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15. Kapitel

Skrzetuski ritt an der Spitze der fürstlichen Fähnlein nach Sbarasch, nicht nach Tarnopol, denn es war ein neuer Befehl gekommen, dorthin zu gehen, und unterwegs erzählte er seinem treuen Diener seine eigenen Erlebnisse, wie er in der Sitsch in Gefangenschaft geraten, wie lange er dort geblieben war, was er erlitten hatte, ehe ihn Chmielnizki freiließ. Sie zogen langsam vorwärts, obwohl sie weder Wagen noch Gepäck mit sich führten; aber der Weg führte durch so ausgeplündertes Land, daß man für Menschen und Pferde Nahrungsmittel nur mit größter Mühe erlangen konnte.

In Sbarasch hatte sich eine ungeheure Menschenmenge zusammengefunden. Fürst Jeremias hielt hier mit dem ganzen Heer, und außerdem waren Soldaten und Edelleute in großer Zahl hierher gekommen. Der Krieg hing sozusagen in der Luft, man sprach nur von ihm; die Stadt und die Umgegend wimmelte von bewaffnetem Volk. Die Friedenspartei in Warschau, deren Hoffnungen durch Herrn Kisiel immer von neuem aufrecht erhalten wurden, hatte zwar immer noch nicht die Verhandlungen aufgegeben und glaubte noch immer, daß man den Sturm friedlich würde beilegen können, aber sie begriff doch eins, daß die Verhandlungen nur dann einen Erfolg haben könnten, wenn zu ihrer Förderung ein mächtiges Heer bereit stände. So fanden auch die Beratungen unter Kriegsdrohungen und Unwettern statt, wie sie gewöhnlich dem Sturm vorherzugehen Pflegen. Der allgemeine Landsturm wurde aufgeboten, man zog die regelmäßigen Truppen zusammen, und obgleich der Kanzler und die Regimentarier noch immer an den Frieden glaubten, so herrschte doch bei den Edelleuten die Kriegslust vor.

In der gesamten Republik richteten sich immer mehr Augen auf Jeremias, der von Anfang an Krieg auf Leben und Tod verkündet hatte. Im Schatten dieser Riesengestalt schwanden immer mehr der Kanzler, der Wojewode von Brazlaw und die Regimentarier, unter ihnen der mächtige Fürst Dominik, der zum obersten Führer ernannt worden war. Ihre Autorität, ihre Bedeutung schwand, und der Respekt vor der Obrigkeit, die sie vertraten, wurde geringer. Man befahl dem Heer und dem Adel zuerst, sich bei Lemberg zu sammeln, dann bei Glinjani, und es strömten auch immer größere Heerscharen herbei.

Die regelmäßigen Truppen kamen heran, ihnen folgten die Landleute der benachbarten Wojewodschaften. Aber bald begannen neue Ereignisse die Autorität der Republik zu bedrohen. Nicht nur die minder disziplinierten Fähnlein des Landsturmes, nicht nur die Privatheere, sondern auch die regelmäßigen Truppen versagten den Regimentariern den Gehorsam, als sie an den Versammlungsort gekommen waren, und zogen gegen den Befehl nach Sbarasch, um sich unter das Kommando des Fürsten Jeremias zu stellen. So taten zunächst die Wojewodschaften Kijew und Brazlaw, deren Adel schon vorher in bedeutender Zahl unter Jeremias gedient hatte.

Dann kamen die Ruthenischen, die Lublinschen, ihnen folgte das Kronheer – und es war nicht mehr schwer vorherzusagen, daß alle anderen ihrem Beispiele folgen würden.

Der absichtlich umgangene und vergessene Jeremias ward durch die Macht der Verhältnisse zum Hetman und obersten Führer aller Streitkräfte der Republik. Der Adel und das Heer war ihm mit Leib und Seele ergeben und wartete nur seines Winkes. Die Macht, der Krieg, der Friede, die Zukunft der Republik ruhten in seiner Hand.

Und er wuchs noch mit jedem Tage, denn täglich strömten ihm neue Fahnen zu.

Er wuchs so ins Riesenhafte, daß sein Schatten anfing, nicht nur auf den Kanzler und die Regimentarier zu fallen, sondern auch auf den Senat, auf Warschau und die ganze Republik.

