Prinz Kasimir, obgleich wegen seines persönlichen Mutes und als ein kriegerischer Herr bekannt, galt doch mit Recht für einen Parteigänger der Politik des Kanzlers Ossolinski, somit der Politik der Verträge mit den Kosaken, welche ihnen große Zugeständnisse machen sollten. Beide Brüder kargten nicht mit Verheißungen und bemühten sich um die Vergrößerung ihrer Parteien – deshalb konnte bei der gleichen Stärke dieser Parteien niemand das Resultat der Wahl voraussehen. Die Anhänger des Kanzlers befürchteten, daß Wischniowiezki, dank seinem immer noch wachsenden Ruhme und der Liebe, welche er beim Adel und der Ritterschaft besaß, die Stimmenmehrheit für den Prinzen Karl erreichen würde, der Fürst aber wünschte auf Grund derselben Befürchtungen, persönlich seinen Kandidaten zu unterstützen. Deshalb eilte er nach Warschau, mit der Gewißheit, daß Samoschtsch in den Stand gesetzt sei, auf lange Zeit die Belagerung auszuhalten. Lemberg konnte man aller Wahrscheinlichkeit nach als geschützt betrachten, da Chmielnizki sich unmöglich lange bei dem Sturm auf diese Stadt aufhalten konnte, weil er das viel mächtigere Samoschtsch vor sich hatte, welches ihm den Weg in das Herz der Republik versperrte. Diese Gedanken erfrischten den Geist des Fürsten und gaben, seinem Herzen, welches so bekümmert über die Schicksale des Landes war, neue Zuversicht. Er hoffte gewiß, daß, wenn auch Kasimir gewählt würde, doch der Krieg eine unvermeidliche Notwendigkeit geworden war, und daß diese fürchterliche Rebellion nur in einem Blutmeere untergehen könne. Er erwartete auch, daß die Republik noch einmal eine Armee ausrüsten würde – denn selbst Verträge können nur mit Hilfe einer mächtigen Kriegsmacht geschlossen werden.

Gewiegt von solchen Gedanken, ritt der Fürst unter dem Schutze mehrerer Fahnen, die Herren Sagloba und Wolodyjowski zur Seite, von denen der erstere sich hoch und teuer verschwor, daß er die Wahl des Prinzen Karl durchbringen werde, da er zu den adligen Brüdern zu sprechen verstehe und sie zu nehmen wisse, – und der letztere die Eskorte des Fürsten kommandierte.

In Sieniez, unfern Minsk, überraschte den Fürsten ein angenehmes, gänzlich unerwartetes Zusammentreffen. Er traf dort die Fürstin Griseldis, welche der größeren Sicherheit wegen aus Brest in Litauen nach Warschau reiste, und in der begründeten Hoffnung, daß der Fürst auch dort sein werde. Sie begrüßten sich nach der langen Trennung auf das herzlichste. Die Fürstin, obgleich eine Frau mit eisernem Mute, warf sich mit erschütterndem Weinen in die Arme ihres Mannes; sie konnte sich mehrere Stunden lang nicht beruhigen, denn ach! wie oft hatte sie die Hoffnung aufgegeben, ihn je wiederzusehen.

Allmählich beruhigte sich das Fürstenpaar, es ging in die geräumige Probstei des Ortes, und dort fingen die Fragen nach den Freunden, den Höflingen und Rittern an, die wie zur Familie gehörig betrachtet wurden, und mit denen sie die Erinnerung an Lubnie verknüpfte.

Es fehlte aber auch nicht an Betrübnis bei diesem traulichen Wiedersehen, denn, abgesehen von den das Vaterland so schwer drückenden Zeiten, wurde, o! wie oft, auf die Frage der Fürstin nach diesem oder jenem bekannten Ritter ihr die Antwort zuteil: »Er ist tot, er ist tot, gefallen.« – Hier waren auch besonders die Jungfrauen beteiligt, denn es wurde da unter den Toten mancher teure Name genannt.

