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Der Gartendieb

Herr Doktor Barten war ein behaglicher, vermögender Herr und lebte in meiner Vaterstadt in einem alten, aber wohnlichen Hause, darin schon viele Geschlechter der Bartens geboren und gestorben waren. Diese, seine Vorfahren, pflegten die Störche, die ebenfalls in vielen Generationen seit Menschengedenken auf einem alten Turm der früheren Stadtmauer, der an den großen Garten des Hauses angrenzte, genistet hatten, als ihre Familienstörche zu betrachten, und diese auf die Fortpflanzung der Menschheit so eifrig und liebenswürdig bedachten Vögel hatten auch stets ihre Pflicht erfüllt bis auf den jetzt lebenden Vertreter der Familie, der kinderlos geblieben war. Seine Frau war ihm nach mehrjähriger Ehe gestorben, seine medizinische Praxis, die niemals bedeutend gewesen war, hatte er längst aufgegeben und so lebte er einzig seinen naturwissenschaftlichen Liebhabereien, seinen physikalischen und chemischen Studien und vorzugsweise seinem großen und wohlgepflegten Garten, in dem er die herrlichsten Blumen und Früchte erzog.

Wenn man Herrn Barten begegnete, wie er in sauberen und schönen Kleidern, einen Stock mit blankem Goldknopf in der Hand, mit freundlicher Würde seinen Abendspaziergang machte, und wenn man dann in das rosige, wohlwollende Antlitz sah, so konnte man nicht begreifen, daß, besonders bei dem niederen Volke, eine furchtsame Scheu vor diesem Manne herrschte, daß, wenn er vorbei war, die alten Mütterchen die zitternden Köpfe zusammensteckten und sich dunkle und unheimliche Dinge ins Ohr flüsterten, und daß in der Stadt bei allen geistig Armen das Gerücht ging, der Doktor Barten sei ein zweiter Doktor Faust und brüte in seinen Phiolen und sonderbaren Glastöpfen allerlei schnöde Entsetzlichkeiten aus. Wodurch diese Gerüchte entstanden waren und bestärkt wurden, das soll hier erzählt werden.

Herr Doktor Barten hatte einen Kummer, der ihm schon manche schlaflose Nacht bereitet hatte, nämlich die besten Früchte seines Gartens, gerade die, die er mit besonderer Liebe und Sorgfalt gepflegt und deren Heranreifen er mit stiller Gärtnerfreude beobachtet hatte, wurden ihm meistens in einer schönen Nacht gestohlen. Er hatte mancherlei Mittel angewendet, allein sie waren erfolglos geblieben. Einmal hatte er einen Hund gekauft, der als der bissigste Köter des ganzen Umkreises bekannt war, und dachte an ihm einen fleißigen Diebswächter zu gewinnen. Dieses struppige Tier rannte nun auch die ganzen Nächte mit glühenden Augen in dem Garten umher und bellte jedes fallende Laub an. Da sein Thatendrang jedoch hierdurch nur mäßig befriedigt wurde, so vergnügte es sich nach dem Gebrauch aller frommen Hunde, die bekanntlich den Mond als ein göttliches Wesen verehren, damit, diesem glanzvollen Gestirn in langanhaltenden Hymnen seine Ehrfurcht zu beweisen und dadurch die nächtliche Ruhe der ganzen Nachbarschaft gründlich zu vernichten. Eines Tages erhielt Herr Barten folgenden anonymen Zettel:

 

Geehrter Herr Docter!

Wenn sie als eine geleerte Person nicht mehr einsicht von Ihren Hundegebell haben, das meine Frau mit Ihren drei Kindern am meisten des Abends dadurch beunrugt werden, so sehe ich mir genöthigt, das ich mit dem Besenstiel komme und Letzten das Gebell für immer ablerne.

Ein Nachtbar.

