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15. Kapitel

Als der Statthalter den Schlachtenlärm hörte, glaubte er anfänglich, Chmielnizki sei mit dem ganzen Heere der Hetmane zusammengetroffen und erwartete angstvoll den Ausgang des Kampfes. Erst gegen Abend klärte ihm Sachar seinen Irrtum auf. Die Nachricht von dem Verrat Krschetschowskis und dem Tode der Deutschen empörte den jungen Ritter in tiefster Seele. Diese Tatsache war der Vorbote fernerer Verrätereien, und der Statthalter wußte genau, daß kein geringer Teil des Hetmanenheeres aus Kosaken bestand. Die Sorgen Skrzetuskis wuchsen; dazu erfüllte ihn der Triumph im Lager der Saporogen mit Bitterkeit. Die Sache der Ukrainer stand sehr schlimm. Vom Fürsten war nichts zu hören. Es war ein großer Fehler, daß die Hetmane nicht mit ihrer ganzen Macht gegen Kudak vorrückten oder den Feind in befestigten Lagern in der Ukraine erwarteten, sondern ihre Kräfte zersplitterten, sich dadurch schwächten, und dem Verrat und Eidbruch ein weites Feld eröffneten. Man hatte schon vorher im Saporogenlager davon gesprochen, daß Krschetschowski allein zu Wasser und ein besonderes Landheer unter Stephan Potozki dem Feinde entgegengeschickt sei, aber der Statthalter hatte diesen Gerüchten keinen Glauben beigemessen. Er dachte, es seien nur starke Vorschübe, welche rechtzeitig wieder zurückgezogen werden würden. Unterdessen war es anders gekommen. Chmielnizki hatte sich durch den Verrat Krschetschowskis um mehrere tausend Mann verstärkt, und Herr Potozki schwebte in einer schrecklichen Gefahr. Verirrt in der Einöde und jeder Hilfe entblößt, konnte er jetzt von Chmielnizki leicht umzingelt und ganz aufgerieben werden. In schlaflosen Nächten, gequält von der schrecklichsten Unruhe und den schmerzenden Wunden, tröstete Herrn Skrzetuski nur der Gedanke an den Fürsten. Sobald der Fürst in Lubnie sich zu regen begann, mußte der Stern Chmielnizkis erbleichen. Wer konnte übrigens wissen, ob er sich nicht schon mit den anderen vereinigt hatte? Mochten die Streitkräfte Chmielnizkis noch so bedeutend sein, mochte der Anfang des Feldzuges noch so viel versprechen, wenn Tuhaj-Bey und schlimmstenfalls der Khan selbst Hilfe brächte, dem Statthalter mochte es nicht in den Sinn, daß der Ausstand lange währen, und ein einziger Kosak imstande sein könne, an den Pfosten der Republik zu rütteln und ihre furchtbare Kraft zu brechen. An der Schwelle der Ukraine mußte diese Revolutionswoge zerschellen. So dachte Skrzetuski.

Chmielnizki zögerte nicht; er hob das Lager auf und zog dem Sohne des Hetman entgegen. Seine Macht hatte eine drohende Größe erreicht, denn mit den Leuten Krschetschowskis und den Tataren Tuhaj-Beys zusammen führte er fünfundzwanzigtausend geübte und kampflustige Krieger der Ukraine zu. Von der Heeresmacht Potozkis hatte man keine sicheren Nachrichten. Die Überläufer erzählten, daß er zweitausend Mann schwere Reiterei und mehrere kleine Kanonen mit sich führe. Eine Entscheidung unter solchen Verhältnissen konnte immerhin noch zweifelhaft sein, denn eine Attacke der gefürchteten Husaren reichte oft hin, die zehnfache Zahl der Gegner zu erdrücken.

Chmielnizki wußte das wohl; er ging also langsam und vorsichtig vorwärts.

So näherte er sich den »Gelben Wassern«. Man fing wieder zwei Kundschafter. Diese bestätigten die Nachricht von der geringen Anzahl der Kronentruppen und berichteten, daß der Burgvogt die »Gelben Wasser« schon hinter sich habe. Als Chmielnizki das hörte, blieb er auf der Stelle stehen und verschanzte sich.

