Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Buch

1. Kapitel

Das Jahr 1647 war ein seltsames Jahr, in welchem verschiedene Zeichen am Himmel und auf der Erde schwere Not und ganz außergewöhnliche Ereignisse zu verkünden schienen. Die Chroniken jener Zeit erwähnen, daß im Frühjahr unzählige Scharen Heuschrecken aus den sogenannten »wilden Feldern« hervorbrachen und alle Saaten sowie alles Gras vernichteten, welches Ereignis stets einen Überfall von seiten der Tataren voraussagte. Im Sommer gab es eine große Sonnenfinsternis, und gleich darauf erschien am Firmament ein Komet. In Warschau wurden sogar über der Stadt, zwischen Wolken schwebend, ein Grabdenkmal und ein feuriges Kreuz gesehen. Endlich kam ein so milder Winter, daß die ältesten Leute sich auf einen ähnlichen nicht besinnen konnten.

In den südlichen Wojewodschaften stand das Eis gar nicht auf den Flüssen, sie traten aus ihren Ufern, weil sie durch den täglich frisch tauenden Schnee fortwährenden Zuwachs an Wasser erhielten. Dazu regnete es oft. Die Steppen waren aufgeweicht und wurden mit der Zeit mächtige Pfützen; gegen Mittag aber brannte die Sonne so heiß, daß es wie ein Wunder erschien. In der Wojewodschaft Brazlaw und in den wilden Feldern bedeckte ein junger grüner Flaum die Steppen bereits nach der ersten Hälfte des Dezember. Die Bienen in den Bienenständen summten und brummten, und das Vieh brüllte in den Gehegen. Während so in der Natur die Ordnung der Dinge umgekehrt schien, richtete sich das Augenmerk der Besorgten ausschließlich auf die wilden Felder, von woher leichter als sonst woher eine Gefahr eindringen konnte.

Indes ereignete sich dort nichts Besonderes, und es gab keine anderen Kämpfe als diejenigen, welche dort gewöhnlich vorfielen und von denen nur die Adler, die Raben und die Raubtiere wußten. Solcher Art waren nun einmal diese Felder. Die letzte Spur von angesiedeltem Leben verlor sich nach dem Süden hin, nicht weit von Tschechryn am Dniepr und nach dem Dniestr zu in der Nähe von Uman; weiter hin nach dem Meere zu gab es nur unabsehbare Steppen, von beiden Flüssen wie von zwei mächtigen Armen umfaßt. In dem großen Bogen, welchen der Dniepr bildet, in der Niederung, brauste noch das rege Kosakenleben, aber in den eigentlichen Feldern wohnte niemand; nur hier und dort an den Ufern sah man einzelne Gehöfte, wie Inseln in dem großen Steppenmeer. Dieses Land war im vollsten Sinne ein Freistaat, aber ein wüster Freistaat, welcher den Tataren die Erlaubnis zum Weiden ihrer Herden gab. Da aber die Kosaken oft die Übergriffe derselben abwehren mußten, so wurde die Steppe vielfach zum Schlachtfelde. Wie viele Kämpfe dort ausgefochten wurden, wie viele Menschen dort ihr Leben ließen? Wer zählte sie, wer behielt ihre Zahl? Niemand! Die Adler, die Habichte und Krähen allein kannten und sahen diese Schlachtfelder, und wer sonst noch von ferne ihr Krächzen und das Sausen ihrer Flügel hörte, wer die schwarzen Massen über einem Orte kreisen sah, der wußte, daß dort Leichen oder benagte Knochenreste zu finden waren. Man machte in dem hohen Grase Jagd auf Menschen wie auf Wölfe und Schakale. Es jagte, wer Lust dazu hatte. Der von dem Arm der Gerechtigkeit verfolgte Mensch fand hier eine Zuflucht und sicheren Versteck, der bewaffnete Hirt hütete dort seine Herden, der Ritter suchte da Abenteuer und Gefahren, der Räuber seinen Raub, der Kosak den Tataren, der Tatar den Kosaken. Es kam auch vor, daß ganze Kompagnien sich zum Schutze ihrer Herden gegen die häufigen Überfälle verbanden. Diese Steppe war wüst und belebt zugleich, totenstill, fürchterlich, voll Ruhe und voll Angriffe, wilder als die wilden Felder, wilder auch als wilde Seelen. Mitunter erfüllte sie auch ein großer Krieg. Dann wogten in ihr wie bewegte Wellen Horden tatarischer Krieger, Kosakenschwadronen und polnische oder walachische Fahnen. Des Nachts begleitete das Geheul der Wölfe das Gewieher der Pferde; das Getön der Kessel und messingenen Trompeten schallte bis zum Owido-See nach dem Meere hin, und auf den Kutschmans-Feldern schien sich eine reine Sintflut von Menschen auszubreiten.

