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2. Kapitel

Die Kurzewitsch' schliefen noch nicht: sie saßen beim Abendbrot in dem mit Waffen gefüllten Flur, der sich über die ganze Breite des Hauses hinzog von dem Maidan bis auf die andere Seite zum Garten. Als sie Bohun und Sagloba erblickten, sprangen sie erschrocken von ihren Plätzen auf. In den Zügen der Fürstin drückte sich nicht nur Erstaunen, sondern Mißmut und Schrecken zugleich aus. Von den jungen Prinzen waren nur zwei zugegen. Simeon und Mikolaj.

»Bohun,« rief die Fürstin, »was machst du hier?«

»Ich bin hergekommen, um Euch meinen Gruß zu bringen, Mutter. Wie, heißt Ihr mich nicht willkommen?«

»Willkommen, sehr willkommen, ich wundere mich nur, daß du in Tschechryn die Wache hältst. Und wen hat der liebe Herrgott da mit dir gebracht?«

»Das ist Herr Sagloba, ein Edelmann, mein Freund.«

»Seid uns willkommen,« sagte die Fürstin.

»Willkommen,« wiederholten Simeon und Mikolaj.

»Meine gnädige Frau,« sagte der Edelmann, »ein Gast zur Unzeit ist schlimmer, als ein Tatar, sagt das Sprichwort; aber man sagt ja auch: Wer in den Himmel kommen will, muß den Wanderer in sein Haus aufnehmen, den Hungrigen speisen, den Dürstenden tränken ...«

»So setzt Euch nieder, eßt und trinkt,« sagte die Fürstin. »Wir danken Euch, daß Ihr gekommen seid. Je nun, Bohun, ich hätte dich nicht erwartet, du hättest denn mit uns Wichtiges zu besprechen!«

»Kann wohl sein,« sagte der Kosakenführer langsam.

»Und was wäre das?« fragte die Fürstin beunruhigt.

»Wir sprechen zu gelegener Zeit davon. Laß mich ruhen. Ich komme schnurstracks von Tschechryn her.«

»Du hast es offenbar sehr eilig gehabt zu uns.«

»Und wohin sollte ich's eilig haben, wenn nicht zu Euch? Ist die Prinzessin wohl?«

»Sie ist wohl,« sagte die Fürstin trocken.

»Ich möchte meinen Augentrost auch sehen.«

»Helene schläft.«

»Das ist schade, denn ich werde nicht lange hierbleiben.«

»Und wohin reitest du?«

»Es ist Krieg, Mutter! Da gibt's wenig Zeit. Jeden Augenblick können die Hetmane ins Feld rücken, und es wird wehe tun, gegen die Saporogen zu kämpfen. Wie oft sind wir mit ihnen nach türkischem Gute ausgeritten – nicht wahr, Fürstin? – in die hohe See gegangen, wie oft haben wir Salz und Brot zusammen gegessen, getrunken und gescherzt, und jetzt sind wir ihnen feind.«

Die Fürstin sah Bohun scharf an; ihren Kopf durchfuhr der Gedanke, daß Bohun vielleicht die Absicht habe, sich der Rebellion anzuschließen, und hergekommen sei, um ihre Söhne auszuforschen.

»Und was gedenkst du zu tun?« fragte sie.

»Ich, Mutter? Nun, es ist gar schwer, gegen die Eigenen zu kämpfen, aber es muß sein.«

»Das werden auch wir tun,« sagte Simeon.

»Chmielnizki ist ein Verräter,« fügte der junge Mikolaj hinzu.

»Tod den Verrätern,« sagte Bohun.

»Hol' sie der Henker,« schloß Sagloba.

Bohun begann wieder zu sprechen:

»So ist's in der Welt, wer heute dein Freund ist, wird morgen an dir zum Judas. Man kann niemandem trauen in der Welt.«

»Nur den guten Menschen,« sagte die Fürstin.

»Gewiß, nur den guten Menschen kann man trauen, darum traue ich auch euch und liebe euch, denn ihr seid gute Menschen und keine Verräter ...«

Es lag etwas so Seltsames in der Stimme des Kosakenführers, daß eine Zeitlang tiefes Schweigen herrschte. Sagloba sah die Fürstin an und blinzelte mit seinem gesunden Auge, die Fürstin aber heftete ihren Blick auf Bohun.

