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4. Kapitel

Die Kurzewitsch waren ein sehr altes Fürstengeschlecht, welches in Siegel und Wappen einen Holzpflock hatte, und dessen Urahne tatsächlich von Ruryk abstammte. Von den beiden Linien desselben war die eine in Litauen, die andere in Wolhynien ansässig. Einer der vielen Nachkömmlinge der Wolhynischen Linie war Fürst Wassili, und dieser hatte sich hier am Dniepr angesiedelt, da er, ärmer als die anderen seines Geschlechts, nicht von ihnen abhängig sein wollte und lieber in die Dienste des Fürsten Michael, des Vaters unseres berühmten Jeremias trat. Nachdem er sich dort in dessen Diensten großen Ruhm erworben und dem Fürsten persönlich wichtige Ritterdienste geleistet hatte, schenkte dieser ihm Krasne Roslogi, welche Besitzung jedoch später der vielen Wölfe wegen Wiltsche Roslogi benannt wurde. Im Jahre 1629 ging er zur römischen Kirche über, verheiratete sich mit einem Fräulein Rachozian, aus sehr edlem Hause, welches aus der Walachei hierher übergesiedelt war. Dieser Ehe entsproß nach einem Jahre Helene, deren Mutter bei der Geburt starb. Der Fürst Wassili dachte gar nicht daran, sich wieder zu verheiraten, sondern widmete sich ganz der Wirtschaft und der Erziehung seiner kleinen Tochter. Er war ein Mensch von ungewöhnlichen Tugenden und großer Charakterstärke. Nachdem er sich ein ansehnliches Vermögen erworben hatte, dachte er sogleich an seinen älteren Bruder Konstantin, welcher arm in Wolhynien zurückgeblieben, von der reichen Familie nicht anerkannt wurde und dort von einer Pacht zur anderen zog. Diesen ließ er mit Frau und fünf Söhnen zu sich kommen und teilte alles mit ihnen. Auf diese Weise lebten beide Brüder Kurzewitsch friedlich zusammen bis zum Jahre 1634, in welchem Jahre Wassili mit König Ladislaus nach Smolensk zog. Dort ereignete sich jener unglückselige Vorfall, der Wassilis Fall zur Folge hatte. Man fing im Lager einen Brief an Szehin auf, welcher die Unterschrift und das Siegel des Fürsten trug. Ein solch offenbarer Beweis des Verrates von seiten eines Ritters, dessen Ehre bisher von unbefleckter Reinheit war, versetzte alle in Schrecken. Umsonst schwor Wassili bei Gott, daß weder die Handschrift noch das Siegel von ihm herrührten, der Holzpflock im Wappen hob jeden Zweifel auf. Daran aber, daß das Petschaft dem Fürsten verloren gegangen sei, wie er behauptete, daran glaubte niemand, und endlich wurde der Unglückliche pro crimine perduellionis zum Verlust der Ehre und zum Strange verurteilt. Er wußte sich durch die Flucht zu retten. In Roslogi kam er plötzlich nachts an und beschwor seinen Bruder Konstantin, über seiner Tochter zu wachen, dann verschwand er für immer. Man sprach davon, daß er von Bar aus noch einmal an den Bruder brieflich die Bitte gerichtet habe, Helene niemals zu verlassen, er lasse sie beruhigt in Roslogi unter seinem Schutz zurück. – Dann hörte man nichts mehr von ihm. Bald hieß es, er sei gestorben, dann wieder, er sei in russischen Diensten mit in den Krieg nach Deutschland gezogen und dort geblieben, aber bestimmt wußte niemand etwas. Jedenfalls mußte er tot sein, da er nie nach seiner Tochter fragte. In kurzem hörte man auf, über ihn zu sprechen; man erinnerte sich seiner erst dann wieder, als seine Unschuld klar erwiesen wurde. Ein gewisser Kupzewitsch aus Witebsk hatte auf dem Sterbebette bekannt, daß er den Brief an Szehin geschrieben und mit dem im Lager gefundenen Petschaft gesiegelt habe. Aller Herzen waren diesem Bekenntnis gegenüber tief ergriffen und konsterniert. Das Urteil wurde widerrufen, die Ehre des Fürsten rehabilitiert, aber für ihn selbst kam diese Anerkennung zu spät. Was sein Besitztum Roslogi betraf, so hatte Fürst Jeremias niemals daran gedacht, dasselbe einzuziehen, denn das Haus Wischniowiezki kannte Wassili besser und war niemals von seiner Schuld überzeugt. Er hätte dreist unter ihrem mächtigen Schutze der öffentlichen Meinung spotten dürfen, und wenn er floh, so geschah dies nur, weil er die Schande nicht zu ertragen vermochte.

Helene wurde still unter der stets wachsamen Obhut des Oheims erzogen. Erst nach seinem Tode begann für sie eine schwere Zeit. Die Frau Konstantins, aus einer zweifelhaften Familie stammend, war ein rohes, heftiges und energisches Weib, welches allein ihr Mann im Zaume zu halten verstand. Nach seinem Tode erfaßte sie mit eiserner Hand die Zügel des Regiments in Roslogi. Die Dienerschaft zitterte vor ihr – die Beamten fürchteten sie wie das Feuer, und die Nachbarn sollten bald von ihr hören. Im dritten Jahre ihrer Herrschaft überfiel sie zweimal mit bewaffneter Macht die Siwinskis in Browarki, selbst als Mann verkleidet ihre Diener und die Mietkosaken führend. Als einst Fürst Jeremias eine Abteilung Tataren, welche sich in seinen Ländereien umhertrieb, zerstreute, da rottete sie die bis nach Roslogi versprengten Mannschaften bis auf den letzten vollständig aus. Sie richtete sich auch ganz bequem in Roslogi ein und begann Helenens Erbe bald als ihr und ihrer Söhne Eigentum zu betrachten. Diese Söhne liebte sie wie eine Wölfin ihre Jungen, aber da sie selbst ganz ungebildet war, so dachte sie gar nicht daran, ihnen eine anständige Erziehung zu geben. Ein griechischer Mönch, den sie aus Kiew kommen ließ, lehrte dieselben lesen und schreiben, trotzdem Lubnie so nahe war. Aber die Fürstin hatte ihre Gründe, weshalb sie die Söhne nicht nach Lubnie brachte.