In den ihm mißgünstigen Kreisen in Warschau, im Lager der Regimentarier, in der Umgebung des Fürsten Dominik und bei dem Wojewoden von Brazlaw begann man über seinen unermeßlichen Ehrgeiz und seine Kühnheit zu reden, man erinnerte an die alte Sache von Hadsiatsch, wie der kühne Fürst mit 4000 Mann nach Warschau gekommen und in den Senat getreten sei, wie er bereit gewesen sei, alles niederzumachen, den König nicht ausgenommen.

So sprach man in Warschau und in den Kreisen der Offiziere, und besonders bei dem Fürsten Dominik, dessen Rivalität mit Jeremias der Republik schon früher nicht geringen Schaden gebracht hatte – jener Marius aber saß inzwischen in Sbarasch, düster und in Grübeln versunken, denn die jüngst errungenen Siege konnten sein Antlitz nicht erhellen. Wenn irgend ein neues Fähnlein von den regulären Truppen oder irgend ein Bezirksheer vom allgemeinen Aufgebot in Sbarasch zu ihm stieß, so ritt er ihm entgegen, überschaute mit einem Blick ihren Wert und fiel wieder in sein Brüten zurück. Die Soldaten drängten sich mit Hochrufen an ihn heran, fielen vor ihm auf die Kniee und riefen: »Sei gegrüßt, du unbesiegbarer Feldherr! Slawischer Herkules! Unser Leben geben wir für dich hin!« – Er aber antwortete: »Ich danke euch! Wir alle stehen unter Christi Befehl, und mein Rang ist zu niedrig, als daß ich euer Blutsverwalter sein sollte.«

Und dann zog er sich zurück, floh die Menschen und rang in der Einsamkeit mit seinen eigenen Gedanken. So flossen die Tage dahin. Unterdessen wogte die Stadt von immer neuen Soldatenscharen. Diejenigen vom Landsturm tranken vom Morgen bis zur Nacht, schlenderten in den Straßen umher, machten Lärm und zankten sich mit den Offizieren fremder Herkunft. Die regulären Truppen, welche ebenfalls die Zügel der Disziplin gelockert fühlten, ergaben sich dem Weine, dem Genusse und dem Würfelspiel. Täglich kamen neue Fremdlinge, täglich also gab es neue Feste und Vergnügungen mit den Bürgerstöchtern. Die Soldaten nahmen alle Straßen ein, lagen in den Dörfern der Umgegend – und welche Mannigfaltigkeit an Pferden, Rüstungen, Trachten, Federn, Riemenzeug, Gehänge und Farben der verschiedenen Wozewodschaften! Man hätte glauben können, es sei ein allgemeines Ablaßfest, zu dem die Republik zusammengeströmt war.

So lebte man fröhlich und froh in Sbarasch, bis der alte Sazwilichowski und andere ernste Männer sich wunderten, daß der Fürst so lange diesen Schmausereien zusah; er aber saß beständig in seinem Quartier – ließ offenbar absichtlich die Soldaten ihrem Vergnügen nachgehen, damit sie vor neuen Schlachten das Leben reichlich genössen. Unterdessen war Skrzetuski zurückgekehrt und fiel plötzlich wie in einen Strudel hinein. Auch er hätte gern die Ruhe im Kreise der Kameraden genossen, aber noch lieber wäre er nach Bar zur Geliebten geritten, um alle alten Schmerzen, alle Angst und Sorge in ihrer süßen Umarmung zu vergessen. Er ging also unverzüglich zum Fürsten, ihm Rechenschaft von seinem Zuge nach Saslaw zu geben und die Erlaubnis zur Reise zu erlangen.

Er fand den Fürsten bis zur Unkenntlichkeit verändert, so daß er bei seinem Anblick zusammenschrak – und sich im Geiste fragte: Ist dies der Feldherr, den ich bei Machnowka und Konstantinow gesehen habe? – Denn vor ihm stand ein Mann, von der Last der Sorgen gebeugt, mit hohlen Augen und verdorrten Lippen, als wüte eine schwere Krankheit in ihm. Auf die Frage nach seinem Wohlsein antwortete er kurz und trocken, daß er gesund sei, und der Ritter wagte nicht, weiter zu fragen – er gab also Rechenschaft von seinem Ausflug und bat bald um die Erlaubnis, die Fahnen auf zwei Monate verlassen zu dürfen, um sich zu verheiraten und die Gattin nach Skrzetuschewo zu bringen.