Dieser fuhr fort:

»Der Krieg gibt nicht Leben, sondern Tod, darum wollte ich euch noch einmal sehen, bevor ich ins Feld rücke. Wer weiß, ob ich heimkehre, und ihr werdet mich beweinen, denn ihr seid meine herzlichen Freunde, nicht wahr?«

»So wahr mir Gott helfe. Wir kennen dich von klein auf.«

»Du bist unser Bruder,« fügte Simeon hinzu.

»Ihr seid Prinzen, ihr seid Edelleute, und ihr habt den Kosaken nicht verachtet, ihr habt ihn in euer Haus aufgenommen, habt ihm eure Verwandte versprochen, weil ihr wußtet, daß es für den Kosaken ohne sie kein Leben, kein Sein gibt. So habt ihr euch des Kosaken freundlich angenommen.«

»Wozu davon reden?« sagte die Fürstin hastig.

»Nein, Mutter, wir müssen davon reden, denn Ihr seid meine Wohltäter, und ich habe diesen Edelmann, meinen Freund, gebeten, mich als Sohn zu adoptieren und in sein Wappen aufzunehmen, damit es Euch keine Schmach sei, die Verwandte einem Kosaken zu geben. Herr Sagloba hat es mir versprochen, und wir beide werden um die Erlaubnis bei dem Reichsrat nachsuchen, und nach dem Kriege werde ich den Großhetman bitten, meine Sache zu fördern; er ist mir geneigt und hat doch auch die Nobilitation Krschetschowskis bewirkt.«

»Gott stehe dir bei,« sagte die Fürstin.

»Ihr seid redliche Menschen, – und ich danke euch, aber vor dem Kriege möchte ich noch einmal aus eurem Munde hören, daß ihr euer Wort halten werdet. Das Wort eines Edelmannes ist kein leerer Schall – und ihr seid Edelleute, ihr seid Prinzen.«

Der Kosakenführer sprach in langsamem, feierlichem Tone, aber durch seine Rede zitterte es wie eine Drohung, welche mahnte, allem zuzustimmen, was er verlangte.

Die alte Fürstin blickte ihre Söhne an, und diese schauten nach der Mutter. Es trat ein kurzes Schweigen ein. Plötzlich schrie der Blaufuß, welcher unter dem Wappen an der Wand saß, obwohl es zur Dämmerung noch weit war; bald ließen sich auch die anderen hören, der große Geier erwachte, schüttelte die Flügel und begann zu krächzen.

Die Holzscheite, die in den Kaminen brannten, erloschen. Im Zimmer wurde es dunkel und trübe.

»Mikolaj, schüre das Feuer,« sagte die Fürstin.

Der Prinz warf neues Holz in den Kamin.

»Wie, versprecht ihr mir's?« fragte Bohun.

»Wir müssen Helene fragen.«

»Sie spreche für sich, ihr für euch: versprecht ihr mir's?«

»Wir versprechen es,« sagte die Fürstin.

»Wir versprechen es,« wiederholten die Prinzen.

Bohun stand rasch auf, wandte sich zu Sagloba um und sagte mit deutlicher Stimme:

»Herr Sagloba, bitte doch auch du um das Mädchen, vielleicht versprechen sie es dir auch.«

»Was ist dir, Kosak, bist du betrunken?« rief die Fürstin.

Statt zu antworten, zog Bohun Skrzetuskis Briefe hervor, wandte sich an Sagloba und sagte:

»Lies!«

Sagloba nahm den Brief und begann zu lesen. Es herrschte dumpfes Schweigen.

Als er zu Ende war, kreuzte Bohun die Hände über die Brust.

»Wem also gebt ihr das Mädchen?« fragte er.

»Dem Bohun!«

Die Stimme des Kosakenführers klang jetzt wie das Zischen einer Schlange, als er schrie:

»Verräter, Schurken, Seelenfänger, Judasse! ...«

»He, meine Söhnchen, zieht die Schwerter,« schrie die Fürstin.

