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11. Kapitel

Einen Tag später, als die Heere in Kilzow Halt machten, rief der Fürst Skrzetuski zu sich und sagte zu ihm:

»Unsere Streitkräfte sind schwach und ermattet, Krschywonos aber hat sechzigtausend Mann und wächst von Tag zu Tag an Macht, denn das Bauernvolk strömt ihm zu. Auf den Wojewoden von Kijew kann ich nicht zählen, denn im Grunde seiner Seele gehört auch er der Friedenspartei an, und wenn er auch mit mir geht, geht er doch nur ungern. Wir müssen von irgend einer Seite Verstärkungen zu erhalten suchen. Und nun erfahre ich, daß unweit Konstantinow zwei Hauptleute stehen: Oschinski mit der königlichen Garde, und Koschyzki. Nimm zur Sicherheit hundert von meinen Leibmannschaften, gehe zu ihnen, bringe ihnen meinen Befehl, sie möchten eilen und unverzüglich zu mir kommen, denn in wenigen Tagen will ich Krschywonos angreifen. Niemand besorgt meine Aufträge besser als du; darum sende ich dich – denn die Sache ist von größter Wichtigkeit.«

Skrzetuski verneigte sich und brach noch an demselben Abend bei Einbruch der Dunkelheit nach Konstantinow auf. Er marschierte so geräuschlos wie möglich und erreichte in der Morgendämmerung Wisowati-Staw, wo er auf beide Hauptleute stieß und bei ihrem Anblick eine rechte Herzensfreude empfand.

Zum Unglück gaben beide Hauptleute eine abschlägige Antwort, denn beide gehörten zum Kommando des Fürsten Dominik Saslawski und hatten ausdrücklichen Befehl, sich nicht mit Wischniowiezki zu verbinden.

Vergeblich setzte ihnen Skrzetuski auseinander, welchen Ruhm sie unter der Führung eines solchen Feldherrn erringen, und welche Verdienste sie sich um das Vaterland erwerben könnten – sie ließen sich nicht überreden und meinten, Subordination sei für Soldatenvolk das erste Gesetz und die erste Pflicht. Skrzetuski reiste also schwer bekümmert ab, denn er wußte, wie schmerzlich dem Fürsten diese Enttäuschung sein würde, und wie sehr seine Regimenter ermattet und erschöpft waren durch die Märsche, durch die mit dem Feinde bestandenen Kämpfe, durch die Aufreibung der einzelnen Banden, und endlich durch das ununterbrochene Wachen, den Hunger und die Strapazen.

Mit solchen Gedanken beschäftigt, kehrte Skrzetuski an der Spitze seiner Leute zu dem Fürsten zurück. Er mußte still, vorsichtig, und nur in der Nacht gehen, um Krschywonos' Vorposten zu vermeiden, sowie die zahlreichen losen Banden, die aus Kosaken und Bauernvolk bestanden und bisweilen sehr stark waren. So durchzog er Baklai und kam in die dichten Uschynskischen Wälder, die voll gefährlicher Schluchten und Klüfte waren; zum Glück war ihm nach den jüngsten Regenschauern das schöne Wetter auf der Reise günstig. Die Julinacht war herrlich, ohne Mond, aber von Sternen erleuchtet. Seine Leute gingen auf dem schmalen Waldpfad, von den Forstleuten, sicheren Leuten, die ihre Wälder vorzüglich kannten, geführt. Da drang an Skrzetuskis und seiner Leute Ohr ein entferntes Geräusch, das wie Gesang klang, der durch Rufe unterbrochen wird.

