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Eine Sperlingsgeschichte

Mein Freund Richard Almenau, Professor der Kunstgeschichte, wohnt in einem Hinterhause der Königgrätzer Straße, drei Treppen hoch, und zwar sind es infame steile und glatte Steinwendeltreppen von so kurzer Windung, daß man das Gefühl hat, in das Haus hinaufgeschraubt zu werden, allein man wird dafür belohnt, indem sie zu so behaglichen, wohnlichen Räumen führen, daß man sich schwer entschließt, diese wieder zu verlassen. Die Zimmer sind angefüllt mit kleinen Kunstwerken und hundert Erinnerungsdingen eines reichen Lebens, es ist kein Gegenstand dort, an dem nicht eine Geschichte hängt, und alles ist aufgestellt mit einem freundlichen Sinn für Schönheit und Ordnung, so daß sich ein stilles Behagen in diesen Räumen von selber einfindet. Man trifft Herrn Almenau, je nach der Arbeit, die er vorhat, an einem andern Orte seiner Zimmer beschäftigt. Seine Briefschaften und Geldangelegenheiten erledigt er an einem großen Tisch am Fenster, kunstgeschichtliche Vorträge dagegen werden an einem mit grünem Tuche behangenen Tische mitten in der Stube entworfen, und in besonderen Weihestunden arbeitet er vor einem Stehpulte an der Lebensgeschichte eines berühmten Bildhauers.

Da ihm auch die Gabe des Gesanges verliehen ist, so gibt es noch einen vierten Ort, der zum Schreiben eingerichtet ist, und zwar an einem behaglichen Sofaplatz, wo er den Kaffee einzunehmen pflegt, da er diesem Getränke besondere, den Fluß der Verse begünstigende Eigenschaften zuschreibt.

Kürzlich, als ich ihn besuchte, fand ich ihn an keinem von diesen Orten, sondern er stand mit einer Stange in der Hand in der geöffneten Balkonthür, sein Gesicht war gerötet und er sah zornig aus. Mit dem Pathos eines Trauerspielhelden rief er mir entgegen:

»Laß mich Gefahren bestehen groß und gewaltig, mutvoll will ich ihnen ins Auge sehen, mit Löwen will ich streiten, aber dem Kampfe mit Sperlingen bin ich nicht gewachsen!«

Ich kannte diesen alten Schmerz schon. Es gehörte zu seinen Eigentümlichkeiten, plötzlich von der Arbeit aufzuspringen, die stets bereite Stange zu ergreifen und die Sperlinge zu verjagen, die sich auf dem Balkon breit machten. Er stellte seine Waffe in die Ecke, bot mir eine Zigarre an und setzte sich mit leidender Miene in einen Lehnstuhl.

»Die Sperlinge sind noch mein Tod,« sagte er in humoristischer Verzweiflung. »Kennst du das Volksmärchen: ›Der Hund und der Sperling‹? Wie der Sperling, um den Mord seines Freundes, des Hundes, zu rächen, den Fuhrmann arm macht und schließlich ums Leben bringt. Wahrlich, das Volk in seiner kindlichen Weisheit hat die dämonische Natur dieses Vogels längst erkannt, aber der überkluge Berliner füttert sich diese Zuchtrute zu Millionen auf. Ist dir noch nicht aufgefallen, daß Berlin die Stadt der Sperlinge ist, daß zehnmal mehr Sperlinge hier wohnen als Menschen? Sind sie nicht in den Biergärten von unverständigen Leuten, die nur ihr eigenes Vergnügen und nicht das Wohl der Gesamtheit im Auge haben, durch fortwährendes Füttern auf Kosten der bejammernswerten Gastwirte so frech gemacht, daß sie einem zwischen den Beinen herumhüpfen? Werden sie nicht nächstens den armen Schulkindern das Butterbrot aus der Tasche fressen? – Dieses Tier hat in Berlin sogar seine Natur verändert und ist ein Waldvogel geworden. Du magst dich in die tiefsten Wildnisse des Tiergartens zurückziehen, die nur der menschenscheue Hypochonder und der unglücklich Verliebte einsam durchstreifen – niemals wirst du diesem Vogel entgehen. Du wirst an dem verlassensten Punkte immer noch einen trübseligen Menschenhasser finden, der seinem Grame nachhängt und dazu die Sperlinge füttert. Der Charaktervogel des zoologischen Gartens ist der Sperling. Dieses berühmte Institut enthält eine ungeheure Sammlung Fringilla domestica, wogegen das andere vornehmere und teure Viehzeug nur als eine bescheidene Zugabe erscheint, bestimmt, sich das Futter vor der Nase wegfressen zu lassen. Wir wollen einmal rechnen, was die Stadt Berlin alljährlich für Sperlinge ausgibt. Schätzen wir ihre Anzahl auf zehn Millionen und nehmen wir bescheiden an, daß ein jeglicher zu seinem Lebensunterhalt eine Mark jährlich gebraucht, so erhalten wir als Resultat, daß Berlin alljährlich zehn Millionen Mark für Sperlinge verkläckert.«