Die Kurzewitsch' sprangen blitzschnell auf die Wand zu und griffen nach den Waffen.

»Meine Herren, Ruhe!« rief Sagloba.

Aber er hatte noch nicht ausgesprochen, als Bohun eine Pistole aus dem Gurt zog und abdrückte.

»Jesus,« stöhnte Prinz Simeon, trat einen Schritt vor, fuhr mit der Hand durch die Luft und sank schwer getroffen zu Boden.

»Zu Hilfe! Knechte!« rief die Fürstin verzweifelt.

Aber in diesem Augenblick ertönten im Hofe von der Seite des Gartens her andere Schüsse, Türen und Fenster flogen mit Gepolter auf, und die Mannschaft stürzte in den Flur.

»Tod ihnen!« donnerten wilde Stimmen.

Auf dem Maidan erklang die Sturmglocke, die Vögel im Flur begannen zu kreischen; das Getöse der Schüsse und die wilden Rufe erfüllten das stille Haus.

Die Fürstin stürzte sich wie eine Wölfin heulend auf Simeons Körper, der in den letzten Zuckungen zitterte, aber bald wurde sie von zwei Leuten gefaßt, die sie an den Haaren auf die Seite zerrten, während sich der junge Mikolaj, in den Winkel des Flurs gedrängt, rasend und mit Löwenmut verteidigte.

»Zurück!« schrie Bohun plötzlich den ihm umgebenden Kosaken zu. »Zurück!« wiederholte er mit Donnerstimme.

Die Kosaken zogen sich zurück; sie glaubten, der Führer wolle dem Jüngling das Leben retten, aber Bohun stürzte sich, das Schwert in der Hand, selbst auf den Prinzen.

Es begann ein fürchterlicher Einzelkampf, welchem die Fürstin, von vier eisernen Händen an den Haaren gehalten, mit glühenden Augen und offenem Munde zusah. Der junge Prinz stürzte sich wie ein Orkan auf den Kosaken, der sich langsam zurückzog und ihn in die Mitte des Flurs lockte. Plötzlich kauerte er nieder, schlug den Streich mächtig zurück und ging von der Verteidigung zum Angriff über.

Die Kosaken hielten den Atem an, ließen die Schwerter sinken und standen wie angewurzelt da, mit den Augen den Fortgang des Kampfes verfolgend.

Einen Augenblick schien es, als würde der Kosakenführer der Riesenkraft und der Hartnäckigkeit des Jünglings erliegen, denn er begann sich wieder zurückzuziehen und wehrte sich nur.

Plötzlich sprang Bohun auf die Seite, der Streich des Prinzen schlug ins Leere, Mikolaj wankte von der Gewalt des Schlages und neigte sich nach vorn, und in diesem Augenblicke hieb der Kosak ihn so entsetzlich in den Nacken, daß der Prinz wie vom Blitze getroffen hinstürzte.

Die Freudenrufe der Kosaken vermischten sich mit dem unmenschlichen Schrei der Fürstin. Es war, als sollte die Zimmerdecke von dem Lärme bersten. Der Kampf war beendet, die Kosaken stürzten auf die Waffen los, die an den Wänden hingen, und begannen sie herunterzureißen, indem einer dem anderen die kostbaren Stücke aus der Hand riß, über die Leichen der Prinzen und der eigenen Genossen fortschreitend, die von Mikolajs Hand gefallen waren. Bohun ließ alles geschehen. Er stand, vor Mattigkeit schwer atmend, in der Tür, welche zu Helenens Zimmer führte, und versperrte den Weg zu ihr. Sein Gesicht war blaß und blutig, denn der Prinz hatte zweimal sein Haupt getroffen. Sein irrender Blick ging von Mikolajs Leiche zu Simeons, bisweilen fiel er auf das entfärbte Gesicht der Fürstin, welche die Kosaken an den Haaren hielten und mit den Knieen zu Boden drückten, da sie sich ihren Händen entwinden wollte, um sich auf die Leichname ihrer Kinder zu stürzen.

Plötzlich öffnete sich die Tür, in welcher Bohun stand, angelweit. Der Kosakenführer wandte sich um und trat plötzlich einen Schritt zurück.