 

Der Doktor beachtete diese Zuschrift nicht weiter, denn er war entzückt über den Hund. Die Spalierkirschen waren seit drei Jahren zum erstenmal vollständig eingeerntet worden, überhaupt, es war, seit dieser grimmige Wächter in dem Garten hauste, noch kein Krautstengel daraus entfremdet worden. Er hatte diesem Köter freilich auch noch manches andre nachzusehen. Nicht immer schien der Mond und auch wenn er geschienen hätte, so kann man es doch selbst von dem frömmsten Hunde nicht verlangen, daß er unablässig seiner Gottheit Hymnen singt. In solchen Zeiten erfreute sich Rauhbein, so war der Name dieses Tieres, an dem Vergnügen der Jagd, und spürte den unterirdischen Gartendieben, den Mäusen, bis in ihre geheimsten Schlupfwinkel und Familienwohnungen nach. Der Tod einer solchen Maus ward sehr teuer, denn eine Anzahl von ausgekratzten seltenen Pflanzen und Kräutern lag gewöhnlich als kostbarer Grabschmuck um den kleinen Leichnam. Auch Christian Bohmhamel, der alte Gärtner des Doktors, kam eines Sonntags abends wehklagend zu seinem Herrn: »Dieser Hund is ja ein Undiert von eine Karnalje. Ich darf mir 's abends spät ja gar nich mehr in den Garten sehen lassen. Geh ich eben den großen Steig lang, indem daß ich meine Pfeif' hätt' in die Schasminlaube liegen gelassen, da jagt der infamigte Töl durch den grünen Kohl und springt über die Rabatten un beißt mir in die Waden, daß ich denk', ich soll an die Wand in die Höh laufen und dreimal Kopfheister schießen. Na ich hau ihm ja nu eins rüber und da merkt er ja, daß ich das bin und läßt mir los un klemmt den Swanz mang die Beine und jault sich in die Gebüsche. Un das mit die Waden is ja nich slimm un heilt woll wieder, aber in meine neue sonndagsche Hose, die der Herr Doktor erst fünf Jahre getragen hat, da hat mich das Biest ein dreikantiges Loch gerissen, as 'ne Hand groß.«

Herr Barten legte ein Pflaster auf diese Wunde in Gestalt eines Sechzehnschillingstückes und freute sich im stillen über seinen wachsamen Hund. Diese Freude sollte nicht lange dauern. Zwar machte der zornige Nachbar seine Drohung nicht zur Wahrheit, aber als die Pfirsiche reif wurden, lag eines Morgens Rauhbein mit dem letzten Zipfel einer vergifteten Wurst im Maule tot an der Gartenmauer und die Pfirsiche waren bis auf einen unbedeutenden Rest verschwunden.

Später machte Herr Barten einmal den Versuch, zur Zeit als die Melonen in den Glasbeeten heranreiften, den alten Gärtner selber des Nachts wachen zu lassen. Er ward mit einer blind geladenen Flinte ausgerüstet und setzte sich in die »Schasminlaube«, von der aus man einen ungehinderten Blick auf die hintere, an einen Feldweg stoßende Begrenzungsmauer des Gartens hatte. Einige Nächte gingen ohne jegliche Störung vorüber, aber dann trat ein Ereignis ein, das dem Nachtwächterdienst des guten Bohmhamel auf immer ein Ende machte.

Der alte Gärtner war ein Talent in seinem Fache, und Bäume, Kräuter und Blumen gediehen unter seiner Hand wie von selber, allein er hatte eine Schwäche, das war die Neigung zu Kaufmann Schwuppdichs Doppelkümmel, welche Leidenschaft ihn veranlaßte, seinen inneren Menschen ebenso fleißig zu begießen als seine Pflanzen. Dieser emsige Kultus war denn auch im Laufe der Zeit von Erfolg gekrönt worden und hatte in seinem verwitterten Antlitz die Nase wie eine Purpurrose aufblühen lassen, ein gärtnerischer Erfolg, der allerdings nicht von ihm beabsichtigt worden war, und der ihm bei der gottlosen Straßenjugend den Beinamen »Bohmhamel mit 'n Brandgiebel« eintrug. Infolge dieser Kümmelneigung war der Alte des Abends gewöhnlich in einer versöhnlich heiteren, schlaffeligen Stimmung und vielleicht für den Posten eines Nachtwächters nicht gerade vorzugsweise geeignet. Er hat übrigens die Geschichte dieser vorhin erwähnten Nachtwache selber sehr oft erzählt, und sie möge mit seinen eigenen Worten hier folgen.