Es hätte bei ihrem Anblick dem Fürsten Jeremias einfallen können, wem Roslogi eigentlich gehöre, er hätte Einblicke tun können in die Vormundschaft über Helene, ja, wer weiß, ob er im Andenken an Wassili nicht gar sich verpflichtet gehalten hätte, selbst die Vormundschaft über dessen Tochter zu übernehmen. Dann wäre der alten Fürstin nichts übriggeblieben, als Roslogi zu verlassen. So war es besser, wenn man in Lubnie ganz vergaß, daß noch welche von den Kurzewitsch' in der Welt existierten. Dafür aber wuchsen auch die jungen Prinzen halb wild auf, mehr wie Kosaken denn wie Edelleute. Sie nahmen schon als kleine Knaben teil an allen Streitigkeiten der Mutter mit den Nachbarn und hatten einen angeborenen Widerwillen gegen alles, was gedruckt oder geschrieben war. Selbst um die Wirtschaft kümmerte sich keiner, denn hier gab die Mutter die Zügel nicht aus der Hand. Der Anblick dieser Abkömmlinge eines edlen Stammes, in deren Adern Fürstenblut rollte, deren Sitten aber roh und gemein waren, und deren unausgebildeter Verstand und verhärtete Herzen der unbebauten Steppe ähnelten, war mitleiderregend. Sie waren emporgeschossen wie junge Eichen. Sich ihrer Einfalt und Unbildung bewußt, schämten sie sich, mit dem Adel zu verkehren, und zogen die Gesellschaft der wilden Kosakenführer vor. Sie waren auch früh in Verbindung mit den Bewohnern der Niederungen getreten, welche sie als ihresgleichen betrachteten. Ihr Aufenthalt in der Sitsch dauerte oft monatelang; sie gingen auf die Jagd mit den Kosaken, nahmen teil an ihren Überfällen auf die Türken und Tataren, was ihnen die liebste Unterhaltung und Beschäftigung war. Auf einem dieser Überfälle jedoch war der älteste von ihnen, Wassili, in die Hände der Heiden gefallen; die Brüder hatten ihn mit Hilfe Bohuns zwar herausgehauen, leider aber waren ihm schon die Augen ausgebrannt. Von da ab blieb Wassili zu Hause, und wie er früher der wildeste unter ihnen gewesen, so wurde er jetzt sanft und fromm und gab sich vollständig religiösen Betrachtungen hin. Die anderen führten das Kriegshandwerk weiter und erwarben sich bald den Beinamen »Fürstenkosaken«. Man durfte auch nur einen Blick auf Roslogi werfen, so wußte man gleich, von was für Menschen es bewohnt sei.

Als die Botschafter und Herr Skrzetuski mit ihren Wagen vor dem Tore anlangten, erblickten sie keinen Herrenhof, sondern einen großen Schuppen aus mächtigen, rohen Eichenpfählen zusammengeschlagen, mit schmalen, Schießscharten ähnlichen Fenstern. Die Wohnungen für das Gesinde und die Kosaken, die Viehställe, Speicher und sonstigen Räume stießen unmittelbar daran, einen Bau von formlosen niederen und höheren Teilen bildend, nach außen hin so ärmlich und roh, daß, wären nicht die Lichter hinter den Fenstern gewesen, man hier niemals eine menschliche Wohnstätte vermutet hätte. Auf dem Platze vor dem Hause sah man zwei Brunnenkrane, näher dem Tore eine Säule mit einem darauf befestigten Rade, welches einem jungen, zahmen Bären als Sitz diente. Das mächtige Tor führte auf den Platz, welcher ringsum von einem Graben und Palisaden umgeben war. Allem Anschein nach war das ein befestigter Platz und gegen Überfälle und unliebsame Gäste geschützt. Alles in allem erinnerte das Ganze an eine Grenzkosakenfestung und sah aus wie ein Raubnest. Die Dienerschaft, welche den Gästen mit Fackeln entgegenkam, war Räubern ähnlicher als Dienstleuten ehrlicher Menschen; auf dem Platze vor dem Hause rissen große Hunde an ihren Ketten, als ob sie sich befreien und auf die Ankömmlinge stürzen wollten, aus den Ställen tönte Pferdegewieher, die jungen Prinzen samt ihrer Mutter begannen laut zu rufen und fluchend den Dienern Befehle zu erteilen. Mitten in diesem lärmenden Wirrwarr betraten die Gäste das Haus. Hier aber tat Herr Roswan Ursu, welcher beim Anblick des elenden Äußeren des Hauses schon bedauert hatte, hier ein Nachtlager angenommen zu haben, erstaunt die Augen auf. Das Innere des Hauses entsprach dem Äußeren gar nicht. Zuerst betraten sie einen geräumigen Flur, dessen Wände ganz und gar mit allerhand Waffen und den Fellen wilder Tiere bedeckt waren.

In zwei mächtigen Öfen brannten Klafterscheite, und beim hellen Schein des Feuers sah man reiche Pferdegeschirre, blitzende Panzer, türkische Schuppenpanzer, auf denen hier und da Edelsteine glänzten, Drahthemden mit goldenen Verschlußknöpfen, Halbpanzer, Leibbinden, Ringkragen, polnische und türkische Helme mit silbernen Visieren. An der gegenüberliegenden Wand hingen Schilde, welche in jenem Jahrhundert nicht mehr gebräuchlich waren; neben ihnen polnische Lanzen, türkische Krummsäbel, kurz, alle Hiebwaffen, vom gewöhnlichen Säbel bis zum Totschläger und Yatagan, deren Klingen im Feuerschein in allen Farben schillerten. In den Winkeln baumelten Bündel von Fuchs-, Wolf-, Marder- und Hermelinfellen – die Jagdfrüchte der Prinzen.

Weiter unten an den Wänden lang nickten auf ihren Reifen Habichte und Falken, die zur Jagd benutzt wurden.

Aus diesem Flur gingen die Gäste in das große Gastgemach. Auch hier brannte im Kamin unter dem Rauchfang ein lebhaftes Feuer. Der Luxus entfaltete sich hier noch größer als im Flur. Die blanken Balken waren mit kostbaren Behängen bedeckt; auf dem Fußboden breiteten sich wunderschöne türkische Teppiche aus. In der Mitte des Gemaches stand auf Kreuzfüßen ein langer Tisch, aus ungehobelten Brettern gezimmert, auf ihm aber massiv goldene und geschliffene venezianische Glaspokale. An den Wänden kleinere Tische, Kommoden, Pulte, auf denselben bronzierte Futterale, messingene Leuchter, Uhren, welche vor Zeiten die Türken den Venezianern, dann die Kosaken den Türken geraubt hatten. Das ganze Gemach war angefüllt mit Luxusgegenständen aller Art, deren Nutzzweck oft gar nicht zu erraten war. Kostbare gewebte Stoffe und Luxusgegenstände waren das sogenannte türkische und tatarische »Gut«. Es war teils für ein Spottgeld gekauft, teils in den zahlreichen Kriegen noch von dem alten Fürsten Wassili oder später von den Prinzen, die es vorzogen, auf Flußkähnen ans Schwarze Meer zu ziehen, statt der Wirtschaft nachzugehen, erbeutet.

