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8. Kapitel

Nach einem neuntägigen Marsche, dessen Xenophon Maskiewitsch wurde, und einer dreitägigen Überfahrt über die Dessna gelangte das Heer endlich nach Tschernigow. Allen voraus zog Skrzetuski mit den Walachen, der Fürst hatte ihn absichtlich zur Besetzung der Stadt kommandiert, damit er sich um so früher nach der Prinzessin und Sagloba erkundigen könne. Aber auch hier, wie in Lubnie, hatte weder in der Stadt noch im Schlosse irgend jemand etwas von ihnen gehört, sie waren spurlos verschwunden, und der Ritter wußte nun selbst nicht mehr, was er davon denken sollte. Es blieb nur die eine Vermutung, daß sie über den Dniepr gesetzt waren, und in diesem Falle hätten sie sich plötzlich mitten im Aufruhr befunden. Skrzetuski ging sogar der entsetzliche Verdacht durch den Sinn, daß Sagloba vielleicht sie absichtlich nach jener Seite entführt hatte, um sie dem Tuhaj-Bey zu verkaufen, der ihm reichlicher lohnte, als Bohun – und dieser Gedanke versetzte ihn fast in Raserei; aber Longinus beruhigte ihn wirksam in dieser Hinsicht, er kannte Sagloba länger, als Skrzetuski.

Der Fürst war indessen nach Lubetz am Dniepr gekommen und ließ dort das Heer Rast halten, er selbst aber fuhr mit dem fürstlichen Hof und den Lastwagen nach Brahin, das mitten in Wäldern und undurchdringlichen Sümpfen lag. Eine Woche später setzte auch das Heer über den Fluß. Dann zog man nach Babitza bei Mozyr, und hier am Fronleichnamsfeste schlug die Stunde der Trennung, denn die Fürstin sollte mit dem Hofe nach Turowize zu ihrer Tante, der Frau Wojewodin von Wilna reisen, der Fürst mit dem Heere nach der Ukraine ins Feuer.

Bei dem letzten Mahle, dem Abschiedsmahle, waren der Fürst und die Fürstin, die Hofdamen und die vornehmste Gesellschaft versammelt, aber in den Scharen der Fräuleins und der Kavaliere herrschte nicht die gewohnte Heiterkeit, denn so manches Soldatenherz blutete bei dem Gedanken, daß man noch in dieser Stunde die Auserwählte würde verlassen müssen, für die man gern leben, kämpfen und sterben wollte; so manches helle und dunkle Mädchenauge wurde durch Tränen des Leides getrübt, weil der Geliebte jetzt in den Krieg mitten unter Kugelregen und Schwerter, unter Kosaken und wilde Tataren ziehen mußte und vielleicht nicht wiederkehrte ...

Daher weinten auch, als der Fürst das Wort ergriff, um von seiner Gattin und dem Hofe Abschied zu nehmen, die jungen Fräuleins kläglich, eine um die andere, die Ritter aber, kräftigen Mutes, erhoben sich von ihren Plätzen, griffen an ihre Schwerter und riefen:

»Wir werden siegen und heimkehren!«

»Helfe euch Gott,« antwortete die Fürstin.

»Es lebe die Fürstin! Es lebe unsere Mutter und Wohltäterin!«

»Sie lebe! Sie lebe!«

Die Soldaten liebten auch sie wegen ihrer Freundlichkeit gegen die Ritterschaft, wegen ihres Großmuts, ihrer Freigebigkeit und ihrer Milde, und wegen der Sorge um ihre Familien. Fürst Jeremias liebte sie über alles, denn sie waren zwei Naturen, wie für einander geschaffen, einander ähnlich wie zwei Tropfen Wasser, beide aus Gold und Erz gegossen.

So trat ein jeder auf die Fürstin zu, kniete mit dem Becher vor ihrem Stuhle nieder, und sie nahm eines jeden Kopf in ihre Hand und sprach jedem freundliche Worte zu. Zu Skrzetuski sagte sie:

»So mancher Ritter wird jetzt ein Skapulier oder ein Band zum Abschied bekommen, und da diejenige nicht hier ist, von welcher Ihr am sehnlichsten ein Andenken wünscht, so empfanget es von mir, wie von einer Mutter.«

Bei diesen Worten nahm sie ein goldenes, mit Türkisen besetztes Kreuz und hing es um den Hals des Ritters, der ihre Hände ehrerbietig küßte.