Die Grenzen des Freistaates von Kamieniez bis zum Dniepr schützten zum Teil jene kleinen Gehöfte mit ihren Bewohnern, wo aber ihre Spur aufhörte, da begannen die unzähligen Scharen der Vögel ihr Treiben; sie flogen in eiligem Fluge, gescheucht von den Horden der Tataren, dem Süden zu. Aber ebenso schnell als sie erreichte der berittene Tatar die südlichen Wojewodschaften, hatte er nur erst den schwarzen Wald und den Dniestr von der Walachei aus hinter sich.

Nun zogen aber in diesem Winter die Vogelscharen nicht nach dem Freistaat. In den Steppen war es stiller als sonst. Zur Zeit, wo unsere Erzählung beginnt, war die Sonne gerade im Untergehen; ihre rötlichen Strahlen beleuchteten die ganze öde Gegend vollständig. Am nördlichen Horizont der wilden Felder, am Omelnitschko, bis zum Ausfluß seiner Mündung hätte das schärfste Auge nicht eine lebende Seele, ja nicht einmal eine Bewegung in dem dunklen, dürren Riedgras entdeckt. Nur die Hälfte der Sonnenscheibe stand noch im Gesichtskreise. Das Firmament war schon dunkel, und nach und nach verdunkelte sich die Steppe immer mehr. Am linken Ufer auf einer kleinen Anhöhe, einem Grabhügel ähnlicher als einer Anhöhe, leuchteten nur die Reste eines gemauerten Standortes, welchen einst Feodor Butschazki gebaut hatte, und den die vielen Kämpfe und Stürme längst zerstörten. Jene Ruine warf einen langen Schatten. Daneben glänzten die Wasser des hochangeschwollenen Flüßchens, welches an dieser Stelle eine Biegung nach dem Dniepr zu macht. Aber die lichten Schimmer verblaßten immer mehr am Himmel und auf der Erde. Von oben herab tönte nur noch der langgezogene Schrei der Kraniche, welche dem Meere zuzogen, sonst unterbrach die tiefe Stille kein Laut.

Nacht lag auf der Wüste; mit ihr kam die Stunde der Geister. Die in den Standorten wachenden Ritter erzählten sich in jenen Zeiten, daß nachts in den wilden Feldern die Geister und Schatten der dort Gefallenen, welche in ihren Sünden eines plötzlichen und gewaltsamen Todes dahingingen, aufstehen und ihr Unwesen treiben, welchem weder die Kirche noch das Kreuz Einhalt tun kann. So sprach man denn, wenn die ausgebrannte Schwefelschnur die mitternächtliche Stunde wies, für die Seelen dieser Verstorbenen ein Gebet. Man erzählte auch, daß jene Schatten der Reiter den die Wüste durchziehenden Wanderern den Weg vertreten und wehklagend und heulend um das heilige Kreuzeszeichen bitten. Unter ihnen befinde sich aber auch das Totengespenst, welches heulend die Menschen verfolge. Ein geübtes Ohr erkenne schon von ferne diese Stimme und unterscheide sie leicht vom Geheul des Wolfes. Man sah zuweilen auch ganze Heere von Schatten, welche sich den Standorten so näherten, daß die Wachen Alarm bliesen. Diese Gesichte prophezeiten gewöhnlich große Kriege. Das Antreffen einzelner Schatten bedeutete auch nichts Gutes, aber man durfte es auch nicht immer schlimm deuten, denn auch lebende Menschen kamen und gingen zuweilen gleich Schatten vor dem Wanderer, so daß man sie wohl gut für Gespenster halten konnte.

