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Wie mein Freund Bornemann »schweningerte«

Daß mein Freund Bornemann ziemlich wohlbeleibt ist, weiß die Welt, und der geringe Teil, dem diese Thatsache noch unbekannt ist, erfährt sie hierdurch. Aber wie der Krug so lange zu Wasser geht, bis er bricht, so geht der Mensch so lange zu Biere, bis er zu stark wird.

Eines Abends erwartete man meinen Freund in dem Weihenstephanausschanke an der Potsdamer Brücke vergeblich, und da er sich auch am nächsten Abend nicht einstellte, so gab das allgemein zu bedenklichem Kopfschütteln Veranlassung, denn mein Freund Bornemann war ein Gewohnheitsmensch, und von ihm galt, wie von kaum einem andern, das Wort des Kommersbuches: »So pünktlich zur Sekunde trifft keine Uhr wohl ein, als ich zur Abendstunde beim edlen Gerstenwein.«

Als er sich auch am dritten und vierten Abend nicht einstellte, beschloß ich, ihn aufzusuchen; allein ganz zufällig traf ich ihn am andern Nachmittage im Tiergarten, wo er trotz der warmen Witterung mit großer Emsigkeit, und wie es mir schien, in einer gewissen fabrikmäßigen Weise spazieren ging. Dies war ebenfalls gegen seine Gewohnheit, denn den Tiergarten haßte er, wie alle Parks; sie waren ihm zu geleckt, und wenn er spazieren gehen wollte, so fuhr er in den Grunewald und wurzelte dort zwischen den Kiefern umher.

»Sage mal, Bornemann, was ist dir?« fragte ich. Er machte ein tragisches Gesicht, und zwischen seinen Augenbrauen bemerkte ich zwei finstere Falten. »Er hat angeklopft,« sagte er mit dumpfer Stimme.

»Wer?« fragte ich.

»Der alte Hans Mors eigenhändig,« antwortete er. »Im wahren Sinne des Wortes angeklopft.«

»Na, na,« sagte ich.

»Sehr einfach,« fuhr er fort. »Am Tage vorher war ein kleiner Herrenabend bei meinem Freunde Mosenthin. Krebse wie die Hummer, junge Hamburger Hühner, Erdbeerbowle, – gute Erdbeerbowle – viel Erdbeerbowle. Am andern Morgen war ich ganz munter, aber gegen zwölf Uhr, als ich am Schreibtische sitze, sonderbare Gefühle. Dicke Schläfenadern, Ziehen im Nacken. Plötzlich Angst, schwarz vor den Augen, tief Atem holen, ich fühle unwillkürlich nach dem Pulse, läuft wie so 'n abschnurrendes Uhrwerk, – schöne Geschichte, – Herzklopfen! Ich machte die Bekanntschaft solcher verdammten Gefühle zum erstenmal in meinem Leben, denn du kennst mich ja: Gesundheit eichenhaft, Magen, um Schuhsohlen zu verdauen, als erwachsener Mensch nie krank gewesen. Dies war mir außer allem Spaße, und ich ging zum Arzte. ›Nun ja, ein bißchen Herzverfettung,‹ sagte dieser. ›Da werden wir wohl ein wenig schweningern müssen.‹ Und dazu macht er ein Gesicht, als ob es sich um Hühneraugenschmerzen handelte. Nun, ich wußte es ja, der Schuft hatte gar kein Mitleid mit mir, und innerlich lachte er; denn bei dieser Sorte herrscht mehr Freude über einen Gesunden, der endlich zu Kreuze kriecht, als über hundert Kränkliche, die ihnen sicher sind. Nun spannte er mich denn auch gleich in eine Zwangsjacke von ganz abscheulichen Vorschriften, nach dem Grundsatze, den Bräsig einmal ähnlich entwickelt, daß alles dem Menschen Angenehme ungesund isst, alles Widerwärtige und Eklige aber ausnehmend gut für ihn. Auf alle Dinge, die mir dies irdische Jammerthal erträglich machen, muß ich verzichten, eingesperrt in ein System von eisernen Gesetzesparagraphen. Wenn ich esse, darf ich nicht trinken, und wenn ich trinke, darf ich nicht essen. Eine neue Art von Faust siehst du in mir, dem zwei Seelen in seiner Brust wohnen, deren eine immer trinken will, wenn sie essen soll und deren andre stets essen möchte, wenn sie trinken darf. Und in meiner freien Zeit gebrauche ich im Tiergarten meine natürlichen Fortbewegungsmittel zu öden Spaziergängen und hänge trübseligen Gedanken nach über die Vergänglichkeit alles Irdischen, oder sitze des Abends, ausgestoßen aus der Gesellschaft der Glücklichen, in einer einsamen Weinhandlung bei einem Schöpplein säuerlichen Mosels und lese das öde Gewäsch der Herren Leitartikelschreiber, anstatt wie sonst dem anregenden Gespräche guter, verständiger Freunde zu lauschen. Aber ich kann ja nicht verlangen, daß sie mir in diese Höhle des Grames nachfolgen, wo ich mein Fett züchtige …«

