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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

In Edinburg, wohin uns der Verlauf unserer Erzählung nunmehr zurückführt, wurde die große Synode abgehalten, deren wir bereits erwähnten. Es ist Landesbrauch im alten Königreich Schottland, einen Vertreter des Königs aus dem alten Hochadel des Landes hierzu zu wählen, der bei den Verhandlungen den Vorsitz führt. Alle in der Hauptstadt anwesenden Personen von Rang und Würden pflegen diesen Vertreter des Königs zu den Sitzungen zu begleiten und ihm auch sonst durch ihre Gegenwart zu erhöhtem Glanze zu verhelfen. Der Edelmann, dem diesmal dieses Stellvertreter-Amt zufiel, gehörte zu Georg Stauntons intimeren Bekannten. Zum erstenmale seit der unglücklichen Nacht, wo der Stadthauptmann am Galgen verblutete, nahm Georg Staunton den Weg wieder durch die High-Street von Edinburg, und zwar an der Seite des Vertreters königlich britischer Majestät, in prächtiger Staatstracht, mit Orden und allen äußerlichen Zeichen von Rang und Reichtum. Er war noch immer ein Mann von hervorragender Schönheit, wenn auch Kränklichkeit ihre Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen hatte. Aber wer erkannte wohl in diesem vornehmen Manne den Anführer jenes groben Pöbelhaufens wieder, der in Madge Wildfires Lumpen den Genossen seiner Laster auf so furchtbare Weise rächte? Und selbst wenn einer, der ihn damals kannte, die knappe Spanne Zeit überlebt hätte, die Uebeltätern vom Schicksal zugemessen zu werden pflegt, so hätte er ihn ganz sicher in dem hohen Herrn nicht wiedererkannt, der jetzt ganz Edinburg durch seine Vornehmheit blendete. Ueberdies war die Affaire jetzt so gut wie vergessen, so daß Georg Staunton keine Entdeckung mehr zu fürchten hatte. Und doch mit welchen Gefühlen betrat er den Schauplatz jener verwegenen Tat, wenngleich es nur ein Fall von höchster Bedeutung war, der ihn bewogen hatte, sich an dieser Stätte so schmerzvoller Erinnerungen wieder zu zeigen. Auf Jeanies an die Schwester gerichteten Brief hin hatte Staunton sich nach Carlisle verfügt, um dort den Geistlichen Archidiakonus Fleming aufzusuchen, der der alten Murdockson vor ihrem gewaltsamen Tode die Beichte abgenommen. Er hatte den würdigen Greis noch am Leben getroffen und demselben offenbart, daß er der Vater des Kindes sei, das einst von der wahnsinnigen Madge geraubt worden. Der Geistliche, sich in die wilde Zeit zurückversetzend, die ihn auch mit anderen Missetätern in so betrübsame Gemeinschaft geführt, rief sich allmählich ins Gedächtnis, daß die Murdockson vor ihrem Tode an Georg Staunton nach Willingham einen Brief gerichtet, den er von dem dortigen Pfarrer Ehrwürden Staunton aber zurückerhalten habe, mit dem Bescheide, dort sei kein solcher Staunton bekannt. Der Brief, der ihm nun von dem Archidiakonus ausgehändigt wurde, gab von der Zigeunerin Annaple Bailzou, die das Kind an sich genommen, ein genaues Signalement und allerhand weitere Auskunft: unter anderm, daß die alte Sünderin dieses Geständnis weniger aus Reue ablegte, als in der Hoffnung, von Georg Staunton oder seinem Vater Schutz für ihre Tochter Madge zu erlangen, die sie völlig hilflos zurücklassen mußte.