»Halt!« sagte Skrzetuski leise und hielt seine Leute an. – »Was ist das?«

Der alte Förster trat nahe zu ihm heran:

»Es sind Wahnsinnige, die im Walde umherlaufen und schreien; von den Ungeheuerlichkeiten, die sie erlebt, ist ihnen der Verstand wirr geworden. Wir sind gestern einer Edeldame begegnet, die umhergeht, nach den Fichten ausschaut und immer ruft: »Kinder, Kinder!« Es ist klar, die Bauern haben ihr die Kinder abgeschlachtet. Sie glotzte uns mit ihren Augen an und begann zu schreien, daß uns die Füße zitterten. Die Leute sagen, es gebe in allen Wäldern viele solcher unglücklichen Geschöpfe.«

Eine Zeitlang herrschte wieder Stille. Man hörte nur das Rauschen in den Wipfeln der Fichten, aber gleich darauf wurden jene fernen Stimmen wieder stärker und deutlicher.

»He,« sagte der Förster, »es sieht bald so aus, als wäre dort eine Schar von Menschen.«

»Bleibt hier stehen oder geht langsam vorwärts, und ich will mit meinen Genossen hingehen und nachschauen.«

»Gut,« sagte Skrzetuski, »wir werden hier warten.«

Die Forstleute verschwanden, eine gute Stunde blieben sie aus, schon begann Skrzetuski ungeduldig zu werden, ja, er hegte den Verdacht, daß sie ihm irgend einen Verrat spinnen würden, als plötzlich der eine von ihnen aus der Dunkelheit hervortauchte.

»Sie sind's, Herr,« sagte er, sich Skrzetuski nähernd. »Die Bauern, Rebellen.«

»Wieviel sind ihrer?«

»Es können an 200 sein, ich weiß nicht, Herr, was wir beginnen, denn sie liegen im Engpaß, durch den wir gehen müssen. Sie haben Feuer angezündet, man sieht den Schein nicht, weil es im Tal ist, Wachen haben sie nicht: man kann bis auf einen Bogenschuß zu ihnen herangehen.«

»Gut,« sagte Skrzetuski, wandte sich an seine Leute und begann den zwei Ältesten Befehle zu geben.

Bald rückte das Gefolge munter vor, aber so still, daß nur das Knistern der Zweige den Marsch hätte verraten können; kein Steigbügel schlug an den anderen, kein Schwert klirrte, die Pferde, die an schleichende Überfälle gewöhnt waren, gingen nach Wolfsart ohne Schnaufen und Wiehern. Da die Mannschaft an den Ort kam, wo der Weg sich krümmte, bemerkten sie gleich in der Ferne die Feuer und die undeutlichen Menschengestalten. Nun verteilte Skrzetuski seine Mannschaft in drei Abteilungen: die eine blieb an dem Platze, die andere ging über den Rand längs des Engpasses, um den gegenüberliegenden Ausgang zu verschließen, und die dritte stieg von den Pferden ab, kroch auf dem Bauche vorwärts und legte sich am äußersten Rande nieder, unmittelbar über den Häuptern der Bauern.

Skrzetuski, der sich in dieser Abteilung befand, blickte hinunter und sah ganz deutlich in einer Entfernung von 200-300 Schritt das ganze Lager. Zehn Feuer brannten, aber sie flackerten nicht lichterloh, denn es hingen Kessel mit Speisen über ihnen. Um die Kessel standen oder lagen die Bauern, trinkend und schwatzend. Der Widerschein des Feuers spiegelte sich in den toten Augensternen und den hervortretenden Zähnen derselben, der rötliche Schimmer beleuchtete die wilden, furchtbaren Bauerngesichter. Bei dem größten Feuer saß, den Rücken der Wand des Engpasses und Skrzetuski zugekehrt, ein stämmiger Greis – und klimperte auf einer Laute, um ihn hatten sich im Halbkreise etwa dreißig der Bauern geschart.

Skrzetuski vernahm deutlich folgende Worte: »He, Alter, vom Kosaken Holota!«

Der Alte schlug kräftiger in die Laute, hüstelte und begann zu singen.

Plötzlich hielt der Alte inne – ein Steinchen unter dem Ellbogen eines der Leute hatte sich gelöst und fing an, mit Geräusch hinabzustürzen. Einige von den Bauern bedeckten die Augen mit den Händen und blickten scharf nach oben in den Wald hinein; da erkannte Skrzetuski, daß die Zeit gekommen sei, und schoß mitten in die Menge mit seinem Pistol.

