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6. Kapitel

Am späten Abend bei Mondschein kamen die Heere nach Roslogi. Dort hatten sie Skrzetuski auf seinem Kalvarienberge sitzend angetroffen. Der Ritter war, wie bekannt, vor Schmerz und Qual von Sinnen gekommen, und als ihn der Priester Muchowiezki wieder zur Besinnung zurückbrachte, nahmen ihn die Offiziere in ihre Mitte, begannen ihn zu begrüßen und zu trösten, besonders Herr Longinus, der seit einem Quartal in Skrzetuskis Fähnlein als überzähliger Kamerad diente. Dann hatte man Skrzetuski zum Fürsten gebracht, der in einer Bauernhütte Station gemacht hatte. Als dieser seinen Liebling sah, sprach er kein Wort, sondern ging ihm mit offenen Armen entgegen. Skrzetuski warf sich sofort laut weinend in die Arme des Fürsten, und der Fürst drückte ihn an seine Brust, küßte seinen Kopf – wobei die anwesenden Offiziere Tränen in seinen erlauchten Augen sahen. Nach einiger Zeit erst begann er zu sprechen:

»Gleich einem Sohne begrüße ich dich, denn ich habe schon gedacht, daß ich dich nicht mehr wiedersehen werde. Trage deine Bürde männlich und bedenke, daß du tausend Genossen im Unglück haben wirst, die Weiber, Kinder, Eltern, Verwandte und Freunde verlieren werden, und wie ein Tropfen im Ozean mag dein Schmerz in dem Meere des allgemeinen Schmerzes untergehen. Jetzt, wo über das teure Vaterland so schwere Zeiten gekommen sind, gibt sich, wer ein Mann ist und ein Schwert führt, dem Schmerze über seinen Verlust nicht hin, sondern eilt der gemeinsamen Mutter zu Hilfe und gewinnt Ruhe in seinem Gewissen oder findet einen rühmlichen Tod und den himmlischen Lohn und mit ihm die ewige Glückseligkeit.«

»Amen,« sagte der Kaplan Muchowiezki.

»O, mein Fürst, ich würde sie lieber tot sehen,« seufzte der Ritter.

»Weine, weine, denn dein Verlust ist groß, und wir wollen mit dir weinen, denn du bist nicht zu Heiden, nicht zu den wilden Skythen, nicht zu Tataren gekommen, sondern zu Brüdern und Genossen, die dir wohlwollen, aber eines sage ich dir: Heute weinst du über dein Unglück, und morgen über ein fremdes, denn wisse, morgen ziehen wir zur Schlacht.«

»Ich gehe mit Eurer Fürstlichen Durchlaucht bis ans Ende der Welt, aber Trost kann ich nicht finden, mir ist so weh ohne sie, daß ich nicht ...«

Und der arme Soldat griff sich bald an den Kopf, bald biß er die Zähne zusammen, um die Seufzer zu ersticken, denn ein Sturm der Verzweiflung schüttelte ihn.

»Du hast gesagt: Dein Wille geschehe,« sagte der Priester streng.

»Amen, Amen, seinem Willen beuge ich mich, aber ... meinen Schmerz ... kann ich nicht bannen,« antwortete der Ritter mit abgerissenen Worten.

Man sah deutlich, wie er mit sich rang und kämpfte, so daß seine Qual allen Anwesenden Tränen erpreßte, und die Weicheren, wie Wolodyjowski und Longinus, vergossen wahre Tränenströme. Dieser letztere faltete die Hände und wiederholte jammernd:

»Brüderchen, Brüderchen, fasse dich!«

»Höre,« sagte der Fürst plötzlich, »ich habe Kunde, daß Bohun von hier nach Lubnie gezogen ist, denn er hat mir in Wassilowska die Leute niedergehauen. Verzweifle also noch nicht, vielleicht hat er sie nicht erreicht, wozu wäre er sonst nach Lubnie gegangen.«

»Bei Gott, so wird es sein,« riefen die Offiziere, »Gott wird dir Trost bringen.«

Skrzetuski schlug die Augen auf, als verstehe er nicht, was sie sagten, plötzlich dämmerte auch in seinem Geiste die Hoffnung auf, und er warf sich in seiner ganzen Länge zu den Füßen des Fürsten nieder.

»O, mein Fürst! Sein Leben, Blut!« schrie er.

Mehr konnte er nicht sagen, er war so kraftlos geworden, daß Longinus ihn vom Boden aufheben und auf die Bank setzen mußte. Aber schon sah man ihm an, daß er das Fünkchen von Hoffnung ergriffen hatte, wie der Ertrinkende den Strohhalm, und daß der Schmerz sich zu legen begann. Dann brachte man ihn in eine niedere Hütte und reichte ihm Met und Wein. Der Statthalter wollte trinken, aber er konnte nicht, denn die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Dafür tranken seine treuen Genossen, und, vom Met erheitert, begannen sie, ihn zu umarmen, zu küssen, seine Magerkeit und die Spuren der Krankheit anzustaunen, die sich in seinem Gesicht zeigten.