In der Tür erschien der blinde Wassili, mit ihm Helene in einem weißen Nachtgewande, selbst so weiß wie ihr Gewand, mit erschrockenen Blicken und offenem Munde.

Wassili hielt ein Kreuz in beiden Händen. In der Verwirrung, die im Flur herrschte, angesichts der Leichen, des vergossenen Blutes, das in Pfützen am Boden stand, bei dem Leuchten der gezückten Schwerter und der glühenden Blicke sah diese hohe, abgemagerte Gestalt mit dem ergrauten Haar und den dunklen Augenhöhlen wundersam feierlich aus, als wäre ein Geist, ein Abgeschiedener aufgestanden, als hätte er sein Leichentuch abgelegt und wäre gekommen, ein Verbrechen zu sühnen.

Die Rufe verstummten, die Kosaken zogen sich erschrocken zurück, durch die Stille tönte die ruhige, aber schmerzliche und klagende Stimme des Prinzen:

»Im Namen des Vaters und des Erlösers und des heiligen Geistes und der heiligen Jungfrau! Ihr Männer, die ihr herkommt aus fernen Landen, kommt ihr im Namen Gottes? Denn gesegnet ist, der da kommt im Namen des Herrn. Und bringt ihr eine gute Nachricht? Seid ihr Apostel?«

Totenstille herrschte nach Wassilis Worten, er aber wandte sich langsam mit dem Kreuz nach der einen, dann nach der anderen Seite und fuhr fort:

»Wehe euch, denn die da Krieg führen um des Gewinstes oder der Rache willen, sollen verdammt sein in Ewigkeit ... laßt uns beten, damit wir Gnade erlangen. Wehe euch, Brüder, wehe mir! O, o, o!«

Der Brust des Prinzen entrang sich ein schwerer Seufzer.

»Gott sei uns gnädig,« sagten die Kosaken mit dumpfer Stimme. Sie standen unter der Einwirkung eines unbeschreiblichen Schreckens und begannen entsetzt sich zu bekreuzigen.

Plötzlich ertönte ein wilder Schrei aus dem Munde der Fürstin:

»Wassili! Wassili!«

In ihrer Stimme lag etwas so Herzzerreißendes, als wäre es der letzte Ton entfliehenden Lebens. Die Kosaken, die sie mit ihren Knieen niederhielten, fühlten jetzt, daß sie nicht mehr die Kraft haben würde, sich ihren Händen zu entreißen.

Der Prinz erbebte, bald aber schützte er sich mit dem Kreuze von der Seite, von welcher die Stimme kam, und antwortete:

»Verfluchte Seele, die aus der Tiefe ruft, wehe dir!«

»Gott sei uns gnädig,« wiederholten die Kosaken.

»Zu mir her, Leute!« rief Bohun in diesem Augenblick und schwankte.

Die Kosaken sprangen hinzu und stützten ihn.

»Seid Ihr verwundet, Herr?«

»Ja, aber es ist nichts; ich habe nur etwas Blut verloren. He, Leute, dieses Mädchen schützt mir wie den Augapfel, das Haus umstellen, niemand herauslassen ... Fräulein ...«

Er konnte nicht weiter sprechen, seine Lippen entfärbten sich, um seine Augen legte sich ein Nebel.

»Den Attaman in ein Zimmer tragen!« rief Sagloba, der jetzt aus irgend einem Winkel hervorgekrochen kam und unerwartet in Bohuns Nähe auftauchte.

»Es ist nichts, es ist nichts,« sagte er, nachdem er die Wunden Bohuns mit dem Finger betastet hatte, »morgen wird er gesund sein, ich will mich ihm widmen. Knetet mir Brot mit Spinnengewebe. Ihr Burschen geht zum Teufel, macht euch lustig mit den Mägden, denn hier seid ihr nicht nötig; zwei mögen den Attaman tragen, nehmt ihn auf. So, so. So geht doch schon, zum Teufel, was steht ihr? Das Haus bewachen – ich werde selbst nachsehen.«

Zwei Leute nahmen Bohun auf und trugen ihn in das benachbarte Zimmer, die übrigen verließen den Flur.