Da war es, als erwachte der Fürst aus einem Traum. Die gewohnte Güte übergoß sein umdüstertes Antlitz, er zog Skrzetuski an sich und sagte:

»So hat deine Qual ein Ende. Gehe hin, gehe hin und segne dich der Himmel. Gern wäre ich selbst bei deiner Hochzeit, denn das bin ich der jungen Kurzewitsch, der Tochter Wassilis, und dir, dem Freunde, schuldig, aber in dieser Zeit ist es nicht möglich. Wann willst du reisen?«

»Fürstliche Durchlaucht – am liebsten heute!«

»So reise morgen. Du kannst nicht allein reisen. Ich gebe dir dreißig Tataren von Wierschul mit, damit du Helene sicher heimbringst. Mit diesen wirst du am schnellsten ans Ziel kommen, und du brauchst sie, denn es wimmelt dort von Gesindel. Ich gebe dir auch einen Brief an Herrn Andreas Potozki, aber ehe ich ihn schreibe, ehe die Tataren kommen, ehe du dich endlich reisefertig machst, wird es morgen abend werden.«

»Wie Eure Fürstliche Durchlaucht befehlen. Aber ich wage noch zu bitten, daß Wolodyjowski und Longinus mit mir ziehen dürfen.«

»Gut. Komme doch morgen noch zu mir, damit ich Abschied von dir nehme und dir meinen Segen gebe. Ich möchte auch deiner jungen Fürstin ein Angebinde senden. Ein braves Blut, seid glücklich, denn ihr verdient es.«

Schon war der Ritter niedergesunken und hatte die Kniee des geliebten Feldherrn umfaßt, dieser aber wiederholte noch etliche Male: »Gebe dir Gott seinen Segen! Gebe dir Gott seinen Segen! Nun komme morgen noch einmal.«

Aber der Ritter erhob sich nicht und ging nicht fort, als wollte er noch um etwas bitten; endlich brachte er hervor:

»Fürstliche Durchlaucht.«

»Was hast du mir noch zu sagen?« fragte der Fürst mild.

»Fürstliche Durchlaucht, verzeiht meiner Kühnheit, aber ... mir bricht das Herz, mein großer Schmerz gibt mir den Mut: Was fehlt Eurer Fürstlichen Durchlaucht? Drückt Euch Sorge oder Krankheit?«

Der Fürst legte die Hand auf sein Haupt:

»Du darfst das nicht wissen!« sagte er mit weichster Stimme – »komm morgen noch einmal.«

Skrzetuski erhob sich und ging mit blutendem Herzen.

Gegen Abend kam der alte Sazwilichowski in sein Quartier, mit ihm der kleine Wolodyjowski, Longinus und Sagloba. Sie nahmen am Tische Platz und begannen über die morgen bevorstehende Reise zu sprechen und über die unaussprechliche Glückseligkeit, die Skrzetuski harre. Sie tranken und freuten sich in der Stille, bis endlich das Gespräch auf den Stand des Krieges und auf den Fürsten kam. Skrzetuski, der lange Zeit nicht im Lager gewesen war, fragte: »Sagt mir doch, meine Herren, was mit unserem Fürsten vorgegangen ist? Er ist ja ein anderer Mensch geworden. Ich begreife das nicht mehr. Gott hat ihm Sieg auf Sieg gegeben. Daß sie ihn dort bei der Feldherrnwahl übergangen haben, was will das sagen? Dafür drängt sich jetzt das ganze Heer zu ihm, so daß er ohne jemandes Zutun durch den Willen des Volkes Hetman wird und den Chmielnizki vernichtet ... und doch nagt an ihm ein Kummer! ...«

»Vielleicht plagt ihn das Podagra,« sagte Sagloba. »Wenn es mich einmal in der großen Zehe sticht, so habe ich drei Tage lang Melancholie.«

Es entstand Stille ringsum. Nur durch die Fenster drang der Lärm der zechenden Edelleute.

Der kleine Wolodyjowski unterbrach endlich das im Zimmer herrschende Schweigen.

»Hm,« sagte der Alte, »ich bin nicht sein Vertrauter, ich weiß es also nicht. Er denkt über etwas nach, ringt mit sich selbst. Seelenkämpfe sind es, es kann nicht anders sein. Und je größer die Seele, desto schwerer die Qual ...«

Und der alte Ritter hatte sich nicht geirrt, denn in demselben Augenblick lag der Fürst, der Sieger, in seinem Quartier, im Staube vor dem Kruzifix, und kämpfte einen der schwersten Kämpfe seines Lebens.

