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Ich glaube wohl, daß ich dich so nennen darf, denn wir kennen uns nun schon viele Jahre, und du darfst glauben, daß meine Hinneigung zu dir in dieser Zeit immer nur gewachsen ist. Ich muß es dir endlich einmal sagen, wie gern ich dich habe, und wie sehr ich deine unvergleichliche Kunst verehre. Insonderheit im Winter, wenn die Erde zu Stein, das Wasser zu Glas und der Regen zu weißem Pulver gefroren ist, wenn Bäume und Gesträuche mit traurigen Besenreisern dastehen, und die vertrockneten Reste einst frischgrüner Ranken trübselig im Winde rascheln, da erfüllt mich zuweilen die tiefste Verwunderung, wie du, Zauberer, es anfängst, dies alles so köstlich zu verwandeln, den kalten, harten Stein des Bodens in einen üppigen durchblümten Teppich, die Besenreiser in schimmernde Blütenzweige und den erstarrten Spiegel des Teiches in weiße fließende Wellen, auf denen sich leuchtende Wasserrosen wiegen. Wir haben unter uns Menschen ja auch Zauberer, die allerlei können, zum Beispiel Eierkuchen in Cylinderhüten backen, ohne daß es diesen was schadet, und
aus demselben Hute holen sie nachher eine ganze Ausstattung für Zwillingskinder und so viele Bälle, daß man eine ganze Schule, und so viele Becher, daß man eine Compagnie Soldaten damit versehen kann; allein das sind doch nur öde und durchsichtige Gaukelkunststücke und nicht zu vergleichen mit den deinen, über die nun schon von Anbeginn viele Tausende von gelehrten Häuptern gebrütet haben und ewig brüten werden, ohne sie jemals zu ergründen.
Du schwingst deinen Zauberstab über die öde sibirische Steppe, auf deren versteinerter Fläche bislang der eisige Winterwind einherjagte, und stehe, binnen kurzem ist sie ein blühendes, farbiges Meer von Tulpen und Iris, Tazetten und Hyazinthen, du steigst lächelnd die Berge hinauf und säumest die Ränder starrender Gletscher mit Blüten ohne Zahl, ja selbst in den Ländern der Mitternachtssonne zauberst du eine wundervolle Blumenpracht auf die erweichte Oberfläche des ewig gefrorenen Bodens, so daß deine zarten Blütenkinder gar über dem Eise wohnen.
Du lieber Frühling, ich danke dir, daß du alle Jahre aus dem warmen Süden wieder zu uns kommst, obwohl es dort, wie die Leute sagen, so viel schöner sein soll als hier. Doch muß es wohl bei uns auch nicht so übel sein, sonst würden die kleinen, klugen Vögel, die so gerne und eifrig dein Lob singen, nicht alle Jahre vorüber fliegen an der Pracht seiner Mandel- und Orangenbäume, um bei uns ihr Nest zu bauen in Weißdorn und Heckenrosen. Ja, wenn du einkehrst, lieber Frühling, und ihnen die Stätte bereitest, indem du das zarte Laub und die schimmernden Blüten aus der Knospe lockest, da kehren sie alle treulich wieder, und wo bis dahin nichts vernehmlich war als das rauhe Geschrei der Krähen, das Zirpen der Meisen oder höchstens der zwitschernde Gesang des ewig munteren Zaunkönigs, da ist nun die Luft erfüllt zum Ueberquellen von süßem Getön. Und nicht allein besetzest du die lichten Auenwälder mit jauchzenden Nachtigallen, die jeder schätzt, und hängst die Luft voll tirilierender Lerchen, die alle kennen, nein, so mannigfach wie Form und Farbe deiner Blumen und Blätter ist auch der Gesang deines munteren Geflügels. O, wie freue ich mich, wieder die süß-melancholisch abfallende Tonfolge des Fitis zu hören aus dem Erlenbruchwald oder im Gebüsch das Gezwitscher der Dorngrasmücke, das dahinrieselt wie ein plätscherndes Bächlein. Oder das knarrende Schwatzen der Rohrsänger im Uferschilf und das eindringliche Pfeifen des Baumpiepers am Rande des Waldes. Ob sie nun viel können oder wenig, das gilt ihnen gleich, und der kleine Baumläufer zwitschert sein winziges Lied von anderthalb Tönen mit derselben Inbrunst wie die Nachtigall, und wer nicht singen kann, der trommelt wie die Spechte an einem dürren Ast oder klappert gleich dem Storch oder bläst das Bombardon wie die Dommel im Rohr. Ja, mein lieber Konzertmeister, das verstehst du einzurichten.