Als nun am Omelnitschko die Nacht herniedersank, da war es nichts Wunderbares weiter, daß bei jenem verlassenen Standort plötzlich eine Gestalt auftauchte, welche ebensowohl ein Mensch als ein Geist sein konnte.

Hinten, auf der anderen Seite des Dniepr, ging eben der Mond auf und übergoß die weite Steppe mit bleichem Licht. In diesem Augenblick erschienen in derselben noch andere nächtliche Gestalten. Vorüberziehende Wölkchen verhüllten auf Augenblicke den Mond; so hoben sich denn jene Gestalten bald scharf von der Dunkelheit ab, bald verschwanden sie ganz, und es schien, daß sie in der Finsternis wie in einem See versanken. In ihren Bewegungen lag etwas Grauseneregendes, wie alles in dieser scheinbar so öden Steppe grausig war. Zuweilen wehte vom Dniepr her der Wind, das trockene Riedgras bewegend, daß es rauschend sich neigte, wie von Furcht erschreckt. Endlich verschwanden die Gestalten im Schatten der Ruine. Im blassen Mondlicht sah man nur noch den vereinzelten Reiter auf der Erderhöhung.

Plötzlich erweckte ein Geräusch in der Nähe, das Rauschen des Grases seine Aufmerksamkeit und schreckte ihn aus seinem Sinnen. Indem er sich dem äußersten Rande der Erhöhung näherte, blickte er aufmerksam und unverwandt hinaus in die Steppe. In diesem Augenblick hörte der Wind auf, das Geräusch verstummte, tiefe Stille trat ein.

Plötzlich ertönte ein schriller Pfiff. Verschiedene Stimmen schrieen wild durcheinander:

»Hallo! Hallo! Jesu Christe hilf! Schlage!«

Ein Knall von Gewehrfeuer schallte weithin, rote Leuchten erhellten das Dunkel. Pferdegetrappel mischte sich mit dem Klange von Eisen. Neue Reiter tauchten, wie aus der Erde gewachsen, in der Steppe auf. Man meinte, ein Sturm brause plötzlich über die unheilverkündende Wüste. Dann mischten sich menschliche Klagelaute mit dem schrecklichen Lärm, endlich wurde alles still, der Kampf war beendet. Augenscheinlich hatte sich hier eine jener sich oft wiederholenden Szenen in den wilden Feldern abgespielt.

Die Reiter sammelten sich auf der Erhöhung, einige stiegen ab und schienen eifrig etwas zu betrachten. Jetzt vernahm man durch das Dunkel eine mächtige befehlende Stimme:

»Holla! Ihr dort! Macht Feuer an!«

Nach einer Weile sprühten erst Funken, dann schlug eine helle Flamme in die Höhe, bald brannte ein Kienfeuer; eine Stange mit einer Lampe, auf welcher das Feuer sich befand, wurde in die Erde gerammt. Das von oben herabfallende Licht beleuchtete deutlich eine Anzahl Menschen, welche über eine regungslos am Boden liegende Gestalt gebeugt dastand. Es waren die Soldaten, gekleidet in die rote Farbe des Hofes, mit Kapuzen aus Wolfsfell. Einer von ihnen, auf prächtigem Pferde, schien die anderen anzuführen. Vom Pferde absitzend, näherte er sich der daliegenden Gestalt und fragte:

»Nun, Wachtmeister, lebt er, oder lebt er nicht?«

»Er lebt, Herr Statthalter, Befehlshaber eines Regiments. er röchelt, ein Lasso würgte ihn.«

»Was für einer ist er?«

»Kein Tatar, jemand Bedeutenderes.«

»So müssen wir Gott danken.«

Der Statthalter blickte aufmerksamer nach dem daliegenden Manne.