Bornemann führte mit einer Konsequenz, die ihm niemand zugetraut hatte, seine Kur durch und verschwand nach einiger Zeit gänzlich, um mit Zuhilfenahme des Riesengebirges an der Verminderung seines Aeußeren zu arbeiten. Als ich hörte, daß er wieder da sei, besuchte ich ihn, denn ich wußte, daß sein Geburtstag war.

Ich fand ihn auffallend verändert und abgemagert; sein Rock hing weitläufig um seine Glieder, und seine Züge hatten etwas Schlaffes bekommen, als sei ihm seine Haut ebenfalls zu weit geworden.

Er war aber ganz vergnügt und zufrieden mit der Wirkung des Gebirges.

»Du weißt ja,« sagte er, »daß ich die Berge für einen Unsinn halte. Dies ewige zwecklose Aufundnieder, diese blödsinnigen Felsenwände, auf denen nichts wächst, und der mangelnde Umblick, wenn man in den Thälern eingesperrt ist, wie in einem Gefängnisse, alles dies halte ich für eine Verirrung der Natur. Aber gegen Fett sind sie gut, ohne die Berge hätte ich nie so rasch dieses Resultat erreicht.« Und damit deutete er auf sechs mit Blumen bekränzte Zigarrenkasten, die, zu einem Würfel aufgebaut, seinen Geburtstagstisch schmückten.

Ich verstand den Zusammenhang seiner Rede nicht und fragte: »Nun, wer hat dich denn so reich mit Zigarren beschenkt?«

Er klappte den Deckel der einen Kiste auf, zeigte, daß sie leer war, und sah unendlich pfiffig aus. »Warst du auf der letzten großen Ausstellung?« fragte er dann. Als ich nickte, fuhr er fort: »Da hast du gewiß die glänzenden Würfel gesehen, die die jährliche Silber- und Goldproduktion darstellen. Nicht wahr, das gab ein hübsches Bild. Man sah es körperlich vor sich und konnte sich eine Vorstellung machen. Nun, sieh mal, diese Zigarrenkisten sind auch so ein plastisches Hilfsmittel, sie stellen nämlich meinen Fettverlust dar, den ich in angestrengter Mühe und Arbeit erzielt habe. Jede dieser Zigarrenkisten hat fast genau einen Inhalt von zwei Kubikdecimetern und entspricht darum einem Gewichte von etwa vier Pfund. Sechs sind es, – viermal sechs sind vierundzwanzig, und so viel Pfunde habe ich mir glücklich ›vom Leibe geschmorgt‹. Das habe ich mir gestern genau ausgerechnet und mir dieses Resultat heute morgen als mein bestes Geburtstagsgeschenk selber aufgebaut. Es ist doch eine merkwürdige Sache, wenn man es so körperlich vor sich sieht.« Und er betrachtete seinen Aufbau mit schwärmerischen Blicken.

»Nun, nach solchen Erfolgen,« sagte ich, »wirst du doch gewiß auf deinen Lorbeeren ruhen?«

»Nimmermehr!« antwortete er mit einer gewissen Größe und einer erhabenen Handbewegung. »Sieh mal, jetzt empfinde ich schon eine gewisse Wonne an der Enthaltsamkeit und bin, so zu sagen, ein Fanatiker der Entbehrung geworden. An glühenden Sommerabenden, nach heißen, stillen Tagen, wie wir sie in diesem Jahre so viele hatten, da versetze ich mich gern in die Lage eines Forschungsreisenden in der afrikanischen Wüste, eines solchen, zu dessen lieblichen Gewohnheiten es in der Heimat gehörte, allabendlich in ein kühles Bräu einzukehren und unterschiedliche Maß zu trinken. Denke nur, mit welcher Inbrunst er sich nach heißer Wanderung am Abend in der schatten- und bierlosen Gegend in den Gedanken vertiefen wird, Doktor Fausts Mantel zu besitzen, damit er sich schnellen Fluges in ein kühles Bräuhaus zu begeben vermöchte, um seinen erhabenen Wüstendurst nicht nutzlos zu Grunde gehen zu lassen. Ich dagegen, wenn ich am heißen, glühenden Abend nach beendigter Schmorkur von meinem Spaziergange zurückkehre, brauche Fausts Mantel nicht. Es liegen an meinem Wege zahllose der herrlichsten Biertempel in allen Stilarten, und in jedem fließt ein andrer köstlicher Stoff zur beliebigen Auswahl; allein stolz schreite ich vorüber, die Hand in den Busen gesteckt, und lasse mir genügen an dem Hochgefühle, unwandelbaren Grundsätzen zu gehorchen.«

