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16. Kapitel

Einige Tage waren seitdem verflossen. Den Menschen war zumute, als ob das Himmelsgewölbe über der Republik eingestürzt wäre. Ereignisse, wie die Schlachten bei den »Gelben Wassern«, bei Korsun, die Siege über die königlichen Truppen, welche bisher in allen Kämpfen mit den Kosaken gesiegt hatten, wie die Gefangennahme der Hetmane, die furchtbaren Brände, die Morde und das Gemetzel in der ganzen Ukraine, waren seit Anfang der Welt nicht dagewesen. Alles das brach plötzlich über dieses Land herein, daß es den Menschen unglaublich schien, wie so viel Elend und Unglück auf einmal sie treffen konnte. Viele wollten es auch gar nicht glauben, andere stumpfte der Schrecken ab. Manche wurden irrsinnig, und noch andere prophezeiten die Ankunft des Antichristen und das nahe Weltende. Alle gemeinschaftlichen Bande, alle gesellschaftlichen und Familienverhältnisse wurden zerrissen. Jede selbständige Macht, jeder Standesunterschied zwischen den Menschen hörte auf. Die Hölle schien alle ihre Laster und Verbrechen entfesselt und in die Welt geschickt zu haben. An Stelle der Arbeit, Ehrlichkeit, des Glaubens und des Gewissens traten Mord, Raub, Wortbrüchigkeit, tierische Gewalttätigkeiten, Schlächtereien und Raserei. Man kam zu dem Glauben, daß die Menschheit nicht mehr im Guten, sondern nur im Bösen fortleben wolle, daß die Herzen vollständig umgekehrt seien, und der Verstand dasjenige jetzt für heilig hielt, was früher für ehrlos gegolten, und für ehrlos dasjenige erklärte, was ihm früher heilig war. Die Erde wurde nicht von der Sonne beschienen, denn der Rauch der Brände verhüllte sie, und nachts leuchteten an Stelle des Mondes und der Sterne Brandfackeln. Und über all dieses Elend und Wehklagen, diese Morde und Brände erhob sich nur ein Mensch hoch und höher, wuchs an, zu riesenhafter, furchtbarer Größe, die ihren Schatten fast von Meer zu Meer warf. Und dieser eine Mensch hieß – Bogdan Chmielnizki. Zweihunderttausend siegestrunkene, bewaffnete Männer harrten seines Winkes. Das Raubgesindel zog überall umher; die angesiedelten Kosaken schlossen sich ihm überall in den Städten an. Der Aufstand verbreitete sich schon über die Wojewodschaften Ruthenien, Podolien, Wolhynien, Brazlaw, Kiew und Tschernigow. Die Macht des Hetman wuchs täglich. Die Republik hatte niemals auch nur die Hälfte der Streitkräfte einem Feinde gegenüberzustellen gehabt, wie sie jetzt Chmielnizki zu Gebote standen. Der deutsche Kaiser selbst hatte nicht so viel Menschen zur Verfügung. Die Gewalt des Sturmes übertraf alle seine Erwartungen; denn der Hetman selbst hatte im Anfang keinen Begriff von der eigenen Stärke, und wußte selbst nicht, wie hoch er schon emporgewachsen war.

Chmielnizki wußte aber, daß, als selbst zu ihren schwächsten Zeiten die Republik an den inneren Unordnungen fast in sich selbst zu zerfallen drohte, sie dennoch die heftigsten Angriffe der Türken zurückgeschlagen hatte. So war es bei Chozim gewesen, so hatten ihre Fahnen schon die Wälle fremder Hauptstädte geschmückt. Welchen Widerstand würde sie jetzt leisten? Zu welchen Schritten würde die Verzweiflung jetzt dieses Land treiben, wo es vor der Entscheidung stand, entweder zu siegen oder unterzugehen?

