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9. Kapitel

Am Morgen erwachte er frisch, gesund und froher. Es war herrliches Wetter. Ein leichter, lauer Wind kräuselte das Wasser, die Ufer verschwammen im Nebel und bildeten mit dem Fluß eine monotone, unabsehbare Fläche. Auch Rzendzian erwachte, rieb sich die Augen und erschrak fast. Verwundert blickte er um sich und da er die Ufer nicht sah, rief er:

»O Gott! Ew. Gnaden! Wo sind wir? Wohl auf dem Meere?«

»Es ist der breite Fluß, nicht das Meer,« antwortete Skrzetuski; »die Ufer wirst du sehen, sobald der Nebel fällt.«

»Ich denke, nächstens werden wir wohl in die Türkei wandern müssen.«

»Wir wandern, wenn man uns befiehlt. Du siehst übrigens, daß wir nicht allein fahren.«

So weit, als der Nebel zu sehen gestattete, gewahrte man eine größere Anzahl Flußkähne, Prahme und schmale, kleine Kosakenboote, mit Schilf durchflochten, die man gemeinhin Weberspinnen oder Tschaiken nannte. Ein Teil dieser Fahrzeuge schwamm mit dem Strom, fortgerissen von der lebhaften Strömung, andere arbeiteten sich mühsam stromaufwärts, unterstützt von Segeln und Rudern. Sie hatten als Ladung Fische, Wachs, Salz und getrocknete Kirschen, welche für die Städte an den Ufern bestimmt waren, oder sie kehrten aus bewohnten Gegenden zurück, mit Nahrungsmitteln für Kudak und Waren, welche gern auf dem Krambazar in der Sitsch gekauft wurden. Die Ufer des Dniepr waren vom Ausfluß der Prschola an schon ganz wüst. Hier und da nur schimmerten die Feuer aus einigen Winterlagern der Kosaken herüber. Der Fluß bildete die verbindende Landstraße zwischen der Sitsch und der übrigen Welt, besonders jetzt, wo der höhere Wasserstand die Fahrt erleichterte.

Der Statthalter betrachtete neugierig das Leben auf dem Flusse, während die Fahrzeuge sich schnell Kudak näherten. Der Nebel fiel, die Ufer wurden deutlich erkennbar. Über den Häuptern der Reisenden kreisten Millionen Vögel, Pelikane, wilde Gänse, Kraniche, Enten, Kibitze, Dickvögel und Fischreiher. In dem Uferrohr hörte man ein Lärmen, Flügelrauschen und Gurgeln des Wassers, als hielten die Vogelscharen dort große Versammlungen und Schlachten.

Gegen Abend kamen die Reisenden zur Insel Romanowka, deren Feuer schon von ferne zu sehen waren. Hier blieben sie zur Nacht. Die Fischer, welche herbeieilten, das Gefolge des Statthalters zu betrachten, hatten zum Schutze gegen den Stich der Insekten Gesicht, Hände und Hemd mit Teer eingeschmiert. Sie waren roh und wild von Sitten; im Frühjahr bewohnten sie in großen Massen diese Gegend, um Fische zu fangen und zu räuchern, welche sie dann nach Tschechryn, Tscherkassy, Perejeslaw und Kiew ausfuhren. Ihr Gewerbe war schwer, aber einträglich, der reichen Fischmenge wegen, welche im heißen Sommer eine wahre Not in dieser Gegend verursachte, da bei niedrigem Wasserstande unzählige Massen Fische abstarben und in den sogenannten stillen Winkeln die Luft verpesteten.

Der Statthalter erfuhr von den Fischern, daß alle Leute aus den Niederungen, die ebenfalls zum Fischfang hierher gekommen waren, die Gegend verlassen und – einberufen vom Feldhauptmann – sich in die Heimat begeben hatten. Die Fischer wußten, daß eine Expedition auf die Lechen sich vorbereite und verhehlten das dem Statthalter gar nicht. Herr Skrzetuski fing selbst an einzusehen, daß seine Expedition verspätet sei; vielleicht zogen die Rebellenhorden schon herbei, noch ehe er die Sitsch erreicht hatte, aber er hatte den Befehl, dorthin zu gehen, und als rechter Soldat deutelte er nicht an demselben herum. Er beschloß, vorzudringen und sei es auch mitten in das feindliche Lager.