So mischte sich die Freude mit der Trauer, das Lachen mit dem Weinen. Am meisten aber grämte sich Herr Wolodyjowski, denn umsonst spähte er nach allen Seiten und warf die Augen überall hin, – die Prinzessin Barbara war nirgends.

Da erbarmte sich seiner Ännchen Borschobohata, und obgleich sie von früher her Zwistigkeiten untereinander hatten, beschloß sie, ihn zu trösten. Zu diesem Zweck rückte sie, nachdem sie einen Seitenblick auf die Fürstin geworfen hatte, unmerklich näher zu dem Ritter, bis sie sich endlich neben ihm befand.

»Guten Morgen, Herr,« sagte sie, »wir haben uns lange nicht gesehen!«

»O, Fräulein Anna,« antwortete melancholisch Herr Michael, »eine Menge Wasser ist seitdem vorübergeflossen, und wir sehen uns in trübseligen Zeiten wieder – und wir sind nicht vollzählig.«

»Wohl sind nicht alle hier, so viele Ritter sind gefallen!«

Hier seufzte Ännchen, nach einer Weile sprach sie weiter:

»Auch unsere Zahl ist geringer als früher, denn Fräulein Sieniutow hat sich vermählt, und die Prinzessin Barbara blieb bei der Frau Wjojewodin von Wilna.«

»Und vermählt sich wohl auch?«

»Nein, sie denkt noch nicht daran. Aber, warum fragt Ihr danach?«

Indem sie dies sagte, zwinkerte sie mit den Augen, so daß sie nur ein klein wenig geöffnet blieben, und blickte seitwärts unter den Wimpern hervor auf den Ritter.

»Es ist nur wegen der Anhänglichkeit an die Familie,« entgegnete Herr Michael.

Und Ännchen sagte darauf:

»Das ist recht, denn, Herr Michael, Ihr habt an der Prinzessin Barbara eine große Freundin. Sie fragte oft: wo blieb denn jener Ritter, der auf dem Turniere in Lubnie die meisten Türkenköpfe warf, wofür ich ihn belohnte? Was mag er tun? Ob er noch leben mag und unserer gedenkt?«

Herr Michael hob dankbar die Augen zu Ännchen empor und freute sich in erster Reihe; dann aber gewahrte er auch, daß Ännchen unbeschreiblich schön geworden war.

»Hat die Prinzessin das wirklich gesagt?« fragte er.

»So wahr ich lebe, – und sie erinnerte sich auch dessen, wie Ihr über den Graben für sie sprangt, damals, als Ihr ins Wasser fielt.«

»Und wo hält sich jetzt die Frau Wojewodin von Wilna auf?«

»Sie war mit uns in Brest; vor einer Woche reiste sie nach Dielsk und will von dort nach Warschau kommen.

Wolodyjowski blickte Ännchen zum zweitenmal an, und nun hielt er nicht länger an sich.

»Und Ihr, Fräulein Anna,« sagte er, »seid so schön geworden, daß man Euch nicht ansehen kann, ohne geblendet zu sein.«

Das Mädchen lächelte lieblich.

»Herr Michael, Ihr sprecht nur so, um mich für Euch einzunehmen.«

»Das wollte ich seinerzeit,« sagte achselzuckend der Ritter, »Gott weiß es – ich wollte und konnte es doch nicht, und jetzt – wünsche ich Herrn Longinus, daß er glücklich werde.«

»Und wo ist Herr Longinus?« fragte Ännchen leise, mit gesenkten Augen.