Das Herz schlug ihm freudig. Wenn Potozki einen Sturm wagte, so mußte er geschlagen werden. Die Kosaken konnten den Panzertruppen im offenen Felde nicht beikommen, schlugen sich aber hinter Wällen ausgezeichnet, und bei so großem Übergewicht der Truppen mußten sie unbedingt den Sturm abschlagen. Chmielnizki zählte auf die Jugend und Unerfahrenheit Potozkis. Aber dem jungen Burgvogt zur Seite befand sich ein erfahrener Soldat, der Starostensohn Herr Stephan Tscharniezki, Husarenhauptmann. Dieser erkannte die Gefahr und wußte den Burgvogt zu bewegen, sich wieder bis hinter die »Gelben Wasser« zurückzuziehen.

Es blieb Chmielnizki nichts übrig, als hinterdrein zu ziehen. Den folgenden Tag, nachdem er die Gründe der »Gelben Wasser« überschritten hatte, standen sich beide Heere Aug' in Auge gegenüber. Aber keiner der Führer wollte zuerst angreifen. Die feindlichen Lager fingen an, sich mit Schanzen zu umgeben. Es war ein Sonnabend, der 5. Mai. Den ganzen Tag hatte es stark geregnet; der Himmel hatte sich derartig mit Wolken überzogen, daß von Mittag ab Dämmerung herrschte wie an einem Wintertage. Gegen Abend wurde der Regen noch stärker. Chmielnizki rieb sich vergnügt die Hände.

»Laßt nur die Steppe aufweichen,« sagte er zu Krschetschowski, »so werde ich nicht zögern, sie anzugreifen, sie müssen mit ihren schweren Waffen im Sumpfe versinken.«

Der Regen hörte nicht auf; es war, als wollte der Himmel selbst den Saporogen zu Hilfe kommen. Die Soldaten verschanzten sich langsam und düster unter den strömenden Wassermassen. Es war nicht möglich, ein Feuer anzuzünden. Einige tausend Tataren zogen hinaus, um zu wachen, daß das polnische Heer die Nacht, den Nebel und das Wetter nicht etwa zur Flucht benütze. Dann trat tiefe Stille ein. Man hörte nur das Plätschern des Regens und das Sausen des Windes. Jedenfalls schlief in den beiden Lagern wohl niemand.

Gegen Morgen bliesen im polnischen Lager die Trompeten in melancholischen, langgezogenen Tönen, fast zaghaft, dann hörte man hier und dort Trommelschlag. Der Tag erhob sich trübe, dunkel und feucht, das Unwetter hatte aufgehört, aber es rieselte noch ein ganz feiner Regen. Chmielnizki befahl, die Geschütze abzufeuern. Es folgte eine zweite, dritte – zehnte Salve, und als von Lager zu Lager diese erste gewöhnliche Korrespondenz aus den Kanonen im Gange war, sagte Herr Skrzetuski zu seinem in Kosakengestalt ihn bewachenden Schutzgeist:

»Sachar, führe mich auf die Schanze, damit ich sehe, was vorgeht.«

Der Kosak war selbst neugierig, deshalb widerstand er nicht. Sie gingen auf eine hochangelegte Ecke, von wo aus man, wie auf dem Handteller, das ein wenig eingesunkene Steppental, die »Gelben Wasser« und beide Heerlager liegen sah. Doch kaum hatte Herr Skrzetuski einen Blick dorthin geworfen, als er, mit beiden Händen den Kopf fassend, ausrief:

»Beim lebendigen Gott! Das ist ja nur eine Vorhut, nichts weiter!«

Tatsächlich dehnten sich die Wälle des Kosakenlagers wohl eine Viertelmeile hinaus, wo hingegen das polnische im Vergleich zu diesem wie eine kleine Schanze aussah. Die Ungleichheit der Kräfte war so groß, daß der Sieg den Kosaken gewiß sein mußte.