Am nächsten Morgen ging es weiter. Die immer zunehmende Wildheit der Gegend, das immer lauter brausende Wasser kündeten die Nähe der Porogen Porogen = Stromschnellen. an, bis endlich der Turm von Kudak im Gesichtskreis erschien und der erste Teil der beschwerlichen Reise zurückgelegt war. Der Statthalter kam aber heute nicht mehr in die Festung, denn Herr Grodschizki hatte die Sitte eingeführt, daß, sobald bei Sonnenuntergang das Losungswort gegeben war, niemand mehr in die Festung hinein-, und niemand hinausgelassen wurde und wäre es der König selbst. Der Fremde mußte dann in den Hütten vor den Toren der Festung übernachten.

Sobald in der Morgendämmerung die Trompete oben die Soldaten wach rief, ließ er sich bei dem Kommandanten melden. Herr Grodschizki, welchem der letzte Besuch des Fürsten noch lebhaft im Gedächtnis war, holte ihn selbst. Ein Mann von etwa fünfzig Jahren, einäugig wie ein Cyklop, düster von Natur, war er hier in dieser Einöde, fern von Menschen gleicher Bildung, fast ganz wild geworden. Die stete Gewohnheit, unumschränkt zu gebieten, hatte seinem Äußeren Strenge und Härte aufgeprägt. Das Gesicht war von Pockennarben entstellt, dagegen geschmückt mit Narben von Säbelhieben und tatarischen Pfeilspitzen, welche sich von der dunklen Haut abhoben wie weiße Siegel. Herr Grodschizki war ein echter Soldat, wachsam wie ein Kranich, das Auge fortwährend nach der Seite gerichtet, woher die meiste Gefahr drohte. Er trank nur Wasser, schlief täglich nur sieben Stunden und stand nachts oft auf, um die Wachen zu kontrollieren; jede Nachlässigkeit bestrafte er mit dem Tode. Er besaß in vollstem Maße die Achtung der Kosaken, gegen welche er, trotz der Strenge im Dienst, doch menschenfreundlich war.

»Ihr geht also nach der Sitsch, gnädiger Herr?« fragte er Herrn Skrzetuski, nachdem er ihn in das Schloß geführt und gestärkt hatte.

»Nach der Sitsch,« entgegnete dieser. »Welche Nachrichten habt Ihr von dort, Herr Kommandant?«

»Kriegerische. Der Feldhauptmann hat von allen Flüßchen, Inseln und sonstigen Aufenthaltsorten die Kosaken einberufen. Den Überläufern aus der Ukraine versperre ich den Weg, so gut ich kann. Es sind dort schon über dreißigtausend Mann beisammen; wenn auf ihrem Zuge nach der Ukraine sich ihnen die ansässigen Kosaken nebst dem gemeinen Volke anschließen, so werden über hunderttausend zusammenkommen.«

»Und Chmielnizki?«

»Kann jeden Tag mit den Tataren eintreffen; vielleicht ist er schon da. Um die Wahrheit zu sagen, so fahrt Ihr umsonst nach der Sitsch, in kurzem habt Ihr sie hier. Daß sie Kudak nicht umgehen und die Festung hinter sich lassen werden, das steht fest.«

»Und werdet Ihr sie halten können?«

Grodschizki sah den Statthalter finster an. Dann antwortete er deutlich und klar:

»Ich werde sie nicht halten können.«

»Warum nicht?«

»Weil ich kein Pulver habe. Ich habe schon mindestens zwanzig Kähne abgeschickt, ließ bitten, sie möchten mir wenigstens etwas schicken. Ich weiß nicht – sind die Boten bestochen – oder haben sie selbst keines – ich weiß nur, daß ich bis jetzt nichts bekommen habe. Es ist noch Vorrat auf etwa zwei Wochen da – nicht länger. Hätte ich Pulver genug, so würde ich Kudak und mich eher in die Luft sprengen, ehe ein Kosakenfuß diese Stätte betritt. Man hieß mich hier liegen – so liege ich; man befahl mir, hier Wachen zu halten – ich wache; man befahl, die Zähne zu fletschen – ich tue es, und wenn es dazu kommt, daß ich sterben muß, nun – die Mutter hat mich nur einmal geboren – ich werde zu sterben wissen.«

»Könnt Ihr denn selbst kein Pulver bereiten, Herr Kommandant?«

»Seit zwei Monaten lassen die Saporogen mir meine Salpeterkähne nicht mehr durch, die vom Schwarzen Meer kommen müssen. Es ist alles eins! Ich bin verloren!«

»Man kann von Euch altem Soldaten viel lernen. Wie wäre es, wenn Ihr selber nach Pulver fahren möchtet?«

»Mein Herr! Ich verlasse Kudak nicht. Hier lebte ich, hier will ich auch sterben. Denkt Ihr nur nicht, daß Eurer Banketts und Willkommenfeste warten, wie sie sonst überall den Botschaftern zuteil werden. Dort schützt Euch die Gesandtenwürde nicht. Sie morden ihre eigenen Attamans, und seit ich hier bin, ist mir nicht erinnerlich, daß einer von ihnen eines natürlichen Todes gestorben wäre. Auch Ihr werdet sterben.«

Skrzetuski schwieg.

