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Diplomatische Geschichte des Krieges

Der Nachweis, auf welche Art die Diplomatenjunker unseres Auswärtigen Amtes sich in den Krieg einließen, findet sich im Weißbuch, unter »Verschiedenes« Nr. 6 (1914), das Korrespondenzen betreffend die europäische Krise enthält, und seither neu herauskam mit einem späteren Weißbuch und einem Anhang als ein Penny-Blaubuch in Miniaturausgabe. In diesen viel genannten und wenig gelesenen Dokumenten sehen wir die Junker aller Nationen, die Männer, die vor Jahren gesagt hatten: »Es muß einmal dazu kommen« und in England nach der Militärpflicht gerufen hatten und nach Expeditionsarmeen, für den Augenblick stutzig und nicht wenig erschrocken bei der plötzlichen Wahrnehmung, daß es schließlich wirklich kam. Sie rannten vom Auswärtigen Amt zur Gesandtschaft und von der Gesandtschaft zum Palast, bebernd: »Das ist furchtbar. Könnt Ihr es nicht aufhalten? Könnt Ihr nicht vernünftig sein? Denkt an die Folgen« etc. etc. Ein Mann unter ihnen verliert den Kopf nicht und sieht den Tatsachen ins Gesicht. Dieser Mann ist Sazonoff, der russische Minister des Auswärtigen. Er versucht ständig, Sir Edward Grey zu gewinnen, sich ins Unvermeidliche zu schicken. Er sagt und wiederholt tatsächlich: »Ihr wißt sehr gut, daß wir den europäischen Krieg nicht vermeiden können. Ihr wißt, daß Ihr verpflichtet seid, gegen Deutschland zu kämpfen, wenn Deutschland Frankreich angreift. Ihr wißt, daß eure Vorbereitungen für den Kampf tatsächlich getroffen sind, daß schon ein frankobritischer Kriegsrat die britische Armee befehligt, daß kein ehrenhafter Rückzug mehr möglich ist. Ihr wißt, daß dieser alte Mann in Österreich, der schon vor Jahren pensioniert worden wäre, wäre er ein Steuereinnehmer, entschlossen ist, Serbien zu bekriegen und dieses alberne 48 Stunden-Ultimatum abgeschickt hat, da wir alle außer der Stadt waren, so daß er den Kampf beginnen konnte, bevor wir zurück sein konnten, um ihm beizukommen. Ihr wißt, daß er den Jingo-Haufen von Wien hinter sich hatte. Ihr wißt, daß, wenn er Krieg führt, Rußland mobilisieren muß. Ihr wißt, daß Frankreich mitzugehen verpflichtet ist, wie Ihr mit Frankreich. Ihr wißt, daß, sobald wir mobilisieren, Deutschland, des alten Mannes Verbündeter, nur eine verzweifelte Möglichkeit des Sieges haben wird, und das ist die, mit einem großartigen Anrennen seiner Millionen unsern Verbündeten Frankreich zu überwältigen, und dann zurückzukommen und sich uns an der Weichsel entgegenzustellen. Ihr wißt, daß nichts all dies aufhalten kann, außer wenn Deutschland Österreich Vorstellungen macht und darauf besteht, daß die serbische Angelegenheit vor einem internationalen Schiedsgericht und nicht durch Krieg ausgetragen wird. Ihr wißt, daß Deutschland das nicht zu tun wagt, denn sein Bündnis mit Österreich ist seine Verteidigung gegen das russisch-französische Bündnis, und daß es das in keinem Fall zu tun wünscht, weil der Kaiser natürlicherweise ein starkes Klassenvorurteil dagegen hat, wenn unverantwortliche Revolutionäre königliche Persönlichkeiten in die Luft sprengen, und ihm nach der Ermordung des Erzherzogs nichts zu schlecht für Serbien zu sein scheint. Da gibt es nur eine Möglichkeit, die Hölle zu vermeiden. Eine ganz vage, immerhin des Versuches wert. Ihr habt in der Algeciraskrisis den Krieg vermieden und ebenso in der Agadirkrisis, indem Ihr euch zum Kampf bereit erklärtet. Versucht es noch einmal. Der Kaiser ist steif nackig, denn er glaubt nicht, daß Ihr diesmal kämpfen wollt. Wohlan denn, überzeugt ihn, daß Ihr es wollt. Er wird dann eine solche Übermacht gegen sich haben, daß er es vielleicht nicht wagen wird, um einen solchen Preis das österreichische Ultimatum an Serbien zu unterstützen. Und wenn Österreich auf diese Art gezwungen wird, gegen Serbien den Weg des Rechtes zu beschreiten, werden wir Russen befriedigt sein; und dann wird es keinen Krieg geben.«

Sir Edward vermochte das nicht einzusehen. Er ist Mitglied einer liberalen Regierung in einem Land, in dem es keine politische Karriere gibt für den Mann, der nicht den Amtsbesitz seiner Partei über jede andere Erwägung stellt. Was hätten The Daily News und The Manchester Guardian gesagt, hätte er in der Art Bismarcks derb erklärt: »Wenn einmal Krieg ausbricht, wird die alte Rechnung zwischen England und Preußen geregelt werden. Nicht durch Teegesellschaften der Gesandten und Gerichtshöfe, sondern mit Blut und Eisen.« Vergebens wiederholte Sazonoff: »Aber wenn Ihr kämpfen werdet, wie Ihr selbst wißt, warum es nicht sagen?« Sir Edward, da es Sir Edward war und nicht Winston Churchill oder Lloyd George, konnte nicht zugeben, daß er kämpfen werde. Er hätte dem sterbenden Papst zuvorkommen können und seinem edlen christlichen »Ich segne den Frieden« mit einem edlen, wenn auch heidnischen »Ich kämpfe den Krieg«. Statt dessen überredete er uns alle, daß es keinerlei Verpflichtung für ihn gebe, zu kämpfen. Er überzeugte Deutschland, daß er nicht die leiseste Absicht habe, zu kämpfen. Sir Owen Seaman schrieb im »Punch« ein heiteres und witziges Nicht-Interventions-Gedicht. Sportliebende Liberale boten jede ungleiche Wette, daß kein Krieg für England käme. Und Deutschland, im Vertrauen darauf, daß es mit Österreichs Hilfe mit der einen Hand Frankreich und mit der andern Rußland zerbrechen könne, wenn England abseits bleibe, gab es zu, daß Österreich den Funken ins Pulverfaß warf.


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