Der Archidiakonus berichtete weiter,»daß die alte Murdockson bis an ihr Ende in Verstocktheit verharrte, ihre Tochter aber während der Mutter Hinrichtung entsprungen, von dem Pöbel ergriffen und zu Tode mißhandelt worden, und am andern Tage im Arbeitshaus gestorben sei, am Vormittag aber noch Besuch von mehreren weiblichen Personen bekommen habe, die dem Anscheine nach mit ihr bekannt gewesen seien, wenn sie auch gesagt hätten, sie nur unterwegs auf einer Reise getroffen zu haben. Was nun auch Staunton fühlen mochte, als er diese traurige Mitteilung, besonders von dem schrecklichen Tode jenes unglücklichen Mädchens, vernahm, das er ins Verderben gestürzt, so blieb ihm doch noch Willensfestigkeit genug, den Blick ausschließlich auf den Zweck seiner Herkunft, die Wiederauffindung seines Sohnes, zu richten. Da es die Klugheit verbot, über seine Geburt und die Schicksale seiner Eltern die Wahrheit zu sagen, stand freilich zu erwarten, daß es mancherlei Schwierigkeit bereiten werde, seine Legitimität durchzusetzen. Aber Lord Staunton hoffte hierzu Mittel und Wege zu finden; und gewöhnt, seinen Willen in allem, was er vornahm, durchzusetzen, verschob er alles Weitere, bis es ihm gelungen, den Sohn wiederzufinden; aber von diesem Vorhaben sollte ihn nichts abbringen, auch nicht die Gefahr, eine neue Kette von Unglück durchleben zu müssen, gleich denen oder größer als die, die ihm den Sohn geraubt hatten. Allein wo war der Jüngling, dem Gut und Habe dieses alten Geschlechtes anheim fallen sollte? Welche niedrige Hütte war ihm Herberge? Verdiente er sich sein häusliches Brot im Tagelohn, oder trieb er sich vagabondierend im Lande herum? oder führte er etwa gar ein Diebs- oder Räuberleben? Alles Fragen und Forschen Stauntons blieb fruchtlos; es sollte ihm keinerlei Licht über den Verschollenen werden. Von anderer Seite erfuhr er, daß Annaple Bailzou sich mit Betteln und Wahrsagen das Leben gefristet habe, aber seit mehr denn zehn Jahren in der Gegend nicht mehr gesehen worden und wahrscheinlich wohl nach einem fernen Distrikt Schottlands gezogen sei, wohin sie zuständig sei. Staunton nahm sich vor, ihr dorthin zu folgen; da aber sein Aufenthalt in Edinburg mit der Synode zusammenfiel, und der Königsstellvertreter, wie erwähnt, zudem ein intimer Bekannter von ihm war, ließ sich seine Beteiligung an den mit der Synode zusammenhängenden Feierlichkeiten, so gern er dieselbe auch vermieden hätte, nicht umgehen. Bei Tafel lernte nun Lord Staunton einen würdigen Geistlichen kennen, der ihm als Reuben Butler vorgestellt wurde. Seinen Schwager in sein Geheimnis einzuweihen, dazu hätte sich Staunton nie entschlossen, und mit Befriedigung hatte er von seiner Frau gehört, daß ihre Schwester, die Redlichkeit und Zuverlässigkeit selbst, sogar ihrem Manne gegenüber kein Wort habe verlauten lassen. Infolgedessen war es ihm nicht unangenehm, daß sich jetzt eine Gelegenheit bot, einen so nahen Verwandten kennen zu lernen, ohne von ihm gekannt zu sein, zudem ihm, was er sah und hörte, die günstigste Meinung von Butler gab; dem die allgemeine Achtung gehörte, sowohl von seiten der Geistlichkeit als auch der weltlichen Mitglieder der Synode; hatte er sich doch in den bisherigen Sitzungen durch Verstand, Kenntnis und Freimut ausgezeichnet, und war er doch auch als einsichtiger und wohlbeschlagener Kanzelredner geschätzt. So war es wohl erklärlich, daß Georg Staunton, der anfangs nichts davon hatte wissen wollen, daß sich die Schwester seiner Frau mit einem Manne von so geringer Stellung verheiratete, jetzt um vieles besser darüber dachte, ja sogar fand, daß im Falle der Auffindung seines Sohnes es mit der bescheidenen Finanzlage der Familie seiner Frau doch recht verträglich sei, daß Lady Stauntons Schwester die Ehe mit einem Geistlichen eingegangen sei, dessen hohes Ansehen seine verhältnismäßig kleine Pfründe reichlich wett mache. Nach Aufhebung der Tafel ersuchte der Lord den Pfarrer, ihm nach seiner Wohnung am Grasmarkt das Geleit zu geben und den Kaffee bei ihm zu trinken. Butler dankte für die große Ehre und bat nur, im Vorübergehen bei Bekannten, wo er abgestiegen sei, vorsprechen zu dürfen, um dort zu sagen, daß man nicht mit dem Tee auf ihn warten solle. Sie gingen durch die High-Street, traten unter die Buden am Rathause und kamen zu dem Gefängnis, wo die Almosenbüchse für die im Kerker schmachtenden Gefangenen aufgestellt war. Staunton trat hinzu, und am andern Tage wurde in der Büchse eine Banknote von zwanzig Pfund gefunden.