»Er scheint so etwas wie ein Hetman zu sein!« sagte er.

»Und das Pferd unter ihm ist ein edler Tatar, wie man ihn besser beim Khan selbst nicht finden kann,« erwiderte der Wachtmeister. »Da, dort steht es.«

Der Hauptmann blickte zur Seite; sein Gesicht erhellte sich. Zwischen zwei Gliedrossen seiner Leute hielt man ein herrliches Tier, welches mit gespitzten Ohren, weitgeöffneten Nüstern, vorgestrecktem Kopfe und erschrecktem Blick nach seinem Herrn schaute.

»Aber das Pferd, Herr Statthalter, bleibt unser?« schaltete im Frageton der Wachtmeister ein.

»Ungläubiger Hund, du wolltest einem Christen in der Steppe sein Pferd wegnehmen?«

»Es ist ein Beutepferd ...«

Weitere Auseinandersetzungen unterbrach das verstärkte Röcheln des gewürgten Mannes.

»Gießt ihm Branntwein in den Mund,« sagte der Statthalter, »schnallt den Gurt ab.«

»Bleiben wir hier zur Nacht?«

»So ist es, die Pferde absatteln, das Wachtfeuer anzünden.«

Die Soldaten folgten lebhaft diesen Befehlen. Die einen begannen Feuer zu schlagen, andere eilten, Brennmaterial zu sammeln, und noch andere breiteten auf dem Erdboden Kamel- und Bärenfelle zu Lagerstätten. Nicht weiter um den Gewürgten sich kümmernd, knöpfte der Statthalter seinen Gurt ab und warf sich auf seine Burka Burka = Regenmantel. neben das Feuer. Es war dies ein noch junger Mann, dürr, gebräunt, sehr wohlgestaltet, mit schmalem Gesicht und vorspringender Adlernase. In seinen Augen blitzte ein leidenschaftliches Feuer, aber im Antlitz trug er den Ausdruck der Ehrlichkeit. Ein voller, starker Schnurrbart und das jedenfalls seit langem unrasierte Kinn gaben seinem ganzen Aussehen einen sein Alter weit überragenden Ernst.

Unterdessen beschäftigten sich zwei Burschen mit dem Herrichten des Abendessens. Man brachte fertig zugerichtete Hammelkeulen auf das Feuer, nahm auch einige den Tag über erlegte Trappen und etliche Schneehühner, welche der eine Bursche sogleich abzurupfen begann. Das Wachtfeuer brannte hoch, einen großen roten Lichtkreis auf die Steppe werfend. Der gewürgte Mann begann allmählich zu sich zu kommen. Eine Zeitlang irrten seine blutunterlaufenen Augen über die Fremdlinge, in ihren Gesichtszügen forschend, dann bemühte er sich aufzustehen. Der Soldat, welcher vorher mit dem Statthalter gesprochen hatte, faßte ihn stützend unter den Armen; ein anderer gab ihm eine Stütze in die Hand, an welcher er sich mit großem Kraftaufwand aufrichtete. Sein Gesicht war noch rot, die Adern noch angeschwollen. Endlich lallte er mit halberstickter Stimme das erste Wort: »Wasser!«

Man gab ihm Branntwein, den er in langen Zügen trank, was ihm sichtlich wohltat, denn als er endlich die Flasche vom Munde absetzte, klang seine Stimme schon reiner bei der Frage: »In wessen Hand bin ich?«

Der Statthalter stand auf und trat näher zu ihm.