»Was denkt Ihr, Vater? Was kann unserem Herrn sein?«

Die Wachen auf dem Schlosse von Sbarasch riefen Mitternacht aus, Jeremias hielt noch immer Zwiesprache mit Gott und mit seiner eigenen reinen Seele. Der Verstand, das Gewissen, die Vaterlandsliebe, der Stolz, das Bewußtsein der eigenen Kraft und seiner großen Mission hatten sich in seiner Seele in Ringkämpfer verwandelt und führten miteinander einen hartnäckigen Kampf, der die Brust fast zersprengte, den Kopf spaltete, so daß der Schmerz alle seine Glieder schüttelte. Gegen den Willen des Primas, des Kanzlers, des Senats, der Generalregimentarier, wider den Willen der Regierung kamen zu diesem Sieger die regulären Truppen, der Adel, fremde Privatfähnlein – mit einem Worte, die ganze Republik gab sich in seine Hand, flüchtete sich unter seine Fittiche, vertraute dem Schicksal seines Genius und rief durch seine besten Söhne: »Rette, denn du allein kannst retten!« Noch einen Monat, noch zwei, und es werden sich vor Sbarasch Hunderttausende von Kriegern sammeln, bereit zum Kampf auf Leben und Tod mit dem Drachen des Bürgerkrieges. Hier begannen Zukunftsbilder, übergossen von dem ungeheuren Glanze des Ruhms und der Macht, vor den Augen des Fürsten vorbeizuziehen. Erzittern werden die, welche ihn übergehen und demütigen wollten – und er wird diese eisernen Scharen der Ritterschaft mit sich fortreißen, sie in die ukrainischen Steppen führen zu solchen Siegen, solchen Triumphen, wie sie die Geschichte noch nicht gehört hat. Bei Gott! Er wird Chmielnizki zermalmen. Er wird die Revolution niedertreten – er wird dem Vaterlande den Frieden bringen. Er schaut die unendlichen Auen, die Myriadenheere, er hört den Donner der Kanonen! Kampf! Kampf! Eine unerhörte, beispiellose Niederlage! Der Fürst springt auf und erhebt seine Hände zu Christo, und rings um sein Haupt leuchtet ein rotes Licht: »Jesus Christ,« ruft er, »du siehst, daß ich das tun kann, sage mir, daß es meine Pflicht ist.«

Aber der Erlöser senkt sein Haupt auf die Brust und schweigt so schmerzlich, als hätte man ihn eben erst ans Kreuz geschlagen. »Dir zum Ruhm,« ruft der Fürst – » non mihi! non mihi! sed nomini Tuo da gloriam! zum Ruhme des Glaubens und der Kirche, der ganzen Christenheit, o Jesu Christ!« Und ein neues Bild huscht an den Augen des Helden vorüber. Nicht mit dem Siege über Chmielnizki endet dieser Weg. Wenn der Fürst den Aufstand niedergetreten hat, wird er sich noch über dessen Unterdrückung erheben, seine Kräfte stärken, Myriaden von Kosaken, Myriaden von Edelleuten zusammenscharen und weiterziehen, die Krim angreifen, den furchtbaren Drachen in seiner eigenen Höhle erreichen und das Kreuz dort aufrichten, wo bisher noch niemals Kirchenglocken die Gläubigen zum Gebet gerufen haben.

Oder er wird auch in jene Lande ziehen, die schon einmal die Fürsten Wischniowiezki mit den Hufen ihrer Pferde zermalmen wollten und die Grenzen der Republik und mit ihnen die der Kirche bis an das äußerste Ende der Erde erweitern ...

Wo war das Ende dieses Fluges? Wo das Ende dieses Ruhms, der Kraft, der Macht? – Es gibt kein Ende ...

In das Schloßzimmer fällt das Licht des Mondes, aber die Uhren schlagen eine späte Stunde, und die Hähne krähen. Bald wird der Tag herabsinken, aber es wird ein Tag sein, an welchem neben der Sonne am Himmel eine neue Sonne auf Erden aufgeht.