»Ich setz' mir also wieder mit meine Flint' in die Schasminlaube un halt' mich von wegen die Langeweile, un indem es doch Nächtens kühl wäre, ne Buddel von Schwuppdichen seinen dopfelten Kähm bei mich hingesetzt. Un sitz da un simelier', un denk', ob mich woll heute so 'n infamigter Spitzbube in die Mangel käme. Un war ganz still in den Garten, bloß daß mannigmal ein Appel von 'n Baum fiel, oder daß hinter mich in das Gebüsch was ruschelte. Aber das hört' ich woll, das war ein Sweinigel un fung sich Maus'. Wie ich nu so sitz un kuck die swarze Mauer an, da wird es da so hell hinter, un ich wunder mir un denk' das brennt wo, un wie ich nu immer so kuck un kuck, da kömmt was Rotes hinter die Mauer raus, un es is bloß die Mond. Wie es nu so hell wird, seh ich auch die Adebor auf den ollen Stadtturm, un steht auf einen Bein un hat den Snabel unter die Flüchten gestochen un släft, un ich denk', for mir wäre es doch man 'n slechtes Plesir, wenn ich da baben auf 'n Stadtturm auf einen Bein stehen sollt' un slafen, da säß' ich doch liebersten in die Schasminlaub' un wacht'. So kuckt' ich nu immer umschichtig die Mond un die Adebor an un mang durch nähm ich auch woll 'n kleinen Kähm, denn die Luft kam kühl von die Wischen. Un nu weiß ich nich, darüber muß ich woll so 'n Bischen eingedrust sein, denn mit 'n Mal wach ich auf, weil mir immer was an meinen Fuß zuppt. Ich verfehre mir ja nu ganz mordsbannig, denn bei meinen Fuß ist nichts nich zu sehen un doch zuppt es immer, daß der Fuß immer orndtlich hoch geht. Ich werd' nu aufspringen un nach meine Flint' greifen, ja da is aber oben in den Lauf sowas wie 'n Fedderbusch. Ich fass' es an un zieh' es raus – hat mich da einer ne gäle Wöttel reingestochen. Da krieg ich es aber mit die Wut un kuck mir ganz fühnsch um, un krieg' denn auch richtig einen swarzen Kerl zu sehen, der grad unter die Mond auf die Mauer sitzt. Ich denk': »Täuw, dir will ich aber mal glupsch verfehren!« un leg' meine Flint' an, und da sagt es »plarr«, as wenn einer Wasser auf die Erd' gießt, un mit 'n Mal reißt es mich die Beine untern Leib weg, und in 'n Fallen drück ich ab, aber die Flint' geht nich los, bloß der Zündhütchen macht »Knack«, un ich fall auf mein Hintergestell un wunder mir un rallög. Der swarze Kerl springt aber von die Mauer runter, un nu fung es hinter die Mauer so deubelmäßig an zu lachen, daß mich ganz gräsig zu Mut wurd', denn ich dacht', so deubelmäßig lachen könnt' bloß der Deubel selbsten. Un dann hört' ich, wie es wegluf. Als ich nu meine Flint' wieder anfieß, da war ihr ganz naß, un ich riech da an un es riecht wie Kähm un ich lick' da an un es smeckt wie Kähm, un es war auch Kähm, denn diese hinterlistige Deubelsbrut hatte mich allens, was noch in die Buddel war, in die Flint' gegossen un da as Propfen eine gäle Wöttel aufgesteckt. Wie ich nu aufsteh' un will mit sweren Herzen nach meine Melonen sehn, da sleppt mich immer was an meinen Fuß un zieht mir, un as ich zuseh', hat mich dieser dopfelt distillierte Spitzbube ne lange Sacksband am Fuße gebunden un mir damit umgezuppt. Als ich aber hinkomm' nach meine Melonen, ach du meine Zeit, da hätte da eine Eule gesessen, un sie wären alle futsch, un wären doch noch kein Jahr so schön geraten.«