Alles das setzte Herrn Skrzetuski gar nicht in Erstaunen. Er kannte die Einrichtung der Grenzhäuser lange genug, aber der walachische Bojar staunte, als er diese in kalblederne Stiefel und Pelze, gleich denen ihrer Dienerschaft, gekleideten Prinzen, umgeben von dieser Pracht, sah. Gleich erstaunt war auch Herr Longinus, welcher in Litauen eine andere Ordnung gewöhnt war.

Unterdes hatten die jungen Prinzen ihre Gäste in herzlicher Weise willkommen geheißen, benahmen sich dabei aber so plump und ungeschickt, daß der Statthalter kaum ein Lachen unterdrücken konnte.

Der Älteste, Simeon, sagte:

»Wir freuen uns und sind den gnädigen Herren dankbar, daß sie unsere Gastfreundschaft angenommen haben. Unser Haus, euer Haus, so seid hier wie bei euch zu Hause.«

Und obgleich in dem Tone seiner Stimme nichts von der demütigen Dankbarkeit des Wortlautes lag, so neigte er sich nach Kosakenart, indem er beide Hände in die Hüften stemmte, fast bis zur Erde, während seine Brüder sofort seine Bewegungen und Worte wiederholten:

»Wir grüßen euch! Wir grüßen euch!«

Die alte Fürstin hatte unterdes Bohun hinausgezogen in ein anderes Gemach.

»Höre, Bohun,« sagte sie schnell, »ich habe nicht lange Zeit zum Sprechen. Ich sah, daß du diesen jungen Edelmann auf den Zahn genommen hast und Streit mit ihm suchst.«

»Mütterchen,« entgegnete der Kosak, indem er ihr die Hand küßte. »Die Welt ist weit; sein Weg ist ein anderer, mein Weg ein anderer. Ich kannte ihn nicht, ehe ich ihn sah; aber er soll mir bei der Prinzessin nicht ins Gehege kommen, sonst – so wahr ich lebe, leuchte ich ihm mit dem Schwerte heim.«

»Ha! er ist verrückt, verrückt! Wo bleibt dein Verstand? Was geht mit dir vor? Willst du uns und dich verderben? Er ist ein Soldat des Wischniowiezki und sein Statthalter, ein hochangesehener Mann, denn der Fürst sandte ihn als Botschafter zum Khan. Weißt du, was geschähe, wenn ihm hier unter unserem Dache ein Haar gekrümmt würde? Der Fürst-Wojewode würde sein Augenmerk hierher richten; er würde ihn rächen, uns in alle vier Winde jagen und Helene nach Lubnie nehmen, und was dann?

Willst du auch mit ihm Streit anfangen? Willst du in Lubnie einbrechen? Versuche es, wenn du dich pfählen lassen willst, du verdammter Kosak ... Ob der Edelmann sich mit der Prinzessin befaßt oder nicht, das ist egal; wie er gekommen, wird er gehen, und dann ist Ruhe. Zügele dich, und willst du das nicht, so ziehe dahin, woher du gekommen, denn du bringst uns Unglück auf den Hals!«

Der Kosak kaute seinen Bart und schnaufte, aber er verstand und begriff, daß die Fürstin recht hatte.

»Sie reisen morgen ab, Mütterchen,« sagte er – »ich werde mich bezähmen, nur das eine bitte ich, laßt die Schwarzäugige nicht zu ihnen.«

»Was schert dich das? Damit sie denken, ich halte sie gefangen? Sie wird mit ihnen bleiben, ich will es. Du, disponiere mir hier nichts, denn du bist der Wirt nicht.«

»Seid nicht böse, Fürstin! Wenn es nicht anders sein kann, so will ich sie umschmeicheln; ich werde die Zähne zusammenbeißen, die Klinge nicht ziehen, wenn mich auch die Wut aufzehren, wenn auch die Seele vor Schmerz schreien sollte. Euer Wille geschehe.«

»So ist es recht, mein Falke. Nimm die Zither, spiele, singe, so wird dir die Seele leichter werden. Und jetzt hinein zu den Gästen.«

Sie kehrten in das Gastgemach zurück, wo die Prinzen in ihrer gänzlichen Unwissenheit, wie sie die Gäste unterhalten sollten, dieselben fortwährend unter tiefen Verbeugungen baten, es sich bequem zu machen. Herr Skrzetuski empfing Bohun mit einem stolzen und finsteren Blick, welchen dieser aber nicht beachtete. Das Gesicht des jungen Kosaken strahlte nur freudige Artigkeit wieder; so gut verstand er diesen Ausdruck zu simulieren, daß selbst ein geübteres Auge getäuscht werden konnte. Der Statthalter betrachtete ihn jetzt bei Licht aufmerksam. Jetzt erst sah er, daß Bohun ein schöner Mann war. Schlank wie eine Pappel, das Gesicht dunkelgebräunt, geschmückt mit einem üppigen, lang herabhängenden Schnurrbart. Eine fröhliche Heiterkeit durchleuchtete die angeborene Schwermut dieses Gesichtes, wie wenn die Sonne durch den Nebel bricht. Der Kosakenführer hatte eine hohe Stirn, auf welche, mähnenartig zugeschnitten, in einzelnen Strähnen dichtes, schwarzes Haar bis fast auf die starken Augenbrauen herabfiel. Die Adlernase, die weiten Nüstern – und die bei jedem Lächeln sichtbaren weißen Zähne gaben diesem Antlitz zwar einen etwas raubtierartigen Charakter, aber im ganzen war es der Typus üppiger, blühender, streitsüchtiger ukrainischer Schönheit. Eine überaus schöne Kleidung zeichnete den jungen Kosaken zudem von den in Pelze gehüllten Prinzen aus. Er trug einen Rock aus feinstem Silberbrokat und darüber den polnischen Oberrock mit geschlitzten Ärmeln in roter Farbe, welche alle Perejeslawer Kosaken trugen. Die Hüften umgab ein breiter Gurt aus Seidenstoff, an welchem in seidenem Gehänge ein kostbarer Säbel befestigt war. Aber dieser, sowie die Kleidung verblaßten neben dem Reichtum des türkischen Krummsäbels, welcher im Gurt selbst steckte und dessen Klinge so reich mit Edelsteinen besetzt war, daß sie förmlich Funken sprühte. Seinem Äußeren nach mußte Bohun eher für einen Fürstensohn denn für einen Kosaken gehalten werden, besonders, da sein Frohmut und seine herrschaftlichen Manieren seine niedere Abkunft nicht verrieten. Er näherte sich dem Herrn Longinus und hörte geduldig dessen Erzählung vom Vorfahren Stowejko und dem Kopfabschlagen der drei Kreuzritter, dann wandte er sich an den Statthalter und, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen, fragte er fröhlich:

»Euer Gnaden kehren, wie ich höre, aus der Krim zurück?«

»Aus der Krim,« entgegnete trocken der Statthalter.

»Ich war auch dort; obgleich ich aber nicht bis Backschiserail vordrang, so hoffe ich doch, noch dorthin zu gelangen, wenn jene Gerüchte, welche hier umgehen, wahr werden.«

»Von welchen Gerüchten sprecht Ihr?«

»Man sagt, daß, wenn der allergnädigste König Krieg mit den Türken beginnt, so wird der Fürst-Wojewode die Krim mit Feuer und Schwert heimsuchen, worauf die ganze Ukraine sich freut. Denn, wenn wir unter solch einem Führer nicht nach Backschiserail kommen, so wird es uns unter keinem mehr gelingen.«

»Wir kommen dahin, so wahr Gott im Himmel ist,« beteuerten die Kurzewitsch'.

Den Statthalter nahm der Respekt, mit welchem der junge Kosak von dem Fürsten sprach, für denselben ein, und in gemildertem Tone sprach er:

»Ihr scheint mit denen aus den Niederungen noch nicht viele Kriegsexpeditionen gemacht zu haben und seid dennoch ruhmbedeckt.«

»Kleiner Krieg, kleiner Ruhm, großer Krieg, großer Ruhm. Konarschewitsch erwarb seinen Ruhm nicht auf den Flußkähnen, sondern bei Chozim.«

In diesem Augenblick wurde die Tür aufgetan. An der Hand Helenens schritt langsam Wassili, der älteste der Brüder Kurzewitsch', in das Gemach, ein Mann, abgemagert und bleich, im besten Alter; das Gesicht düster und asketisch; er erinnerte an die byzantinischen Heiligenbilder. Langes, vor der Zeit gebleichtes Haar bedeckte seinen Kopf, an Stelle der Augen hatte er zwei rote Höhlen, und in den Händen hielt er ein Kreuz aus Messing, mit welchem er sogleich das Gemach und die Anwesenden zu segnen begann.

»Im Namen des Vaters, im Namen des Erlösers und der heiligen Jungfrau,« sagte er, »wenn ihr Apostel seid und gute Nachrichten bringt, so seid willkommen an dieser Schwelle des Christentums. Amen!«

»Verzeiht, ihr Herren,« murmelte die Fürstin, »er ist nicht bei Sinnen.«

Wassili aber segnete fortwährend mit dem Kreuz und sprach weiter:

»Es steht in den Überlieferungen der Apostel: ›Diejenigen, welche ihr Blut vergießen für den Glauben, werden selig werden; die, welche fallen um des Gewinnes weltlicher Güter, um Nutzen oder Beute zu erwerben, werden verdammt sein.‹ Beten wir! Wehe euch, Brüder, wehe mir, denn wir haben der Beute wegen Krieg geführt! Gott sei uns Sündern gnädig, Gott sei uns gnädig ... Und ihr, Männer, die ihr von weit her gekommen seid, welche Nachrichten bringt ihr? Seid ihr Apostel?«

Er schwieg still und schien auf Artwort zu warten. Der Statthalter antwortete nach einer Weile:

»Wir sind weit entfernt von solch einer hohen Würde. Soldaten sind wir nur, bereit, unser Blut für den Glauben hinzugeben.«

»So werdet ihr selig werden,« sagte der Blinde, »aber für uns ist die Stunde der Befreiung noch nicht gekommen. Wehe euch, Brüder, wehe mir.«

Die letzten Worte hatte er fast stöhnend hervorgestoßen, eine fürchterliche Verzweiflung malte sich in seinem Antlitz. Die Gäste waren tief erschrocken.

Helene führte ihn zu einem Stuhl, und nachdem sie ihn niedergesetzt, eilte sie in den Flur, von wo sie bald mit einer Laute zurückkehrte. Leise Töne verbreiteten sich bald im Gemach, und zu ihrer Begleitung fing die Prinzessin an zu singen:

»Und Tag und Nacht ruf ich zu dir, o Herr!
Nimm von mir meine Qual, die heißen Tränen,
Und sei mir armen Sünder
Ein liebevoller Vater,
Erhör' mein Rufen.«

Der Blinde bog den Kopf zurück und horchte auf den Gesang, welcher wie ein heilsamer Balsam auf ihn wirkte. Der Ausdruck des Schmerzes und der Verzweiflung schwand allmählich aus seinem Gesicht, der Kopf senkte sich auf die Brust, und so blieb er sitzen wie im Halbschlaf, betäubt.

»Wenn nur der Gesang nicht unterbrochen wird,« sagte Helene leise, »so beruhigt er sich bald ganz. Ihr Herren, seht! Sein Wehe beruht darauf, daß er fortwährend die Apostel erwartet, und sowie Fremde ins Haus kommen, tritt er ihnen entgegen und fragt, ob sie Apostel seien.«

Dann sang Helene weiter:

»Zeig' mir den Weg, o Herr der Herren!
Denn ein Verirrter auf den wüsten Pfaden,
Ein Schiff auf hohen Meereswogen
Bin ich, ein Sünder.«

Ihre süße Stimme klang immer lauter, und mit der Laute in der Hand, die Augen nach oben gerichtet, war sie so wunderschön, daß der Statthalter den Blick von ihr nicht abwenden konnte. Er vergaß die Welt um sich und starrte nur sie an. Aus seinem Entzücken riß ihn die Stimme der Fürstin:

»Es ist genug! Er wird jetzt sobald nicht erwachen. Unterdessen bitte ich die Herren zum Abendmahl.«

»Wir bitten zu Brot und Salz!« baten auch die Söhne.