Allerlei haben wir doch schon zusammen erlebt, mein lieber Freund, und wenn es auch keine großen Dinge waren, so stehen sie doch wie liebliche Blumen in dem Garten meiner Erinnerung. Gedenkst du noch jenes ersten Pfingsttages in der kleinen mecklenburgischen Stadt, als ich den ganzen Morgen umhergeschweift war zwischen den blühenden Gärten, wo die goldenen Schmetterlinge flogen und die Vögel sangen. Du weißt es gewiß noch, denn es war einer von den herrlichsten Tagen, die du je geschaffen hast, und die Mädchen, die mir begegneten, waren alle viel schöner als sonst, und aus ihren Augen leuchtete der Wiederschein deines Glanzes. Wo waren sie denn mit einmal alle hergekommen, die man den ganzen Winter fast nicht gesehen hatte, nun waren sie in ihren hellen Gewändern alle aus den finsteren Häusern hervorgeblüht wie die Hyazinthen aus dem dunklen Schoß der Erde. Und später, weißt du es wohl noch, lag ich in den Anlagen am Wall auf dem Rücken im Grase zwischen den goldenen Butterblumen, und zu meinen Häupten in der riesigen Silberpappel, die mit zarten Kätzchen über und über bedeckt war, sang eine Nachtigall ergreifend schön. Nicht ferne von mir ragte mit rötlichem Gemäuer der Dom empor in die reine Luft, und aus ihm hervor mischten sich fromme Pfingstchoräle und das feierliche Dröhnen der Orgel mit dem Jubel ringsumher. Ja, überall blühte es, und ich blühte mit, überall sang es, und mein Herz sang mit, und obwohl sich weiter gar nichts ereignete, so war es doch eine Stunde des Glücks, die ich nimmer vergessen kann. Das war dein Zauber, du wunderbarer Frühling.
Du bist mir auch ein wenig gut, das weiß ich wohl. Denn sonst hättest du wohl nicht zu jenem andern unvergeßlichen Tage im Mai, da jene Gute und Reine mein eigen ward, die ich kaum verdiene, einen so festlichen Himmel über die Erde gespannt und die ganze Welt in schimmerndes Licht getaucht. Das werde ich dir nie vergessen und dir manches andre dafür verzeihen. Denn um der Wahrheit die Ehre zu geben, manchmal beträgst du dich ein ganz klein wenig unangemessen. Erinnerst du dich wohl noch an jenen neunten Mai, da alle die jungen, frischgrünen Rosenblätter mit Reif bedeckt und alle Nachtigallen heiser waren, oder an jenen elften Juni, wo du sogar noch mit Schnee kamst? Das – nimm es mir nicht übel – sind sehr wunderliche Launen und machen es deinen Verehrern recht schwer, dich zu verteidigen; denn bedenke doch, es gibt unter den Menschen viele böswillige Gesellen und Philister mit öden Gehirnen, die nur darauf lauern, dir etwas anzuhaben und deinen uralten, wohlverdienten Ruhm zu untergraben, indem sie deine ganze Schönheit für ein müßiges Hirngespinst halbtoller Dichterlinge erklären und als verständige Leute nichts von dir wissen wollen. Darum hoffe ich, dergleichen nicht wieder zu erleben. Was ich aber noch ferner hoffe, das ist, dich noch recht oft wiederzusehen, mein guter, alter Freund. Freilich, du bleibst ewig jung und ich werde immer älter werden. Mich dünkt jetzt schon manchmal, ich stünde auf der Höhe, wo man wieder den Weg nach abwärts führen sieht. Und zuweilen ist mir, als erblickte ich am Ende dieses Weges in fernem Dämmer jenes dunkle, von Cypressen umgebene Thor, das den Eingang bildet in jene unbekannte Welt, aus der man nicht zurückkehrt. Aber vorher, lieber Freund, hoffe ich, dein leuchtendes Antlitz noch recht oft zu begrüßen, und dann, wenn es sein muß, wünsche ich mit dir dahin zu gehen um jene Zeit, da die wilden Rosen blühen und das Heu in den Wiesen duftet. Dann, wenn du von hinnen scheidest, will ich mit dir wandern Arm in Arm in jenes bessere Land, wo dein Reich niemals endet wie auf Erden, wo du nur ein flüchtiger Gast bist.
Dein treuer Verehrer