Bohmhamel wurde, wie gesagt, von dieser Zeit ab mit Nachtwächterdiensten nicht weiter belästigt, und die Gartendiebstähle wurden ungestört fortgesetzt. Herr Barten wälzte allerlei sonderbare Pläne in seinen Gedanken, jedoch konnte er zu keinem Resultat kommen. An einem schönen Herbstmorgen machte er einen einsamen Spaziergang ins Freie und grübelte über seiner Lieblingsidee, ob es nicht möglich sei, die Gartendiebe auf dieselbe Weise zu fangen, wie er sich einst Adi Piepenbrinks bemächtigt hatte. Adi Piepenbrink war ein Häuptling der Straßenjungen des benachbarten Viertels und genoß bei seinem Stamme großes Ansehen. Er war von dem dieser ganzen Korporation gemeinsamen Haß gegen alles Blanke, Polierte, Frischgestrichene, Unbeschmierte und Anständige erfüllt und verachtete unbeschreiblich jene wohlgekleideten jungen Altersgenossen, die in den untern Klassen des Gymnasiums Humaniora studierten. Es bereitete ihm eine diabolische Genugthuung, wenn sich einer dieser wohlgesitteten jungen Männer in seine Straße verirrte, wo er ihn allein hatte. Er überfiel diesen jungen Patrizier dann plötzlich, indem er das Kriegsgeheul seines Stammes ausstieß, aus dem Hinterhalt und zwang ihn zu einer entehrenden und demütigenden Zeremonie, die darin bestand, daß er den Eindringling dreimal an seinen Holzpantoffel riechen ließ. Wollte der Fremde diese Bedingung nicht erfüllen, so suchte er ihn durch eindringliche posteriore Bearbeitung mit demselben Holzpantoffel seinen Wünschen geneigt zu machen. Dieser Adi Piepenbrink hatte nun eine zärtliche Besorgnis für die mit einem blankpolierten Messinggriff versehene Hausthürglocke des Doktors, indem er wahrscheinlich der Meinung war, diese Vorrichtung möchte, da der Doktor so wenig Besuch erhielt, durch Mangel an Gebrauch einrosten und unbrauchbar werden. Er hielt es deshalb für seine Pflicht, jedesmal, wenn er vorbeikam, einen kräftigen Zug an dieser Klingel zu thun, und war dann, wie man wohl bemerken konnte, sichtlich erfreut, wenn er die bellende, langsam aushallende Stimme der Glocke durch das Haus schallen hörte. Da er nach Art aller echten Wohlthäter unbekannt zu bleiben wünschte, so hatte er bei diesem Akt bereits die Holzpantoffel in der Hand und jagte nach der That barfüßig und schnellbeinig um die Ecke. Man hatte ihn jedoch eines Tages entdeckt und da man seine Wohlthaten mißverstand, stellte sich Bohmhamel mit einem schwanken Röhrlein im Thorweg auf die Lauer. Aber er sollte beim erstenmal schon einsehen, daß er mit seinen zittrigen Kümmelbeinen der Schnelligkeit dieses jungen Helden nicht gewachsen war.

»Herr Doktor,« sagte er, »dieser langschinkigte Bengel is mich zu fix, er könnte ja doller rönnen as eine Lakemetive un ich könnte mich die Zunge aus dem Halse jappen, wenn ich ihm faßt kriegen wollte. Aber das sag' ich Sie, Herr Doktor, kriegte ich ihm mal, dann wollte ich ihm seine Schinkens gehörig ins Salz legen.«

Herr Barten verfiel, als dieser Unfug kein Ende nahm, auf eine geniale Idee. Er setzte seine galvanische Batterie mit dem nötigen Zubehör in Gang, brachte den einen Pol durch eine isolierte Drahtleitung mit dem Klingelzug, den andern ebenso mit der darunter liegenden eisernen Platte in Verbindung, postierte Bohmhamel mit dem bekannten Röhrchen hinter den Thorweg und wartete des Erfolges seiner Fangvorrichtung. Es ist bekannt, daß, wenn man die beiden Handgriffe eines solchen galvano-elektrischen Apparates erfaßt, so daß der Strom durch den Körper geleitet wird, es unmöglich ist, die Griffe loszulassen, weil die Hände durch die Wirkung der Elektrizität gezwungen werden, sich zu schließen und immer fester anzukrampfen.