Angesichts alles dieses erschien Chmielnizki jeder neue Sieg als eine neue Gefahr, weil er ihn dem Erwachen des schlafenden Löwen näher brachte, und etwaige Verhandlungen zur Unmöglichkeit machte. In jedem Siege lag kommendes Elend, und der Boden seines Freudenkelches war voll von Bitterkeit. Jetzt mußte auf den Kosakenaufstand der Aufstand der Republik folgen. Es schien dem Hetman, als höre er schon sein dumpfes Brausen. Aus Großpolen, Preußen, dem volkreichen Masowien, Kleinpolen und Litauen würden Zuzüge von Kriegern eintreffen – ihnen fehlte nur ein Führer. Er hatte zwar die obersten Feldherren gefangen genommen, aber auch dieses Glück erschien ihm eher als eine Schicksalstücke, denn die Hetmane waren wohlerfahrene Krieger, doch keiner von ihnen war der Mann, dessen diese Zeit des Schreckens, der Gefahr und der Not bedurfte.

Dieser Mann konnte jetzt einzig und allein der Fürst Jeremias Wischniowiezki sein. Gerade deshalb, weil die anderen alle gefangen waren, konnte die Wahl zum Oberfeldherrn nur den Fürsten treffen. Niemand zweifelte daran, auch Chmielnizki nicht.

Unterdes kamen von jenseits des Dniepr Nachrichten nach Korsun, wo jetzt der Hetman der Saporogen nach der Schlacht ausruhte, daß der schreckliche Fürst Lubnie bereits verlassen habe, daß er die Aufwiegler ohne Erbarmen niederhauen ließ, und daß er auf den Brandstätten der Dörfer, Städte und Höfe Blutpfähle und Galgen aufpflanze. Man erzählte, daß er an der Spitze von fünfzehntausend der tapfersten Leute des Freistaates heranziehe. Im Kosakenlager wurde er jeden Tag erwartet. Gleich nach der Schlacht bei Kruta-Balka verbreitete sich wie ein Lauffeuer das Geschrei: »Jarema kommt!« und dieser Name brachte solches Entsetzen unter das Gesindel, daß es blindlings die Flucht ergriff. Den Hetman machte solche Furcht nachdenklich. Er hatte jetzt die Wahl. Entweder zog er mit seinem ganzen Heere dem Fürsten entgegen, oder er ließ einen Teil desselben zurück, um die Schlösser der Ukraine zu zerstören, während er selbst sich in die Tiefe der Republik begab.

Der Angriff auf den Fürsten war gefährlich. Chmielnizki konnte trotz seiner großen Übermacht einem solchen erfahrenen Heerführer gegenüber dennoch eine Niederlage erleiden und dann war alles verloren. Andererseits hätte der Fürst wohl kaum einen offenen Kampf angenommen, sich vielmehr mit der Verteidigung der Schlösser und dem sogenannten »kleinen Kriege« begnügt. Das konnte aber den Krieg monate-, ja jahrelang ausdehnen, und unterdes hätte die Republik immer neue Hilfstruppen dem Fürsten zugeführt.

So beschloß denn Chmielnizki, den Fürsten Wischniowiezki am Dniepr zu lassen, sich selbst erst in der Ukraine sicher zu befestigen, seine Truppen zu organisieren, dann erst die Republik anzugreifen und sie zu Unterhandlungen zu zwingen. Er rechnete darauf, daß die Unterdrückung des Aufstandes am Dniepr allein den Fürsten schon eine geraume Zeit in Anspruch nehmen würde, ihm selbst somit freies Feld bliebe. Durch Zurücklassung einzelner Schwadronen hoffte er den Aufstand hier fortwährend zu schüren. Zuletzt dachte er noch den Fürsten durch ein in die Längeziehen der Unterhandlungen hinzuhalten, bis seine Kräfte gänzlich aufgerieben sein würden.