»Du siehst aus, wie aus dem Grabe erstanden.« sagte der dicke Dschick.

»Die in der Sitsch haben dir gut aufgespielt, sie haben dir nichts zu essen und zu trinken gegeben.«

»Sprich, was ist dir geschehen?«

»Ein andermal erzähle ich's euch,« sagte Skrzetuski mit schwacher Stimme. »Sie haben mich verwundet und ich lag krank.«

»Sie haben ihn verwundet,« schrie Dschick.

»Verwundet? Einen Gesandten?« antwortete Herr Sloschinski.

Und beide sahen einander an, erstaunt über die Kühnheit der Kosaken, dann begannen sie sich aus herzlicher Zuneigung für Skrzetuski zu umarmen.

»Und hast du Chmielnizki gesehen?«

»Ja.«

»Laßt ihn nur zu uns, Herr!« schrie Migurski, »wir werden ihm schon den Kopf zurechtsetzen.«

Unter solchen Gesprächen ging die Nacht hin; am Morgen kam die Kunde, daß auch der zweite Vortrab, der nach Tscherkassy geschickt worden war, zurückkomme. Sie hatten jedenfalls Bohun nicht eingeholt und nicht ergriffen, aber dafür seltsame Nachrichten gebracht. Sie brachten auch viele Menschen mit, denen sie auf dem Wege begegnet waren, und die zwei Tage vorher Bohun gesehen hatten. Diese erzählten, der Kosakenführer verfolge offenbar jemand, denn er habe überall Umfrage gehalten, ob man nicht einen dicken Edelmann mit einem Kosakenbuben auf der Flucht gesehen habe; er habe ungeheure Eile gehabt und sei Hals über Kopf weiter geritten. Jene Leute versicherten auch, sie hätten nicht gesehen, daß Bohun ein Fräulein mitgeführt habe, wäre aber eines bei ihm gewesen, so hätten sie das unzweifelhaft bemerkt, da Bohun nur wenig Mannschaft bei sich hatte. Neuer Mut, aber auch neue Sorge erfüllte Skrzetuskis Herz, denn diese Mitteilungen waren für ihn geradezu unverständlich. Er begriff nicht, warum Bohun anfänglich die Richtung nach Lubnie verfolgt, warum er das Präsidium in Wassilowka angegriffen und sich dann plötzlich nach Tscherkassy gewendet hatte. Daß er Helene nicht entführt habe, schien sicher, denn Kuschel hatte Antons Abteilung getroffen, bei welcher sie nicht war, und die Leute, die man jetzt von Tscherkassy eingebracht, hatten sie auch bei Bohun nicht gesehen, wo mochte sie also sein, wo eine Zuflucht gefunden haben? War sie entflohen? Und wenn, nach welcher Seite? Warum sollte sie nicht nach Lubnie, sondern nach Tscherkassy oder Slotonosch geflohen sein? Und doch verfolgten Bohuns Abteilungen jemanden in der Gegend von Prohorowka und Tscherkassy? Und warum hatten sie nach einem Edelmann und einem Kosakenbuben gefragt? Auf alle diese Fragen fand der Statthalter keine Antwort.

»Ratet mir, sprecht, erklärt mir, was das bedeutet,« sagte er zu den Offizieren, »denn mein Kopf kann sich hier nicht zurecht finden.«

»Ich denke doch, sie muß in Lubnie sein,« sagte Migurski.

»Das ist nicht möglich,« versetzte der Fähnrich Sazwilichowski, »wenn sie in Lubnie wäre, würde Bohun sie so schnell als möglich nach Tschechryn in Sicherheit bringen, aber nicht den Hetmanen entgegengehen, von deren Niederlage er noch nichts wissen konnte; wenn er aber seine Mannschaften geteilt, und seine Verfolgung nach zwei Richtungen fortgesetzt hat, so sage ich Euch, sie gilt niemandem als ihr.«

»Er hat doch aber nach einem alten Edelmann und einem Kosakenbuben gefragt.«

»Es bedarf doch keiner großen sagacitas, um zu erraten, daß sie auf ihrer Flucht nicht in Weibstracht, sondern in einer Verkleidung steckt, um die Spuren hinter sich zu verwischen, und so meine ich, dieser Kosakenbube, das ist sie.«

»Ja, bei Gott, bei Gott,« wiederholten die anderen.

