Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12. Kapitel

Man kann leicht begreifen, wie der Fürst die Mitteilung von Oschinskis und Koschyzkis Weigerung aufnahm, die Skrzetuski ihm beim Morgengrauen brachte. Es bedurfte einer so großen Seele, wie der des eisernen Fürsten, um bei dieser Gestaltung der Dinge nicht zusammenzubrechen, zu verzweifeln und die Hände sinken zu lassen. Sollte er vergebens ein Riesenvermögen zur Erhaltung der Heere ruinieren, vergebens wie ein gefangener Löwe am Netz zerren, das man ihm gestellt? Er hatte mit Recht erwarten dürfen, daß man den Oberbefehl in seine Hände legen würde. Und nun? Der König war gestorben, und nach seinem Tode war das Regiment in andere Hände übergegangen – ihn, den Fürsten, hatte man ostentativ übergangen. Das war die erste Konzession, die man Chmielnizki gemacht hatte – aber nicht wegen des Verlustes dieser Würde litt die Seele des Fürsten, sie litt bei dem Gedanken, daß die zertretene Republik schon so tief gesunken war, daß sie sich vor dem Kosaken zurückzog und durch Verhandlungen seine kühne Hand aufhalten wollte.

Skrzetuski gab Rechenschaft von seinem Zuge, und der Fürst hörte ihm schweigend zu. Alle Ältesten waren bei der Audienz zugegen; alle Gesichter verfinsterten sich bei der Mitteilung von der Weigerung der Hauptleute – und die Augen aller waren auf den Fürsten gerichtet, als er sagte:

»Also Fürst Dominik hat ihnen das Verbot gesandt?«

»So ist es, sie haben es mir schriftlich gezeigt.«

Jeremias stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und verbarg das Gesicht in seinen Händen. Nach einer Pause aber sprach er:

»Das ist in Wahrheit mehr, als ein Mensch ertragen kann. Soll ich allein arbeiten und statt der erwarteten Hilfe nur Hindernisse erfahren? Hätte ich nicht hinaus bis nach Sandomir auf meine Besitzungen gehen und dort ruhig sitzen können? Wenn ich das nicht getan habe, geschah es dann nicht aus Liebe zum Vaterlande? Und das soll nun mein Lohn für alle Mühsal und für die Verluste am eigenen Vermögen sein? ...«

Der Fürst sprach ruhig, aber in seiner Stimme zitterte eine solche Bitterkeit, ein solcher Schmerz, daß alle Herzen von Leid ergriffen wurden. Die alten Hauptleute, Veterane von Putywlo, Starze, Rumotoff, und die jungen Sieger aus dem letzten Kriege blickten ihn mit unsagbarer Besorgnis an, denn sie wußten wohl, welch einen schweren Kampf dieser eiserne Mann mit sich führe, wie entsetzlich sein Stolz von den Demütigungen leiden mußte, die auf ihn gehäuft wurden. Er, der Fürst »von Gottes Gnaden« – er, der Wojewode von Ruthenen, der Senator der Republik, muß vor einem Chmielnizki, vor einem Krschywonos zurückweichen; er, beinahe ein Monarch in seinem Reiche, der noch vor ganz kurzem die Gesandten der benachbarten Herrscher empfangen hatte, mußte sich von dem Felde der Ehre zurückziehen, um sich in irgend einem Schlößchen einzuschließen und auf das Resultat eines Krieges, den andere führen würden, oder auf entwürdigende Verhandlungen zu warten. Er, ausersehen zu den höchsten Missionen, und von dem Bewußtsein der Kraft erfüllt, sie auszuführen – mußte seine Ohnmacht erkennen ...

Die Leiden und die Mühsal der letzten Zeit spiegelten sich in seiner Gestalt wieder. Er war bedeutend abgemagert, die Augen waren ihm eingefallen, das rabenschwarze Haar fing an grau zu werden, und über sein Antlitz hatte sich eine tragische Ruhe ergossen, denn sein Stolz duldete nicht, daß er seine Leiden verriete.