Ein heftiger Schmerz erfaßte den Statthalter. Also war die Stunde noch nicht gekommen, welche den Übermut und den Aufruhr zu Falle bringen sollte, und das, was hier kommen mußte, sollte nur ein neuer Triumph für die Aufständischen sein. So schien es wenigstens. Unter dem Feuer der Kanonen hatte ein Geplänkel begonnen. Von der Ecke aus sah man einzelne Reiter oder kleinere Abteilungen, welche aneinander gerieten. Hier trafen Tataren mit dunkelblau und gelb gekleideten Soldaten Potozkis zusammen; Reiter griffen einander an und zogen sich wieder zurück, sie fielen einander in die Flanken, trafen sich aus Pistolen und Bogen, oder bemühten sich, einander mit den Lanzen beizukommen. Von weitem nahmen sich diese Zusammenstöße eher wie eine Spielerei aus, nur die ohne Reiter einzeln umherlaufenden Pferde zeigten an, daß es sich dort wirklich um Tod und Leben handele. Immer mehr Tataren kamen zum Vorschein. Bald war der Boden mit einer Menge ihrer Toten bedeckt; jetzt begannen auch aus dem polnischen Lager neue Fahnen auszurücken und sich vor der Schanze in Schlachtordnung auszustellen. Es geschah dies so nahe, daß Herr Skrzetuski mit seinem scharfen Auge deutlich die Abzeichen und Roßschweife unterscheiden, ja sogar die Rittmeister und Hauptleute, welche zu Pferde etwas seitwärts bei ihren Fahnen standen, erkennen konnte.

Das Herz pochte ihm, sein bleiches Gesicht überzog Purpurröte, und als fände er in Sachar und den umstehenden Kosaken dankbare Zuhörer, benannte er mit Entzücken jede hinter der Schanze hervorziehende Fahne:

»Das sind die Dragoner des Herrn Balaban; ich sah sie in Tscherkessien.«

»Das ist eine walachische Fahne; ihr Abzeichen ist ein Kreuz.«

»O! und dort steigt das Fußvolk vom Walle.«

Hierauf rief er mit noch größerem Enthusiasmus:

»Die Husaren! Die Husaren des Herrn Tscharniezki!«

Wirklich ließen sich jetzt die Husaren sehen. Uber ihnen ein Wald in die Höhe ragender Spieße, geschmückt mit vergoldeten Knäufen und langen schwarz-grünen Fähnchen.

Der Anprall der Husaren war entsetzlich. Im ersten Anlauf nahmen sie drei Lager; zwei von Steblew und das von Mirgorodz und rieben sie vollständig auf. Das Geheul drang bis zu den Ohren Skrzetuskis. Das Zentrum der Macht Chmielnizkis schwankte immer mehr; geschlagen und auseinandergehetzt, von den Schwertern bedroht, und gedrängt von dem eisernen Anprall, konnte es nicht mehr festen Fuß fassen.

Die Schlacht dauerte nicht lange mehr. Die Regengüsse, welche wieder begonnen hatten, wurden immer heftiger und wuchsen derartig an, daß vor den herabströmenden Wassern nichts mehr zu sehen war. Förmliche Fluten stürzten auf die Erde aus den geöffneten Himmelsschleusen. Die Steppe verwandelte sich in einen See. Es wurde so finster, daß auf ein paar Schritte Entfernung der Mensch den Menschen nicht mehr unterschied. Das Plätschern des Regens übertönte die Kommandoworte. Die durchnäßten Gewehre und Musketen schwiegen; der Himmel selbst machte der Schlacht ein Ende.

Chmielnizki, bis auf die Haut durchnäßt, stürmte wütend in sein Lager. Er sprach zu keinem Menschen ein Wort. Man schlug ihm sein kleines Zelt aus Kamelfellen auf, er setzte sich in dasselbe einsam, von bitteren Gedanken gepeinigt. Verzweiflung packte ihn. Jetzt erst begriff er, welches Werk er unternommen. Hier saß er, geschlagen, gebrochen in einer Schlacht von einem viel schwächeren Feinde, den er mit Recht nur einen Vortrab nennen konnte. Er hatte sich verrechnet, obgleich er schon von Anfang an die Kräfte der Republik hoch angeschlagen hatte. So schien es ihm wenigstens jetzt; er griff sich an seinen rasierten Kopf, den er am liebsten an dem ersten besten Geschütz eingestoßen hätte. Was sollte das erst werden, wenn die Rechnung mit den Hetmanen und dem ganzen Freistaat losging? Diese Gedanken unterbrach der Eintritt Tuhaj-Beys.