»Ich sehe, daß Euch der Mut sinkt. Fahret lieber nicht.«

»Herr Kommandant,« sagte Skrzetuski erzürnt, »denkt Euch etwas Besseres aus, mich zu schrecken. Was Ihr mir sagtet, habe ich schon zehnmal gehört.«

Später führte Grodschizki den Statthalter hinaus, um ihm das Schloß und seine Einrichtung zu zeigen. Überall herrschte Ordnung und Strenge. Tag und Nacht standen dichte Wachen auf den Wällen, die fortwährend von gefangenen Tataren verbessert und befestigt wurden.

»Ich erhöhe den Wall alle Jahre um eine Elle,« sagte Herr Grodschizki. Er ist jetzt schon so hoch, daß ich bei genügendem Pulvervorrat die Festung gegen Hunderttausend verteidigen wollte. Aber ohne Schießwaffen müssen wir einer Übermacht erliegen.«

Die Festung war in der Tat uneinnehmbar, denn abgesehen von den Kanonen, wurde sie durch den Fluß und zackige Felsen geschützt, welche steil nach dem Wasser hin abfielen. Sie bedurfte nicht einmal einer großen Besatzung, nur guter Waffen. Der Dniepr war an dieser Stelle so schmal und zusammengedrängt, daß ein abgeschossener Pfeil bis weit hinüber auf das andere Ufer flog. Die Festungskanonen beherrschten beide Ufer und das ganze Land ringsum. Außerdem war etwa eine halbe Meile davon ein mit hundert Mann besetzter Wachtturm, von welchem man meilenweit in das Land sehen konnte. Dieser Turm wurde täglich von Herrn Grodschizki inspiziert. Von dort aus wurde die Feste sogleich benachrichtigt, wenn sich etwas Verdächtiges zeigte. Dann wurde geläutet, die ganze Besatzung stand sofort unter den Waffen.

»Es vergeht fast keine Woche,« sagte Herr Grodschizki, »daß wir nicht alarmiert werden; die Tataren streichen wie die Wölfe zu Tausenden hier herum. Wir beschießen sie, so gut wir können. Oft auch werden große Herden wilder Pferde für Tataren angesehen.«

Gegend Abend besuchten sie noch den Turm, da Skrzetuski neugierig war, alles, was zu dieser Steppenfeste gehörte, kennen zu lernen. Unterdes wurden die Boote für ihn zurecht gemacht. Morgen in der Frühe sollte er weiter. Während der Nacht schlief er nicht; er grübelte nach, was ihm angesichts seines sicheren Todes zu tun obliege. Das Leben lächelte ihm entgegen; er war jung und liebte, sollte an der Seite der Geliebten leben; doch mehr als sein Leben liebte er seine Ehre und seinen Ruhm. Aber der Gedanke, daß Helene bei der herannahenden Kriegsnot noch in Roslogi sich befinde, und da er voraussichtlich nicht mehr zurückkehre, nicht nur der Macht Bohuns, sondern noch mehr der ganzen maßlosen Roheit des gemeinen Volkes preisgegeben sein würde, peinigte ihn entsetzlich. Die Steppe mußte schon ziemlich trocken sein; man konnte gewiß nach Lubnie fahren, und er selbst hatte die Frauen gebeten, seine Rückkehr abzuwarten, da er nicht geahnt hatte, daß der Sturm schon so nahe sei. Er lief in seinem Gemache hin und her und rang die Hände. Was sollte er tun? Seine Phantasie zeigte ihm Roslogi niedergebrannt, umgeben von den heulenden, wilden Horden, die Teufeln ähnlicher waren als Menschen. Der Schall der eigenen Schritte weckte das Echo im gewölbten Schloßgemach; ihm war, als ob böse Geister Helene bereits ergriffen hätten. Auf den Wällen blies man das Signal zum Löschen der Lichter; ihm schien, als sei dies der Ton von Bohuns Horn. Er griff nach dem Säbel und knirschte mit den Zähnen. Ach! Weshalb hatte er sich zu dieser Expedition gedrängt, weshalb hatte er sie dem Bychowiez nicht gelassen?