»Ha! Sei es denn!« sagte er, – »wir wollen diesem undankbaren Vaterland zeigen, daß wir nicht nur Krieg führen, sondern auch für dasselbe sterben können. Beim Himmel, ich wollte lieber einen rühmlichen Tod in jedem anderen Kriege sterben, als in einem Bürgerkrieg gegen dieses Bauernvolk – aber, es kann nicht anders sein!«

»Mein Fürst,« unterbrach ihn der Wojewode von Kijew, »sprecht nicht vom Tode, denn, wenn es auch verborgen ist, was Gott über uns verhängt hat, so ist es doch vielleicht noch weithin zum Sterben. Ich verehre Euer kriegerisches Genie und Euren ritterlichen Geist, aber ich kann es doch weder dem Vizerex, noch dem Kanzler, noch den Regimentariern übelnehmen, daß sie diesem Bürgerkrieg durch Verträge ein Ende zu machen bemüht sind, denn es fließt doch nur Bruderblut in ihm, und wer anders wird aus der beiderseitigen Hartnäckigkeit den Nutzen ziehen, als der fremde Feind?«

Der Fürst sah dem Wojewoden lange in die Augen und sagte nachdrücklich: »Erweist den Besiegten Gnade, so werden sie sie mit Dankbarkeit aufnehmen und sie nicht vergessen; bei den Siegern aber werdet ihr nur Verachtung ernten. O, hätte man diesem Volke niemals ein Unrecht zugefügt! Da aber die Rebellion einmal entbrannt ist, so muß sie nicht durch Verhandlungen, sondern mit Blut ertränkt werden. Sonst wartet unserer Schmach und Untergang! ...«

»Der Untergang ist uns gewisser, wenn wir auf eigene Faust Krieg führen,« antwortete der Wojewode.

»Soll das etwa heißen, daß Ihr fernerhin nicht mit uns gehen wollt?«

»Mein Fürst, ich rufe Gott zum Zeugen an, daß das nicht aus bösem Willen gegen Euch geschehen wird, aber mein Gewissen sagt mir, daß ich meine Leute nicht dem sicheren Verderben preisgeben darf, denn ihr Leben ist kostbar und kann der Republik noch nützlich sein.«

Der Fürst verstummte – nach einer Weile wandte er sich an seine Hauptleute:

»Ihr alten Kriegskameraden, ihr werdet mich doch nicht verlassen, nicht wahr?«

Da stürzten die Hauptleute, wie von einer Macht und einem Willen getrieben, auf den Fürsten zu: Die einen küßten seine Gewänder, die anderen umfaßten seine Kniee, noch andere hoben die Hände in die Höhe und riefen:

»Wir stehen zu dir bis zu dem letzten Atemzuge, bis zum letzten Tropfen Blut. Führe uns, führe uns, wir dienen dir ohne Sold.«

»Mein Fürst, auch mir vergönne, an deiner Seite zu sterben,« rief schamrot, wie ein jungfräuliches Weib, der junge Aksak.

Bei diesem Anblick war selbst der Wojewode von Kijew gerührt, der Fürst aber ging von einem zum anderen, drückte eines jeden Haupt und dankte ihnen. Eine ungeheure Begeisterung hatte die alten und jungen Krieger erfaßt. Ihre Augen sprühten Funken, ihre Hände griffen immer wieder beteuernd an das Schwert.

»Mit euch will ich leben, mit euch will ich sterben,« rief der Fürst.