»Bah, aber wer ist der Edelmann?«

»Das weiß ich nicht,« sagte der alte Fähnrich, »aber das werden wir durch Fragen erfahren. Die Bauern müßten doch wissen, wer hier war, und was geschehen ist; bringt nur den Wirt dieser Hütte her.«

Die Offiziere stürzten hinaus und führten bald den Kolonisten aus dem Schuppen am Kragen herbei.

»Bauer,« sagte Sazwilichowski, »warst du hier, als Bohun mit den Kosaken das Herrenhaus überfiel?«

Der Bauer begann wie gewöhnlich zu schwören, daß er nicht hier war, daß er nichts gesehen habe und von nichts wisse, aber Sazwilichowski wußte, mit wem er es zu tun hatte – er sagte also:

»Ich denke wohl, Heidensohn, daß du unter der Bank gesteckt hast, als sie den Hof plünderten, sage das einem anderen – sieh her, hier liegt ein Goldgulden, und dort steht der Knecht mit dem Schwert – wähle! Schließlich brennen wir das Dorf nieder, und den armen Leuten geschieht um deinetwillen Unrecht.«

Da begann das Bäuerlein zu erzählen, was er gesehen hatte. Als die Kosaken auf dem Maidan vor dem Herrenhofe zu zechen begannen, war er mit den anderen herausgekommen, um zu sehen, was vorgehe. Sie hätten gehört, daß die Fürstin und die Prinzen erschlagen seien, daß aber Nikolaus den Attaman verbunden hätte, der leblos daliege.

Was mit dem Fräulein geschehen sei, konnten sie nicht erfahren, aber am anderen Tage am frühen Morgen hätten sie gehört, daß sie mit einem Edelmann geflohen sei, der mit Bohun gekommen war.

»Nun seht, da habt ihr's, seht, da habt ihr's.« sagte Sazwilichowski. »Hier, Bauer, nimm den Gologulden. du siehst, es geschieht dir kein Unrecht. Hast du den Edelmann gesehen, ist er aus der Gegend?«

»Gesehen habe ich ihn, Herr, aber er ist nicht von hier.«

»Und wie hat er ausgesehen?«

»Dick, Herr, wie ein Ofen, mit grauem Barte, er fluchte wie ein Alter. Er ist blind auf einem Auge.«

»Beim Himmel!« rief Longinus, »das ist ja Sagloba, wer sonst? Ah!«

»Sagloba? Wartet nur, Sagloba! Das kann sein, er hat mit Bohun in Tschechryn Freundschaft geschlossen, sie haben zusammen getrunken und gewürfelt. Das kann sein, das ist sein Konterfei!«

Hier wandte sich Sazwilichowski an den Bauern.

»Ist dieser Edelmann mit dem Fräulein entflohen?«

»Ja, Herr, so haben wir es gehört.«

»Und kennt Ihr Bohun gut?«

»O, sehr gut, Herr, er hat ja den ganzen Monat lang hier gesessen!«

»Und vielleicht hat sie der Edelmann mit seinem Willen entführt?«

»Nicht doch, Herr, er hat Bohun gebunden und mit dem Wams umwunden, und das Fräulein, sagen die Leute, hat er heimlich fortgeführt, daß kein menschliches Auge sie gesehen hat. Der Attaman hat geheult wie ein Siromacha. An demselben Tage noch ließ er sich zwischen zwei Pferde binden und stürmte nach Lubnie, aber er hat sie nicht eingeholt, dann jagte er nach einer anderen Richtung.«

»Gelobt sei Gott,« sagte Migurski, »so kann sie in Lubnie sein, denn daß sie das Fräulein auch auf Tscherkassy zu verfolgten, will nichts bedeuten; da sie dort von ihnen nicht gefunden wurde, versuchten sie es hier.«

Skrzetuski war niedergekniet und betete inbrünstig.

Am frühen Morgen wurde zum Aufsitzen geblasen – das Heer zog weiter nach Lubnie.

Der Marsch ging schnell von statten, denn die fürstlichen Scharen zogen ohne Wagenpark. Skrzetuski wollte mit dem tatarischen Fähnlein ziehen, aber er war zu geschwächt, übrigens hielt ihn der Fürst in seiner Nähe, denn er wollte von ihm einen Bericht über seine Sendung nach der Sitsch.

Nachmittags tauchten von dem erhöhten Ufer der Sula die gewölbten Kuppeln der Kirchen von Lubnie, das glänzende Dach und die spitzen Türme der Michaels-Kathedrale auf. Das Heer zog langsam ein, und so verging die Zeit bis zum Abend. Der Fürst selbst begab sich sofort auf das Schloß, auf welchem nach vorausgesandtem Befehl alles marschbereit gehalten war. Die Fähnlein aber verteilten sich für die Nacht in der Stadt.


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