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Hundegeschichten

Geschichten von Hunden sind das Entzücken unserer Kindheit gewesen und wir alle erinnern uns wohl noch des unendlichen Vergnügens, das wir über Erzählungen empfanden, wie jene von dem klugen Hunde, der den verlorenen Thaler seines Herrn in der Tasche des Handwerksburschen witterte, worauf das Tier mit schmeichlerischer List die Freundschaft dieses Wanderers suchte, der hochbeglückt über die gleichzeitige Erwerbung eines Thalers und eines kostbaren Hundes mit diesem in ein Wirtshaus einkehrte. Als jedoch der Handwerksbursche im Bette lag und sich in seligen Träumen von Glück und Reichtum wiegte, stahl der kluge Hund die Hose, in der der Thaler steckte und brachte beides hocherfreut seinem Herrn. Aehnliche Geschichten gibt es unzählige und sie finden immer ein dankbares Publikum, denn unter allen Tieren ist keins, nicht einmal das Pferd, in ein näheres Freundschaftsverhältnis zu dem Menschen getreten, als der Hund. Dieser intime Umgang hat denn auch eine Mannigfaltigkeit der Formen und Fähigkeiten bei diesen Tieren erzeugt, die in der Natur ihresgleichen nicht hat, so daß es Hunde von allen Größen und von allen Spezialitäten gibt, löwenartige Bestien von der Kraft eines Riesen und winzige Tierchen, die in dem zierlichen Morgenschuh ihrer Herrin übernachten, Hunde, »die klüger sind als ein Mensch« und wieder solche, »dümmer als ein Stück Holz«. Und zwischen diesen Grenzen, welche Mannigfaltigkeit! Da sind vornehme, blasierte Hunde, die Winterüberzieher mit Goldstickerei besitzen, die ein Dejeuner, ein Diner und ein Souper einnehmen und ihre zarten Glieder auf Kissen von echtem Sammet zur Ruhe strecken, und wiederum rauhe, hungrige Proletarier, die gesenkten Schwanzes die Müllhaufen durchstöbern und ihren Durst aus dem Rinnstein löschen. Da sind Hunde, die wie die Spinnen auf langen, ätherischen Beinen einherwirbeln, und solche, die sich diese, wie der selige Münchhausen erzählt, offenbar bis auf die Stumpfe weggelaufen haben, kuglige, gedrungene Wollknäuelhunde und wiederum solche, die so lang sind, wie »Boonder«, von dem Bret Harte meint, die Natur habe anfangs für dies Tier noch ein paar Extrabeine in der Mitte projektiert, sich diesen Vorsatz aber unklugerweise ausreden lassen. Da gibt es kluge Jagdhunde, von denen ergraute Förster, wenn ihnen das Herz aufgeht, Dinge vermelden, denen selbst der Hinblick auf das ehrwürdige Alter der Erzähler nur eine geringe Wahrscheinlichkeit zu verleihen vermag, Dinge, die selbst die gläubigsten Gemüter nur zur Hälfte zu verschlucken im stande sind. Da gibt es Hunde, die Schach, Domino und Sechsundsechzig spielen, Hunde, die Zigarren rauchen und sich jeden Abend betrinken, kurz sich ganz und gar wie ein Mensch benehmen.

Meine eigenen Erlebnisse mit Hunden sind geringfügiger Art. Ich habe nur einmal versucht, mir einen solchen vierbeinigen Freund von klein auf zu erziehen. Allein unser Verhältnis ward nicht besonders, da er meine Ansichten über Erziehung durchaus nicht teilte, und wir fortwährend wegen unserer verschiedenen Anschauungen über die Behandlung der Zimmerfußböden in Mißhelligkeiten gerieten. Außerdem hatte ich versäumt, mich nach seiner Herkunft zu erkundigen, und hatte mich deshalb über seine endgültigen Abmessungen einer traurigen Täuschung hingegeben, denn er wuchs mit großer Geschwindigkeit zu einer wahren Bestie von der dreifachen erwarteten Größe empor, und das Ende war gar nicht abzusehen.