Sagloba trat zu Helene heran, blinzelte stark mit dem Auge und sagte schnell und leise:

»Ich bin ein Freund Skrzetuskis, fürchte nichts, bringe nur deinen Propheten zur Ruhe und erwarte mich.«

Bei diesen Worten ging er in das Zimmer, in welchem die beiden Esauls Bohun auf ein türkisches Sofa niedergelegt hatten. Er schickte sie bald nach Brot und Spinnengewebe, und als man das aus dem Gesindezimmer brachte, beschäftigte er sich um den jungen Attaman mit der ganzen Geschicklichkeit, welche damals jeder Edelmann besaß, und die er sich aneignete, wenn er die in Duellen oder auf den Landtagen zerschlagenen Köpfe zusammenflickte.

»Und sagt auch den Leuten,« sprach er weiter zu den Esauls, »daß der Attaman morgen gesund sein wird wie ein Fisch, und daß sie sich um ihn nicht kümmern sollen.«

Die Esauls gingen zur Tür.

»Und trinkt mir nicht den ganzen Keller leer,« sagte Sagloba noch.

Dann setzte er sich zu Häupten des Führers nieder und sah ihm aufmerksam ins Gesicht.

»Nun, der Teufel wird dich nicht holen von diesen Wunden, obgleich du's tüchtig abbekommen hast. Zwei Tage wirst du weder Hand noch Fuß rühren können,« brummte er vor sich hin, indem er das blasse Gesicht und die geschlossenen Augen des Kosaken ansah. – »Nein, Brüderchen, du trinkst gut, aber mit mir wirst du nicht länger trinken. Such' dir deine Gesellschaft unter den Krebsfischern, denn ich sehe, du würgst gern; aber ich denke nicht daran, mit dir zu nachtschlafender Zeit die Höfe des Adels zu überfallen. Leuchte dir der Henker heim, leucht' er dir heim.«

Bohun seufzte.

»O, seufze, stöhne nur, morgen wirst du besser stöhnen. Warte nur, Tatarenseele, das Fräulein möchtest du gern? Bah, ich wundere mich nicht, das Mädchen ist süß wie Zucker, aber wenn du ihn kostest, so sollen die Hunde meinen Witz fressen. Eher wachsen mir Haare in der flachen Hand ...«

Ein Gewirr von Stimmen schlug von dem Maidan an Saglobas Ohr.

»Aha, sie haben gewiß schon den Weg zum Keller gefunden,« brummte er. »O, trinkt euch nur voll wie Schwämme, dann werdet ihr gut schlafen, ich will schon für euch alle wachen, wenn ich auch nicht weiß, ob ihr euch morgen darüber freuen werdet.«

Er stand auf, um nachzusehen, ob die Kosaken wirklich schon mit dem Keller der Fürstin Bekanntschaft gemacht hätten, und ging hinaus in den Flur. Hier sah es fürchterlich aus. Mitten im Flure lagen die bereits erstarrten Leichname Simeons und Mikolajs, und im Winkel die Leiche der Fürstin in sitzender, zusammengekauerter Gestalt, so wie sie die Kniee der Kosaken an die Wand gedrückt hatten. Ihre Augen standen offen, ihre Zähne starrten zwischen den Lippen hervor. Das Feuer, welches in den Gruben brannte, erfüllte den ganzen Flur mit einem nebelhaften Licht, welches in den Blutpfützen zitterte; im Hintergrunde des Flurs lagerte Dunkelheit. Sagloba näherte sich der Fürstin, um nachzusehen, ob sie nicht noch atme; er legte ihr die Hände aufs Gesicht, aber es war schon kalt; er ging also eilig auf den Maidan hinaus, denn der Schrecken jagte ihn von hinnen. Auf dem Maidan hatten die Kosaken das Gelage bereits begonnen. Die Feuer waren angezündet, und in ihrem Scheine erblickte Sagloba Tonnen von Met, Wein und Schnaps, denen die oberen Deckel ausgeschlagen waren. Die Kosaken schöpften aus den Tonnen wie aus einem Brunnen und tranken ohne Ende. Rings um das Feuer im Hintergrunde sah man die Bauern von Roslogi stehen, welche bei dem Widerhall der Schüsse und dem Geschrei in hellen Haufen vom Dorfe hergekommen waren, um zu sehen, was vorgehe. Sie dachten nicht daran, die Prinzen zu beschützen, denn die Kurzewitsch' waren im Dorfe gehaßt; sie sahen nur dem zügellosen Treiben der Kosaken zu, stießen sich mit dem Ellenbogen an, flüsterten einander zu und kamen immer mehr an die Tonnen mit Schnaps und Met heran. Die Orgie wurde immer lärmender, die Trunkenheit wuchs, die Kosaken schöpften aus den Tonnen nicht mit den blechernen Bechern, sondern steckten ihre Köpfe bis an den Hals hinein und begossen die tanzenden Mädchen mit Schnaps und Met, die Gesichter glühten, die Köpfe dampften förmlich vor Hitze, die meisten hielten sich kaum auf den Beinen. Sagloba, der auf den Gang hinausgetreten war, ließ seine Blicke über die Trunkenen hinschweifen, dann blickte er aufmerksam gen Himmel.