»Wir werden siegen,« riefen die Offiziere – »auf gegen Krschywonos, nach Polomna; wer uns verlassen will, mag es tun. Wir werden ohne Hilfe fertig werden. Wir wollen mit niemandem den Ruhm, auch nicht den Tod teilen.«

»Werte Herren,« sagte der Fürst, »es ist mein Wille, daß wir eine kurze Ruhe genießen, die unsere Kräfte wieder herstellt, ehe wir gegen Krschywonos ziehen. Drei Monate sind vergangen, daß wir nicht aus dem Sattel gekommen sind. Von den Mühsalen, Strapazen und den Unbilden des Wetters haben unsere Körper gelitten. Wir haben keine Pferde, unser Fußvolk geht barfuß, wir wollen also nach Sbarasch ziehen, dort unsere Kräfte auffrischen und ausruhen – vielleicht werden sich auch neue Soldatenscharen zu uns gesellen, und wir gehen dann mit neuen Kräften ins Feuer.«

»Wann befiehlt Eure Fürstliche Durchlaucht aufzubrechen?« fragte der alte Sazwilichowski.

»Unverzüglich, alter Kriegskamerad, unverzüglich!«

Nun wandte sich der Fürst an den Wojewoden:

»Und wohin wollen Euer Liebden sich begeben?«

»Vorläufig nach Glinjani, denn ich höre, daß sich dort die Heere zusammenziehen.«

»So wollen wir Euch bis in eine ruhige Gegend begleiten, damit Euch kein Unfall zustoße,« sprach Wischniowiezki.

Der Wojewode erwiderte nichts, denn es war ihm ein wenig unbehaglich. Er verließ den Fürsten, und der Fürst bezeugte ihm noch seine Fürsorge und wollte ihn begleiten. Ob aus den Worten des Fürsten Ironie herauszuhören war? Der Wojewode wußte es nicht recht. Immerhin blieb er bei seiner Absicht, denn die Hauptleute des Fürsten betrachteten ihn mit immer größerem Mißmut, in jedem anderen, weniger disziplinierten Heere wäre eine Empörung gegen ihn ausgebrochen.

Er verneigte sich also und ging hinaus. – Alsbald zerstreuten sich die Hauptleute; ein jeder ging zu seinem Fähnlein, um es zum Marsche vorzubereiten. Bei dem Fürsten blieb nur Skrzetuski zurück.

»Was für Soldaten sind bei jenem Fähnlein?« fragte der Fürst.

»Man kann nirgends vortrefflichere finden. Die Dragoner sind nach deutscher Manier eingeübt, in der Garde zu Fuß lauter Veteranen aus dem Dreißigjährigen Kriege. Als ich sie sah, glaubte ich römische Triarier vor mir zu sehen.«

»Wie viele sind ihrer?«

»Zwei Regimenter, samt den Dragonern im ganzen dreitausend Mann.«

»Schade, schade, mit solcher Hilfe könnte man große Dinge leisten.«

Und wieder entstand ein langes Schweigen, das endlich von dem Wiehern der Pferde und dem Ton der Lagertrompeten unterbrochen wurde. Die Fahnen machten sich marschbereit. Das weckte den Fürsten aus seinem Nachsinnen, er schüttelte den Kopf, als wollte er das Leiden und die bösen Gedanken von sich weisen, dann sagte er:

»Und hattest du einen ruhigen Weg?«

»Ich begegnete in den Wäldern von Mschynsk einer zahlreichen Bande von Bauern, zweihundert Mann etwa, die ich aufrieb.«

»Gut, und hast du Gefangene eingebracht, denn das ist jetzt sehr wichtig?«

»Ich hatte wohl Gefangene ...«

»Aber du machtest ein Ende mit ihnen? Wie?«

»Nein, Fürstliche Durchlaucht, ich habe sie freigelassen.«

Jeremias blickte Skrzetuski erstaunt an, dann zogen sich seine Brauen plötzlich zusammen:

»Was ist das? Gehörst du auch schon zur Friedenspartei? Was soll das bedeuten?«

»Fürstliche Durchlaucht! Ich habe Nachrichten mitgebracht, denn unter dem Bauernvolk befand sich ein verkleideter Edelmann, der am Leben geblieben ist. Die anderen habe ich freigelassen, weil mir Gott Gnade und Trost gesandt hat. Gern erdulde ich die Strafe, die ich verdient, denn der Edelmann ist Sagloba, der mir Nachrichten von der jungen Prinzessin gebracht hat.«

Der Fürst näherte sich Skrzetuski lebhaft.