Nun, ich bewunderte meinen Freund Bornemann wegen seiner gewaltigen Grundsätze, hegte aber einen leichten Zweifel an ihrer Dauer in meinem Herzen, denn diese Tugend erschien mir ein wenig zu wortreich und mit allerlei verzweifelten Schnörkeln geziert.

Jedoch einstweilen blieb es beim alten, und er schien seiner Widerstandskraft schon manches zuzutrauen, denn er kam wieder in die Sitzungen des »Allgemeinen deutschen Reimvereins«, dessen Mitglieder sich damals an jedem Freitag abend in der Jägerstraße beim Münchener Biere versammelten. Sein dünnes, halbes Fläschchen Moselwein nahm sich dürftig aus zwischen all den breitspurigen und behäbigen Maßkrügen, allein er ließ sich das nicht anfechten, hielt die schönsten Reden über den Nutzen der Enthaltsamkeit und Tugend und zuckte mit keiner Wimper, wenn ringsum der herrliche Stoff mit begeisterten Worten gelobt wurde.

»Meine lieben Freunde,« pflegte er gern zu sagen, »das deutsche Volk steht wieder auf der Höhe und hat vielleicht den äußersten Gipfel seiner Macht noch nicht einmal erklommen. Aber zwei tückische Dämonen nagen bereits an seinen Wurzeln, zwei böse B, und sie nennen sich Bier und Bildung. Am Bierdusel und am Bildungsdusel wird unser Volk schließlich wieder zu Grunde gehen. Durch den Zwang zu ewigem, ödem Gelerne und thörichter Examensmacherei wird die Thatkraft seiner Jugend gelähmt, und das Wenige, was dann noch übrig bleibt, wird in dem großen Biersee untergehen, dessen Fluten immer höher anschwellen. Wie sinnreich ist es nicht, daß diese beiden Wörter alliterierend aneinanderklingen. Denn daß sie auch in Wirklichkeit zusammengehören, das beweisen unsre höchsten Bildungsstätten, die Universitäten, wohl schlagend genug.«

Mit solchen kuriosen Gedankenspielen beschäftigte er sich gern und liebte es, die Richtigkeit seiner Ansicht mit großem Wortschwalle und dem Aufwande seines ganzen Scharfsinnes zu verfechten. Jedoch im Laufe des Herbstes bemerkte ich, daß er laxer wurde in seinen Gesinnungen und nicht mehr so genau nach der asketischen Strenge seiner ärztlichen Vorschriften lebte. Er hatte immer wundervolle Entschuldigungen bei der Hand und wußte der Sache stets ein schimmerndes Mäntelchen umzuhängen. Ich erinnere mich, daß ich ihn einmal traf, wie er eine ungeheure Portion Spickgans verzehrte und zwar mit sämtlichem Fett. »Nun, ist denn das kurgemäß?« fragte ich.

»Geflügel hat der Arzt mir erlaubt!« sagte er mit dem unverschämtesten Ernste, indem er die Augen ein wenig zusammenkniff, und zugleich um seine Mundwinkel ein leises, tückisches Lächeln zu spüren war. Dann bemerkte ich mit Entsetzen, daß er unmittelbar auf dieses Gericht ein tüchtiges Glas Mosel setzte, eine der größten Sünden gegen diese Kur, die Essen und Trinken durch angemessene Zeiträume voneinander trennt. »Nanu!« rief ich verwundert. Er sagte mit derselben eisernen Stirne wie vorhin: »Bei Schwimmvögeln gestattet man sich eine Ausnahme.«