»Das Wetter ist schön, aber dunkel,« brummte er. »Wenn der Mond untergeht, sind sie wie tot.«

Bei diesen Worten ging er langsam auf die Tonnen und die trinkenden Kosaken zu.

»Nur zu, Jungen,« rief er, »nur zu, tut euch gütlich. Heidi! Heidi! Die Zähne werden euch nicht stumpf werden. Ein Narr, wer sich heute nicht betrinkt auf das Wohl des Attamans. Frisch zu den Tonnen, frisch zu den Mädchen! Uha!«

»Uha!« heulten die Kosaken freudig.

Sagloba sah sich nach allen Seiten um.

»O, solche Geizhammel, solche Neidharte seid ihr,« schrie er plötzlich, »daß ihr selbst trinkt, wie abgetrabte Pferde, und denen, die dort Wache halten beim Hause, nichts gebt? He dort, man soll sie bald ablösen!«

Der Befehl wurde unverzüglich vollführt, und in einem Augenblicke stürzten etliche betrunkene Kosaken hin, um die Wächter zu ersetzen, die bisher an dem Gelage keinen Teil genommen hatten. Diese eilten schnell mit leicht begreiflicher Hast herbei.

»Heidi! Heidi!« schrie Sagloba und zeigte auf die Tonnen mit Getränk hin.

»Wir danken, Herr,« antworteten sie, die Becher in den Trank versenkend.

»In einer Stunde soll man mir die anderen ablösen!«

»Zu Befehl!« antwortete der Esaul.

Den Mannschaften erschien es vollkommen natürlich, daß in Vertretung Bohuns Sagloba das Kommando übernommen hatte; das war schon öfter geschehen, und die Kosaken sahen es nicht ungern, denn der Edelmann gestattete ihnen alles.

Die Wächter tranken also mit den anderen – Sagloba aber begann ein Gespräch mit den Bauern aus Roslogi.

»Bauer,« fragte er einen alten Kolonisten, »ist's weit von hier nach Lubnie?«

»O, weit, Herr,« antwortete der Bauer.

»Könnte man am Morgen dort sein?«

»O nein, Herr.«

»Aber zu Mittag?«

»Zu Mittag wohl, Herr.«

»Und wo geht der Weg nach Lubnie?«

»Gerade auf die Heerstraße zu.«

»Ist das die Heerstraße?«

»Fürst Jarema Jarema = Jeremias Wischniowiezki. hat befohlen, daß dies die Straße sei, und so ist sie es auch.«

Sagloba sprach absichtlich sehr laut, damit durch das Geschrei und den Lärm ein paar von seinen Leuten ihn hören konnten.

»Gebt auch ihnen Schnaps,« sagte er zu den Kosaken, auf die Bauern hinweisend, »aber erst gebt mir Met, denn es ist kühl.«

Einer von den Leuten schöpfte aus einer Tonne in einen Blechtopf Doppelten und reichte ihn auf der Mütze Herrn Sagloba.