Die Verzweiflung seines Herrn entging dem Edelknaben Skrzetuskis nicht, welcher an der Schwelle schlief. Er rieb sich die Augen, frischte die Fackeln an, die in eisernen Ringen brennend hingen, und machte sich im Gemach zu schaffen, um die Aufmerksamkeit seines Herrn auf sich zu lenken.

Aber der Statthalter war ganz in seine verzweifelten Gedanken versunken, er schwieg, und nur das Echo seiner Schritte hallte wider.

»Ew. Gnaden! Ew. Gnaden!« sprach Rzendzian.

Der Statthalter richtete seine gläsernen Augen auf ihn. Plötzlich erwachte er aus seinem Sinnen.

»Rzendzian, fürchtest du den Tod?« fragte er.

»Wen? Den Tod? Was sprechen Ew. Gnaden?«

»Denn wer nach der Sitsch geht, der kommt nicht mehr zurück.«

»Warum geht Ihr denn dorthin?«

»Das geht dich nichts an, das ist mein Wille. Aber dich bedauere ich, denn du bist noch ein Kind, und obgleich du ein Schalk bist, wirst du dich mit deinen Narrheiten doch nicht vom Untergange retten. Gehe zurück nach Tschechryn, von dort nach Lubnie.«

Rzendzian kratzte sich am Kopfe.

»Gnädiger Herr! Freilich fürchte ich den Tod, denn wer ihn nicht fürchtet, der fürchtet Gott nicht, weil es sein Wille ist, ob jemand leben oder sterben soll. Aber wenn Ew. Gnaden schon freiwillig dem Tode entgegengehen, so fällt die Sünde auf den Herrn und nicht auf den Diener. Ich verlasse Ew. Gnaden nicht, denn ich bin kein Bauer, sondern ein Edelmann, und bin ich auch arm, so habe ich doch Ehre im Leibe.«

»Ich wußte, daß du ein guter Bursche bist, aber wenn du nicht freiwillig gehst, so gehst du auf meinen Befehl.«

Rzendzian bedeckte die Augen mit den Händen und fing laut zu weinen an. Herr Skrzetuski sah, daß er auf diese Weise mit dem Knaben nichts schaffte, und mit Gewalt wollte er ihn nicht forttreiben.

»Höre!« sagte er zu ihm. »Hilfe kannst du mir nicht leisten; ich selbst werde den Kopf nicht freiwillig unter das Beil legen. Du aber wirst Briefe nach Roslogi bringen, Briefe, an deren glücklicher Überbringung mir mehr liegt, als an meinem Leben. Du wirst dort der Fürstin und den Prinzen sagen, daß sie augenblicklich ohne Verzug das Fräulein nach Lubnie bringen sollen, sonst kommen ihnen die Rebellen auf den Hals. Du wirst darauf achten, daß das geschieht. Ich gebe dir einen wichtigen Auftrag, einen Auftrag, würdig eines Freundes, nicht eines Dieners.«

»Mein Gott! Ich sehe ein, daß ich fort muß. Aber Ew. Gnaden tuen mir so leid, daß ich mich selbst nicht trösten könnte, wenn Ihr mir Euren Leibgurt schenktet.«

»Du bekommst ihn, wenn du deine Sache gut verrichtest.«

»Ich will den Gurt nicht, nur laßt mich mit Euch gehen.«

»Morgen kehrst du mit dem Boot zurück, welches Herr Grodschizki nach Tschechryn sendet. Von dort gehst du, ohne auszuruhen, nach Roslogi. Dort sagst du weder der Fürstin noch dem Fräulein, welche Gefahr mir droht; bitte nur, daß sie sofort nach Lubnie fahren, und wenn es ohne Gepäck sein müßte. Hier hast du Reisegeld, jetzt schreibe ich dir die Briefe.«

Rzendzian warf sich dem Statthalter zu Füßen:

»Mein geliebter Herr! So soll ich Euch nicht wiedersehen?«

»Wie Gott will! Wie Gott will!« sagte Skrzetuski, ihn aufhebend. In Roslogi zeige ein heiteres Gesicht, und nun gehe schlafen.«

Den Rest der Nacht verbrachte der Statthalter mit Schreiben von Briefen und unter heißen Gebeten, nach welchen er sanft einschlief. Bald jedoch verblich die Nacht, ein weißer Schimmer fiel auf das schmale Fenster von Osten her. Es tagte. Rosenrote Strahlen drangen bis in das Innere des Gemaches. Auf dem Turme und auf den Wällen wurde zum Aufstehen geblasen. Kurze Zeit darauf erschien Grodschizki:

»Herr Statthalter – die Boote sind bereit!«

»Und ich bin reisefertig,« antwortete Skrzetuski ruhig.


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