*

Ja – der Fürst wäre ein Kind, kein Mann, wenn er das nicht täte, wenn er aus irgendwelchen Gründen vor der Stimme der Schicksalsmächte zurückwiche. Und siehe, schon empfand er eine gewisse Ruhe, die Christus offenbar in seiner Barmherzigkeit über ihn ausgegossen hatte – gelobt sei er dafür! – Schon denkt er nüchterner und umfaßt mit den Augen der Seele heller die Lage des Vaterlandes und alle seine Angelegenheiten. Die Politik des Kanzlers und der Herren dort in Warschau, wie die des Wojewoden von Brazlaw ist schlecht – für das Vaterland verderblich. Er mußte erst die Saporogen niedertreten, ein Meer von Blut hervorrufen, vernichten, niederdrücken, siegen und dann, wenn alles vollbracht, – alle Mißbräuche, alle Bedrückungen abschaffen, Ordnung und Frieden einführen, die Rebellion mit Macht töten – ein geregeltes Leben wiederherstellen – das war der einzige Weg, würdig seiner großen, herrlichen Republik. Früher vielleicht, früher hätte man einen anderen wählen können als ihn, heute – nimmermehr!

Denn wohin könnten die Verhandlungen führen, wenn unzählige Tausende von Bewaffneten sich gegenüberstehen? Und wenn man auch Bedingungen abschlösse, welche Kraft würden sie haben? Nein, nein, das sind Traumbilder, Phantasien, das ist ein Krieg in alle Ewigkeit, ein Meer von Tränen und Blut für die Zukunft! ... Den einen Weg, den großen, edlen, kraftvollen, mochten sie gehen – er würde nichts weiter wollen, nichts anderes verlangen. Er würde wieder in sein Lubnie zurückkehren und ruhig harren, bis ihn die Trompetenstöße von Gradywo von neuem zur Tat aufriefen ... Mochten sie gehen! Aber wer? Der Senat? Die stürmischen Reichstage? Der Kanzler? Der Primas? Oder die Generalregimentarier? Wer, außer ihm, begriff diesen großen Gedanken? Und wer konnte ihn ausführen? Fand sich einer – gut! Aber, wo war er? Wer hatte die Kraft? Er allein – sonst niemand!

Wer die größten Verdienste hat, der ergreife die Herrschaft! Wem sie gerechterweise zusteht, in dessen Hand liege sie. Er würde gern dieser Bürde entsagen, gern zu Gott, und der Republik sprechen: »Laßt euren Diener in Frieden ziehen – denn seht, er ist sehr müde und kraftlos und weiß doch gewiß, daß sein Gedächtnis und sein Grab nicht vergessen werden.« Aber wenn niemand da war, so mußte er zweifach und dreifach ein Kind sein, kein Mann, wenn er dieser Herrschaft entsagen sollte, dieser Sonnenbahn, dieser glänzenden, herrlichen Zukunft, in welcher die Rettung der Republik, ihr Ruhm, ihre Macht und ihr Glanz ruhte.

Weshalb zögerte er noch?

Der Fürst erhob wieder stolz sein Haupt, und sein glühender Blick fiel wieder auf den Gekreuzigten, aber Christus senkte sein Haupt auf die Brust und schwieg so schmerzlich, als hätte man ihn eben erst an das Kreuz geschlagen ...

Weshalb? Der Held drückte seine Hände an die glühende Schläfe – vielleicht gibt es doch eine Antwort. Was bedeuteten diese Stimmen, die mitten durch die goldenen, buntschimmernden Träume von Ruhm, mitten durch den Lärm zukünftiger Siege, mitten durch die Ahnungen von Größe und Macht so unbarmherzig in seine Seele riefen: »Ach stehe still, Unglückseliger!« Was bedeutete die Unruhe, die seine erschrockene Brust mit einem Schauer der Angst durchrieselte? Was bedeutete es, daß, während er klar und deutlich einsah, daß er die Herrschaft ergreifen müsse, etwas in den Falten seines Gewissens flüstert:

»Du täuschest dich, der Hochmut verleitet dich, der Satan des Stolzes verspricht dir Königreiche!« Und wieder tobte ein ernstlicher Kampf in der Seele des Fürsten, wieder erfaßte ihn ein Sturm der Angst, der Unsicherheit, der Verzweiflung.