»Sie lebt, sie ist gesund?«

»Gott sei Dank, es ist so.«

»Und wo hat sie Schutz gefunden?«

»Sie ist in Bar.«

»Das ist eine starke Festung,« sprach der Fürst. »Mein Freund!« (Hier hob der Fürst die Hand in die Höhe, ergriff Skrzetuskis Kopf und küßte ihn wiederholt auf die Stirne.) »Ich freue mich mit dir, denn ich liebe dich wie einen Sohn.«

Skrzetuski küßte voll Herzlichkeit die Hand des Fürsten, und obwohl er schon lange gern sein Blut für ihn vergossen hätte, empfand er doch jetzt von neuem, daß er auf Befehl seines Wohltäters in die flammende Hölle zu springen bereit wäre. So verstand der drohende, furchtbare Jeremias sich die Herzen seiner Ritterschaft zu erwerben.

»Nun, ich wundere mich nicht, daß du diese Bauern hast laufen lassen. Es soll dir ungestraft hingehen. Aber dieser Edelmann ist ein Schlaukopf. So hat er sie also aus dem Dnieprlande bis nach Bar gebracht? Gott sei Dank, in diesen schweren Zeiten ist das auch für mich ein wahrer Trost. Er muß ein Schlaukopf, ein großer Schlaukopf sein! Bringe mir doch diesen Sagloba!«

Skrzetuski flog eiligst zur Tür, aber in diesem Augenblick öffnete sie sich plötzlich, und das glühende Antlitz Wierschuls wurde sichtbar, der mit den Leibtataren auf Vorposten ausgeschickt worden war.

»Mein Fürst,« rief er schweratmend, »Krschywonos hat Polomna genommen und zehntausend Menschen, Weiber und Kinder, niedergemetzelt.

Die Hauptleute begannen wieder zusammenzulaufen und drängten sich um Wierschul. Auch der Wojewode von Kijew kam herbei, der Fürst stand wie versteinert da, denn eine solche Nachricht hatte er nicht erwartet.

»Aber es hatten sich dort nur Ruthenen eingeschlossen, das ist nicht möglich.«

»Nicht eine Seele ist aus der Stadt entkommen.«

»Hört Ihr?« sagte der Fürst zu dem Wojewoden gewendet. »Führt nur Verhandlungen mit einem solchen Feinde, der selbst sein eigen Fleisch und Blut nicht schont.«

Der Wojewode schöpfte tief Atem und sagte: »O Hundeseele, wenn es so ist, so hole sie alle der Teufel! Ich ziehe mit Euch, Fürst.«

»So bist du mein Bruder,« sagte der Fürst.

»Es lebe der Wojewode von Kijew,« schrie der alte Sazwilichowski.

»Es lebe die Einigkeit.«

Und der Fürst wandte sich wieder zu Wierschul:

»Wohin ziehen sie von Polomna? Ist nichts bekannt?«

»Es heißt, nach Konstantinow.«

»Gott im Himmel, so sind Oschinskis und Koschyzkis Regimenter verloren, denn mit dem Fußvolk können sie nicht rechtzeitig entkommen. Wir müssen die Beleidigungen vergessen und ihnen zu Hilfe eilen, aufs Pferd, aufs Pferd!«

Das Gesicht des Fürsten leuchtete auf vor Freude, und ein lebhaftes Rot übergoß von neuem seine abgemagerten Wangen, denn der Weg des Ruhmes lag wieder offen vor ihm.


 << zurück weiter >>