Der Edelmann nahm ihn vorsichtig in beide Hände, damit der Trank nicht herauslaufe, setzte das Töpfchen an den Schnurrbart, neigte sich nach hinten und trank langsam, aber ohne abzusetzen.

Er trank und trank – und die Kosaken staunten.

»Seht Ihr,« flüsterte einer zum anderen, »das ist ein Mordskerl.«

Indessen sank Saglobas Kopf langsam nach hinten, endlich neigte er sich vollkommen zurück, bis er das Töpfchen von dem roten Gesichte nahm, die Lippe vorstreckte, die Augenbrauen hob, und wie zu sich selber sprach:

»O, nicht übel, trefflich. Man sieht bald, er ist gut. Schade um solchen Met für eure Kaffernhälse, für euch wäre auch Fusel gut genug. Ein starker Met, sehr stark, ich fühle, daß er mir wohlgetan hat, und daß er mich heiter stimmt.«

In der Tat hatte der Met Sagloba wohlgetan, es wurde ihm klarer im Kopfe, er faßte Mut, und es war offenbar, daß sein Blut, mit Met vermischt, die treffliche Flüssigkeit gebildet hatte, wie er selbst zu sagen pflegte, welche den ganzen Körper mit Mut und Entschlossenheit durchdringt. Er winkte also mit der Hand, daß sie weiter trinken könnten, wandte sich um und ging mit langsamen Schritten durch den Hof, sah aufmerksam in alle Ecken, schritt über die Brücke am Graben und bog bei dem Räderwerk ein, um zu sehen, ob die Posten das Haus gut bewachten.

Der erste Wächter schlief, der zweite, dritte und vierte ebenfalls. Sie waren ermattet vom Wege, und waren betrunken an ihre Plätze gekommen und sofort eingeschlafen.

»Ich könnte hier noch einen stehlen, um einen Burschen zu meinen Diensten zu haben,« murmelte Herr Sagloba.

Er kehrte auf dem kürzesten Wege in den Hof zurück, ging wieder in den unheilvollen Flur, sah sich nach Bohun um, und da er bemerkte, daß er kein Lebenszeichen von sich gab, zog er sich nach Helenens Tür zurück, öffnete sie leise und trat in das Zimmer, von welchem ein Summen herkam, wie beim Gebet.

Eigentlich war das Wassilis Zimmer; Helene befand sich aber bei dem Prinzen, in dessen Nähe sie sich sicher fühlte. Der blinde Wassili kniete vor dem Bilde der heiligen Jungfrau, vor dem ein Lämpchen brannte, Helene neben ihm; beide beteten laut. Als sie Sagloba erblickte, wandte sie ihre erschreckten Augen ihm zu. Sagloba legte den Finger an den Mund.

»Gnädiges Fräulein,« sagte er, »ich bin ein Freund des Herrn Skrzetuski.«

»Rettung!« flehte Helene.

»Dazu bin ich hergekommen, verlaßt Euch auf mich.«

»Was soll ich tun?« fragte das Mädchen.

»Entfliehen, ehe dieser Teufel zur Besinnung kommt.«

»Was soll ich tun?«

»Legt Männerkleidung an, und wenn ich an die Tür klopfe, kommt heraus.«

Helene schwankte. In ihren Zügen malte sich Mißtrauen.

»Darf ich Euch trauen?«

»Wißt Ihr besseren Rat?«

»Wahr, wohl war, aber schwört mir, daß Ihr mich nicht verratet.«

»Fräulein, Ihr habt den Verstand verloren, aber wenn Ihr wollt, schwöre ich. So helfe mir Gott und das heilige Kreuz. Hier Euer Untergang, Rettung in der Flucht.«

»Ja, so ist's.«

»So legt so schnell wie möglich Männerkleidung an und wartet.«

»Und Wassili?«

»Welcher Wassili?«

»Mein umnachteter Bruder,« sagte Helene.

»Dir droht Verderben, nicht ihm,« antwortete Sagloba. »Wenn er umnachtet ist, so ist er den Kosaken heilig; habe ich doch gesehen, daß sie ihn für einen Propheten halten.«

»Ja, so ist's, er hat an Bohun nichts verschuldet.«

»Wir müssen ihn hier lassen, sonst gehen wir zugrunde – und Herr Skrzetuski mit uns. Eilt, Fräulein.«

Mit diesen Worten verließ Sagloba das Zimmer und begab sich zu Bohun.