»In Samoschtsch mit Skrzetuski; er ist schon zum Statthalter avanciert und muß den Dienst wahrnehmen, aber wenn er gewußt hätte, wen er hier gesehen haben würde, o! so wahr Gott im Himmel lebt, er hätte Urlaub genommen und wäre großen Schrittes mit uns hierher geeilt. Er ist ein großer Kavalier, der jede Auszeichnung verdient.«

»Und hat er im Kriege keinen Schaden genommen?«

»Mir scheint, daß Ihr nicht darum fragt, sondern, ob er die drei Türkenköpfe hat, die er abschlagen wollte.«

»Ich glaube nicht, daß er das im Ernste wollte.«

»Und dennoch müßt Ihr es glauben, Fräulein, ohne dieselben ist es nicht. Er sucht auch fleißig Gelegenheit. Bei Machnowka sind wir sogar auf den Platz geritten, auf dem er mitten im Gedränge kämpfte, um ihn anzusehen; der Fürst selbst war mit uns, denn ich muß Euch sagen, ich habe viele Schlachten gesehen, aber eine solche Schlächterei werde ich mein Leben lang nicht wieder sehen. Wenn er Euren Gurt vor der Schlacht trägt, so leistet er Schreckliches. Er wird seine drei Köpfe schon finden, seid unbesorgt.«

»Möge ein jeder das finden, was er sucht,« sagte Ännchen seufzend.

Auch Wolodyjowski seufzte und richtete den Blick nach oben. Da gewahrte er plötzlich verwundert etwas im Winkel der Stube.

Aus diesem Winkel blickte ein zorniges, heftig gerötetes Gesicht auf ihn, das ihm gänzlich unbekannt, bewaffnet mit einer riesigen Nase und einem Schnurrbart war, der einem Strohwisch glich und sich wie in verhaltener Wut bewegte. Man konnte vor dieser Nase, diesen Augen und diesem Bart erschrecken, aber der kleine Herr Wolodyjowski war gar nicht furchtsam, so verwunderte er sich, wie gesagt, nur, und, zu Ännchen gewendet, fragte er:

»Was ist denn das für eine Gestalt dort in dem Winkel, die mich ansieht, als ob sie mich verschlingen wollte, und mit dem Schnurrbart zuckt, gerade wie eine alte Katze beim Gebet?«

»Der?« sagte Ännchen, ihre weißen Zähne zeigend, »das ist Herr Charlamp.«

»Was ist das für ein Heide?«

»Er ist gar kein Heide, sondern der Rittmeister der Petyhor-Ulanen, aus der Fahne des Herrn Wojewoden von Wilna, welcher uns nach Warschau bringt und dort auf den Wojewoden warten soll. Kommt ihm nicht in den Weg, Herr Michael, denn er ist ein großer Menschenfresser.«

»Das sehe ich, das sehe ich. Aber, wenn er ein Menschenfresser ist, so gibt es fettere Bissen als mich, weshalb wetzt er die Zähne auf mich, nicht auf andere?«

»Weil ...« sagte Ännchen und kicherte leise.

»Weil was?«

»Weil er sich in mich verliebt und mir selbst gesagt hat, daß er jeden, der sich mir nähern würde, in Stücke reißen will, und jetzt – glaubt mir, daß ihn nur die Gegenwart der fürstlichen Herrschaften abhält, Streit mit Euch zu suchen.«

»Da haben wir es!« sagte Herr Wolodyjowski lustig. »Steht es so, Fräulein Anna? O, so haben wir also, wie ich sehe, nicht ohne Grund gesungen: ›Wie eine Tatarenhorde nimmst du die Herzen gefangen!‹ Seht nur zu, Fräulein, daß nicht Euretwegen Blut vergossen werde. Longinus ist um den Finger zu wickeln, aber in Sachen des Gefühls ist es gefährlich, mit ihm zu spaßen.«

»Mag er ihm die Ohren abschlagen, das soll mich freuen.«

Indem sie das sagte, drehte sie sich wie ein Kreisel und schnurrte hinüber auf die andere Seite der Stube.

Unterdes hatte sich Sagloba dem Herrn Wolodyjowski genähert und zwinkerte schalkhaft mit seinem gesunden Auge.