Es gibt nun zwar Hunde, deren ganze Schönheit auf ihrer ungewöhnlichen Häßlichkeit beruht, da er es aber auch in diesem Fache nur zu einer ganz gemeinen Rüpelhaftigkeit brachte, so begann ich die Spekulation für verfehlt zu halten und entledigte mich seiner.

Später bin ich noch einmal wieder beinahe in den Besitz eines Hundes gelangt, und ich denke an diesen Fall mit einer gewissen Wehmut zurück, denn ich bin mir bewußt, bei dieser Gelegenheit ein erwachendes Vertrauen schmählich getäuscht zu haben.

Ich ging die Wilhelmstraße hinab und bemerkte ein kleines, kümmerliches Hündchen, das ebenmäßig vor mir hertrottete und nur zuweilen auf dem öden Bürgersteig, ohne seinen Lauf zu unterbrechen, nach Eßbarem schnüffelte. Ich erkannte sofort wie durch Eingebung, daß dieser Hund keine Stellung hatte, daß er ohne Ziel »doch man so« die Straße entlang lief, vielleicht in dem dumpfen Gefühl, durch fortgesetzte Ortsveränderung einem glücklichen Zufall, der ihn wieder in Lohn und Brot bringen konnte, mehr Gelegenheit zu bieten.

Jene böse Neigung des menschlichen Herzens, den Armen und Verachteten noch tiefer hinabzudrücken, veranlaßte mich, plötzlich stark mit dem Fuße aufzuschlagen. Das arme Tierchen schrak zusammen, fuhr ein wenig beiseite und sah mich mit einem demütig vorwurfsvollen Blick über die Schulter an. Dann ließ er seinen Schwanz noch einen Centimeter tiefer sinken und trottete weiter. Ich bereute meine That und suchte sie durch freundliches Schnalzen mit der Zunge und Schnippen mit den Fingern wieder gut zu machen. Sogleich blieb der kleine Hund stehen und blickte mit einer trüben Aufmerksamkeit nach meinen Augen, wozu er einen schüchternen Versuch machte, mit dem Schwänze zu wedeln. Meine Züge schienen ihm Vertrauen einzuflößen, denn er ließ mich vorüber und schloß sich, als sei die Sache nun abgemacht, ohne weiteres meiner Spur an. Er dachte wohl: »Vielleicht wird's was, vielleicht wird's nichts – versuchen muß man alles.«

Ich bog probeweise quer über die Straße, der Hund hoppelte über den Rinnstein und folgte mir; ich ging wieder zurück und er hinter mir her ohne einen Ausdruck der Verwunderung und mit einer Miene, die zu sagen schien, daß es ihm nicht zukomme, Kritik auszuüben, auch wenn ihm die Handlungen seines erwählten Herrn seltsam erscheinen mochten.

Es war etwas in dem Betragen dieses dürftigen Tierchens, das mich rührte und mich ihm wohlgesinnt machte. Ich beschloß, mich seiner anzunehmen und ihn emporzuziehen aus Niedrigkeit und Verachtung. Sein rauhes, beschmutztes Fell sollte wieder glatt und seiden werden, sein trübseliges, gedrücktes Wesen sich in heiteres Selbstvertrauen verwandeln. Ich wollte ihn des Umgangs mit den Besseren seines Geschlechtes wieder teilhaftig machen, ich wollte das Niveau seiner Bildung erhöhen und ihn Künste lehren, die ihn über die Menge hinaushoben, ich wollte ihn zu einer Zierde des Hundegeschlechtes erziehen.

Er sollte ein Gefährte meiner Einsamkeit werden. Ich stellte mir vor, wie ich, abends am Schreibtisch sitzend, durch den Stoß einer zutraulichen Hundenase gegen mein Bein erinnert werde, daß ich nicht allein bin. Wie ich ihm dann den Nacken kraule und er mit dem Schwanz dazu wedelt. Wie er sich dann bedächtig an sein Ofenplätzchen begibt, dreimal um sich selbst herumgeht, sich niederstreckt, einen großen Seufzer ausstößt und eingeschlafen ist. Wie er dann zuweilen im Traume mit dem Schwanze wedelt und den Fußboden dabei klopft, und ich mir einbilde, er träume von mir.