Sein Gesicht war bleich, die Augen sprühten Wut, und zwischen den bartlosen Lippen glänzten die Zähne.

»Wo ist die Beute, wo die Gefangenen, wo die Köpfe der Führer, wo der Sieg?« fragte er mit heiserer Stimme.

Chmielnizki sprang auf.

»Dort!« entgegnete er donnernd, nach der Seite des feindlichen Lagers hinweisend.

»So gehe dorthin!« brüllte Tuhaj-Bey, »und wenn du nicht gehst, so werde ich dich an der Leine nach der Krim führen.«

»Ich werde gehen!« sagte Chmielnizki, »noch heute werde ich gehen. Ich werde Beute und Gefangene holen, aber du wirst Rechenschaft vor dem Khan geben, denn du willst Beute, aber du vermeidest den Kampf.«

»Hund!« heulte Tuhaj, »du stürzest die Soldaten des Khan in das Verderben.«

Sie standen sich eine Zeitlang gegenüber, schnaufend wie wilde Tiere. Zuerst kam Chmielnizki zu sich.

»Beruhige dich, Tuhaj-Bey,« sagte er. »Die Regenflut hat den Kampf unterbrochen, als Krschetschowski eben die Reihen der Dragoner durchbrach. Ich kenne sie! Morgen schlagen sie sich nicht mehr so wütend. Die Steppe weicht ganz auf, die Husaren unterliegen; morgen gehören sie alle uns.«

»Du sagst es!« knirschte Tuhaj-Bey.

»Und ich werde es halten. Tuhaj-Bey, mein Freund, der Khan schickt dich mir zu Hilfe, und nicht, damit du Not leidest.«

»Du versprachst mir Siege, nicht Elend und Niederlagen.«

»Man hat einige Dragoner gefangen; ich will sie dir geben.«

»Gib sie. Ich werde sie pfählen lassen.«

»Tue das nicht. Gib ihnen lieber die Freiheit. Es sind Leute aus der Ukraine von der Fahne Balaban; wir wollen sie ausschicken, die Dragoner zum Übertritt zu uns zu bereden. Es wird mit ihnen kommen, wie mit Krschetschowski.«

Tuhaj-Bey wurde milder gestimmt. Er sah den Chmielnizki scharf an und brummte:

»Schlange!«

»Die List ist ebensoviel wert als Mut. Wenn wir die Dragoner zum Verrat überreden können, entkommt niemand aus dem Lager drüben – verstehst du?«

»Den Potozki nehme ich auf mich,« sagte Tuhaj.

»Ich gebe ihn dir und den Tscharniezki dazu.«

»Gib mir Branntwein; es ist kalt.«

»Einverstanden.«

Krschetschowski trat jetzt ein. Der Hauptmann blickte düster wie die Nacht. Die begehrten künftigen Starosteien, Burgvogteien, die Schlösser und Schätze waren nach der heutigen Schlacht in dichten Nebel versunken. Morgen konnten sie vollständig untergehen, und vielleicht stieg an ihrer Stelle aus dem Nebel ein Strick und ein Galgen hervor. Hätte der Hauptmann nicht die Deutschen niedergehauen, und mit dieser Tat jede Brücke hinter sich abgebrochen, so hätte er gewiß jetzt darüber nachgedacht, wie er am leichtesten Chmielnizki verraten und zu Potozki übergehen könne.

Aber das war zur Unmöglichkeit geworden.

Sie setzten sich also alle drei um die Branntweinflasche und tranken stumm.

Der Regen hörte allmählich auf. Es dunkelte.

Von der freudigen Aufregung bis zum äußersten erschöpft, lag Herr Skrzetuski bleich und schwach auf seinem Karren. Sachar, welcher ihn sehr liebgewonnen hatte, befahl den Kosaken, eine Filzdecke über ihm auszuspannen. Der Statthalter lauschte dem melancholischen Regengeplätscher, aber im Gegensatz dazu war es in seiner Seele licht und hell. Hatten seine Husaren doch gezeigt, was sie konnten, hatte doch seine geliebte Republik einen Sr. Majestät würdigen Widerstand geboten, war doch der erste Sturm des Kosakenaufstandes an den Lanzen der königlichen Truppen abgeprallt.