»Herr Michael,« fragte er, »was ist das für eine Haubenlerche?«

»Das Fräulein Anna Borschobohata Krasienska, die Respektsdame der Fürstin.«

Herr Sagloba fing an, dem kleinen Ritter etwas in das Ohr zu flüstern und ärger als gewöhnlich zu blinzeln, aber eben kam der Befehl zur Weiterreise. Der Fürst stieg zu der Fürstin in den Wagen, um nach der langen Trennung nach Herzenslust mit ihr zu plaudern; die Hoffräulein nahmen die anderen Wagen ein, die Ritter setzten sich zu Pferde und – fort ging es. Voraus fuhr der Hof, das Militär ein wenig hinterdrein, denn das Land war hier ruhig und die Eskorte nur des Prunkes, nicht der Sicherheit wegen da. Sie gingen also von Siennic nach Minsk und von dort nach Warschau, nach damaligem Gebrauch oftmals Halt machend. Die Landstraße war so belagert, daß man kaum Schritt für Schritt vorwärts kam. Alles eilte der Königswahl zu, von nah und fern, bis aus Litauen.

Näher bei Warschau wurde das Gedränge noch größer, so daß man kaum vorwärts kam. Die Königswahl versprach zahlreicher als jemals besucht zu werden, denn selbst aus den fernen ruthenischen und litauischen Gegenden strömte der Adel herbei, nicht wegen der Königswahl allein, sondern auch, um in Warschau Schutz zu suchen. Und doch war es noch weit bis zum Tage der Wahl, da kaum die ersten Sitzungen des Landtages begonnen hatten, aber man zog schon einen, auch zwei Monate früher dorthin, um in der Stadt Quartier zu suchen, sich diesem oder jenem in Erinnerung zu bringen, hier und dort Beförderungen nachzusuchen, an herrschaftlichen Höfen zu essen, zu trinken, und endlich, um nach der Ernte in der Hauptstadt sich zu vergnügen. Der Fürst sah durch das Fenster seines Wagens auf diese Menge Ritter, Soldaten und Adel, auf diese Reichtümer, den Luxus der Kleider, indem er dachte, wieviel Soldaten man damit ausrüsten, was für ein Heer man dafür aufstellen könnte! Warum war doch die Republik so stark bevölkert und reich, von tapferen Rittern übervoll, dennoch so kraftlos, daß sie sich gegen einen Chmielnizki und die wilden Tataren nicht zu helfen wußte? Warum? Den Hunderttausenden Chmielnizkis konnte man Hunderttausende entgegenstellen, wenn dieser Adel, diese Soldaten, diese Reichtümer und Fülle, diese Regimenter und Fahnen ebenso der öffentlichen Sache hätten dienen wollen wie ihren Privatangelegenheiten. »Die Tugend geht unter in der Republik!« dachte der Fürst. »Der große Körper fängt an, in Fäulnis überzugehen, die alte Tapferkeit versinkt in süßer Bequemlichkeit, der Adel und das Militär lieben die Kriegsmühen nicht mehr.« Der Fürst hatte zum Teil recht; aber er bedachte die schlimme Lage der Republik nur als Krieger und Befehlshaber, welcher jeden Menschen gern zum Soldaten gemacht hätte, um ihn gegen den Feind zu führen. Die Tapferkeit ließ sich wohl finden und fand sich auch, als bald darauf viel größere Kriege die Republik bedrohten. Ihr fehlte noch etwas anderes, das der Fürst und Soldat in diesem Augenblicke nicht voraussah, das aber sein Feind, der Kronkanzler, welcher ein erfahrenerer Staatsmann war als Fürst Jeremias, wohl wußte.