»Schlagt, mordet,« schrie er, und dreißig Mann gaben Feuer, wohlgezielt, den Bauern ins Gesicht.

Der Überfall war so unerwartet, der Schrecken so entsetzlich, daß die Bauern, obgleich sie bewaffnet waren, fast keinen Widerstand leisteten. Der stille Wald füllte sich mit dem unheilverkündenden Lärm der Schlacht. Die einen starben ruhig, andere brüllten um Mitleid, noch andere bedeckten die Gesichter mit den Händen, um den Augenblick des Todes nicht zu sehen, wieder andere warfen sich auf die Erde mit dem Gesicht nach unten.

Der Alte aber schlug mit seiner Laute einem von der Mannschaft so ins Gesicht, daß er hinstürzte, den anderen erfaßte er bei der Hand, um ihn vom Schwertstreiche abzuhalten und brüllte in seiner Angst wie ein Stier.

Als das die anderen bemerkten, eilten sie herbei, um ihn niederzuhauen; da stürzte Skrzetuski heran: »Nehmt ihn lebendig, nehmt ihn lebendig!« schrie er.

»Halt!« brüllte der Alte, »ich bin ein Edelmann, loquor latine! Ich bin kein Sänger, halt, sage ich euch. Räuber, Schurken, Hundesöhne!«

Aber der Alte hatte seine Litanei noch nicht beendet, als Skrzetuski ihm ins Gesicht schaute und aufschrie, daß die Wand der Schlucht im Echo widerhallte:

»Sagloba!«

Und plötzlich stürzte er über ihn her, wie ein wildes Tier, schlug ihm die Finger in die Arme, drückte sein Gesicht an das des Alten, schüttelte ihn wie einen Birnbaum und schrie:

»Wo ist die Prinzessin, wo ist die Prinzessin?«

»Sie lebt, sie ist gesund, sie ist in Sicherheit,« erwiderte der Greis schreiend, »so laßt mich doch zum Teufel los, Ihr schüttelt mir ja die Seele aus dem Leibe.«

»Wo ist sie?« fragte er Sagloba.

»In Bar. Das Schloß ist stark und fürchtet keinen Überfall. Sie ist im Schutz der Frau Slawoschewska und der Nonnen.«

»Gelobt sei Gott in der Höhe!« sagte der Ritter, und in seiner Stimme zitterte tiefste Rührung. – »Gebt mir Eure Hand. Ich danke Euch aus tiefster Seele, aus tiefster Seele.«

Plötzlich wandte er sich an seine Leute:

»Wieviel Gefangene habt ihr?«

»Siebzehn,« antworteten die Soldaten.

Skrzetuski aber sagte:

»Eine große Freude ist mir begegnet, und Mitleid wohnt in meiner Seele, laßt sie frei.«

Die Mannschaft wollte den eigenen Ohren nicht trauen. Das war nicht Brauch in Wischniowiezkis Heere.

Skrzetuski zog leicht die Augenbrauen zusammen.

»Laßt sie frei,« wiederholte er.

Die Leute gingen, aber nach kurzer Zeit kam der älteste Esaul zurück und sagte:

»Herr Leutnant, sie glauben's nicht, sie wagen nicht zu gehen.«

»Sind ihre Fesseln gelöst?«

»Ja!«

»So laßt sie hier, ihr selbst besteigt die Pferde!«

Eine halbe Stunde später ritt die Mannschaft durch die lautlose Stille den schmalen Waldpfad entlang. Sagloba und Skrzetuski ritten an der Spitze und sprachen miteinander.