Als wir nach einiger Zeit einmal wieder im »Allgemeinen deutschen Reimverein« zusammenkamen, gab es desselben Abends graue Erbsen mit Speck, genau nach ostpreußischer Weise zubereitet, eine Speise, die bei Leuten, die eine Entfettungskur brauchen, auf dem Index steht und so viel bedeutet wie Gift. Bornemann war ein Ostpreuße, und man muß wissen, daß diese für solches Gericht denselben Fanatismus haben, wie die Thüringer für Kartoffelklöße und die Hamburger für Aalsuppe. Ich saß ihm gerade gegenüber und konnte gut beobachten, mit welchen Blicken er das Gericht betrachtete, das seinem Nachbar soeben aufgetragen wurde. Er sah von der Seite darauf hin, und es zuckte lüstern um seinen Mund. »Sieht gut aus!« sagte er dann. Sein Nachbar, ebenfalls ein Ostpreuße, nickte nur und machte sich an seine Arbeit. Eine Wolke von köstlichem Dufte stieg Bornemann in die Nase; er schnupperte ein wenig und sagte dann: »Riecht gut!«

»Schmeckt auch gut!« erwiderte der Nachbar, gefühllos und grausam.

Bornemann grunzte etwas Unverständliches, wendete sich ab und trommelte mit den Fingern auf dem Tische. Doch nicht lange dauerte es, so drehte er wieder den Kopf und schielte eine Weile auf das verlockende Gericht.

»Ist es wirklich gut?« fragte er dann.

»I–de–al!« sagte sein Nachbar.

Bornemann sah wieder von seitwärts auf den Teller hin und bewegte die Finger, ähnlich wie ein Laubfrosch, wenn er die leckere Fliege ins Auge gefaßt hat. Noch einmal riß er sich zusammen, wandte sich kurz ab und versuchte ein Gespräch mit seinem andern Nachbar anzuknüpfen. Allein es gelang ihm nicht, denn seine Seele war nicht bei der Sache. Mit magischer Gewalt zog es ihn wieder herum, und sehr eindringlich fragte er dann: »Nun sagen Sie mir aber mal ehrlich: ist es wirklich gut? Ist es gerade so, wie bei uns zu Hause?«

Der andre machte ein verklärtes Gesicht und rief: »Gewiß, Mannchen, genau so! Mit einem Worte: ideal!«

Ein fürchterlicher Kampf wogte in Bornemanns Innerem. Seine Züge veränderten sich, sein Atem ging schwer, er ballte seine Faust, und ich sah deutlich, wie ein ungeheurer Entschluß in ihm reifte.

»Kellner!« sagte er plötzlich, und seine Stimme bebte vor verhaltener Erregung, »bringen Sie mir auch graue Erbsen, aber,« – so fügte er mit gedämpfter Stimme, jedoch sehr eindringlich hinzu, – »mit zweimal Speck.«

»Wenn schon, – denn schon!« murmelte er dann für sich und ließ seine Augen scheu über die Tafelrunde gleiten. Aber niemand hatte darauf geachtet, und ich hatte beizeiten meine Blicke diskret abgewandt.

Soll ich nun ausmalen, wie das Verderben weiter fortschritt und von dem stolzen Baue seiner erhabenen Grundsätze ein Stein nach dem andern abbröckelte? O nein, ich glaube, das ist ein Schauspiel, an dem sich nur böse Menschen zu erfreuen vermögen, und solche habe ich nicht unter meinen Lesern. Aber verschweigen darf ich nicht, daß ihn um diese Zeit ein andrer Freund in der »Stadt Athen« antraf, wo er vor drei geleerten halben Litern badischen Weines saß und eben mit dem vierten beschäftigt war. »Was machen Sie hier?« fragte der Freund, verwundert über die Leistung.

»Ich enthalte mich des Bieres, wie Sie sehen!« knurrte Bornemann ingrimmig.

Und ebenfalls darf ich nicht verschweigen, daß ich ihn sechs Wochen später in einem Bierlokale, wo niemand von uns sonst zu verkehren pflegte, vor einem mächtigen Maßkruge fand. Er wurde sichtlich rot, geriet in Verlegenheit, stotterte einen Satz, von dem ich nur die Wörter »ausnahmsweise mal« verstand und kam sich sichtlich höchst entlarvt vor. Den Akt der Bezahlung suchte er augenscheinlich in einen geheimnisvollen Schleier zu hüllen, indem er das Geld unter dem Tische abzählte und es dem Kellner, der ihn zu meiner Verwunderung wie einen täglichen Stammgast behandelte, stillschweigend in die Hand drückte. Dieser ließ seinen Blick darüber hingleiten und sprach die schrecklichen Worte: »Also fünf Liter, wie gewöhnlich. Danke schön, Herr Doktor!«

Das war das Ende der Entfettungskur meines Freundes Bornemann.


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