Die Brust Skrzetuskis dehnte sich stolz, als ob diese ganze Macht in ihm allein ruhe. Im Gefühle dieser Stärke überkam ihn zum erstenmal seit seiner Gefangennahme in der Sitsch ein gewisses Mitleid mit den Kosaken. Sie waren ja schuldig, aber doch verblendet, als sie diesen Kampf unternahmen, dem sie nicht gewachsen waren – dachte er. Sie sind schuldig, aber unglücklich, daß sie sich von diesem einen Menschen fortreißen ließen, der sie dem Verderben zuführte.

Plötzlich unterbrach Kanonendonner diese Gedankenfäden. Chmielnizki, betrunken wie er war, führte seine Schwadronen wieder zum Angriff. Es blieb jedoch nur bei dem Spiele mit den Kanonen; Krschetschowski hielt den Hetman zurück.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Alles blieb still, nicht ein Flintenschuß unterbrach die sonntägliche Stille, die beiden Lager lagen sich gegenüber wie zwei verbündete Heere. Skrzetuski schrieb diese Stille der Unlust der Kosaken zu. Leider wußte er nicht, daß Chmielnizki, anscheinend den Späherblick vor sich gerichtet, an dem Übertritt der Dragoner Balabans zu ihm arbeitete.

Am Montag begann die Schlacht mit Tagesanbruch. Skrzetuski sah wie vorher mit heiterem Gesicht den Vorgängen zu. Wieder zogen die königlichen Soldaten aus der Schanze vor den Wall, diesmal jedoch schritten sie nicht zur Attacke, sondern erwarteten den Angriff des Feindes in ihrer Stellung. Die Steppe war heute ganz durchweicht; die schwere Reiterei konnte sich fast nicht rühren, was von vornherein den leichten Kosakenfahnen und den Tataren ein Übergewicht über dieselben gab. Das Lächeln verschwand allmählich aus Skrzetuskis Gesicht. Unter der polnischen Schanze bedeckte die Menge der Attackierenden fast ganz die schmale Linie der Königlichen.

Vor Mittag waren fast alle Saporogen im Feuer und an der Schlacht beteiligt. Der Kampf war hartnäckig; zwischen den Linien der Kämpfenden hatte sich ein Wall von Toten und Pferdekadavern gebildet.

Herrn Skrzetuskis Antlitz verdüsterte sich. Die polnischen Fahnen flohen hinter die Schanze – sie konnten sich nicht mehr halten – in ihrem Rückzuge lag eine fieberhafte Hast. Bei diesem Anblick ertönte ein tausendstimmiges Freudengeschrei. Die Attacke der Saporogen wiederholte sich mit doppelter Kraft gegen die Leute Potozkis, welche den Rückzug deckten.

Herr Skrzetuski sah bebend auf diese dichten Reihen Fußkosaken, welche in schnellem Laufe die Wälle in immer enger werdendem Ringe umgaben. Die Kanonenkugeln zogen tiefe Furchen in die Reihen der Stürmenden, das Gewehrfeuer wurde immer heftiger, es wurde nicht einen Augenblick unterbrochen, auf Sekunden verhüllte der Dampf diese Ameisenhaufen dem Auge, aber sie schritten unentwegt vorwärts. Herr Skrzetuski schloß die Augen. Wenn er sie wieder öffnet, werden dann noch die polnischen Fähnchen auf den Wällen flattern? Blitzschnell fliegt ihm dieser Gedanke durch den Sinn. Ein immer größer werdender, ungewöhnlicher Lärm kam von dorther. Es mußte etwas geschehen sein. Geschrei drang aus dem Innern der Schanze. Was war geschehen?

»Allmächtiger Gott!«

Dieser Schmerzensschrei entrang sich der Brust Skrzetuskis, als er, die Augen öffnend, an Stelle der großen, goldenen Königsfahne die himbeerrote Kosakenfahne mit dem Erzengel auf den Wällen aufgepflanzt sah. Das Lager war genommen.