Ein paar Tage also nach der Schlacht bei Kruta-Balka, an demselben Tage, an welchem so vieles Gesindel flüchtete, ließ er Herrn Skrzetuski zu sich rufen. Er empfing ihn im Hause des Starosten unter dem alleinigen Beisitz Krschetschowskis, welcher Herrn Skrzetuski längst bekannt war, sehr gnädig, obwohl nicht ohne eine gewisse Hoheit, welche seiner jetzigen Würde angemessen war.

»Herr Hauptmann Skrzetuski!« sagte er. »Für den Dienst, welchen Ihr mir einst erwiesen, habe ich Euch von Tuhaj-Bey ausgelöst und versprach Euch die Freiheit. Jetzt ist die Stunde gekommen, wo Ihr gehen könnt. Damit Ihr sicher reiset, falls Euch welche meiner Leute begegnen, werde ich Euch den Feldherrnstab als Geleitsbrief mitgeben. Er wird Euch auch vor dem Gesindel schützen. Ihr könnt zu Eurem Fürsten zurückkehren.«

Skrzetuski schwieg. Sein finsteres Gesicht wurde von keinem Lächeln erhellt.

»Könnt Ihr die Reise antreten? Ihr seht so krank aus.«

In der Tat glich Herr Skrzetuski nur mehr einem Schatten. Die erhaltenen Wunden und die letzten Ereignisse hatten die Riesennatur dieses Jünglings so daniedergeworfen, daß es schien, als würde er das »Morgen« nicht mehr erleben. Der seit langer Zeit nicht verschnittene schwarze Bart erhöhte noch das krankhafte Aussehen. Sein Gesicht war infolge des schweren inneren Kummers gelb geworden. War er doch Zeuge alles dessen gewesen, was seit dem Ausrücken aus der Sitsch geschehen war. Er hatte die Schande und das Elend, die Gefangennahme der Hetmane, die Triumphe der Kosaken erlebt. Er hatte gesehen, wie man aus den abgeschnittenen Köpfen der gefallenen Soldaten Pyramiden aufrichtete, wie man die erschlagenen Edelleute an den Rippen auf Haken hing; er hatte die abgeschnittenen Brüste der entehrten Jungfrauen, den Mut der Verzweiflung, aber auch die feige Furcht, – alles hatte er gesehen. Er litt furchtbar, um so mehr, da er den Gedanken nicht los werden konnte, daß er selbst die mittelbare Ursache all dieser Greueltaten sei, denn er – er selbst, kein anderer hatte den Chmielnizki in den »wilden Feldern« vom Tode errettet. Konnte wohl ein christlicher Ritter damals ahnen, daß die Erfüllung einer Nächstenliebe solche Früchte tragen werde? Der Schmerz zehrte ihn auf.

Und wenn er sich fragte, was mit Helene geschah, wenn er an das Schicksal dachte, welches sie getroffen haben mußte, falls das Unglück sie in Roslogi zurückgehalten hatte, dann streckte er die Arme zum Himmel empor und rief in grenzenloser Verzweiflung: »Gott! Nimm meine Seele, denn ich leide hier schon mehr, als ich verdiente!« Dann erkannte er wieder, daß er Gott lästere, warf sich auf das Antlitz und flehte um Rettung, Vergebung und Barmherzigkeit für das Vaterland und für jene unschuldige Taube, welche, vielleicht in Gefahr, umsonst nach Gottes und seiner Hilfe rief. Mit einem Wort – er hatte so viel gelitten, daß ihm selbst die geschenkte Freiheit jetzt keine Freude mehr machte, und dieser saporogische Hetman, dieser Triumphator, welcher ihm durch dieses Geschenk seine Großmut und Gnade beweisen wollte, imponierte ihm durchaus nicht. Als Chmielnizki das merkte, runzelte er die Stirn und sagte:

»Beeilet Euch, Nutzen aus meiner Gnade zu ziehen, damit ich mich nicht anders besinne. Meine Tugend und das Vertrauen auf meine gute Sache machen mich sorglos genug, mir noch einen Feind zuzugesellen, denn ich weiß wohl, daß Ihr gegen mich kämpfen werdet.«

Darauf erwiderte Herr Skrzetuski:

»Wenn Gott mir die Kraft dazu gibt!«

Er blickte dabei den Hetman so an, als ob er ihm bis auf den Grund der Seele sehen wollte. Chmielnizki, welcher diesen Blick nicht ertragen konnte, schlug seine Augen nieder und ließ sich erst nach einer Weile wieder hören.

»Das schadet mir nicht. Ich bin zu mächtig, als daß ein elender Wicht mir etwas bedeuten könnte. Ihr dürft auch Eurem Fürsten erzählen, was Ihr hier gesehen habt, und ihn warnen, damit er minder verwegen vorgeht, denn wenn ich die Geduld verliere, so werde ich ihn hinter dem Dniepr aufsuchen, und ich zweifle, daß ihm ein solcher Besuch angenehm wäre.«

Skrzetuski schwieg.

»Ich wiederhole,« sagte Chmielnizki weiter, »nicht mit der Republik, sondern mit den Herren führe ich Krieg, und unter ihnen steht der Fürst in erster Linie. Er ist mein und des ruthenischen Volkes Gegner, ein Abtrünniger der Kirche, ein Tyrann.«

Er hatte sich immer mehr in den Zorn hineingeredet, das Blut stieg ihm ins Gesicht, seine Augen schleuderten Blitze. Ein wahrer Paroxysmus befiel ihn; er verlor fast die Besinnung.

»Ich werde ihn durch den Krschywonos an der Leine hierherführen lassen!« schrie er. »Unter meine Füße werde ich ihn treten, und seinen Rücken als Schemel benutzen!«

Skrzetuski blickte den wutschnaubenden Chmielnizki hochmütig an, dann sagte er vollkommen ruhig:

»Erst zwingt ihn!«

»Erlauchter Hetman,« fiel hier Krschetschowski ein, »laßt diesen frechen Edelmann jetzt gehen. Es ziemt Eurer Würde nicht, daß Ihr seinetwegen in Zorn geratet, und da Ihr ihm die Freiheit versprochen habt, so rechnet er darauf, daß Ihr entweder wortbrüchig werdet oder seine Bemerkungen anhören müßt.«

Chmielnizki bemeisterte sich, schnaufte noch eine Weile, dann rief er:

»So mag er gehen, damit er wisse, daß Chmielnizki Gutes mit Gutem zahlt. Gebt ihm den Geleitsschein, wie ich versprochen, und eine Abteilung Tataren, die ihn bis zum Lager geleiten mögen.«

Und dann wandte er sich zu Skrzetuski:

»Ihr aber wisset, daß wir jetzt quitt sind. Ich habe Euch liebgewonnen, trotz Eurer Verwegenheit, aber – geratet Ihr nochmals in meine Hände, so entkommt Ihr nicht wieder.«

Skrzetuski entfernte sich und bestieg den Wagen, den einige Tataren, die ihn begleiten sollten, umringten. Der Zug setzte sich sogleich in Bewegung. Am zweiten Tage seiner Reise gelangte Herr Skrzetuski nach Tschechryn.