Herr Roswan bot als Kavalier von ausgezeichneten Sitten der Fürstin seinen Arm, und als Herr Skrzetuski das sah, folgte er schleunigst seinem Beispiel, indem er auf die Prinzessin zuschritt. Das Herz wurde ihm weich wie Wachs.

»Die Engel im Himmel können nicht schöner singen als Ihr, Prinzessin,« sagte er.

»Ihr sündigt, Ritter, indem Ihr meinen Gesang mit demjenigen der Engel vergleicht,« erwiderte Helene.

»Ich weiß nicht, ob ich sündige, nur das weiß ich, daß ich mir freudig die Augen ausbrennen ließe, um deinem Gesange bis zum Tode zu lauschen, Mädchen.«

»Aber, was spreche ich? Wäre ich blind, könnte ich dich nicht sehen, und das wäre Höllenpein.«

»Sprecht nicht so! Morgen reist Ihr von hier, und morgen habt Ihr mich vergessen.«

»O, das kann nicht geschehen, denn ich liebe Euch so sehr, daß ich mein Leben lang von keiner anderen Liebe wissen will.«

Purpurröte übergoß das Antlitz der Prinzessin, die Brust hob sich stärker. Sie wollte sprechen, aber die Lippen zitterten ihr – so sprach Herr Skrzetuski weiter:

»Ihr, Fräulein, werdet mich aber vergessen, neben jenem schönen Kosakenführer, welcher Euren Gesang mit der Flöte begleiten wird.«

»Niemals! Niemals!« flüsterte das Mädchen. »Aber Ihr müßt Euch vor ihm in acht nehmen, er ist ein schrecklicher Mensch.«

»Was schert mich der eine Kosak! Und wenn die ganze Niederung aufstände, um dich würde ich mich mit allen schlagen. Du bist mir das teuerste Kleinod, meine Welt, nur sage mir, daß du meine Neigung erwiderst.«

Ein leises »Ja« tönte wie Sphärenmusik in das Ohr Skrzetuskis; ihm war zumute, als schlügen zehn Herzen in seiner Brust. In den Augen wurde es ihm helle wie lichter Sonnenschein, er fühlte sich wie von Flügeln gehoben, wie von einer starken Kraft getragen. Beim Abendessen sah er einige Male das Gesicht Bohuns vor sich, welches sehr verändert und blaß war; aber seit der Zustimmung Helenens kümmerte er sich noch weniger um den Führer.

»Daß ihn der Kuckuck hole!« dachte er bei sich. »Mag er mir nicht in den Weg kommen, ich zertrete ihn wie einen Wurm.«

Herr Skrzetuski fühlte sich so glücklich, daß er nicht wußte, was er tat. Er trank sehr viel, aber der Met übte keine Wirkung auf ihn, denn er war schon liebetrunken. Er sah niemanden bei Tische als sein Mädchen. Er sah nicht, wie Bohun immer bleicher wurde und alle Augenblicke nach dem Griffe seines Krummsäbels langte; er hörte nicht, daß Longinus zum dritten Male die Geschichte von Stowejko erzählte, und Kurzewitsch von seiner Expedition in die Türkei. Sie tranken alle, außer Bohun, und die alte Fürstin tat es ihnen allen zuvor, indem sie bald auf das Wohl der Gäste, bald auf das Wohl des geliebten Fürsten und des Hospodar Lupula trank. Es war auch die Rede von Wassili, seinen früheren Heldentaten, jener unglücklichen Expedition und seinem jetzigen Wahnsinn, welchen Simeon auf folgende Weise erklärte:

»Bedenket, ihr Herren, wenn schon das kleinste Körnchen im Auge uns zu sehen hindert, wie soll da nicht ein Stück brennendes Pech, welches bis zum Verstände dringt, denselben verwirren?«

»Ja, ja,« sagte Herr Longinus, »der Verstand ist ein sehr delikates Instrument.«

Jetzt sah die Fürstin das veränderte Antlitz Bohuns vor sich.

»Was ist dir, Falke?« fragte sie.

»Die Seele schmerzt,« sagte er düster, »aber mein Kosakenwort ist kein Rauch; ich zwinge den Schmerz.«

»Gut, mein Söhnchen, ich freue mich darüber.«

Das Abendessen war beendet, aber die Pokale wurden stets von neuem mit Met gefüllt. So erweckten denn die zum Tanz aufspielenden Kosaken um so mehr die Tanzlust. Es ertönten die russische Gitarre und die kleine Trommel, zu deren Tönen die verschlafenen Bürschchen springen mußten. Später auch schlossen sich diesen die Prinzen an. Die alte Fürstin stemmte die Hände in die Hüften und begann auf einem und demselben Fleck zu treten, zu zappeln und zu singen. Als Herr Skrzetuski das sah, schlüpfte auch er mit Helene zum Tanz. Als er sie umschlungen hielt, schien ihm, als ob er ein Stück Himmel in den Armen hielt. Während der Umdrehungen im Tanze schlangen sich die langen Zöpfe der Prinzessin um seinen Hals, als wollte das Mädchen ihn an sich fesseln für immer. Er hielt es auch nicht aus; als er glaubte, es sehe es niemand, bückte er sich hinab und küßte ihren süßen Mund.

Als er sich spät in der Nacht allein in der Stube mit Herrn Longinus fand, wo ihnen das Nachtlager bereitet war, da setzte sich, anstatt zu schlafen, der Statthalter auf den Rand des Lagers und sprach:

»Ihr werdet morgen mit einem anderen Menschen nach Lubnie reisen!«

Podbipienta, welcher eben sein Gebet beendet hatte, öffnete weit die Augen und fragte:

»Was soll das heißen? Bleibt Ihr hier?«

»Ich bleibe nicht hier,« antwortete Skrzetuski, »aber mein Herz bleibt hier, und eines nur wird mit mir gehen, dulcis redordatio. Ihr seht mich sehr aufgeregt; ich kann vor zärtlichen Gefühlen kaum zu Atem kommen.«

»So habt Ihr Euch in die Prinzessin verliebt?«

»Nichts anderes, so wahr ich lebend hier vor Euch sitze. Der Schlaf flieht meine Lider; ich habe nur Lust zu seufzen, und werde wohl nächstens mich zu Dampf auflösen – was ich Euch hiermit kund tue, da ich bei Eurem gefühlvollen Herzen vermute, daß Ihr meine Qualen versteht.«