Was tut der Adel, der ihm zuströmt, statt den Regimentariern? Er tritt das Gesetz mit Füßen! Was tut das Heer? Es bricht die Disziplin. Und er, der Sohn dieses Staates, der Soldat, soll sich an die Spitze der Unbotmäßigkeit stellen? Er soll sie mit seiner Autorität decken, er soll das erste Beispiel der Zuchtlosigkeit, der Willkür, der Mißachtung der Gesetze geben, und alles dies nur, um die Gewalt zwei Monate früher an sich zu reißen? Denn, wenn Prinz Karl wirklich auf den Thron erhoben wird, so würde ja die höchste Gewalt ihm unbenommen sein. Er soll ein so entsetzliches Beispiel dem kommenden Jahrhundert geben? Denn was würde geschehen. Was heute ein Wischniowiezki getan, das tut morgen ein Koniezpolski, Potozki, Firlej, Samojski oder Lubomirski, und wenn ein jeder ohne Rücksicht auf Gesetz und Zucht nur dem eigenen Ehrgeiz folgend handelt, wenn die Kinder dem Beispiel der Väter und Großväter folgen wollten, welcher Zukunft ging dies Land entgegen? Was würde geschehen, Jesu Christe?

Aber Jesus senkte sein Haupt auf die Brust und schwieg so schmerzlich, als hätte man ihn eben erst ans Kreuz geschlagen ...

Von neuem nagte der Schmerz am Herzen des Fürsten. Wenn er die Macht an sich riß und der Kanzler, der Senat und die Generalregimentarier ihn als Verräter und Rebellen ausriefen – was würde folgen, ein zweiter Bürgerkrieg? Und ferner, ist Chmielnizki der größte und drohendste Feind dieser Republik? Die Republik fürchtete Kriege nicht, nicht Kriege sind es, die sie zugrunde richten! Aber warum ist sie angesichts solcher Siege, solcher verborgenen Kräfte, solchen Ruhmes – sie, welche die Kreuzritter und Türken besiegt hat – so schwach und ohnmächtig, daß sie vor einem Kosaken in den Staub sinkt, daß die Nachbarn um ihre Grenzen streiten, daß die Nation ihrer spottet, daß niemand ihrer Stimme gehorcht, ihren Zorn fürchtet, und daß alle ihren Untergang voraussehen?

Ach, der Hochmut und der Stolz der Magnaten, ihre selbstsüchtigen Handlungen, ihre Willkür sind die Ursache davon. Der ärgste Feind ist nicht Chmielnizki, sondern die Unordnung im Innern, die Zuchtlosigkeit des Adels, die Untüchtigkeit und Zügellosigkeit des Heeres, die stürmischen Reichstage, die Zwistigkeiten und die Streitsucht, die Verwirrung, die innere Lässigkeit, der Eigennutz, und besonders der Mangel an Disziplin.

»So gehe denn hin, du Sieger von Niemirow, Pogrebischtsche, Machnowka und Konstantinow. Gehe hin, Fürst-Wojewode, gehe hin, nimm den Regimentariern die Macht, tritt das Gesetz und die Obrigkeit mit Füßen, gib den kommenden Geschlechtern das Beispiel, wie man in den Eingeweiden der eigenen Mutter wühlt.«

Schrecken, Verzweiflung, Wahnsinn malte sich in den Zügen des Fürsten ... er schrie entsetzt auf, griff mit der Hand an sein Herz und fiel im Staube vor dem Heiland nieder.

Und er wand sich am Boden und schlug das erlauchte Haupt gegen das Steingetäfel, und aus seiner Brust rang sich ein dumpfer Laut: »Gott sei mir Sünder gnädig!«

Schon erschien das Morgenrot am Himmel, dann kam die goldene Sonne und beleuchtete den Saal. In den Dachgesimsen begann das Zwitschern der Sperlinge und Schwalben. Der Fürst erhob sich und weckte seinen Knaben Tschalenski, der hinter der Tür schlief.