»In der Hand derjenigen, welche Euch errettet haben.«

»So hat keiner von Euch mich mit dem Lasso gefangen?«

»Unsere Sache ist, mit dem Säbel zu hantieren, nicht mit dem Lasso. Ihr beleidigt mit Eurem Verdacht brave Soldaten. Dich fingen uns unbekannte Missetäter, welche du, wenn du neugierig sein solltest, ansehen kannst; sie liegen dort, gleich geschlachteten Hammeln.«

Indem er dies sagte, wies er mit dem Finger auf einige am Fuße des Abhanges liegende dunkle Körper.

Und der Unbekannte erwiderte:

»So laßt mich ausruhen.«

Man breitete eine Satteldecke aus Fries auf dem Boden aus und setzte ihn darauf. Er verfiel in tiefes Schweigen.

Er war ein Mann im kräftigsten Alter, mittleren Wuchses, mit breiten Schultern, von fast riesenhaftem Körperbau und frappierenden Gesichtszügen. Der Kopf war von mächtiger Größe, die Gesichtshaut welk und stark gebräunt, die Augen schwarz und etwas schief geschlitzt, wie bei den Tataren, und über den schmalen Lippen hing ihm ein dünner Schnurrbart, welcher erst an den Enden sich in zwei dichte Büschel teilte. Sein großes Gesicht trug den Stempel des Stolzes und des Mutes. Es lag in seinem Ausdruck etwas gleichzeitig Anziehendes und Abstoßendes, zugleich die ganze Würde eines Hetmans, verbunden mit der Tücke des Tataren, Gutmütigkeit und Wildheit.

Nachdem er etwas geruht hatte, stand er auf und schritt zur Verwunderung aller, statt zu danken, den hingestreckten Leichen zu.

»Ein ungehobelter Bursche!« murmelte der Statthalter.

Inzwischen hatte der Unbekannte aufmerksam jedes Gesicht da unten betrachtet und nickte mit dem Kopfe wie ein Mensch, welcher alles erraten hatte; darauf wandte er sich langsam dem Statthalter zu, sich an den Seiten klopfend und unwillkürlich nach dem Gurte tastend, hinter welchen er die Hände stecken wollte.

Dieses würdevolle Betragen gefiel dem Statthalter nicht bei einem Menschen, welcher eben erst vom Strange losgeschnitten war; er sagte ironisch:

»Man sollte sagen, daß Ihr Bekannte sucht unter jenen Raubmördern, oder ein Gebet für ihr Seelenheil sprecht.«

Und der Fremde entgegnete mit gleicher Würde:

»Ihr täuscht Euch nicht und täuscht Euch doch: Ihr täuscht Euch nicht, denn ich suchte Bekannte, und täuscht Euch doch, denn diese da sind keine Raubmörder, nur die Diener eines gewissen Edelmannes, meines Nachbarn.«

»So trinkt Ihr und Euer Nachbar augenscheinlich nicht aus einem Brunnen Wasser?«

Ein eigentümliches Lächeln überflog die schmalen Lippen des Unbekannten.

»Auch darin irrt Ihr,« brummte er zwischen den Zähnen. Nach einer Weile setzte er lauter hinzu:

»Aber – verzeihe der ehrenwerte Herr nur, daß ich ihm nicht zuerst den schuldigen Dank für die Hilfe und so folgenreiche Rettung zu Füßen gelegt habe, welche mich von einem so sicheren Tode befreite. Eure Tapferkeit stand ein für meine Unvorsichtigkeit, denn ich hatte mich von meinen Leuten getrennt aber meine Dankbarkeit kommt Eurer Bereitwilligkeit nach.«

Dies sprechend, streckte er dem Statthalter die Hand entgegen.