Herr Longinus fing sogleich an zu seufzen, zum Zeichen, daß er die Liebesqualen kenne, nach einer Weile fragte er wehmütig:

»Ach, habt Ihr vielleicht auch Keuschheit gelobt?«

»Eure Frage ist töricht; denn, wenn alle dies Gelübde ablegen wollten, so müßte das Menschengeschlecht aussterben.«

Der Eintritt eines Dieners unterbrach die Unterredung. Es war ein alter Tatar mit blitzenden, schwarzen Augen in einem runzelvollen Gesicht, das wie ein gedörrter Apfel aussah. Im Eintreten warf er dem Statthalter einen bedeutungsvollen Blick zu, dann fragte er:

»Ist den gnädigen Herren noch etwas nötig? Vielleicht ein Becher Met als Schlaftrunk?«

»Es bedarf nichts mehr.«

Der Tatar näherte sich Skrzetuski und brummte:

»Ich habe an den gnädigen Herrn ein Wörtchen vom Fräulein.«

»Sei mir willkommen!« rief freudig der Statthalter. »Du kannst vor diesem Kavalier hier sprechen; er kennt mein Geheimnis.«

Der Tatar zog aus dem Ärmel ein Stück Band.

»Das Fräulein schickt dem gnädigen Herrn diese Schärpe und läßt sagen, daß sie Euch von ganzer Seele liebt.«

Der Statthalter ergriff die Schärpe und küßte sie voll Entzücken, drückte sie an die Brust, dann fragte er:

»Was hat sie dir aufgetragen zu sagen?«

»Daß sie Euch von ganzer Seele liebt.«

»Hier hast du einen Taler für die Botschaft. Sie sagte also, daß sie mich liebt?«

»So ist es!«

»Hier noch einen Taler. Gott segne sie, denn auch sie ist mir die allerliebste. Sage ihr – doch warte – ich werde ihr schreiben; bringe Feder und Tinte.«

»Was?« fragte der Tatar.

»Feder, Tinte und Papier.«

»Das gibt es hier im Hause nicht. Zurzeit des Fürsten Wassili wohl und später, als die Prinzen von dem Mönche schreiben lernten, aber das ist schon lange her.«

Herr Skrzetuski schlug die Hände zusammen.

»Herr Podbipienta, habt Ihr Feder und Tinte?«

Der Litauer breitete die Hände auseinander und erhob die Augen zum Himmel.

»Zum Henker! Da bin ich im Kummer!«

Unterdessen hatte sich der Tatar vor das Feuer gekauert.

»Zu was schreiben,« sagte er, in den Kohlen wühlend. »Das Fräulein schläft, und was der gnädige Herr ihr schreiben will, kann er morgen selbst sagen.«

»Wenn es so ist, so ist das etwas anderes. Ich sehe, du bist ein treuer Diener der Prinzessin. Hier! noch einen Taler. Dienst du schon lange?«

»Ho! Ho! das sind an die vierzig Jahre her, als mich Fürst Wassili in die Sklaverei schleppte – von da ab diente ich ihm treu, und als er in jener Nacht fortritt, um seinen Namen vergessen zu machen, da ließ er dem Konstantin das Kind, und zu mir sagte er: Tschechly! Du verlässest mir das Mädchen nicht und bewachst es, wie das Auge im Kopfe. Allah il Allah.«

»Und das tust du?«

»Das tue ich; ich sehe zu.«

»Sage mir, was siehst du? Wie geht es der Prinzessin hier?«

»Sie haben es böse mit ihr im Sinn, denn sie wollen sie dem Bohun, dem verfluchten Hund, geben.«

»O, daraus wird nichts! Es wird sich jemand finden, der für sie eintritt.«

»Ja!« sagte der Alte, indem er die Holzscheite zusammenstieß. »Sie wollen sie dem Bohun geben, damit er sie forttrage, wie der Wolf das Lamm, und ihnen Roslogi überlasse, denn Roslogi gehört ihr als Erbe ihres Vaters und nicht ihnen. Bohun ist auch bereit, das zu tun; er hat in seinen Verstecken mehr Gold und Silber, als Sand in Roslogi ist. Aber sie haßt ihn seit der Zeit, wo er vor ihren Augen mit dem Streitkolben einen Menschen niederschlug. Das Blut fließt zwischen ihnen und gebar den Haß. Es lebt ein Gott!«

Der Statthalter konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Er ging im Gemach umher, sah den Mond an und machte in Gedanken allerhand Pläne. Er verstand jetzt das Spiel der Kurzewitsch'. Wenn ein Edelmann aus der Gegend die Prinzeß heiratete, so hätte er Ansprüche auf Roslogi gemacht, das ihr gehörte, vielleicht sogar Rechenschaft über die Verwaltung der Güter verlangt. Aus diesem Grunde wollten sie Helene dem Bohun geben. Bei diesem Gedanken ballte Skrzetuski die Faust und griff mechanisch nach dem Schwert; er beschloß, diese Machination zu zerstören und fühlte die Kraft dazu in sich. Die Vormundschaft über Helene kam dem Fürsten Jeremias zu, einmal, weil Roslogi aus früheren Zeiten von den Wischniowiezkis stammte und dem Fürsten Wassili geschenkt war, das andere Mal, weil Wassili von Bar aus dem Fürsten Jeremias geschrieben und um seine Vormundschaft gebeten hatte. Nur die dringenden öffentlichen Angelegenheiten, Kriege und große Unternehmungen konnten den Fürsten bisher vermocht haben, sich dieser Vormundschaft zu entziehen. Ein Wort würde genügen, ihn an seine Pflicht zu mahnen. Der Morgen dämmerte schon, als Herr Skrzetuski endlich sich auf das Lager warf. Er schlief fest und erwachte am Morgen mit einem festen Entschluß. Beide, er und Herr Longinus, kleideten sich schnell an; die Wagen standen schon bereit, die Soldaten des Statthalters saßen bereits zu Pferde, fertig zur Reise. Im Gastgemach stärkte sich der Botschafter in Gesellschaft der Fürstin und ihrer Söhne an der Morgensuppe. Nur Bohun war abwesend; niemand wußte, ob er noch schlief oder abgereist war. Nachdem auch Skrzetuski sich gestärkt hatte, sagte er:

