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12. Kapitel

Chmielnizki und Tuhaj-Bey gingen mit Skrzetuski zum Feldhauptmann ins Nachtlager. Der wilde Bey behandelte seinen Gefangenen, der ihm ein reiches Lösegeld einbringen sollte, respektvoll, um so mehr, da er ihm schon am Hofe des Khan als fürstlichem Botschafter begegnet war. Infolgedessen änderte auch der Feldhauptmann sein Betragen gegen ihn. Noch höher stieg seine Verwunderung jedoch, als Chmielnizki, kaum in der Hütte angelangt, sich an Tuhaj-Bey wandte:

»Sage mir, Bey, wie viel Lösegeld denkst du für den Gefangenen zu bekommen?«

Tuhaj-Bey sah sich Skrzetuski an und sagte:

»Gib viertausend Taler, und ich überlasse dir den Lechen,« entgegnete Tuhaj-Bey.

»Auf dein Wort! Ich gebe vier.«

Tuhaj-Bey dehnte sich und gähnte.

»Ich bin schläfrig,« sagte er. »Morgen muß ich früh nach Basawluck. Wo soll ich schlafen?«

Der Feldhauptmann wies auf einen Stoß Schaffelle an der Wand. Sogleich warf sich der Tatar darauf und schnarchte bald entsetzlich.

Chmielnizki ging einige Male in der engen Stube auf und nieder, dann sagte er:

»Der Schlaf flieht meine Lider, gib mir etwas zu trinken, Hauptmann.«

»Branntwein oder Wein?«

»Branntwein! Ich kann nicht schlafen.«

»Draußen dämmert schon der Morgen,« sagte der Hauptmann.

»Ja, es ist schon spät! Gehe schlafen, alter Freund! Trinke noch eins und gehe.«

»Auf Ehre und Glück!«

»Auf Glück.«

Der Feldhauptmann wischte mit dem Ärmel den Mund ab, reichte dem Hetman die Hand und ging.

Chmielnizki saß in tiefem Schweigen am Tische. Plötzlich erwachte er aus seinem Sinnen und sagte zu Skrzetuski, ihn fest anblickend:

»Statthalter, Ihr seid frei!«

»Ich bin Euch sehr dankbar, Hetman von Saporogien, obgleich ich offen bekenne, daß ich lieber jemand anderem meine Freiheit dankte.«

»So dankt mir nicht. Ihr habt mir das Leben gerettet, ich Euch, wir sind quitt. Doch eines muß ich Euch sagen, daß ich Euch noch nicht auf freien Fuß setze, außer, Ihr verpfändet Euer Ritterwort, daß Ihr, zurückgekehrt, niemandem verratet, was Ihr hier gehört und gesehen habt.«

»Ich sehe, Ihr haltet mich nur zum Narren, denn ein solches Wort gebe ich Euch nicht, da ich mich damit als zum Feinde übergegangen erklären müßte.«

»Es geht mir um Kopf und Kragen, wenn mir der Großhetman mit ganzer Macht entgegenzieht. Und das wird er tun, sobald er durch Euch erfährt, wie es hier steht, deshalb kann ich Euch nicht freilassen, bis ich in Sicherheit bin. Ich weiß, was ich unternehme. Gegen mich ziehen beide Hetmane, Euer Fürst, der selbst mit seiner Person ein ganzes Heer repräsentiert, die Saslawskis und Koniezpolskis und alle die kleinen Fürsten und Prinzen, welche den Kosaken den Fuß auf dem Nacken hielten. Es hat mich nicht wenig Mühe gekostet, den Aufstand zuwegezubringen, und wenn noch das ganze Volk sich uns anschließt, so denke ich, die Feinde der Kosaken zu bewältigen, aber das meiste Vertrauen setze ich in Gottes Hilfe, der mein erlittenes Unrecht und meine Unschuld kennt.«

Hier leerte Chmielnizki sein Glas mit Branntwein und begann unruhig um den Tisch herumzugehen. Herr Skrzetuski maß ihn mit den Augen und sagte streng:

»Lästert nicht, Hetman, indem Ihr Gottes Hilfe anruft, denn nur der Zorn Gottes kann Euch treffen. Ziemt es Euch, seine Hilfe zu erwarten? Euch, der Ihr persönlicher Streitigkeiten halber den fürchterlichen Sturm eines Bruderkrieges heraufbeschwört und zum Verderben der Christen Euch mit den Heiden verbindet? Was wird denn geschehen. Ob Ihr siegt oder fallet – immer werden Ströme Blutes fließen, Tränen werden ein Meer füllen können; gleich den Heuschrecken werdet Ihr die Länder verwüsten, und das eigene Blut den Heiden in die Sklaverei liefern. Ihr werdet die Republik verwüsten, gegen die Majestät die Hand erheben, die Altäre schänden, und alles das darum, weil Tschaplinski Euch den Hof genommen und in der Betrunkenheit Euer Leben bedroht hat. Und dazu ruft Ihr Gott an? – Wahrlich – ich sage Euch, trotzdem ich in Eurer Macht bin, und Ihr mir Leben und Freiheit rauben könnt, – ich sage Euch, nicht Gott, sondern den Teufel ruft Ihr an, denn nur die Hölle kann Euer Werk loben.«