»Eile,« sagte er zu ihm, »zu den Ordonnanzen und befiehl ihnen, die Hauptleute, welche im Schlosse und in der Stadt stehen, die vom regulären Heer, wie vom Landsturm, zu mir ins Zimmer zu rufen.«

Zwei Stunden später begann der Saal sich mit den bärtigen Gestalten der Krieger zu füllen. Von den Leuten des Fürsten waren gekommen: der alte Sazwilichowski, Polanowski, Skrzetuski mit Herrn Sagloba, Wurzel, der Oberst Machnizki, Wolodyjowski, Wierschul, Poniatowski, fast alle Offiziere, bis auf den Fähnrich herab, außer Kuschel, der auf Kundschaft nach Podolien ausgeschickt war. Vom regulären Heer waren anwesend: Oschinski und Koschyzki. Viele von dem vornehmeren Adel des Landes konnte man nicht aus den Betten bringen. Aber auch von diesem war eine nicht geringe Zahl erschienen – unter ihnen Persönlichkeiten aus den verschiedenen Landen, von den Burgvögten an bis zu den Unterkämmerern ... es wurden laute Gespräche geführt, es summte im Saale wie in einem Bienenkorbe, und aller Augen waren auf die Tür gerichtet, in welcher der Fürst erscheinen sollte.

Plötzlich wurde alles still. Der Fürst war eingetreten. Sein Antlitz war ruhig und heiter – und nur die von der Schlaflosigkeit geröteten Augen und die gefurchten Züge zeugten von dem überstandenen Kampfe. Aber durch diese Heiterkeit, ja Milde, leuchtete Ernst und ein unbeugsamer Wille.

»Meine Herren,« sagte er, »heute nacht habe ich mit Gott und meinem Gewissen beraten, was mir zu tun ziemt: Ich kündige den Herren daher an, und ihr kündigt es der ganzen Ritterschaft an, daß ich mich um des Wohles des Vaterlandes und um der Eintracht willen, die in Zeiten der Not so notwendig ist, dem Kommando der Generalregimentarier unterwerfe.«

Tiefes Schweigen herrschte in der Versammlung.

*

Am Mittag desselben Tages standen auf dem Schloßhofe dreißig von Wierschuls Tataren, die mit Skrzetuski auszuziehen bereit waren, und auf dem Schlosse gab der Fürst den Ältesten des Heeres ein Mahl, welches zugleich ein Abschiedsmahl für unseren Ritter sein sollte. Man hatte ihm, als dem Bräutigam, den Platz neben dem Fürsten angewiesen, und unmittelbar neben ihm saß Sagloba, denn man wußte, daß seine Gewandtheit und sein Mut die Braut aus der äußersten Not gerettet hatte. Der Fürst war fröhlich; er hatte eine Bürde von seinem Herzen gewälzt, und brachte Trinksprüche auf das Glück des jungen Paares aus. Wände und Fenster erzitterten von dem Rufe der Ritter.

»Meine Herren,« sagte der Fürst, »diesen dritten Becher leere ich auf das Wohl des kommenden Geschlechts der Skrzetuskis. Es ist ein gesegneter Stamm, gebe Gott, daß die Äpfel nicht weit vom Stamme fallen! Möge der Habicht, den unser Ritter im Wappen führt, seiner würdige Habichtlein zeugen!«

»Vivat! Vivat!«

»Ich danke euch,« rief Skrzetuski und leerte einen mächtigen Becher Malvasiers.

»Vivat! Vivat!«

Da plötzlich erschien auf der Schwelle eine düstere Gestalt, mit Staub bedeckt. Beim Anblick der Tafel, des Mahles und der freudestrahlenden Gesichter blieb sie in der Tür stehen, als zögerte sie, einzutreten.

Der Fürst hatte die Gestalt zuerst bemerkt; er zog die Brauen zusammen, beschattete seine Augen und sagte: »Wer ist dort? Ah, Kuschel vom Vortrab, was gibt's, was für Neuigkeiten?«

»Sehr schlechte, mein Fürst,« sagte der Offizier mit gedrückter Stimme.

Wie mit einem Schlage verstummte die ganze Versammlung, als hätte sie jemand behext, die Becher, schon zum Munde erhoben, senkten sich auf halbem Wege, aller Augen richteten sich auf Kuschel, in dessen müden Zügen sich tiefer Schmerz malte.

»Besser wäre es, du hättest sie nicht gemeldet, da ich beim Becher froh bin,« sagte der Fürst, »aber wenn du einmal begonnen hast, so sprich zu Ende.«

»Mein Fürst, auch ich wünschte, ich wäre nicht der Unglücksbote, denn diese Nachricht will mir nicht über die Lippen.«

»Was ist geschehen? Sprecht!«

»Bar ... – ist gefallen.«

 

Ende des ersten Bandes


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