Aber indessen tauchten in der grauen, glänzenden Ferne die spitzen Türme von Warschau auf. Die Betrachtungen des Fürsten wurden dadurch unterbrochen, und er erteilte Befehle, welche der diensttuende Offizier bald dem Herrn Wolodyjowski, dem Führer der Eskorte, überbrachte. Infolgedessen entfernte Herr Michael sich sofort von Ännchens Wägelchen, neben welchem er zu Pferde hergezogen war, zu den bedeutend zurückgebliebenen Fahnen, um jetzt in Reih' und Glied weiterzureiten. Kaum aber war er mehrere Schritte davon, als er hörte, daß jemand hinter ihm her jage; er sah sich um und erblickte Herrn Charlamp von der leichten Reiterei des Wojewoden von Wilna, Ännchens Verehrer. Wolodyjowski hielt das Pferd an, denn er verstand sogleich, daß es jetzt zu einem Zusammentreffen kommen solle, und Herr Michael liebte solche Dinge von ganzer Seele. Herr Charlamp trat also neben ihn, sagte anfangs aber gar nichts, sondern schnaufte nur und zuckte grausam mit dem Schnurrbart, ersichtlich nach Worten suchend. Endlich fing er an:

»Seid gegrüßt, Herr Dragoner!«

»Seid gegrüßt, Herr von der Linie!«

»Wie könnt Ihr Euch unterstehen, mich so zu nennen?« fragte Charlamp zähneknirschend, »mich, einen Waffenbruder und Rittmeister, he?«

Herr Wolodyjowski fing an, die Fuchtel, welche er in der Hand hielt, hin und her zu schwenken, alle seine Aufmerksamkeit war anscheinend nur darauf gerichtet, sie nach jeder Schwenkung am Griff fassen zu können, und antwortete gleichgültig:

»Weil ich an der Schleife die Charge nicht erkennen kann.«

»Ihr tratet der ganzen Kameradschaft zu nahe, deren Ihr nicht würdig seid.«

»Und warum das?« fragte der Schalk Wolodyjowski, sich dumm stellend.

»Weil Ihr einer ausländischen Truppe dient.«

»Beruhigt Euch, Herr!« sagte Herr Michael, »wenn ich auch bei den Dragonern diene, so bin ich doch ein Waffenbruder, und das nicht etwa der niederen, sondern der hohen Rangstufe des Herrn Wojewoden. Ihr könnt also mit mir sprechen, wie mit Euresgleichen oder einem höher Gestellten.«

Herr Charlamp fing an zu verstehen, daß er es mit keiner so geringen Persönlichkeit zu tun hatte, wie er gedacht, aber er hörte nicht auf, mit den Zähnen zu knirschen, denn Wolodyjowskis Kaltblütigkeit machte ihn nur noch zorniger. Er sagte also:

»Wie könnt Ihr Euch unterstehen, mir in den Weg zu treten?«

»Ei, ich sehe, Ihr sucht Streit.«

»Vielleicht, – und das will ich Euch sagen (hier neigte sich Herr Charlamp zu Wolodyjowskis Ohren und schloß mit leiser Stimme), daß ich Euch die Ohren abschlage, wenn Ihr mir bei Fräulein Anna in den Weg tretet.«

Wolodyjowski schwenkte die Fuchtel wieder sehr eifrig, als ob eben die rechte Zeit zu solchem Vergnügen wäre, und suchte Herrn Charlamp noch zu beruhigen, indem er sagte:

»Ei, Herr, gönnt mir noch eine Weile das Leben – verlaßt mich!«

»Nein! Daraus wird nichts! Ihr entschlüpft mir nicht!« sagte Herr Charlamp, den kleinen Ritter am Ärmel fassend.

»Ich will Euch ja nicht entschlüpfen,« sagte Wolodyjowski sanft, »aber jetzt bin ich im Dienst und habe Eile, einen Befehl meines Herrn auszuführen. Laßt den Ärmel los, Herr, laßt los, ich bitte, denn sonst – was bliebe mir Armen übrig, als, seht – hier mit dieser Fuchtel Euch über den Kopf zu fahren und vom Pferde zu werfen.«

Die anfangs so demütige Stimme zischte so eigentümlich giftig, daß Herr Charlamp unwillkürlich verwundert den kleinen Ritter anblickte und den Ärmel losließ.

