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6. Kapitel

In der ganzen Ukraine regte es sich summend und brausend, wie Vorboten eines nahen Sturmes. Seltsame Gerüchte flogen von Hof zu Hof, von Ansiedelung zu Ansiedelung, ähnlich jenen Pflanzen, welche der Herbstwind durch die Steppe trägt. In den Städten flüsterte man von einem großen Kriege, obwohl niemand wußte, wer und gegen wen es gehen solle. Irgend etwas lag in der Luft. Die Gesichter sahen unruhig aus, der Landmann zog seinen Pflug nur ungern auf das Feld, obgleich der Frühling zeitig, still und warm kam, und die Lerchen schon in der Steppe sangen. Abends versammelten sich die Männer in großen Haufen und besprachen, am Wege stehend, grausige Geschichten. Um so schwerer und drückender lag es auf allen, da niemand die nahende Gefahr näher bezeichnen konnte. Man fing an, von Chmielnizki und seiner Flucht nach der Sitsch zu sprechen, und von allen denen, die ihm dahin gefolgt waren. Aber man erzählte sich noch etwas anderes. Seit Jahren kreisten die Gerüchte von einem großen Kriege gegen die Heiden, welchen der König wollte, um den Kosaken Beute zu schaffen, den aber die Lechen immer wieder verhinderten. Alles das vereinte sich zu einem schrecklichen Ganzen und erregte eine ungewöhnliche Angst und Unruhe. Diese Unruhe war auch in die Mauern Lubnies gedrungen. Man konnte dort die Augen gegen solche Anzeichen nicht verschließen, und der Fürst Jeremias war auch nicht der Mann danach. Die Unruhe in seiner Herrschaft nahm zwar keine großen Dimensionen an, die Furcht hielt sie im Zaume; nach einiger Zeit aber kamen aus der Ukraine Nachrichten, daß hier und da die Bauern sich gegen den Adel erhoben, daß sie mit Gewalt den Krieg gegen die Heiden forderten, und daß sie haufenweise zu Chmielnizki flohen.

Der Fürst sandte überallhin Boten aus, zu Herrn Krakowski und Kalinowski, zu Loboda und Perejeslaw, er selbst zog die Herden aus den Steppen und die Wachen aus den Standorten ein. Zwischendurch kamen wieder beruhigende Nachrichten. Der Großhetman ließ alles melden, was er von Chmielnizki wußte, glaubte jedoch nicht, daß irgend Schlimmes daraus folgere; der Feldhauptmann schrieb, daß im Frühjahr das »Lumpengesindel« immer wie die Bienen ausschwärme. Nur Herr Sazwilichowski schrieb einen Brief an den Fürsten, worin er ihn beschwor, nichts leicht zu nehmen, denn ein furchtbarer Sturm nahe aus den wilden Feldern. Über Chmielnizki teilte er mit, daß derselbe aus der Sitsch nach der Krim geeilt sei, um den Khan zu Hilfe zu bitten. »Wie mir meine Freunde von dorther berichten, so zieht der Kosakenhetman aus allen Winkeln Fußsoldaten und Reiterei zusammen, ohne zu sagen warum; ich mutmaße deshalb, daß dieser Sturm gegen uns gerichtet ist, und wenn das der Fall ist, so schütze uns Gott, daß nicht alle ruthenischen Lande zugrunde gehen.«

Der Fürst traute dem Herrn Sazwilichowski mehr als den Hauptleuten, da er wußte, daß niemand in ganz Ruthenen so genau die Kosaken und ihre Schliche kannte wie dieser; er beschloß daher, der Sache auf den Grund zu gehen und soviel Militär zusammenzuziehen, als irgend aufzutreiben war.

Eines Morgens also ließ er den Herrn Bychowiez zu sich rufen, welcher walachischer Fahnenhauptmann war, und sprach zu ihm:

»Ihr werdet von mir als Botschafter nach der Sitsch zu dem Kosakenhauptmann geschickt und gebt ihm diesen Brief mit meinem Hospodarensiegel ab. Aber damit Ihr wißt, worum es sich handelt, so hört: Der Brief ist nur zum Schein, das ganze Schwergewicht Eurer Botschaft beruht auf Eurem Verstande. Ihr sollt auf alles acht haben, was geschieht, wie viel Soldaten sie haben, und ob sie noch welche zusammenziehen. Ich lege Euch besonders ans Herz, daß Ihr mir genaue Erkundigungen einzieht, wo Chmielnizki sich befindet, und ob es wahr ist, daß er nach der Krim ist, um die Tataren zu Hilfe zu holen. Verstanden?«