Erst am Abend erfuhr der Statthalter von Sachar den ganzen Verlauf des Sturmes. Tuhaj-Bey hatte Chmielnizki nicht umsonst eine »Schlange« genannt, denn im Augenblick der hartnäckigsten Verteidigung waren die bestochenen Dragoner Barabaschs zu den Kosaken übergegangen, hatten die ihrigen im Rücken überfallen und auf diese Weise ihre vollständige Niederlage herbeigeführt.

Dann sah der Statthalter Gefangene einbringen und war bei dem Tode des jungen Potozki zugegen, welcher, von einem Pfeil in den Hals getroffen, nur noch wenige Stunden lebte und in den Armen des Herrn Stephan Tscharniezki starb.

Tatsächlich hatte dieser dem Anschein nach so glänzende Sieg noch nichts zum Vorteil Chmielnizkis entschieden. Er konnte ihm im Gegenteil Schaden bringen, da vorauszusehen war, daß der Großhetman mit besonderer Erbitterung den Krieg mit den Saporogen aufnehmen und alles aufbieten werde, sie zu vernichten, um den Sohn zu rächen. Der Großhetman nährte einen gewissen Groll gegen den Fürsten Jeremi, der zwar gut unter Artigkeiten versteckt, doch oft genug bei allerhand Gelegenheiten sich offenbarte.

Chmielnizki war gut davon unterrichtet. Er mutmaßte jedoch, daß dieser Groll jetzt aufhören und der Gebieter von Krakau zuerst die Hand zum Frieden reichen werde, welcher ihm die Hilfe dieses berühmten Kriegers und seiner Vertreter zusichern mußte. Mit einem solchen vereinigten Heere, unter einem solchen Führer, wie der Fürst es war, wagte Chmielnizki sich doch nicht zu messen. Er eilte deshalb, zu gleicher Zeit mit der Nachricht von der Niederlage bei den »Gelben Wassern« in der Ukraine anzulangen, die gesammelten Heere dort zu überfallen, noch ehe der Fürst ihnen zu Hilfe kommen konnte.

Er gönnte seinem Heere keine Ruhe, und schon am zweiten Tage nach der Schlacht brach er mit dem Morgengrauen auf. Wie ein aus seinen Ufern getretener Fluß, der alle in seinem Gebiet befindlichen Wässer aufnimmt und dadurch zur reißenden Flut wird, so stürmte Chmielnizki mit seinen Kosaken über die Steppe, alles mit sich fortreißend, was auf seinem Wege lag. Sie hatten bereits die Wälder, die Haine, die verschiedenen Grabmäler hinter sich, die Flüsse waren überschritten – sie eilten ohne Rast vorwärts. Immer neue Haufen flüchtiger Bauern aus der Ukraine strömten ihnen zu; sie brachten stets Nachrichten von dem Stande der Dinge dort. Die einen sagten, der Fürst sitze noch jenseits des Dniepr, andere erzählten, er habe sich schon mit den Hetmanen vereinigt. Alle aber erklärten einstimmig, die Ukraine stehe bereits in den Flammen des Aufruhrs. Die Bauern eilten nicht bloß dem Chmielnizki entgegen, sie verbrannten unterwegs Städte und Dörfer und fielen über ihre Herren her, indem sie überall versuchten, sich Waffen zu verschaffen. Die königlichen Truppen schlugen sich schon seit zwei Wochen mit dem Gesindel herum. Steblew war vernichtet, bei Derenhowiez war es zur blutigen Schlacht gekommen. Hier und dort waren sogar schon Linienkosaken zu dem Gesindel übergegangen, überall wartete man nur auf den allgemeinen Ausbruch. Chmielnizki rechnete auf alles das und eilte um so mehr hinzukommen.

Endlich stand er an der Schwelle der Ukraine. Tschechryn öffnete ihm weit seine Tore. Die Besatzung ging sofort zu seiner Fahne über. Das Haus Tschaplinskis wurde zerstört, die wenigen Edelleute, welche in der Stadt Schutz gesucht hatten, wurden ermordet. Das Freudengeschrei und Glockenläuten und die Prozessionen dauerten fortwährend. Feuersbrünste erhellten die ganze Gegend; was irgend lebte, griff nach den Sensen und Piken und vereinte sich mit den Saporogen. Unzählige Haufen Gesindel kamen von allen Seiten in das Lager – auch die für die Aufwiegler so freudige Nachricht lief ein, daß der Fürst Jeremi zwar dem Großhetman seine Hilfe angeboten, sich aber mit ihm noch nicht vereint hatte.