»Sagt mir alles von ihr, was Ihr wißt,« sagte der Ritter. »Ihr habt sie also aus Bohuns Händen entrissen?«

»Ja, ich habe ihm noch den Schädel zum Abschied umbunden, damit er nicht schreien konnte.«

»Das habt Ihr vortrefflich gemacht, so wahr ich lebe! Aber, wie seid Ihr nach Bar gekommen?«

»Ei, davon ließe sich viel sagen, und das geschieht auch ein andermal. Ich bin entsetzlich fatigatus, die Kehle ist mir trocken von dem Singsang für den Pöbel. Habt Ihr nicht etwas zu trinken?«

»Ich habe ein Töpfchen mit Branntwein – hier ist's.«

Sagloba ergriff das Gefäß und setzte es an die Lippen; dann hörte man ein langes Glucken. Skrzetuski aber mochte in seiner Ungeduld nicht warten und fragte weiter:

»Ist sie gesund?«

»Ei was,« erwiderte Sagloba, »einer trockenen Kehle ist alles gesund.«

»Aber ich frage nach der Prinzessin.«

»Die Prinzessin? Wie eine Hindin.«

»Gott sei gelobt und gedankt. Fühlt sie sich wohl in Bar?«

»Im Himmel könnte sie's nicht besser haben. Wegen ihrer Schönheit fliegen ihr alle Herzen zu. Frau Slawoschewska liebt sie wie ihr eigenes Kind. Und wieviel Jünglinge in sie verliebt sind, das könntet Ihr am Rosenkranz nicht abzählen. Aber sie macht sich aus ihnen so viel, wie ich jetzt aus Eurem leeren Töpfchen, sie lebt nur für Euch in steter Liebe.«

»Geb' ihr Gott Gesundheit, der Liebsten,« sagte Skrzetuski freudig.

»Ob sie Eurer gedenkt! Ich sage Euch, ich habe es gar nicht verstehen können, wo sie die Lust hernimmt zu so viel Seufzern. Die Leute haben alle Mitleid mit ihr, am meisten die Nonnen, denn sie hat sie durch ihre Milde ganz gewonnen. Hat sie doch auch mich zu tollen Streichen veranlaßt, die ich beinahe mit dem Leben bezahlt habe. Ich sollte durchaus zu Euch gehen, um in Erfahrung zu bringen, ob Ihr lebt und wohl seid. Hätte ich die Verkleidung nicht gehabt, ich hätte es sicher mit dem Kopfe bezahlt. Aber die Bauern hielten mich überall für einen Sänger, denn ich singe auch sehr schön.«

Skrzetuski war sprachlos vor Freude. Tausend Gedanken und Erinnerungen drängten sich in seinem Kopfe. Helene stand leibhaftig vor seinen Augen, ganz so, wie er sie das letzte Mal in Roslogi unmittelbar vor der Abreise nach der Sitsch gesehen hatte; hübsch, gerötet, schlank, mit ihren samtschwarzen Augen von unsagbarem Reize. Er gedachte jenes Spazierganges im Kirschengarten. Alle vergangenen Leiden schwanden dahin, wie ein Tropfen im Meer. Er wußte selbst nicht, was mit ihm vorging. Er wollte schreien, in die Kniee sinken und wieder Gott danken, bald fragen ohne Ende! Endlich begann er zu wiederholen:

»Sie lebt, sie ist gesund?«

»Sie lebt, sie ist gesund!« antwortete Sagloba wie das Echo.

»Und sie hat Euch hergeschickt?«

»Ja, sie.«

»Und habt Ihr einen Brief?«

»Ja, einen Brief.«

»So gebt her.«

»Er ist eingenäht, und jetzt ist's Nacht, gebt Euch zufrieden.«

»Ich kann es nicht, Ihr seht es ja selbst.«

»Ich sehe es.«

Saglobas Antworten wurden immer einsilbiger. Endlich nickte er ein über das andere Mal – und schlummerte ein.

Skrzetuski sah, daß mit ihm nichts anzufangen war, und gab sich wieder seinen Gedanken hin. Sie wurden erst durch das Pferdegetrappel einer bedeutenden Reiterabteilung unterbrochen, die sich schnell näherte. Es war Poniatowski mit den Hofkosaken, die der Fürst ihm entgegengesandt hatte, in der Besorgnis, es könnte Skrzetuski etwas Übles begegnet sein.


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