Skrzetuski hielt sich nicht lange in Tschechryn auf. Er ließ sich über den Fluß setzen und eilte nach Roslogi. Die Gewißheit, daß er sich bald selbst überzeugen könne, was mit Helene geschehen, die Hoffnung, daß sie vielleicht gerettet sei oder sich mit der Muhme und den Vettern nach Lubnie geflüchtet habe, gaben ihm Gesundheit und Kraft zurück. Er verließ den Wagen, bestieg sein Pferd und trieb ohne Erbarmen seine Tataren zur Eile. Diese glaubten, daß sie als Begleiter eines Gesandten seinem Kommando unterstellt seien und widerstrebten deshalb nicht. Sie flogen dahin, als würden sie verfolgt, große, gelbe Staubwolken zurücklassend. Sie kamen an Dörfern und Gehöften vorüber. Das Land war wüst, die Wohnsitze verlassen, so daß sie lange niemanden trafen. Jedenfalls versteckten sich die Menschen auch vor ihnen. Hier und da ließ Herr Skrzetuski die Gärten, die Weideplätze, die Felder und Dachräume durchsuchen, aber niemand, keine Seele war zu sehen.

Erst hinter Pohreb erblickte einer der Tataren eine menschliche Gestalt, welche bemüht war, sich im Kalmusdickicht zu verstecken, das die Ufer des Kahamlik bewuchs.

Die Tataren sprangen nach dem Fluß zu, und wenige Minuten später führten sie vor Herrn Skrzetuski zwei vollständig unbekleidete Menschen. Der eine von ihnen war ein Greis, der andere ein schlanker, etwa fünfzehn- bis sechszehnjähriger Jüngling. Beiden klapperten die Zähne vor Angst. Lange Zeit konnten sie gar nichts sprechen.

»Woher seid ihr?« fragte Herr Skrzetuski.

»Wir sind nirgendsher, Herr!« antwortete der Alte. »Wir gehen betteln – mit der Zither, hier, dieser Stumme führt mich.«

»Woher kommt ihr jetzt, aus welchem Dorfe? Sprich dreist, es geschieht dir nichts.«

»Wir sind in allen Dörfern gewesen, bis hier auf dieser Stelle irgend ein Teufel uns vollständig beraubt hat. Wir hatten gute Stiefel – er nahm sie – Mützen – er nahm sie – gute Kleider, von der Barmherzigkeit der Menschen – die nahm er, auch die Zither ließ er uns nicht.«

»Höre, Bauer! Erzähle nun, was ich dich frage, sonst lasse ich dich hängen.«

»Ich weiß nichts, Herr!«

»Warst du in Roslogi, dort, wo die Fürsten Kurzewitsch wohnen?«

»Ich war dort, Herr!« rief der Bettler.

»Was sahst du dort?«

»Wir waren dort, fünf Tage mag es her sein, und dann hörten wir in Browarki, daß Lechen dahin gekommen sind.«

»Was für welche? Waren es Ritter?«

»Ich weiß es nicht, Herr! Einer sagte Lechen, der andere sagte Kosaken!«

»Vorwärts!« befahl Herr Skrzetuski den Tataren.

Weiter ging es. Die Sonne ging unter, gerade wie damals, als der Statthalter nach der Begegnung mit Helene und der Fürstin auf dem Wege neben ihnen nach Hause zu ritt. Wieder glänzte der Kahamlik purpurrot, der Tag ging noch stiller, heiterer und wärmer zur Ruhe. Damals freilich ritt Herr Skrzetuski hier, die Brust voll Glück und seliger Gefühle; jetzt jagte er dahin wie ein Verdammter, getrieben vom Sturm der Unruhe und böser Ahnungen. Die Stimme der Verzweiflung schrie ihm in die Seele: »Bohun hat sie geraubt, du siehst sie nie wieder!« und die Stimme der Hoffnung schmeichelte: »Es war der Fürst, sie ist gerettet!« Und diese Stimmen beunruhigten ihn derartig, daß ihm das Herz zu springen drohte. Unaufhörlich jagten sie weiter. Eine Stunde verfloß, noch eine. Der Mond war aufgegangen, hatte sich zu seiner vollen Höhe erhoben, wurde immer blasser. Die Pferde waren schaumbedeckt und schnauften schwer. Sie erreichten den Wald; jetzt lag er hinter ihnen. Nun ritten sie in die Schlucht. Gleich dahinter lag Roslogi. Noch ein Augenblick, und das Los ist gefallen. Der Wind pfeift dem Ritter um die Ohren von der Eile, die Mütze ist ihm vom Kopfe gefallen, das Pferd stöhnt unter ihm, als sollte es stürzen. Noch ein Augenblick, ein Sprung, die Schlucht öffnet sich. Endlich!