Chmielnizki atmete auf.

Ungesäumt eilte er vorwärts mitten durch den Aufruhr, das Gemetzel und die Brände. Seinen Weg bezeichneten Trümmerhaufen und Leichen. Wie eine Lawine wälzte er sich vorwärts, alles vernichtend, was ihm in den Weg kam. Das Land vor ihm stand auf, ehe er die Verwüstung begann. Er zog einher wie der Rächer, wie der Drache in der Legende. Seine Schritte hinterließen blutige Spuren, sein Atem entzündete Brände. In Tscherkessien blieb er mit dem größten Teil seiner Streitmacht zurück, indem er die Tataren unter Tuhaj-Bey und dem wilden Krschywonos vorausschickte, welche bei Korsun die Hetmane einholten und ohne Zögern angriffen. Sie mußten diese Dreistigkeit teuer bezahlen. Zersprengt und geschlagen mußten sie rückwärts flüchten. Chmielnizki eilte ihnen zu Hilfe. Unterwegs erfuhr er, daß Herr Sieniawski mit einigen Fahnen zu den Hetmanen gestoßen sei, und daß sie nach Bohuslaw zögen. Das bestätigte sich. Chmielnizki nahm Korsun ohne Widerstand. Er ließ hier die Wagen, die Vorräte und Lebensmittel, kurz, das ganze Heerlager zurück und eilte ihnen mit den Genossen nach. Er brauchte nicht weit zu gehen. Bei Kruta-Balka stießen seine Vorposten auf das polnische Heer. Herrn Skrzetuski war es nicht vergönnt, die Schlacht zu sehen, da er in Korsun hatte zurückbleiben müssen. Sachar hatte ihn am Markte im Hause des Herrn Sabokrschytzki, welchen das Raubgesindel kurz zuvor erhängt hatte, untergebracht. Er stellte eine Wache aus den übriggebliebenen Leuten des Mirgorodzlagers davor, denn die entfesselte Menge raubte die Häuser aus und mordete jeden, der ihnen ein Leche zu sein schien. Durch die zertrümmerten Fenster sah Herr Skrzetuski Haufen betrunkener Bauern mit aufgestreiften Hemdsärmeln von Haus zu Haus ziehen und alle Winkel bis unter das Dach durchsuchen. Von Zeit zu Zeit meldete ein gräßlicher Lärm, daß man einen Edelmann, einen Juden, einen Mann, ein Weib oder ein Kind gefunden hatte. Das Opfer wurde auf den Markt gezogen, wo die Banden ihre Wut auf die scheußlichste Weise an demselben ausließen. Man wollte auch in die Häuser dringen, in welchen angesehene Gefangene eingeschlossen waren, die man am Leben zu erhalten wünschte, um ein gutes Lösegeld für sie zu bekommen. Dann mußten die saporogischen und tatarischen Wachen die stürmenden Haufen abwehren, indem sie mit Kolben, Spießen und Peitschen aus Büffelleder auf sie einhieben. So war es auch vor dem Hause, in welchem Herr Skrzetuski sich befand. Der Wahnsinn der Menge auf dem Markte erreichte endlich eine solche Höhe, daß sie sich zuletzt untereinander zu morden anfingen. Der Tag neigte sich zu Ende. Man hatte eine ganze Marktseite, die Zerkwie und das Haus des Popen in Brand gesteckt. Glücklicherweise trieb der Wind das Feuer nach dem Felde zu und verhütete so ein weiteres Umsichgreifen. Die Feuerröte beleuchtete den Marktplatz tageshell. Es wurde unleidlich heiß. Von ferne hörte man Kanonenschüsse; augenscheinlich wurde die Schlacht bei Kruta-Balka immer hitziger.