Auch der Fürst war, wie man ihm ansehen konnte, befriedigt von dem, was Skrzetuski begegnet war, denn in letzter Zeit hatte er ihn noch mehr liebgewonnen, weil er die Würde des Fürsten auf seiner Gesandtschaft nach der Sitsch hochgehalten und die Briefe von Chmielnizki nicht hatte annehmen wollen.

Inzwischen war man vom Tische aufgestanden, die Fräuleins, die flugs die Worte, welche die Fürstin zu Skrzetuski gesprochen hatte, auffingen und sie als Zustimmung und Erlaubnis ansahen, begannen denn sogleich auch die eine ein Skapulier, die andere eine Schärpe, jene ein Kreuzchen hervorzuziehen – und als die Ritter dieses sahen, traten sie bald ein jeder auf seine, wenn auch nicht Auserwählte, so doch wenigstens Liebste, zu, Poniatowski zu Fräulein Schytyaski, Bichowiez zu Fräulein Bengowityn, die er in letzter Zeit liebgewonnen hatte, Rostworowski zu Fräulein Suckow, der rote Wierschul zu Fräulein Skoropazka, der Oberst Machnizki, der nicht mehr jung war, zu Fräulein Sawiejska, nur Ännchen Borschobohata Krasienski, obwohl sie die Schönste von allen war, stand allein und verlassen am Fenster. Ihr Antlitz übergoß sich mit Röte, ihre Äuglein blickten unter den herabgelassenen Wimpern hervor, halb zornig, halb bittend, daß man ihr diese Beschämung nicht antue, dann näherte sich ihr der Verräter Wolodyjowski und sagte:

»Auch ich, Fräulein Anna, wollte um ein Andenken bitten, aber ich habe auf diesen Wunsch verzichtet, weil ich glaubte, daß es mir bei dem großen Andrange nicht gelingen würde, heranzukommen.«

Ännchens Wangen erglühten noch feuriger, sie antwortete jedoch, ohne einen Augenblick nachzudenken:

»Aus anderen Händen, nicht aus meinen, wolltet Ihr ein Andenken, aber Ihr bekommt es nicht, denn wenn es dort für Euch auch nicht zu eng ist, so ist's doch zu hoch.«

Der Streich war gut gezielt und doppelt empfindlich, denn erstens enthielt er eine Anspielung auf die kleine Figur des Ritters, und zweitens auf seine Liebe zu der jungen Fürstin Barbara Sbaraski. Wolodyjowski hatte erst die ältere, Anna, geliebt, und als diese verlobt war, hatte er seinen Schmerz niedergekämpft, im stillen sein Herz Barbara dargebracht und geglaubt, daß dies niemand merke, daher war er auch, als er das von Ännchen hörte, obwohl sonst mit Schwert und Wort ein Kämpe ohne Furcht und Tadel, so verwirrt, daß ihm der Mund den Dienst versagte, und er nur stottern konnte:

»Auch Ihr, Fräulein, wollt hoch hinaus, gerade so hoch wie der Kopf des Herrn ... Longinus ...«

»In der Tat überragt er Euch im Krieg wie in der Höflichkeit,« erwiderte das Mädchen gefaßt, »ich danke Euch, daß Ihr mich an ihn erinnert habt. Recht so!«

Bei diesen Worten wandte sie sich an den Litauer:

»Kommt nur näher, mein Herr, auch ich will meinen Ritter haben, und ich weiß nicht, ob ich eine tapferere Brust mit dieser Schärpe schmücken könnte.«

Longinus sperrte die Augen auf, als traute er sich selber nicht, ob er gut gehört habe, dann stürzte er auf die Kniee, daß der Fußboden knarrte:

»Meine Wohltäterin! Meine Wohltäterin!«

Ännchen warf ihm die Schärpe um, und dann verschwand ihr kleines Händchen ganz unter dem blonden Schnurrbart des Herrn Longinus, nur ein Schnalzen und Murmeln wurde hörbar, und als Wolodyjowski es vernahm, sagte er zu dem Leutnant Migurski:

»Man möchte schwören, daß ein Bär die Bienen verscheucht und den Honig ausißt.«

Dann ging er wütend davon, denn er fühlte den Stachel in seiner Brust, und er hatte doch Ännchen seinerzeit geliebt.