Ein fürchterlicher, unnatürlicher Schrei entreißt sich der Brust des Statthalters. Das Wohnhaus, die Ställe, die Scheunen, ringsum der Kirschengarten – alles ist verschwunden. Der blasse Mond beschien die Anhöhe, und auf ihr einen Haufen verkohlter Reste, die schon zu rauchen aufgehört hatten.

Kein Laut unterbrach das Schweigen.

Herr Skrzetuski stand vor dem Graben. Mit erhobenen Händen starrte er vor sich hin und schüttelte traurig das Haupt. Die Tataren hielten die Pferde an. Er stieg ab, suchte die Reste der abgebrannten Brücke zu finden und überschritt auf einem übriggebliebenen Querbalken den Graben. Drüben setzte er sich auf einen mitten im Hofe liegenden großen Stein. Er sah um sich, wie ein Mensch, welcher, das erste Mal an einen Ort gekommen, sich bemüht, die Umgebung kennen zu lernen. Das Bewußtsein hatte ihn verlassen; er gab keinen Ton von sich. Den Kopf mit den Händen auf die Kniee gestützt, saß er so unbeweglich dort, als ob er eingeschlafen wäre. Und wenn er nicht schlief, so war es Erstarrung, die ihn überkommen hatte, und das, was ihm durch den Kopf ging, waren keine Gedanken, sondern unklare Bilder. Er sah zuerst Helene, so, wie er sie beim Abschied vor der letzten Reise gesehen, nur ihr Gesicht war wie von einem dichten Nebel überzogen. Seine Bemühungen, sie von diesem Nebel zu befreien, mißlangen, er mußte mit schwerem Herzen abreisen. Dann zog schnell der Marktplatz in Tschechryn vor seinem Geiste vorüber, der alte Sazwilichowski, das freche Gesicht Saglobas – dieses letztere wollte hartnäckig gar nicht weichen, bis das düstere Antlitz Grodschizkis es verdrängte. Dann sah er Kudak, die Porogen, den Kampf auf Chortyza, die Sitsch, die ganze Reise mit ihren schrecklichen Erlebnissen bis zu dieser Stunde. Weiterhin gab es nur Finsternis. Was jetzt mit ihm geschah, vermochte er nicht mehr zu unterscheiden; er hatte nur das undeutliche Gefühl, daß er zu Helene nach Roslogi gehe und ermüdet von der Reise hier auf diesen Trümmern Rast halte. Er wollte gern aufstehen, um den Weg fortzusetzen, aber eine ungeheure Schwäche hielt ihn an die Stelle gefesselt, als ob er Zentnergewichte an den Füßen hätte.

So saß er und saß. Die Nacht verfloß. Die Tataren machten sich ein Nachtlager zurecht, sie zündeten ein Feuer an, brieten ein Stück Pferdefleisch und legten sich dann gesättigt auf die Erde, um zu schlafen. Sie hatten wohl kaum eine Stunde geruht, als sie erschrocken auf die Füße sprangen. Von ferne hörte man Geräusch, als ob eine große Anzahl Reiter sich im Eilmarsch nähere.

Die Tataren steckten schnell ein weißes Tuch auf eine hohe Stange und pflanzten diese bei dem eiligst neu angefachten Feuer auf, so, daß schon von weitem zu erkennen sein mußte, daß hier Friedensboten lagerten.

Immer näher kam das Pferdegetrappel, das Säbelklirren, bald zeigte sich auf dem Wege eine Fahne Reiter, welche sogleich die Tataren umzingelten.