»Als wenn es mir in die Hand geschrieben wäre.«

»Ihr reitet über Tschechryn; unterwegs ruht Ihr stets nur eine Nacht. Dort angekommen, begebt Ihr Euch zu Herrn Sazwilichowski und bittet ihn um Briese an seine Freunde in der Sitsch, welche Ihr denselben heimlich abgebt. Sie werden Euch alle Antwort geben. Aus Tschechryn geht Ihr zu Wasser nach Kudak, grüßt den Herrn Grodschizki von mir und gebt ihm diesen Brief. Er wird Euch weiterbefördern. In der Sitsch verweilt nicht lange, zieht Kundschaft ein mit Augen und Ohren und kehrt schnell zurück, so Ihr am Leben bleibt, denn die Expedition ist keine leichte.«

»Eure Fürstliche Gnaden haben über mein Leben zu gebieten. Wieviel Leute soll ich mitnehmen?«

»Vierzig von den auswärtigen Posten. Heute vor Abend reitet Ihr fort, vorher holt Ihr noch Instruktionen von mir. Es ist eine wichtige Mission, die ich Euch anvertraue.«

Herr Bychowiez entfernte sich erfreut. Im Vorzimmer traf er Herrn Skrzetuski mit einigen Offizieren von der Artillerie.

»Was gibt es?« fragten sie ihn.

»Ich trete heute eine Reise an.«

»Wohin, wohin?«

»So komme mit mir,« bat Skrzetuski.

Als er ihn in seinem Quartier hatte, da begann er ihn zu quälen, daß er ihm diese Funktion abtreten solle:

»Wenn du mein Freund bist, so verlange, was du willst, ein türkisches Roß, einen Krummsäbel, nichts ist mir zu wertvoll, wenn ich nur dorthin reisen darf; meine Seele zieht mich unwiderstehlich in jene Gegend. Willst du Geld, alles gebe ich, wenn du zurücktrittst. Ruhm ist dabei nicht zu holen, denn wenn es Krieg geben soll, so beginnt er hier eher als dort, und du kannst hier auch sterben. Ich weiß auch, daß dir Anuscha lieb ist; wenn du fortgehst, machen sie sie dir abspenstig.«

Dies letzte Argument war dem Herrn Bychowiez mehr zu Sinne als die anderen, dennoch schwankte er. Was würde der Fürst sagen, wenn er zurückträte? Würde er ihm das nicht schlimm deuten? So ein Auftrag wie dieser ist eine Gnadenbezeugung des Fürsten.

Als Skrzetuski das hörte, lief er sogleich zum Fürsten und ließ sich durch den Pagen melden.

Nach einer Weile kehrte der Page zurück mit der Erlaubnis, daß er eintreten dürfe. Dem Statthalter schlug das Herz wie ein Hammer, aus Angst, er würde ein kurzes »Nein« zu hören bekommen, nach welchem nichts mehr zu sagen blieb.

»Was bringst du mir?« fragte der Fürst.

Skrzetuski umfaßte seine Kniee.

»Durchlauchtigster Fürst, ich komme zu bitten, daß die Expedition nach der Sitsch mir übertragen und anvertraut wird. Vielleicht würde Bychowiez sich willig finden lassen, mir das ehrenvolle Amt abzutreten; er ist mein Freund, und mir liegt gerade soviel daran, als am eigenen Leben. – Bychowiez fürchtet nur, daß Eure Durchlaucht ihn dieserhalb schief anblicken würden.«

»Um Gott!« sagte der Fürst. »Ich würde niemanden anderen schicken als dich, fürchtete ich nicht deine Unlust zu dieser Reise, da du eben erst von einer so langen und beschwerlichen zurückgekehrt bist.«

»Durchlauchtigster Fürst, wenn ich auch alle Tage auf Reisen geschickt würde, nach jener Seite hin ginge ich immer freudig.«

Der Fürst sah ihn durchdringend mit seinen schwarzen Augen an.

»Was hast du dort?« fragte er.

Der Statthalter stand verlegen da, wie ein Missetäter, und senkte das Auge vor dem Blick des Fürsten.