»Gnädige Frau! Die Zeit eilt, in einer Weile müssen wir zu Pferde. Ehe ich denn für die Gastfreundschaft von Herzen danke, habe ich noch eine wichtige Angelegenheit mit Euch sowie mit Euren Söhnen abzumachen, weshalb ich einige Worte mit Euch sprechen möchte.«

Auf dem Gesicht der Fürstin malte sich Staunen. Sie blickte abwechselnd auf ihre Söhne, auf den Gesandten und Herrn Longinus, als wollte sie in deren Gesichtern lesen, um was es sich handle, und mit unruhiger Stimme sagte sie:

»Euch zu Diensten.«

Der Botschafter wollte aufstehen, aber sie duldete es nicht, sondern führte Skrzetuski in den großen Flur. Die Prinzen stellten sich in einer Reihe hinter der Mutter auf, welche dem Statthalter gegenüber Posto gefaßt hatte und fragte:

»Von welcher Angelegenheit wollt Ihr sprechen?«

Der Statthalter sah sie scharf, fast streng an und begann:

»Verzeiht, gnädige Fürstin, und ihr, junge Herren, daß ich gegen den Brauch in dieser Sache mein eigener Anwalt bin, statt durch ehrenwerte Botschafter sie euch kund zu tun. Aber es geht nicht anders, und da gegen das »Muß« niemand kämpfen kann, so lege ich ohne weiteres Euch, Fürstin, und den Prinzen die Bitte zu Füßen, daß ihr mir die Prinzeß Helene gütigst zur Frau gebt.«

Wenn in diesem Augenblick, mitten im Winter, auf dem Schloßplatz in Roslogi der Blitz eingeschlagen hätte, so wäre der Eindruck kein so starker gewesen, als der, welchen die Worte des Statthalters verursachten. Eine Weile blickten sie alle verwundert denselben an, welcher kerzengerade, ruhig und stolz vor ihnen dastand, und nicht wie ein Bittender, sondern wie ein Befehlender aussah; sie fanden keine Worte – endlich fragte die Fürstin:

»Wie? Um Helene werbt Ihr?«

»Ja, gnädige Frau, das ist meine unumstößliche Absicht.«

Wieder folgte Stillschweigen.

»Verzeiht, Herr!« brachte die Fürstin endlich hervor – ihre Stimme wurde trocken und scharf – »die Ehre ist groß für uns, aber daraus kann nichts werden, denn Helene ist schon einem anderen versprochen.«

»Bedenket doch, edle Frau,« sagte Skrzetuski, »bedenket als besorgte Vormünderin, ob diese Versprechung nicht gegen den Willen der Prinzessin geschah, und ob ich nicht besser bin, als der, welchem Ihr sie verspracht.«

»Gnädiger Herr! Welcher von euch besser, das muß ich beurteilen. Ihr könnt sogar der Allerbeste sein – das ist uns ganz gleich – denn wir kennen Euch nicht.«

Der Statthalter richtete sich noch höher auf; seine Blicke wurden scharf und kalt wie die Schneide eines Messers.

»Aber ich kenne Euch – Verräter!« schrie er. »Ihr wollt die Verwandte einem Bauern geben, damit Ihr nur in dem unrechtmäßig angeeigneten Besitztum bleiben könnt.«

»Selbst ein Verräter!« schrie auch die Fürstin. »So bezahlt Ihr die Gastfreundschaft? Solche Dankbarkeit kennt Euer Herz? O Schlange! Wer bist du? Woher kommst du?«

Die Prinzen fingen an, sich nach den Waffen umzusehen. Der Statthalter aber rief:

»Heidenbrut! – Ihr habt der Waise das Erbe geraubt, aber ihr behaltet es nicht. Noch ein Tag, und der Fürst Jeremias soll es wissen.«

Als die Fürstin das hörte, sprang sie zurück, ergriff einen Wurfspieß und trat damit vor den Statthalter. Auch die Prinzen hatten zu den Waffen gegriffen; sie umgaben ihn im Halbkreis und keuchten wie tollgewordene Wölfe.

»Zum Fürsten gehst du?« rief die Fürstin. »Weißt du denn, ob du dies Haus lebend verlässest, ob dies nicht deine letzte Stunde ist?«

Skrzetuski kreuzte die Arme über der Brust und zuckte nicht mit den Wimpern.

»Ich kehre als fürstlicher Gesandter aus der Krim heim. – Fließt hier ein Tropfen Blut, so ist in drei Tagen dieser Hof in einen Aschenhaufen verwandelt, ihr aber geht in den Verließen Lubnies zugrunde. Es gibt nichts in der Welt, das euch schützen könnte. Drohet nicht, denn ich fürchte euch nicht!«

»Wir werden zugrunde gehen, aber erst sterbt Ihr!«

»So schlaget zu, hier – meine Brust.«

Die Prinzen hielten noch immer die Waffen auf die Brust des Statthalters gerichtet, aber es war, als ob eine unsichtbare Hand sie zurückhielt, den Todesstoß zu führen. Zähneknirschend und wutschnaubend, fast toll standen sie da, aber keiner wagte es, den Statthalter zu berühren. Der Name Wischniowiezki jagte ihnen furchtbaren Schrecken ein.

Der Statthalter blieb Herr der Situation. Die machtlose Wut der Fürstin machte sich nur in einer Flut von Schimpfworten Luft.

Herr Skrzetuski unterbrach ihren Redestrom:

»Ich habe jetzt nicht Zeit, Euch meinen Adel nachzuweisen, aber ich denke, daß Euer fürstlich Geschlecht ohne Schande mir den Schild und den Speer nachtragen darf. Übrigens – wenn ein Bauer Euch recht war, so kann ich es erst recht sein. Mein Vermögen mißt sich mit dem Euren, und da Ihr mir Helene nicht geben wollt, so höret, was ich Euch sage: – auch ich überlasse Euch Roslogi, ohne Rechnung über die Verwaltung zu verlangen.«

»Verschenket nicht, was nicht Euer ist.«

»Ich schenke nichts, sondern verspreche es nur und bekräftige dies Versprechen mit meinem Ritterwort. Jetzt wählt: entweder legt Ihr dem Fürsten Rechnung und übergebt das Gut, oder Ihr behaltet es und gebt mir das Mädchen ...«

Der Wurfspieß entglitt allmählich der Hand der Fürstin, klirrend fiel er zu Boden.