Aber der jugendliche Anführer rührte sich nicht vom Fleck und beeilte sich durchaus nicht mit dem Darreichen der seinen, dafür sagte er:

»Zuerst möchte ich wissen, ob ich es mit einem Edelmanne zu tun habe, denn, obgleich ich daran nicht zweifle, so schickt es sich doch nicht, namenlose Danksagungen entgegen zu nehmen.«

»Ich sehe, Euer Liebden haben einen echt kavaliermäßigen Sinn, und Ihr habt recht. Ich hätte meinen Diskurs mit meinem Namen und der Danksagung beginnen sollen. Ich bin Zenobius Abdank, mit dem Kreuz im Wappen, ein Edelmann, seßhaft in der Kiewer Wojewodschaft und Kosakenhauptmann der Fahne des Fürsten Dominikus Saslawski.«

»Und ich, Johann Skrzetuski, Statthalter der Panzerfahne des allerdurchlauchtigsten Fürsten Jeremias Wischniowiezki, der mich mit einer Botschaft zum Khan gesandt hat.«

»Ihr dient unter einem berühmten Kriegsherrn. Empfanget jetzt meinen Dank und meine Hand.«

Der Statthalter zögerte nicht länger. Seine Waffengefährten sahen zwar von oben herab auf Soldaten anderer Fahnen, aber Herr Skrzetuski befand sich in der Steppe, auf den wilden Feldern, wo solche Dinge weniger ins Gewicht fielen. Übrigens hatte er es mit einem Hauptmanne zu tun, wovon er sich sogleich durch den Augenschein überzeugte, denn als seine Soldaten ihm Säbel und Gurt reichten, welchen sie ihm abgegürtet hatten, da übergaben sie ihm gleichzeitig den in Elfenbein gefaßten Feldherrnstab mit dem Kopfe aus Perlmutter, welchen in der Regel die Kosakenhauptleute trugen. Dazu war sein Anzug gewählt, und die gebildete Sprache verriet einen scharfen Verstand und Weltkenntnis. Deshalb lud Herr Skrzetuski ihn zur Gesellschaft. Der Geruch des gebratenen Fleisches verbreitete sich eben vom Wachtfeuer aus, Gaumen und Nase kitzelnd. Der eine Bursche nahm dasselbe nun vom Feuer und reichte es seinem Herrn auf zinnerner Schüssel. Man fing an zu essen, und als man einen mächtigen Beutel aus Ziegenleder, gefüllt mit Moldauer Wein, herbeibrachte, da entwickelte sich bald ein lebhaftes Gespräch.

»Antwortet mir,« begann Skrzetuski, »was tut Ihr hier am Omelnitschko, und wie kommt Ihr hierher so allein?«

»Ich bin nicht allein! Ich ließ nur meine Leute unterwegs zurück und wollte nach Kudak reiten, zu Herrn Grodschizki, welcher dort das Oberhaupt des Staatspräsidiums ist, und zu welchem der Großhetman mich mit Briefen schickte.«

»Und warum reiset Ihr nicht zu Wasser?«

»Mein Auftrag, von welchem ich nicht abweichen darf, lautete anders.«

»Wunderbar, daß der gnädige Hetman einen solchen Befehl erließ, da Ihr doch gerade in der Steppe Gefahren zu überwinden hattet, die zu Wasser vermieden worden wären.«

»Herr, die Steppen sind jetzt ruhig; ich kenne sie nicht erst von heute und gestern, und das, was mich traf, war nur eine Insulte menschlicher Bosheit.«

»Und wer verfolgt denn den gnädigen Herrn so arg?«

»Das gäbe eine lange Erzählung. Es ist ein böser Nachbar, erlauchter Statthalter, welcher meine Existenz zerstörte, von meinen Besitzungen mich vertreibt, den Sohn erschlagen hat, und – wie Ihr gesehen, auch meinen Hals bedrohte.«