Er schwieg eine Weile und schaute nachdenklich aus dem Fenster. »Ich hasse diese Tiere,« fuhr er fort, »ihr ewiges Schilp, Jilp, Schilp, Jilp, ist ein Laut, an den sich mein Ohr niemals gewöhnen wird. Mit ihrem widerlichen Gassengeschwätz verwirren sie mir meine heiligsten Gedanken, ihre Schnäbel sind grausame Scheren, die meine kunstreichsten Perioden mitten entzwei schneiden, daß mir der Faden unwiederbringlich verloren geht, und gerade wenn in stillem Sinnen aus der Tiefe der Anschauung die Blume der Erkenntnis aufblühen will, fährt eine zankende und schreiende Rotte dieser höllischen Vögel dazwischen und bringt mich um alles. Wenn nicht die stillen Stunden der Nacht mich trösteten, ich wäre ein geschlagener Mann!«

Dann beugte er sich zu mir herüber, legte die Hand auf meinen Arm und sprach mit rauher, gedämpfter Stimme, wie man jemandem ein furchtbar blutiges Geheimnis anvertraut: »Aber auch dies ist vorbei! Entsetzliches habe ich dir mitzuteilen. Hast du den Mut, das Grausige zu hören? Vermagst du ohne Wimperzucken in einen Abgrund voller Qual zu schauen? – So höre! Du kennst ja ein Wetterrouleau, jene segensreiche Vorrichtung, die des Wintersturmes Eishauch wie der Sommersonne Gluten in gleicher Weise zu mildern geeignet ist. Es war in diesem Frühling, und da die Tage mild und gemäßigt in schöner Mitte zwischen Frost und Hitze dahinglitten, war die eben erwähnte Schutzvorrichtung meines Schlafzimmers zusammengerafft am oberen Teile des Fensters Tag und Nacht außer Thätigkeit. Plötzlich tritt nun, veranlaßt durch irgend eine Laune des unberechenbaren Zeus, vorzeitige Sommersonnenglut ein. Ich rufe meine vortreffliche Wirtschafterin Rosalie Nudelbaum. »Rosalie,« sage ich, »das Wetterrouleau! Ich habe diese Nacht Qualen der Hölle ausgestanden.«

»Jawohl, Herr Professor,« sagt sie. Nach einiger Zeit kommt sie zurück und sagt, ohne eine Miene ihres versteinerten Antlitzes zu verziehen:

»Ja, Herr Professor, es geht nich!«

»Was geht nicht?« frage ich.

»Na, mit das Wetterrouleau!« antwortet sie.

»Sofort reparieren lassen!« ist mein Befehl.

Rosalie Nudelbaum zuckt die Achseln und sagt in einem Tone, der Ergebung in ein unvermeidliches Schicksal ausdrückt:

»Reparieren hilft da nichts nich, Herr Professor!«

»Nun, was ist denn geschehen?« rufe ich.