»Wählet!« wiederholte Herr Skrzetuski. » Aut pacem, aut bellum! Krieg oder Frieden!«

»Es ist ein Glück,« sagte die Fürstin, »daß Bohun auf die Reiherbeize fort ist. Er konnte Euch nicht mehr sehen, denn gestern schon beargwöhnte er Euch. Wäre er hier, so liefe es ohne Blutvergießen nicht ab.«

»Gnädige Frau, auch ich trage den Säbel nicht zur Zier.«

»Denkt nur nach, Ritter, ob das politisch gehandelt ist von einem Kavalier, erst gut gelaunt ein gastliches Haus zu betreten, um dann so seine Bewohner anzufallen und gewaltsam das Mädchen zu nehmen, als ob es gelte, sie aus türkischer Sklaverei zu befreien.«

»Es ziemt sich so, da Ihr sie wider Willen einem Bauern geben wolltet.«

»Sprecht nicht in dieser Weise von Bohun, denn wenn auch von unbekannter Herkunft, so ist er doch ein tapferer Krieger und berühmter Ritter und uns von Kind auf bekannt, lieb wie ein Verwandter. Ihm ist der Verlust des Mädchens gleichbedeutend mit dem Tod.«

»Gnädige Frau, es ist Zeit, daß ich aufbreche, verzeiht, daß ich wiederhole: Wählt! ...«

Die Fürstin sah ihre Söhne an:

»Und ihr, meine Söhnchen, was sagt ihr zu der demütigen Bitte dieses Kavaliers?«

Die Prinzen blickten einer auf den anderen, stießen sich mit den Ellenbogen an und schwiegen. Endlich brummte Simeon:

»Gebietest du zuzuhauen, Mütterchen, so hauen wir, heißest du das Mädchen ausliefern, so geben wir sie.«

»Zuhauen ist schlimm, Geben auch schlimm.«

Dann sich an Skrzetuski wendend, sagte sie:

»Ihr habt uns in die Enge getrieben, Herr, daß wir kaum atmen können. Bohun ist ein Tollkopf, ein rabiater Mensch, der jeden Augenblick bereit ist, sich zu rächen. Wer wird uns vor ihm schützen? Er selbst wird durch den Fürsten fallen, aber zuerst vernichtet er uns. Was sollen wir anfangen?«

»Das müßt Ihr wissen.«

Die Fürstin schwieg eine Weile:

»Hört, Kavalier. Das alles muß Geheimnis bleiben. Bohun schicken wir nach Perejeslaw, wir kommen mit Helene nach Lubnie, und Ihr bittet den Fürsten, daß er hierher Besatzung schickt. Bohun hat in der Nähe anderthalb Hundert seiner Leute, von denen ein Teil bei uns ist. Ihr könnt also Helene nicht gleich mitnehmen, denn er würde sie Euch abjagen. Anders geht es nicht. Reitet also, verratet niemand das Geheimnis und erwartet uns.«

»Damit Ihr mich verratet?«

»Wenn wir das nur dürften, – aber wir dürfen nicht, Ihr wißt es selbst. Gebt Euer Ritterwort, daß Ihr zurzeit das Geheimnis wahrt!«

»Ihr habt es! Und Ihr? Gebt Ihr das Mädchen?«

»Wir geben sie, weil wir müssen – obgleich es uns Bohuns wegen sehr leid ist ...«

»Pfui! Pfui! meine Herren,« sagte plötzlich der Statthalter, sich an die Prinzen wendend. »Vier Mann wie die Eichen seid ihr, und fürchtet einen einzigen Kosaken so sehr, daß ihr ihm nur mit Verrat beikommen wollt. Obgleich ich verpflichtet bin, euch zu danken, muß ich doch sagen: Das schickt sich nicht für Edelleute!«

»Darein mischt Euch nicht,« schrie die alte Fürstin, »Das ist nicht Eure Sache! Was sollen wir anderes tun? Wieviel Soldaten habt Ihr seinen Leuten entgegenzustellen? Seid Ihr in der Lage, uns zu schützen oder auch nur Helene allein, welche er Euch gutwillig niemals überläßt? Das ist nicht Eure Sache! Reitet nach Lubnie, und was uns zu tun obliegt, das müssen wir wissen, wenn wir Euch nur Helene bringen.«

»Tut, was ihr wollt. Nur das eine sage ich noch – Wehe euch, wenn der Prinzessin ein Leid zustößt!«

»Verfahret nicht so hart mit uns, Ritter, damit Ihr uns nicht zu verzweifelten Schritten zwingt.«

»Ich mißtraue euch! Ihr wolltet sie zwingen, Bohun zu nehmen, und jetzt, da ihr sie für das Gut an mich verkauft habt, fragt ihr sie nicht einmal, ob meine Person ihr recht ist?«

Die Fürstin fühlte sehr gut das Verächtliche im Tone des Statthalters. Sie unterdrückte jedoch den aufwallenden Zorn und sagte: »Wir wollen Helene in Eurem Beisein fragen.« Simeon ging nach Helene und erschien nach einer Weile mit ihr im Flur.

Ihr Eintreten schien Frieden und Sonnenschein über die mißgestimmte und zornige Versammlung zu breiten.

»Helene,« sagte finster die Fürstin, auf Skrzetuski weisend, »so es dein Wille ist, so ist das dort dein künftiger Gemahl.«

Helene erbleichte. Sie schrie auf, bedeckte die Augen mit den Händen; plötzlich streckte sie Skrzetuski beide Arme entgegen, und wie berauscht flüsterte sie:

»Ist das auch wahr?«

*

Eine Stunde später bewegte sich der ganze Reitertroß des Statthalters und Botschafters langsam auf der waldbegrenzten Landstraße nach Lubnie zu. Skrzetuski und Herr Longinus ritten an der Spitze, ihnen folgten die Wagen in langer Reihe. Der Statthalter war in tiefes Sinnen versunken, eine große Bangigkeit überfiel ihn. Plötzlich weckten ihn die abgerissenen Töne eines Liedes aus diesem Sinnen ...

»Weh, o weh, mein Herz mich schmerzt ...«

In der Tiefe des Waldes, auf einem schmalen, ausgetretenen Fußpfade wurde die Gestalt Bohuns auf schaumbedecktem Pferde sichtbar. Der Kosakenführer hatte seiner Gewohnheit gemäß sich müde geritten in Wald und Steppe, um im tollen Ritt sich zu betäuben, und das, was ihn drückte, zu verschweigen.


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