Eine kurze Unterredung begann. Die Tataren wiesen auf die auf der Anhöhe sitzende Gestalt, welche deutlich im Lichte des Mondes zu erkennen war, und erklärten, daß sie die Begleitung eines Gesandten seien. Wohin und zu wem er wolle, würde er ihnen selbst am besten sagen können.

Hierauf begab sich der Anführer der Abteilung mit einigen Genossen auf die Anhöhe. Kaum jedoch hatte er sich der dort sitzenden Gestalt genähert und einen Blick auf sie geworfen, so breitete er die Arme aus und rief:

»Skrzetuski! Beim lebendigen Gott, das ist Skrzetuski!«

Der Statthalter regte sich nicht.

»Herr Statthalter! Kennt Ihr mich nicht? Ich bin Bychowiez. Was fehlt Euch?«

Skrzetuski schwieg.

»Wacht doch auf, um Gottes willen! Hallo, Gefährten, kommt doch herbei!«

Es war wirklich Herr Bychowiez, welcher die Avantgarde der ganzen Heeresmacht des Fürsten Jarema führte. Unterdes waren noch andere Schwadronen hinzugekommen. Die Nachricht von der Auffindung Skrzetuskis durchlief blitzschnell alle Fahnen. Alle eilten herbei, den lieben Waffenbruder zu begrüßen. Der kleine Wolodyjowski, zwei Brüder Sleschyn, Dschick, Orpischewski, Migurski, Jakubowitsch, Lenz, Herr Longinus Podbipienta und eine Menge anderer Offiziere wetteiferten, zuerst auf die Anhöhe zu kommen. Aber umsonst war ihr Reden, ihr Rufen, umsonst zogen sie ihn an den Armen und bemühten sie sich, ihn aufzurichten. Herr Skrzetuski blickte mit weitgeöffneten Augen vor sich hin – er erkannte niemanden. Oder doch, vielleicht kannte er sie alle, aber sie waren ihm alle entsetzlich gleichgültig geworden. Jetzt erst erinnerten sich diejenigen, welche um seine Liebe zu Helene wußten, an welchem Orte sie sich befanden, und blickten auf die schwarzen Trümmer und die grauen Aschenhaufen um sie herum. Jetzt erst verstanden sie alles.

»Der Schmerz hat ihm die Besinnung geraubt!« flüsterte einer.

»Die Verzweiflung seinen Verstand verwirrt.«

»Führt ihn zum Fürsten. Vielleicht bringt ihn dessen Anblick zur Vernunft.«

Herr Longinus rang die Hände. Alle bildeten einen Kreis um den Statthalter und betrachteten ihn mitleidig. Einige wischten sich mit den Ärmeln Tränen aus den Augen, andere seufzten schwer. Auf einmal durchbrach ihren Kreis eine hoheitsvolle Gestalt; sie schritt langsam aus den Statthalter zu und legte ihm beide Hände auf den Kopf.

Es war der Probst Muchowiezki.

Alle verstummten und knieten nieder, wie in Erwartung eines Wunders, aber der Geistliche tat kein Wunder. Er hielt nur mit den Händen das Haupt Skrzetuskis, richtete die Augen empor zum mondbeglänzten Himmel und fing an, laut zu beten:

»Vater unser, der du bist im Himmel! Geheiligt werde dein Name, zu uns komme dein Reich, dein Wille geschehe ...«

Hier hielt er inne und wiederholte dann lauter und feierlicher: »... Dein Wille geschehe! ...«

Tiefes Schweigen herrschte ringsum.

»... Dein Wille geschehe! ...« wiederholte der Geistliche zum dritten Male noch eindringlicher.

Und nun entwanden sich den Lippen Skrzetuskis unendlich schmerzvoll, doch resigniert, die Worte:

»Wie im Himmel, also auch auf Erden!«

Und der Ritter fiel laut schluchzend zu Boden.

 

Ende des ersten Buches


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