»O, das ist mir egal!« sagte er, »in Warschau müßt Ihr Euch stellen, ich werde Euch nicht aus den Augen lassen. Ich werde mich nicht verstecken, jedoch, wie wollen wir das in Warschau bewerkstelligen? Habt die Güte, mich zu belehren! Ich einfacher Soldat war noch niemals dort, aber ich hörte von den Marschallsgerichten, die das Entblößen des Säbels in der Nähe des Königs oder seines Stellvertreters mit dem Tode bestrafen.«

»Man sieht, daß Ihr noch nicht in Warschau waret und ein simpler Mensch seid, da Ihr die Marschallsgerichte fürchtet und nicht wißt, daß während der Zeit des Interregnums der Ständerat richtet, mit welchem die Auseinandersetzung leichter ist; Eurer Ohren wegen werden sie mir den Kopf nicht abschlagen, – das glaubt mir.«

»Ich danke für die Belehrung und bitte um öftere Instruktion, denn ich sehe, Ihr seid kein übler Praktikus und ein gelehrter Mann, und ich, als ein Mann, der nur die geringeren Wissenschaften praktiziert hat, kaum das Adjektiv vom Substantiv zu unterscheiden vermag, würde, wenn ich Euch, was Gott verhüte, dumm nennen sollte, nur wissen, daß ich sagen müßte: stultus und nicht stulta oder stultum

Hier schwenkte Wolodyjowski wieder die Fuchtel, Charlamp aber wurde verlegen, das Blut stieg ihm ins Gesicht, und er zog den Säbel aus der Scheide; in demselben Augenblick aber drückte der kleine Ritter die Fuchtel unter das Knie, und auch der seinige blitzte. Einen Augenblick sahen sie einander an wie zwei Eber, mit weit geöffneten Nüstern und feuersprühenden Augen, – aber Herr Charlamp besann sich doch zuerst, daß er sich vor dem Wojewoden selbst zu verantworten hätte, wenn er einen seiner im Dienste befindlichen Offiziere überfalle, – so steckte er auch zuerst den Säbel zurück in die Scheide.

»O! Ich werde dich finden, Hundesohn!« sagte er.

»Du findest mich! Du findest mich, du Unkraut!« sagte der kleine Ritter.

Und sie trennten sich. Der eine ritt zu seiner Kavalkade, der andere zu seiner Fahne, welche währenddes bedeutend nähergekommen war, so daß aus den Staubwolken auf dem harten Wege schon die Hufschläge zu hören waren. Herr Michael hatte seinen Zug bald geordnet und ritt an der Spitze desselben. Bald darauf trottelte Herr Sagloba auf ihn zu.

»Was wollte dieses Seeungeheuer von Euch?« fragte er Herrn Wolodyjowski.

»Herr Charlamp? Ei, nichts! Er forderte mich nur auf Säbel.«

»Da haben wir's!« sagte Sagloba. »Er wird Euch mit seiner Nase durchbohren. Seht zu, Herr Michael, wenn Ihr Euch schlagt, daß Ihr die größte Nase der Republik nicht abschlagt, denn es müßte ein besonders großer Grabhügel für sie aufgeschüttet werden. Wie glücklich ist der Wojewode von Wilna! Andere müssen dem Feinde Streifzüge entgegenschicken, bei ihm wittert dieser Edelmann schon von ferne die Gefahr. Aber, weshalb fordert er Euch?«

»Weil ich neben dem Wagen des Fräulein Anna ritt.«

»Bah! Man hätte ihm sagen müssen, er solle sich zu Herrn Longinus nach Samoschtsch begeben. Der würde ihn erst mit Pfeffer und Ingwer aufnehmen. Dieses Unkraut hat es böse getroffen, man sieht, sein Glück ist kleiner als seine Nase.«

»Ich habe ihm nichts von Herrn Longinus gesagt,« meinte Wolodyjowski, »denn wie, wenn er mich in Ruhe gelassen hätte? Ich werde zum Trotz mit doppelter Liebe um Ännchen werben, ich will auch meine Freude haben.«


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