Aber durch eine natürliche Gedankenverbindung fiel mir Frau Schüddebold ein. Diese Frau war meine Wirtin und sorgte mütterlich für mich, allein ich fürchtete, sie würde meine hundefreundlichen Ansichten nicht teilen. Ich wußte es sogar, denn Hunde waren Geschöpfe, die sich Frau Schüddebold nur in Verbindung mit andern kleinen, sehr lebhaften und beweglichen Tieren zu denken vermochte, die besonders nach dem Blute des weiblichen Geschlechtes dürsten. Hunde waren ihr Wesen, die sie so lange für toll hielt, bis sie den gerichtlich-medizinischen Gegenbeweis geliefert hatten. Ich wußte, daß solche Abneigungen unüberwindlich sind. Sollte ich mich, der ich den häuslichen Frieden über alles liebte und stets bereit war, ihm Opfer zu bringen, wegen dieses unschönen Tieres in ein Zerwürfnis begeben? Ich muß gestehen, daß meine guten Vorsätze wankend wurden, wie kaum gepflanzte Bäume, die ein Sturmwind überfällt.

In diesem Augenblick kam ein kleiner, vornehmer und wohlgenährter Hund vorüber und tauschte mit meinem Begleiter jene Begrüßungszeremonien aus, die gute Hundesitte, auch bei dem niedrigsten ihres Geschlechts, nicht zu vernachlässigen vorschreibt. Dabei fiel mir ein weiterer Mangel auf, denn am Halsband des Fremdlings klapperte etwas wohlhabend und gesetzesfroh, das bei meinem Schützling gänzlich fehlte. Es war die Steuermarke. Wie eine Last fiel es auf mein Gemüt, daß dies kleine, trübselige Tier eine Ausgabe von zwanzig Mark alljährlich erforderte, nur um einer blutigen Gesetzesvorschrift Genüge zu leisten. Werfe niemand einen Stein auf mich, der sich nicht einmal in einer ähnlichen Lage befunden hat, – ja, als Buße will ich es hier selbst öffentlich bekennen – Feigheit und Eigennutz gewannen die Oberhand über die anfänglich edleren Gefühle meines Herzens, und ich begann mit Hinterlist danach zu trachten, mich meines Begleiters zu entledigen.

Das arme Opfer merkte natürlich nichts von meinen veränderten Gesinnungen. Der kleine Köter blickte vertrauensvoll zu mir auf, wenn ich mich nach ihm umsah, und fächelte ein wenig mit seinem matt behaarten Wedel. Er träumte jedenfalls von einem guten Abendessen und von einem langen, erquickungsreichen Schlaf auf dem Fußteppich.

Ich war jetzt zum Halleschen Thor gelangt und fand diesen Ort zur Ausführung meines verräterischen Planes günstig und geeignet. Der kleine Hund war etwas zurückgeblieben und schnüffelte an einem gänzlich abgenagten Knochen; da benützte ich die Gelegenheit, schlüpfte schnell hinter einen vorüberfahrenden Pferdebahnwagen und mischte mich unter eine Menschenmenge, die mit jenem noch nicht aufgeklärten Interesse, das dieses Schauspiel dem Berliner stets einflößt, auf der Brücke die Durchfahrt eines großen Holzkahnes beobachtete. Nach einer Weile erschien der kleine Hund in der Richtung, von der ich abgesprungen war, indem er hin und her schnüffelte und offenbar meine Spur suchte. Dann lief er an eine Stelle, wo er eine freiere Aussicht hatte, und hielt eine vergebliche Umschau. Aber nicht lange. Bald senkte er mit einer Miene, als füge er einer langen Reihe vergeblicher Hoffnungen eine neue Täuschung hinzu, den Kopf, setzte sich wieder in seinen geduldigen Trott und hielt auf die Pionierstraße zu.

Noch immer sehe ich es vor mir, das kleine, dürftige Tier, wie es in seiner müden, hoffnungslosen Weise weiter strebt und allmählich in der ab- und zuströmenden Menge und in dem Brausen der großen Stadt verschwindet.


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