Nach einer Zeit vergeblichen Wartens scholl plötzlich ein wahnsinniges, zeterndes Klingeln durch das Haus. Herr Barten sah aus dem Fenster und, siehe, der Fisch saß an der Angel und zappelte erbärmlich, sich wieder zu befreien. Zugleich erfüllte ihn das grauenhaft Geheimnisvolle dieses Vorganges und das erschütternde Gefühl, das der elektrische Strom in seinem Körper hervorbrachte, mit entsetzlicher Angst, die er durch ein erbärmliches Geheul zur Genüge kundgab.

»Warte nur,« sagte Herr Barten, »Bohmhamel kommt gleich.« Und Bohmhamel kam mit dem Röhrchen und legte dem Jüngling die Schinken ins Salz, wie er versprochen hatte, und seine Nase strahlte doppelt im Widerschein innerer Genugthuung, denn eine alte Rechnung ward ausgeglichen. Adi Piepenbrink war nämlich der Erfinder des »Brandgiebels«, was der Alte wohl wußte. Nachdem sich bereits einige vor Entsetzen starre alte Weiber rings gesammelt hatten, unterbrach der Doktor die Leitung, und wie ein Pfeil flog der befreite und heulende Adi um die Ecke. Von jetzt ab ging er stets nur auf der andern Seite der Straße und wagte kaum einen scheuen Blick auf den verhängnisvollen Klingelzug.

An diese Geschichte dachte Herr Barten bei seinem Herbstmorgenspaziergang, denn er hoffte noch immer einen Ausweg zu finden, bei seiner Gartenmauer eine ähnlich wirkende Einrichtung anzubringen. Aber bei der großen Ausdehnung der Mauer und wegen sonstiger in der Natur der Sache liegender Hindernisse war die Erfüllung dieser Hoffnung wohl ziemlich unwahrscheinlich. »Wenn ich nur ein einziges Mal einen Kerl auf der Mauer festmachen könnte und ein paar alte Weiber es mit ansähen, so wäre mir geholfen,« dachte er. In diesem Moment ward ein Heuhaufen, der an seinem Wege lag, lebendig, ein junger Mensch, der dort übernachtet hatte, wühlte sich hervor, strich sich die Heuhalme aus dem Gesicht und starrte ziemlich verschlafen in die Welt. Wie ein Blitz ging Herrn Barten ein Gedanke durch den Sinn. Er ließ sich mit diesem jungen Landfahrer in ein Gespräch ein und vernahm, daß es ihm zu Hause nicht mehr gefalle und er sich nun nach Hamburg durchfechte, um dort eine Gelegenheit zur Ueberfahrt nach Amerika zu gewinnen. Geld habe er nicht, er wolle aber in Amerika Gold graben und reich werden und wiederkommen und seine Verwandten ärgern, daß sie schwarz würden. Dies waren seine Vorsätze. Herr Barten fragte ihn, ob er wohl lieber mit der Eisenbahn nach Hamburg fahren möge, als sich durchfechten. Dagegen hätte er gar nichts, war die Antwort. Ob ihm wohl mit einer Empfehlung gedient sei, die ihm freie Ueberfahrt nach Amerika verschaffe? Der junge Mensch meinte, zum Narren halten ließe er sich nicht, und alte Leute sollten solche Witze nicht mehr machen. Ob er wohl auch ein wenig Reisegeld nicht ausschlagen würde? Nun wurde der Jüngling aber wirklich böse und machte allerlei anzügliche Bemerkungen. Herr Barten aber sprach: »Dies alles sollen Sie haben, wenn Sie mir einen Gefallen thun.«

Der Landstreicher meinte, darauf sei er neugierig.

»Es gibt aber Prügel dabei,« sagte Herr Barten, »Sie müssen sich von meinem Gärtner durchprügeln lassen!«

Der Fremdling kraute sich hinter den Ohren und machte ein bedenkliches Gesicht, er fing an, den alten Herrn für verrückt zu halten.

»Sie können sich ja etwas unterstopfen!« meinte Herr Barten pfiffig.