»Es ist ein Sperlingsnest drin.«

Stelle dir vor, wie dieser Donnerschlag auf mich wirkte. Als ich wieder zu mir kam, fuhr ich empor und that einen grausamen Schwur der Vernichtung. Allein die Nudelbaum blieb ruhig wie eine Sphinx und sagte bloß:

»Es sind schon Eier drin, Herr Professor!«

Ich sank gebrochen in einen Lehnstuhl. Rosalie fuhr fort:

»Fünf Stück, Herr Professor, sie waren ganz warm, die Sperlings-Sie war eben abgeflogen.«

»Lieber Freund, was sollte ich machen? Ich muß gestehen, daß die düsteren Gefühle blutgierigen Hasses gegen meine langjährigen Peiniger die Oberhand hatten, und daß es ein schwerer Kampf zwischen Mordsucht und Menschlichkeit war, den ich kämpfte, allein mildere Regungen siegten allmählich. Durfte ich mit rauher, zerstörender Hand hineingreifen in den trauten Verband einer Familie? Durfte ich die Hoffnungen einer Mutter vernichten und Vaterfreuden im Keim ersticken? Sollte ich das Vertrauen, das diese kleinen, wenn auch verhaßten Tiere in mich setzen, grausam täuschen und die Heiligkeit des Gastrechts schnöde verletzen? – Nein, nimmermehr! Das sei ferne von mir. Aber schwer habe ich gelitten für meine Menschlichkeit. Den ganzen Tag brannte eine unerbittliche Sonne in mein unbeschütztes Schlafzimmer, und des Nachts wälzte ich mich schlaflos vor Hitze in meinen Kissen. Solange es nur Eier waren, da ging es noch, aber als Junge daraus kamen, verdoppelten sich meine Leiden, denn kaum, daß die dämmernde Eos mit Rosenfingern emporstieg, fing diese ewig hungrige Brut an nach Futter zu schreien und scheuchte »den leisen Schlaf, der mich gelind umfing«. Ich war so gut durch den Winter gekommen, mein Bauch war durch den Nullpunkt gegangen und fing an positiv zu werden, so daß ich ihn zuweilen in dem angenehmen Gefühl meiner behäbigen Fülle wohlwollend streichelte, aber wie ist es jetzt? Dahingeschwunden ist seine Pracht, ins Negative ist er zurückgesunken und sieht aus – wie man in meinem engeren Vaterlande zu sagen pflegt – »as de Binnensiet von'n Backtrog!« Und er klopfte voller Wehmut auf den unteren Teil seiner Weste.

»Natürlich,« fuhr er fort, »konnte ich diese Nächte nur ertragen, wenn ich bei geöffnetem Fenster schlief. Nun hängt aber die Nudelbaum noch an der alten Cacheneztheorie und jeder Luftzug ist ihr ein Greuel. Somit plagte mich dieses Weib tagtäglich mit Warnungen und Tadel über diesen sträflichen Leichtsinn, bis mir einmal die Geduld reißt und ich herausplatze: »Ach, hol' Sie der Deubel!« Und was antwortet mir dieses Geschöpf, natürlich ohne eine Miene dabei zu verziehen: »Herr Professor, mir holt er nich!« Sieh mal, lieber Freund, gegen eine gute Antwort bin ich wehrlos und somit brate ich jetzt bei geschlossenem Fenster. Aber bald wird die Qual ein Ende haben. In diesen Tagen müssen die Jungen ausfliegen und ich habe strengen Befehl gegeben, daß dann sofort die Wohnung geräumt wird. – Beim Himmel, da fällt mir ein, daß ich schon einige Zeit ihr hungriges Geschrei des Morgens nicht mehr gehört habe!« Er griff hastig nach einer Glocke, schellte und rief: »Rosalie!«

Die Alte erschien in der Thür und er rief ihr entgegen: »Sehen Sie doch sofort einmal nach, meine Teure, ob die Sperlinge schon ausgeflogen sind.«

»Eben vor 'n Augenblick hab' ich nachgesehen, Herr Professor,« sagte sie.

»Nun, sind sie fort?«

»Ja, ausgeflogen sind sie, Herr Professor!«

»Laßt uns den Göttern ein Dankopfer bringen!« rief er, »Rosalie Nudelbaum, stellen Sie zwei Flaschen Rheinwein kalt!«

»Ja, aber …« sagte diese, indem sie die Worte so lang dehnte, daß sie den Bedarf des Ausdruckes: Konstantinopolitanische Dudelsackpfeifenmachergesellenherberge damit hätte decken können.

»Was soll das unheilsschwangere Aber bedeuten?!«

»Sie haben schon wieder Eier, Herr Professor!«


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