Chmielnizki wurde kirschrot; – er griff nach der Klinge, sah den Statthalter an wie ein Löwe, der sich zum Sprunge bereitet – aber er bezähmte sich. Glücklicherweise war er noch nicht betrunken. Vielleicht war es auch eine innere Unruhe, die ihn warnte, die Stimme des Gewissens, die ihm zurief: »Kehre um!« Plötzlich – als ob er den eigenen Gedanken wehren wollte, sagte er:

»Von einem anderen litt ich solche Sprache nicht. Du aber sieh' dich vor, daß du meine Geduld nicht erschöpfst. Deine Frechheit hält mir die Schrecken der Hölle entgegen, du sagst, daß ich nur meine Privathändel rächen will? Kannst du denn wissen, ob es nicht auch anderes Unrecht zu rächen gibt? Liefen mir die Leute zu Tausenden zu, wenn es sich nur um meine Person handelte? ... Sieh', was in der Ukraine vorgeht! Wie fruchtbar ist dort die Mutter Erde. Wer aber kann dort sicher das »Morgen« erwarten? Wer ist dort glücklich? Wer frei im Vollgenuß seines Glaubens? Und wie viele Tränen fließen dort! Die Wischniowiezki, die Saslawski, Kalinowski und Koniezpolski nebst einer Handvoll Adliger allein sind die Glücklichen. Ihnen gehören die Starosteien, die Ehren, die hohen Ämter, der Boden, die Menschen; ihnen das Glück, das Gold, die Freiheit, und der Rest des Volkes streckt unter Tränen die Hände in die Höhe, Gottes Barmherzigkeit anrufend, denn auch der König ist nicht barmherzig. Wie viele vom kleinen Adel sind nach der Sitsch geflohen, um dem unerträglichen Drucke zu entrinnen? Ich will keinen Krieg mit dem Freistaat, dem Könige, nur mit den Fürsten und ihrer Tyrannei, die um Rache zum Himmel schreit. Welchen Dank ernteten denn die Kosaken für die großen Dienste, welche sie in den vielen Kriegen leisteten? Wo blieben ihre Privilegien? Der König gab sie, aber die Fürsten nahmen sie ihnen wieder. Nalewajko wurde gevierteilt, Pawluk in einem kupfernen Ochsen verbrannt.«

»Und wenn das alles wahr wäre, wer seid Ihr, Hetman, daß Ihr Euch zum Richter und Henker aufwerft? Welcher Übermut, und welche Gewalt beherrscht Euch? Warum überlaßt Ihr das Strafgericht nicht Gott? Ich verteidige die Bösen nicht, liebe nicht das Unrecht, erkenne der Tyrannei kein Recht zu, aber, Hetman, blickt in Euer Inneres. Ihr klagt über den Despotismus der Fürsten, über ihren Stolz, der selbst dem Könige sich nicht beugt. Seid Ihr denn frei davon? Langt Ihr nicht selbst mit rascher Hand nach der Herrschaft, dem Recht der Majestät? Ihr seht nur den Despotismus der Fürsten, wollt aber nicht ihre panzerbedeckte Brust, ihre Macht, ihre festen Schlösser, Waffen und den Mut sehen, mit welchem sie diese in Milch und Honig schwimmende Erde vor dem tausendfach schwereren türkischen oder tatarischen Joche schützen. Wer würde sie sonst schützen? Wer bewahrt eure Kinder vor dem Los, unter den Janitscharen dienen zu müssen, und eure Weiber vor dem Schicksal, ihr Leben im Harem zuzubringen? Wer bebaut die Wüsten, legt Städte und Dörfer an und errichtet Kirchen? O, Gott! Und wenn alle schlecht wären, wenn alle, was doch nicht so ist, das Recht mit Füßen träten – möge Gott im Himmel sie richten; die Königsrute auf Erden, aber nicht Ihr, Hetman. Könnt Ihr denn sagen, daß unter euch nur Gerechte sind? Habt Ihr denn nie gesündigt, daß Ihr das Recht zu haben glaubt, auf andere Steine zu werfen? Und da Ihr mich fragt, wo die Privilegien der Kosaken geblieben sind, so antworte ich Euch: »Nicht die Prinzen und Fürsten haben sie vernichtet, sondern die Saporoger – Loboda, Sasko, Nalewajko und Pawluk, von welchem Ihr fabelt, daß er in einem kupfernen Ochsen verbrannt wurde, obwohl Ihr gut wißt, daß es nicht so war. Eure Unruhen, Revolutionen und Überfälle haben sie vernichtet. Wer hat den Tataren die Grenzen der Republik zu Raub und Mord geöffnet? – Ihr! Wer – o Gott! – gab das eigene Christenvolk in die Sklaverei? – Ihr! Wer trieb die größten Schwindeleien? – Ihr! Vor wem ist der Adel, der Kaufmann, der Landmann am wenigsten sicher? – Vor euch! Wer entflammt immer neue Bürgerkriege, verbrennt Dörfer und Städte, beraubt die Gotteshäuser und schändet die Weiber? – Ihr! Ihr! Was wollt ihr eigentlich? Soll man euch Privilegien bewilligen, damit ihr Bürgerkriege, Raub und Verwüstung anzetteln könnt? Wahrlich, man hat euch mehr gegeben als genommen. Da, siehe, dort liegt Euer Bundesgenosse – der Eure – aber der giftigste Feind des Freistaates – Euer Freund – aber der Verfolger des Kreuzes und des Christentums, kein Prinz der Ukraine, sondern ein Mohr aus der Krim, und mit diesem werdet Ihr gemeinschaftlich das eigene Nest verbrennen – die eigenen Brüder richten! Aber – er wird Euch beherrschen! Ihr werdet ihm den Steigbügel halten müssen.«