»Tragt Ihr denn nicht einen Säbel an der Seite?«

In dem mächtigen Antlitz Abdanks blitzte ein Ausdruck tiefsten Hasses auf, die Augen glänzten in düsterem Licht, und langsam und deutlich entgegnete er:

»Wohl trage ich ihn! – und so Gott mir helfe, werde ich gegen meine Widersacher nur bei ihm Zuflucht suchen.«

Der Hauptmann wollte noch etwas weiter sagen, als plötzlich der Schall von Pferdegetrappel, vielmehr ein beschleunigtes Rascheln von Pferdefüßen auf dem aufgeweichten Rasen der Steppe sich hören ließ. Bald darauf erschien auch der Diener des Statthalters mit der Nachricht, daß sich Reiter näherten.

»Das sind gewiß meine Leute,« sagte Abdank, »welche gleich hinter dem Taschmin zurückblieben. Ich hatte, keinen Verrat fürchtend, versprochen, sie hier zu erwarten.«

Nach einer kleinen Weile umringte die Reiterschar im Halbkreis die Erhöhung. Beim lichten Feuerschein zeigten sich Pferdeköpfe mit geöffneten Nüstern, schnaubend vor Müdigkeit, und über sie gebeugt die Häupter der Reiter, welche, die Augen mit den Händen beschattet, scharf nach dem Feuer hinsahen.

»Heda, Leute! Wer seid ihr?« fragte Abdank.

»Streiter Gottes!« entgegneten die Stimmen aus dem Dunkel.

»Ja, es sind meine Krieger,« wiederholte Abdank, sich dem Statthalter zuwendend. »Heran! heran!«

Einige verließen die Pferde und näherten sich dem Feuer.

»O, wir haben uns beeilt, Väterchen. Was ist mit dir?«

»Es war ein Überfall. Chwedko, der Verräter, wußte um den Ort und wartete mit anderen hier. Er mußte kurz vor mir gekommen sein. Mit dem Lasso fingen sie mich.«

»Behüt' Gott! Behüt Gott! Und was ist das für ein Leche Lechen werden die Polen von den Russen genannt. neben dir?«

Dies sprechend blickten sie drohend auf Herrn Skrzetuski und seine Gefährten.

»Das sind gute Busenfreunde,« sagte Abdank. »Ehre sei Gott, ich bin ganz und lebendig. Wir reisen gleich weiter.«

»Ehre sei Gott! Wir sind bereit!«

Die Neuangekommenen begannen ihre Hände am Feuer zu wärmen, denn die Nacht war klar, aber kalt. Es waren vierzig Mann, alle gut gewachsen und bewaffnet. Sie sahen gar nicht aus wie Linienkosaken, worüber Herr Skrzetuski sich nicht wenig wunderte, besonders, da ihrer so viele waren. Das alles kam dem Statthalter sehr verdächtig vor. Hätte der Großhetman den Herrn Abdank nach Kudak geschickt, so hätte er ihm gewiß Eskorte von den Linienkosaken gegeben und dann, wie kam er dazu, durch die Steppe zu ziehen, statt den Weg zu Wasser zu nehmen. Die Notwendigkeit, alle Flüsse zu überschreiten, welche durch die wilden Felder in den Dniepr strömten, mußte ihre Ankunft dort sehr verspäten. Es sah vielmehr gerade so aus, als wollte Herr Abdank Kudak umgehen.