Aber schon hatte der Fürst von der Fürstin Abschied genommen, – und eine Stunde darauf zog der Hof nach Turowize, das Heer nach dem Pripet zu.

Vier Tage lang setzte das Heer über den Pripet, und von da ab mußte man fast täglich Flüsse und Bäche überschreiten, die den aufgeweichten Boden durchströmten. Und nirgends eine Brücke, das ganze Volk auf Kähnen und Schaluppen. Nach einigen Tagen begannen die Nebel und Regengüsse. Die Mannschaften nahmen die letzte Kraft zusammen, um endlich aus dieser gottverfluchten Gegend zu kommen. Und der Fürst eilte und jagte vorwärts. Er ließ ganze Wälder umhauen, Stege aus runden Baumstämmen machen und ging allen voran. Da die Mannschaft sah, wie er selbst seine Kräfte nicht schonte, wie er vom Morgen bis zur späten Nacht zu Rosse saß, das Heer leitete, den Marsch führte und alles persönlich dirigierte – wagte sie nicht zu murren, obgleich die Mühen fast über ihre Kräfte gingen. Vom Morgen bis zur späten Nacht in Sumpf und Feuchtigkeit liegen, das war das gemeinsame Schicksal aller. Den Pferden begann die Hornhaut von den Hufen abzufallen, – viele sanken vor ihren Kanonen nieder, so daß die Fußsoldaten und die Dragoner Wolodyjowskis selbst die Kanonen ziehen mußten. Die vornehmsten Regimenter, sowohl die Husaren Skrzetuskis, Sazwilichowskis, als auch die gepanzerte Reiterei, griffen zu den Äxten, um die Wege zu überbrücken. Es war dies der berühmte Zug in Kälte, Wasser und Entbehrungen, bei welchem der Wille des Führers und der Eifer der Soldaten alle Hindernisse überwand. Noch niemand hatte bisher gewagt, im Frühling, wenn die Wasser die Ufer überfluteten, diesen Weg mit einem Heere zu machen. Zum Glück wurde der Marsch auch nicht ein einziges Mal durch einen Überfall unterbrochen. Das Volk in diesen Länderstrichen, still und ruhig, dachte nicht an Empörung und wollte auch später noch, als es von den Kosaken aufgereizt und durch ihr Beispiel angeregt wurde, sich nicht zu ihren Fahnen schlagen. So blickte es auch jetzt mit träumerischen Augen auf die vorüberziehenden Scharen der Ritter, die aus den Wäldern und Sümpfen wie zauberhaft hervortauchten und wie ein Schatten vorüberhuschten; es stellte Führer und tat still und gehorsam alles, was man von ihm verlangte.

Da der Fürst das sah, hielt er streng jede Ausschreitung der Soldaten im Zügel, so daß dem Heere keine Seufzer, Flüche und Klagen nachfolgten, und wenn nach dem Durchzug der Heere in einem ruhigen Dörfchen das Gerücht Raum gewann, daß Fürst Jarema vorübergezogen sei, schüttelten die Leute die Köpfe, und sagten leise zu einander: »er ist gut!«

Endlich, nach zwanzigtägigen übermenschlichen Mühen und Anstrengungen gelangten die fürstlichen Heere in das rebellische Land. »Jarema kommt! Jarema kommt!« erscholl es durch die ganze Ukraine bis weithin über die wilden Felder nach Tschechryn und Jehorlik. »Jarema kommt!« erscholl es durch Städte, Dörfer, Waldflecken und Wiesen, und bei dieser Nachricht entfielen die Sensen, Heugabeln und Messer den Händen der Bauern, ihre Gesichter wurden bleich, die zügellosen Banden schlichen sich in der Nacht fort nach dem Süden wie die Herden der Wölfe bei dem Widerhall des Jagdhornes; der Tatar, der raubend am Wege lag, sprang vom Pferde und legte sein Ohr horchend an den Boden; in den Schlössern und Schlößchen, die noch nicht überwunden waren, wurden die Glocken geläutet und das Tedeum gesungen.

Und der drohende Löwe legte sich an der Schwelle des empörten Landes nieder und ruhte aus.

Er sammelte Kräfte.


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