Chmielnizki goß ein neues Glas Branntwein hinunter.

»Als wir einst mit Barabasch bei dem Könige waren,« entgegnete er finster, »und als wir über unsere Plagen Klage führten, sagte unser Herr: »Habt ihr denn keine Musketen und Säbel zur Hand?«

»Wenn Ihr vor dem König der Könige stehen würdet, so möchte dieser sagen: »Habt Ihr Euren Feinden vergeben, wie ich Euch vergebe?«

»Ich will keinen Krieg mit der Republik.«

»Ihr legt ihr aber das Schwert an den Hals.«

»Ich gehe, die Kosaken aus ihren Fesseln befreien.«

»Um sie in tatarische Ketten zu legen!«

»Den Glauben will ich schützen.«

»Im Verein mit den Heiden!«

»Fort mit dir! Du bist nicht die Stimme meines Gewissens. Fort! sage ich dir.«

»Das vergossene Blut wird auf Euch lasten, die Tränen der Menschen Euch anklagen, der Tod wartet Euer! Das Gericht!«

»Eule!« schrie Chmielnizki, rasend vor Wut. Das Messer blitzte unter den Augen des Statthalters.

»Töte mich!« sagte Skrzetuski kalt.

Und wieder trat Stillschweigen ein, wieder hörte man nur das Schnarchen der Schlafenden und das Nagen des Holzwurmes. Chmielnizki stand eine Weile vor Skrzetuski, das Messer in der Hand; plötzlich schauerte er zusammen, er kam zur Besinnung, ließ das Messer fallen, griff nach der Branntweinflasche und leerte sie bis auf den letzten Tropfen.

»Ich kann ihn nicht töten!« brummte er, »ich kann nicht! Es ist schon spät ... Ist das schon die Dämmerung? Aber auch zur Bekehrung ist es zu spät ... Was redest du mir von Blut und Gericht?«

Er verlor immer mehr die Besinnung. Der Branntwein wirkte allmählich immer mehr.

»Was für ein Gericht? Wie? Der Khan versprach mir Verstärkung. Tuhaj-Bey schläft hier! Morgen rücken wir aus ... mit uns der heilige Michael, der Sieger! Und wenn ... und wenn ... so ... Ich habe dich von Tuhaj-Bey gekauft ... denke daran und sage es ... O! es schmerzt ... es schmerzt! Umkehren ... zu spät! Das Gericht ... Nalewajko ... Pawluk ...«

Auf einmal richtete er sich auf, sah entsetzt vor sich hin und schrie: »Wer ist da?«

»Wer ist da?« wiederholte noch schlaftrunken der Feldhauptmann.

Chmielnizki ließ das Haupt auf die Brust sinken, nickte einige Male hin und her, murmelte: »Welches Gericht?« und schlief ein.

Herr Skrzetuski, noch schwach von den erhaltenen Wunden und furchtbar aufgeregt von den letzten Szenen, erbleichte plötzlich und fühlte sich sehr übel. Er dachte, ob wohl der Tod jetzt komme? und fing an zu beten.


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