Plötzlich schrie eine durchdringende Stimme dicht vor dem Hause:

»Rettet euch! Chmiel ist erschlagen! Krschetschowski ist erschlagen! Tuhaj-Bey ist erschlagen!«

Der Welt Ende schien gekommen zu sein. Auf dem Markte stürzten sich in der Todesangst die Menschen in die Flammen. Der Statthalter fiel auf die Kniee und betete mit erhobenen Händen:

»Allmächtiger Gott! Großer und gerechter Gott! Ehre sei dir in der Höhe!«

Inzwischen hatte sich das Schießen der Geschütze in einen unaufhörlichen Donner verwandelt. Wieder kam Pferdegetrappel die öde Straße herauf. Wie ein Blitz flog ein Kosak auf ungesatteltem Pferde auf den Markt, ohne Mütze, in Hemdsärmeln, das von einem Säbelhieb getroffene Gesicht blutüberströmt. Er flog herbei, hielt das Pferd an, und mit ausgebreiteten Armen nach Atem ringend, schrie er:

»Chmiel schlägt die Lechen! Die erlauchten Herren Hetmane, die Herren, die Hauptleute, die Lechensöhne und Kavaliere. Alle sind geschlagen!«

Er schwankte bei diesen Worten und fiel vom Pferde. Die Wachen sprangen ihm zu Hilfe. Der Statthalter wurde erst rot, dann blaß.

»Was spricht er?« fragte er fieberhaft den Sachar. »Was ist geschehen? Es ist unmöglich. Beim lebendigen Gotte! Es ist unmöglich!«

Dann folgte Stille! Nur die Flammen prasselten auf der gegenüberliegenden Marktseite, Funkengarben knisterten, und von Zeit zu Zeit fiel ein ausgebranntes Haus zusammen.

Wieder kommen neue Boten.

»Die Lechen sind geschlagen! geschlagen!«

Hinterher eine Abteilung Tataren; sie kommen langsam, denn sie führen Fußgänger mit sich, jedenfalls Gefangene.

Herr Skrzetuski traut seinen Augen nicht. Er erkennt in den Gefangenen genau die Farben der Husaren des Hetmans. Die Hände faltend, ruft er mit seltsam verändertem Ton unaufhörlich:

»Es kann nicht sein! Es kann nicht sein!«

Der Kanonendonner dauert fort. Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Zu allen Straßen herein ziehen jedoch ganze Massen Tataren und Saporogen, schweratmend, mit geschwärzten Gesichtern, aber wie siegestrunken Lieder singend. So kehren Soldaten nur nach dem Siege heim.

Skrzetuski wurde leichenblaß.

»Es kann nicht sein!« wiederholte er mit immer heiserer werdender Stimme, »es kann nicht sein ... die Republik ...«

Ein neuer Gegenstand lenkt seine Aufmerksamkeit auf sich.

Die Krieger Krschetschowskis erscheinen, ganze Fahnenbündel mit sich tragend. Sie bringen sie bis in die Mitte des Marktes und werfen sie dort zu Boden. Es sind leider polnische Fahnen!

Der Kanonendonner wird schwächer; aus der Ferne hört man Wagengerassel. Zuerst kommt ein einzelner hoher Kosakenkarren, hinterdrein eine ganze Reihe anderer, alle von Kosaken mit gelben Mützen aus dem Paschkowski-Lager umgeben. Sie kommen dicht bei dem Hause vorbei, vor welchem die Mirgorodz-Kosaken stehen. Herr Skrzetuski bedeckt die Stirn mit den Händen, der Widerschein des Brandes blendet ihn; er sieht unverwandt auf die Gestalten der Gefangenen, welche auf dem ersten Wagen sitzen. Plötzlich fährt er zurück, schlägt mit den Händen in die Luft, wie einer, der von einer Kugel in die Brust getroffen ist, dem Munde entreißt sich ein fürchterlicher Schrei:

»Jesus, Maria! Das sind die Hetmane!«

Er fiel dem alten Sachar in die Arme, seine Augen wurden gläsern, das Gesicht wächsern und steif, wie bei Sterbenden.

Einige Augenblicke später ritten drei Reiter an der Spitze unzähliger Schwadronen auf den Markt. Der mittlere von ihnen war rot gekleidet, saß auf einem Schimmel, stützte sich mit dem vergoldeten Feldherrnstab die Seite und blickte stolz drein wie ein König.

Es war Chmielnizki. Ihm zur Seite ritten Tuhaj-Bey und Krschetschowski. Die Republik lag in Staub und Asche zu Füßen der Kosaken.


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