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[Vorwort]

Es ist Zeit, Mut zu fassen und einmal nüchtern über den Krieg zu sprechen und zu schreiben. Zuerst hat der bloße Schreck die Nachdenklichsten von uns betäubt, und selbst jetzt vermögen nur die vernünftig darüber zu denken oder zu ertragen, daß andere sachlich davon sprechen, die mit seiner herzzerbrechenden Zertrümmerung nicht in wirklicher Berührung oder betrübender Beziehung leben. Was die Gedankenlosen anbelangt, wage ich nicht für einen Augenblick zu behaupten, daß sie für die ersten paar Wochen den Halt verloren hätten; ich weiß zu gut, der britische Bürger läßt seinen Mut nicht anzweifeln, und nur erfahrenen Soldaten oder Ausländern wird die Schwäche der Furchtsamkeit zugestanden. Doch immerhin, sie alle waren – soll ich sagen: ein wenig betroffen? Sie fühlten in dieser wichtigen Stunde, daß England verloren sei, wenn nur ein einziger Verräter in ihrer Mitte über irgend etwas in der Welt ein Körnchen Wahrheit verlauten ließe. Für mich war das eine gefährliche Zeit. Es fällt mir nicht leicht, den Mund zu halten; und die mir angeborene dramatische Kraft und meine berufliche Gepflogenheit als Bühnenautor hindern mich daran, etwas einseitig zu betrachten, selbst dann, wenn die vielseitige Betrachtungsweise zur wahrscheinlichen Folge hat, daß man gesteinigt wird. Überdies, solange Home Rule nicht den derzeitigen toten Punkt überwindet, werde ich meine irische Eigenart mir bewahren und England mit der Unbekümmertheit eines Ausländers kritisieren, vielleicht auch eine boshafte Freude daran haben, ihm die Selbstgefälligkeit auszutreiben. Es war falsch, als Lord Kitchener jüngst die irischen Freiwilligen tadelte, daß sie nicht rascher zur Verteidigung »ihres Landes« herbeieilten. Sie sehen England noch nicht als ihr Land an. Er hätte sie bitten sollen, dem armen alten England, wie schon oft, in schwerem Kampfe beizustehen. Dann wäre alles in Ordnung gewesen.

Indem ich so meine Parteilichkeit offen zugebe – man mag sie mir anrechnen wie ein Schütze, der den Winddruck berücksichtigt – gebe ich meine Ansichten als das, was sie sind. Sie werden von einigem Nutzen sein; denn, wie sehr ich auch durch Vorurteil oder Eigensinn verblendet sein mag, meine Vorurteile in dieser Sache sind nicht die gleichen, welche den britischen Patriotismus verblenden, darum bin ich ziemlich sicher, manches zu sehen, was jenem noch nicht erkennbar wurde.

Zunächst scheint es mir nicht, daß dieser Krieg Regierungen und Völker in eine vollständig harmonische Einheit gegenüber dem gemeinsamen Feind zusammengeschweißt hat. Ich sehe das Volk von England geeint in wütender Verachtung und Trotz gegen die Ansichten und Taten preußischen Junkertums. Und ich sehe das deutsche Volk bis in die Tiefe aufgewühlt von einem ähnlichen Widerwillen gegen das englische Junkertum und von Wut über unseren scheinbaren Verrat und unsere Doppelzüngigkeit in der Stunde stärkster Bedrohung seitens Frankreichs und Rußlands. Ich sehe beide Nationen von ihren Junkern und Militaristen verführt, aber, ach, nicht ganz unfreiwillig verführt, ihren Zorn gegeneinander zu kehren, den sie besser benutzt hätten, um die Junkerherrschaft und den Militarismus in ihrem eigenen Lande zu zerstören. Und ich sehe, wie Junker und Militärpartei in England und in Deutschland die Gelegenheit, auf die sie viele Jahre vergeblich gewartet haben, wahrnehmen, einander zu vernichten und ihre eigene Oligarchie als die beherrschende Militärmacht der Welt aufzurichten. Das heldenhafteste Mittel gegen dieses tragische Mißverständnis wäre zweifellos gewesen, wenn beide Armeen ihre Offiziere niedergeschossen hätten und heimgegangen wären, um in den Dörfern die Ernte einzubringen und in den Städten Revolution zu machen. Wenn das auch zurzeit keine ausführbare Lösung ist, muß es doch offen ausgesprochen werden. Denn dies oder ähnliches ist immer möglich bei einem geschlagenen Heer, das zwangsweise rekrutiert ist und von seinen Befehlshabern über die menschlichen Grenzen des Erduldens getrieben wird und das zur Einsicht kommt, daß, wenn es den Nachbar ermordet, es ins eigene Fleisch sich schneidet und damit das unerträgliche Joch von Militär- und Junkerherrschaft schwerer denn je sich auf den Nacken lädt. Doch es besteht keine Hoffnung, – oder, wie unsere Junker sagen würden: keine Gefahr, – daß unsere Soldaten einem solchen Ausbruch von Vernunft Folge leisten würden. Sie haben sich freiwillig gestellt; sie sind nicht geschlagen und werden es so leicht nicht sein; ihre Verbindungen sind intakt und ihre Mahlzeiten leidlich pünktlich; sie sind so kampflustig wie ihre Offiziere; und indem sie gegen Preußen kämpfen, kämpfen sie gegen einen willkürlicheren, bewußteren, tyrannischeren, persönlich schamloseren und gefährlicheren Militarismus als ihren eigenen. Dennoch gibt es selbst für eine freiwillige Berufsarmee jene Möglichkeit, sowie es für den Zivilisten eine Grenze gibt, über die hinaus Besteuerung, Bankerott, Entbehrung, Schreck und Ungemach nicht mehr getrieben werden können, ohne zur Revolution zu führen oder zu einer gesellschaftlichen Auflösung, die schlimmer ist als die Unterwerfung unter den Eroberer. Ich erwähne all das nicht mit der Absicht, mich unangenehm zu machen, sondern weil Militärpersonen, die natürlich denken, es gebe nichts anderes wie Lederzeug, jetzt von diesem Kriege sprechen, als würde er wahrscheinlich zu einer dauernden Einrichtung wie Madame Tussauds Schreckenskammer. Dabei scheinen sie mir zu vergessen, daß die Verbrauchsziffer bei neuzeitig militärischen Aktionen im Verhältnis zur größtmöglichen Ziffer der Produktion, soweit sie unter der Einschränkung des Krieges aufrecht erhalten werden kann, viel größer geworden ist als sie jemals war.


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