Aber auch die Persönlichkeit des Herrn Abdank gab dem jungen Statthalter zu denken. Er hatte bemerkt, daß die Kosaken, welche sich in der Regel mit ihren Hauptleuten auf einen sehr vertraulichen Fuß stellten, diesen hier mit einer so außergewöhnlichen Ehrfurcht umgaben, wie einen rechtmäßigen Hetman. Er mußte also ein Ritter von vornehmster Herkunft sein, was dem Herrn Skrzetuski um so verwunderlicher erschien, da er, bekannt in der Ukraine auf dieser und jener Seite des Dniepr, von einem derartig berühmten Abdank nie etwas gehört hatte. Außerdem lag in dem Antlitz dieses Mannes etwas so Außergewöhnliches, – der frappierende Ausdruck einer geheimen Macht, welcher dasselbe wie flammendes Feuer durchleuchtete, eines unbeugsamen Willens, welcher vor nichts und niemandem zurückschreckt. Denselben Ausdruck festen Willens trug das Antlitz des Fürsten Jeremias Wischniowiezki; was aber bei ihm die natürliche Folge einer hohen Geburt und unumschränkten Macht war, das mußte bei diesem Manne, der unbekannten Namens durch die Steppe schweifte, doppelt ins Auge fallen. Herr Skrzetuski dachte lange darüber nach. Es kam ihm der Gedanke, daß dies vielleicht ein mächtiger Bandit sei, der vor seinen Verfolgern sich in die wilden Felder flüchtete, dann wiederum, es möchte der Führer einer Räuberbande sein, aber das letztere war unwahrscheinlich. Die Kleidung und Sprache dieses Mannes kennzeichneten etwas anderes. Der Statthalter konnte gar keinen bestimmten Anhalt finden, er konnte nur vorsichtig sein.

Währenddes ließ Abdank sein Pferd vorführen.

»Gnädiger Statthalter,« rief er, »wer auf der Reise ist, muß weiter. Erlaubt, daß ich Euch nochmals für die Rettung danke. So Gott will, vergelte ich diesen Dienst mit einem gleichen.«

»Ich wußte nicht, wen ich rettete – habe also keinen Dank verdient.«

»Deine Bescheidenheit gleicht deiner Tapferkeit. Nimm von mir diesen Ring an.«

Des Statthalters Antlitz verfinsterte sich; er trat einen Schritt zurück und maß mit den Augen den Herrn Abdank. Dieser aber sprach weiter mit fast väterlicher Würde in Ton und Haltung:

»Sieh nur, es ist nicht die Kostbarkeit des Ringes, welche ihn wertvoll macht. Dieses Steinchen verschließt etwas Staub vom Grabe Christi. Eine solche Gabe weist man nicht zurück und wenn sie aus der Hand eines Verfehmten käme. Dieser Ring behütet und bewahrt vor Gefahren, wenn der Tag des letzten Gerichts kommt, und ich sage dir, dieser Tag beginnt schon die wilden Felder zu durchziehen.«

Es folgte eine Weile tiefer Stille; man hörte nur das Prasseln der Flammen und das Schnaufen der Pferde. Aus dem fernen Schilf tönte das Geheul der Wölfe herüber, langgezogen, trauervoll. Plötzlich wiederholte Abdank seine letzten Worte, als wenn er sie zu sich selbst spräche:

»Der Tag des Gerichts schreitet schon durch die wilden Felder, und wenn er erschienen ist – wird die Welt Wunder sehen.«

Der Statthalter nahm den Ring mechanisch in Empfang, so tief war er von den Worten dieses seltsamen Mannes ergriffen. Und dieser sah unverwandt ins tiefe Dunkel der Steppe, dann wandte er sich langsam um und bestieg sein Pferd.

»Vorwärts! Vorwärts! Bleib gesund, treuer Krieger,« sagte er zum Statthalter. »Die Zeiten sind derartig, daß der Bruder dem Bruder nicht traut, deshalb weißt du auch nicht, wen du beschütztest, denn ich habe dir meinen Namen nicht genannt.«

»So seid Ihr nicht Abdank?«

»Das ist nur mein Wappen ...«

»Und Euer Name?«

»Bogdan Zenobius Chmielnizki.«

Indem er dies sagte, sprengte er vom Hügel hinab, und seine Leute folgten ihm. Bald hüllte sie die Nacht und der Nebel ein.


 << zurück weiter >>