»In der Schule nahmen wir einen Atlas,« sagte der Fremde schnell, »aber der Lehrer merkte es am Klappen!«

»Mein Gärtner merkt nichts,« tröstete der Doktor, »und je mehr es klappt, desto besser ist es. Der Atlas ist gut; mein kleiner Stieler wird gerade das Format haben. Bleiben wir bei dieser Idee.«

Dann entwickelte er dem jungen Menschen seinen Plan. Nachdem dieser eingewilligt hatte, schritt der Doktor langsam und würdevoll wie gewöhnlich der Stadt zu.

Der Fremde blieb eine Weile stehen und lachte kopfschüttelnd in sich hinein. Dann schwenkte er seinen Stock um sein verwegenes Haupt und folgte der Spur des Doktors in gemessener Entfernung.

Am Abend desselben Tages zur späten Dämmerungszeit hatten einige alte Mütterchen, die in den Gräben Gras für ihre Ziegen geschnitten hatten und nun mit ihrer Last den Feldweg, der am Garten des Doktors vorüberführte, entlang kamen, einen seltsamen Anblick. Auf der Gartenmauer ritt ein junger Mensch, der einen Sack mit Obst vor sich liegen hatte, und ganz erbärmlich schrie und wimmerte, und sich mit sichtlicher Anstrengung von der Mauer, die jedoch seine Sitzgelegenheit vermöge einer geheimnisvollen Kraft unwandelbar festhielt, zu befreien suchte. Die alten Mütterchen, die hörten wie er klagte, er sei gebannt und könne nicht los von der Mauer, wendeten wie auf Kommando die Gesichter einander zu und nickten so heftig, als wollten sie sich die Köpfe abwackeln, denn vor Entsetzen war ihnen die Sprache vergangen. Das Geschrei des Gebannten lockte noch mehr Menschen aus der Umgegend herbei und alle standen sie und folgten mit zitternden Knieen und geöffneten Mäulern dem entsetzlichen Verlauf der Dinge.

Plötzlich ward eine Leiter auf der andern Seite angelegt und Bohmhamels Antlitz tauchte rot wie der aufgehende Mond neben dem Fremden hervor.

»Szü, szü, da haben wir ja den Appeldieb,« rief er, »das glaub' ich woll – Goldpepängs – da lickmündt woll mannigein nach. Nu kommt abersten die Sosse zu die Appels!« Schwabb! klappte sein Röhrchen auf den Stielerschen Atlas und der Fremde heulte wie ein homerischer Held.

»Ihr Bambusenvolk ihr. Was ich hier in Wochen un Monats – schwabb – mit meinen sauren Switz großgesogen hab – schwabb – das stiehlt mich so 'n dreidrähtigen Spitzbuben – schwabb! schwabb! – in einen einzigten Abend! Ja, wenn mein Herr Doktor nich wär'. Meint ihr denn, ihr Dämelacks, daß mein Herr Doktor nich ebensogut einen an 'ne Mauer festmachen kann, as an 'n Klingelzug?«

Die tiefe Stimme des Doktors erklang plötzlich hinter der Mauer und eine Totenstille entstand, selbst der Delinquent hörte auf zu winseln.

»Es ist genug, Bohmhamel,« sagte er, »er wird's nicht wiederthun. Ich will ihn losmachen.«

»Abrakadabra! Sei los und frei!«

In demselben Moment schnellte der Fremde wie durch eine Sprungfeder getrieben von der Mauer empor, sprang mit einem mächtigen Satz auf den Weg und verschwand eilends in der Dunkelheit. Daß aber desselben Abends Bohmhamel mit großer Geschicklichkeit den Fremden auf den Bahnhof spedierte und ihn mit einem Billet nach Hamburg in den Zug setzte, ist von niemand weiter bemerkt worden.

Von dieser Zeit ab aber war Herrn Bartens Garten wie gefeit und kein Kohlstrunk ward jemals aus ihm entfremdet. Denn die Dummen glaubten an Zauberei, und die Klügeren fürchteten eine geheimnisvolle physikalische Vorrichtung, wie sie einst Adi Piepenbrink so jämmerlich zu Fall gebracht hatte.


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