»Ich sehe, daß ich die Wahrheit gestehen muß,« sagte er, »da vor dem Verstände Eurer Durchlaucht nichts verborgen bleiben kann; ich weiß nur nicht, ob ich Gnade vor Eurem Ohr finden werde.«

Er fing an zu erzählen, wie er die Tochter des Fürsten Wassili kennen gelernt, und wie er sich in sie verliebt habe. Lebhaft schilderte er, wie er jetzt sich sehne, sie wieder zu sehen und bei seiner Rückkehr aus der Sitsch sie mit nach Lubnie zu bringen, um sie vor dem Kosakenaufstand zu schützen. Die Machinationen der alten Fürstin aber verschwieg er seinem gegebenen Worte gemäß und fing noch einmal an zu bitten, ihm die Expedition zu übergeben, als der Fürst sprach:

»Ich hätte dich auch ohnedies reiten lassen und dir Leute dazu gegeben, aber da du alles so klug zurechtgelegt hast und das eigene Gefühl mit einer Pflicht verbindest, so muß ich dir wohl zu Willen sein.«

Indem er dies sagte, rief er durch Händeklatschen den Pagen herbei und befahl ihm, Herrn Bychowiez zu holen.

Der Statthalter küßte freudig die Hand des Fürsten, dieser aber nahm den Kopf Skrzetuskis zwischen seine Hände und befahl ihm, sich ruhig zu verhalten. Er liebte Skrzetuski unaussprechlich als tapferen Soldaten und Offizier, auf den man sich in allen Stücken verlassen durfte. Außerdem bestand zwischen ihnen das schöne Verhältnis eines Untergebenen, der seinen Herrn von ganzer Seele verehrt, und einem Oberherrn, welcher das sehr gut fühlt. Den Fürsten umgaben viele Höflinge, welche ihm aus Eigennutz dienten und schmeichelten; sein Adlerblick erriet sofort, was er von jemandem zu halten habe. Er wußte, Skrzetuski war echt wie eine Tränenperle – er schätzte ihn hoch und dankte ihm im Herzen seine Treue. Mit Freude vernahm er auch, daß sein Liebling sich in die Tochter Wassilis verliebt habe, dieses alten Dieners der Wischniowiezkis, dessen Andenken dem Fürsten um so teurer war, da ihn die traurige Erinnerung stets schmerzlich berührte.

»Glaube nicht,« sagte er zu Skrzetuski, »daß ich aus Undank gegen den Fürsten mich nicht um das Mädchen kümmerte. Aber da keiner ihrer Vormünder in Lubnie sich sehen ließ, und keine Klagen laut wurden, glaubte ich, sie seien brave Leute. Da du mich jetzt an sie erinnert hast, werde ich ihrer gedenken, als wäre sie mein leibliches Kind.«

Skrzetuski konnte sich nicht genug über die Güte seines Herrn wundern, welcher sich selbst vorzuwerfen schien, daß er im Drange der verschiedensten Geschäfte sich des Kindes seines früheren Dieners und Höflings nicht angenommen hatte. Unterdes war Herr Bychowiez eingetreten.

»Das Wort ist gesprochen,« rief ihm der Fürst zu. »Wollt Ihr, so reist, aber ich bitte Euch, tut mir den Gefallen und tretet die Botschaft an Skrzetuski ab. Er hat begründete Ursache, sie zu verlangen, und ich werde Euch Ersatz dafür geben.«

»Durchlauchtigster Fürst,« entgegnete Bychowiez; »es ist eine hohe Gnade für mich, daß Ew. Durchlaucht meinen Willen anheimstellen, wo Ihr zu befehlen habt. Ich würde mich dieser Gnade unwert machen, wollte ich sie nicht von ganzem Herzen annehmen.«

»Danke dem Freunde,« sagte der Fürst, sich zu Skrzetuski wendend, »und bereite dich zur Reise.«

In der Tat dankte Skrzetuski dem Herrn Bychowiez heiß, und einige Stunden später war er reisefertig. In Lubnie auszuhalten war ihm schon lange schwer geworden; diese Expedition erfüllte alle seine Wünsche. Er sollte Helene wiedersehen; dann freilich mußte er sich auf lange von ihr trennen, aber gerade diese Zeit war nötig, um ihm die Wege zu ihrem Besitz zu ebnen. Eher konnte doch die alte Fürstin Helene nicht nach Lubnie bringen; er hätte also geduldig in Lubnie warten oder in Roslogi sitzen müssen, was gegen sein Abkommen mit der Fürstin gewesen wäre und auch den Argwohn Bohuns erregt hätte. Helene konnte vor Bohun erst in Lubnie sich vollständig sicher fühlen; da sie nun gezwungen war, noch lange Zeit in Roslogi zuzubringen, so war es das beste, wenn er fortging und bei seiner Rückkehr sie unter seinem militärischen Schutz mitnahm. Unter solchen Berechnungen beeilte der Statthalter seine Abreise, und als alles bereit war und er die Briefe und das nötige Reisegeld vom Schatzmeister in Händen hatte, reiste er vor Nacht ab, begleitet von Rzendzian und einer Eskorte von vierzig Mann von der Leibwache des Fürsten.


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