Der Kosakenführer war blaß und entkräftet, aber er hielt die Augen offen.

Bohun wollte sprechen, aber er konnte nicht.

»Kannst du nicht sprechen?«

Bohun bewegte den Kopf, um anzudeuten, daß er nicht sprechen könne, aber in demselben Augenblick prägte sich Leiden in seinen Zügen aus, die Wunden schmerzten offenbar von der Bewegung.

»So könntest du auch nicht schreien?«

Bohun deutete nur mit den Augen an, daß er es nicht könne.

»Auch dich nicht bewegen?«

Wieder machte Bohun dasselbe Zeichen.

»Desto besser, so wirst du weder sprechen noch schreien, noch dich bewegen können, während ich mit der jungen Prinzessin nach Lubnie reise. Wenn ich sie dir nicht vor der Nase weghole, so soll mich ein altes Weib in der Mühle zu Streusel zermahlen. Wie, du Schuft, denkst du, ich hätte deine Gesellschaft nicht satt, ich würde mich noch länger mit dem Pöbel gemein machen?«

Je eifriger Sagloba sprach, um so weiter öffneten sich die schwarzen Augen des Kosakenführers. Träumte er, wachte er, war es ein Scherz Saglobas? Sagloba aber sprach weiter:

»Was sperrst du so die Glotzaugen auf, wie der Kater im Dunkeln? Glaubst du, ich würde das nicht tun? Vielleicht hast du in Lubnie jemanden zu grüßen, vielleicht soll ich dir einen Feldscher von dort schicken, vielleicht auch den Strick für dich bei dem Fürsten bestellen?«

Bohuns blasses Gesicht nahm einen fürchterlichen Ausdruck an; er begriff, daß Sagloba die Wahrheit redete; aus seinen Augen sprühten Blitze der Verzweiflung und Wut, sein Gesicht übergoß feurige Röte. Eine übermenschliche Anstrengung – er erhob sich, und seinen Lippen entfuhr ein Schrei:

»He, Leute ...«

Er konnte nicht weiter rufen, denn Sagloba hatte ihm mit Blitzesschnelle seinen eigenen Rock über den Kopf geworfen, und ihn in einem Augenblick ganz damit umwickelt – dann warf er ihn auf den Rücken.

»Schreie nicht, denn das wird dir schaden,« sagte er leise und keuchend. »Morgen könnte dir der Kopf wehe tun, und ich, als dein guter Freund, bin um dich besorgt. So, so wird dir warm sein, du wirst vortrefflich schlafen und dich nicht überschreien. Damit du aber die Binde nicht abreißest, will ich dir die Hände verbinden, und alles per amicitiam, damit du meiner dankbar gedenkst.«

Bei diesen Worten umband er die Hand des Kosaken mit dem Gurt und zog den Knoten fest zu, mit einem anderen, seinem eigenen Gurt, band er ihm die Füße. Der Kosakenführer fühlte nichts mehr, er war ohnmächtig.

»Ein Kranker muß ruhig liegen,« sprach er, »damit ihm das Blut nicht zu Kopfe steige und ein Delirium eintrete. Nun lebe wohl, ich könnte dich mit einem Dolche niederstoßen, und das wäre wohl das Beste für dich, aber ich schäme mich, wie ein Bauer zu morden. Anders, wenn du bis zum Morgen verreckst, das ist schon manchem Schwein geschehen.«

Nach diesen Worten ging Sagloba in den Flur, löschte das Feuer in den Gruben aus und klopfte an Wassilis Zimmer.

Eine schlanke Gestalt trat heraus.

»Seid Ihr es, Fräulein?« fragte Sagloba.

»Ich bin es.«

»So kommt, daß wir nur zu den Pferden gelangen; dort ist alles betrunken, und die Nacht ist finster; ehe sie erwachen, werden wir weit sein. Vorsichtig, hier liegen die Prinzen!«

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes,« flüsterte Helene.


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