Butler stand unterdes in tiefen Gedanken, die Augen auf die Kerkerpforte gerichtet. »Es scheint ein recht festes Tor zu sein,« bemerkte Staunton, als er wieder zu dem Pfarrer trat, bloß um etwas zu sagen. »Freilich,« erwiderte Butler, sich zum Weitergehen anschickend, »vor Jahren war es einmal zu meinem Unglücke, daß sie nicht fest genug war.« Sein Blick streifte zufällig seinen Begleiter, der ihm auffallend bleich aussah, aber auf die Frage, ob ihm etwas zugestoßen sei, antwortete, er habe sich verleiten lassen, etwas Eis zu nehmen, trotzdem er wisse, daß er es nicht vertragen könne. Diensteifrig führte Butler den Lord in das Haus seines Bekannten, bei dem er abgestiegen, der aber kein anderer war, als Herr Bartel Saddletree; ehe Staunton sich noch recht klar wurde, wohin ihn Butler führe, befand er sich in jenem Hause, wo seine Gemahlin einst als Ladenmamsell gedient hatte. Da wich die Blässe, die aus Furcht vor Entdeckung sein Antlitz entfärbte, jäher Schamröte. Die brave Frau Saddletree eilte geschäftig herbei, den reichen, mit Herrn Butler bekannten Baronet in ihrem bescheidenen Hause willkommen zu heißen, nachdem sie eine ältliche Dame, die tiefschwarz ging, gebeten hatte, sich nicht stören zu lassen. Diese hatte aufstehen wollen, um den vornehmeren Gästen den Platz nicht zu rauben. Als aber Frau Saddletree vom Pfarrer hörte, dem Lord sei nicht recht wohl, eilte sie, ohne sich um die Dame in Schwarz weiter zu kümmern, nach der Küche, eine kleine Erfrischung zu holen; und ihre Abwesenheit hatte die Dame benutzen wollen, sich zu entfernen, war aber im Eifer über die Schwelle gestolpert; der Lord, der gerade in der Nähe stand, hatte sich beeilt, ihr aufzuhelfen, und geleitete sie jetzt bis zur Haustür.

»Die alte Frau Porteous,« sagte Frau Saddletree, als sie mit einem Fläschchen in der Hand zurückkam, »ist schon gar nicht mehr recht bei sich; dabei ist sie doch noch gar nicht so alt; aber das gräßliche Schicksal ihres Mannes ist ihr gar tief zu Herzen gegangen. Ja, Herr Butler, Ihnen hat die Affäre ja auch gerade genug Kummer bereitet. Aber, Mylord, Sie sollten, doch noch ein Paar Tropfen nehmen,« sie reichte Staunton nochmals von der stärkenden Arznei, »ist's mir doch fast, als hätte sich Ihr Aussehen gegen vorhin noch verschlimmert.« Der Gedanke, daß ihn der Zufall dazu geführt, die Frau zu stützen, die durch seine Schuld zur Witwe geworden, hatte ihm tatsächlich alle Farbe aus dem Gesicht getrieben.

»Die Porteous-Affäre,« nahm da der alte Saddletree das Wort, den jetzt Gicht an seinen Lehnstuhl fesselte, »ist ja verjährt und verschollen.« »Ich dächte doch noch nicht, Nachbar,« meinte Plumdamas, »Mord verjährt nach unserem Recht, meines Wissens, in zwanzig Jahren; wir stehen jetzt Anno einundfünfzig, und Porteous wurde Anno siebenunddreißig durch den Pöbel vom Leben zum Tode gebracht.« »Sie werden doch mir nicht Recht und Gesetz eintrichtern wollen, Nachbar? Ich sage Ihnen, und wenn jetzt die ganze Porteous-Rotte dastünde, wo jetzt der fremde Herr steht, so könnte ihr kein königlicher Anwalt mehr an den Kragen.« »Aber so laß doch bloß einmal Deine Rechthaberei,« fiel ihm seine Frau ins Wort, »Mylord kann nicht einmal in Ruhe seine Tasse Tee trinken.« Staunton aber hatte genug von der Unterhaltung; er winkte Butler, daß er gehen wolle, und Butler sagte Frau Saddletree ein paar entschuldigende Worte, um sich mit dem Lord nach dessen Wohnung zu verfügen. Hier fanden sie einen neuen Gast, der auf die Rückkehr des Lords wartete. Es war kein anderer als Ratcliffe, der es mittlerweile bis zum Posten eines Oberaufsehers gebracht, und den man Staunton als einen Mann genannt hatte, von dem er vielleicht die beste Auskunft über die Zigeunerin Bailzou bekommen könnte. Das war für Staunton eine neue, nur noch bösere Unterhaltung! Stand er doch jetzt seinem alten Bekannten, James Ratcliffe, gegenüber, dessen Züge ihm sogleich in die Erinnerung traten. Der gewaltige Abstand aber, der zwischen Georg Robertson und Sir Georg Staunton lag, täuschte auch Ratcliffes Scharfblick, so daß er sich tief vor dem Lord und dem Pfarrer verneigte, welch letzteren er demütig um Entschuldigung bat, daß er sich ihm als Bekannter aus früherer Zeit vorzustellen erlaubte. »Ich weiß, Sie haben einst meiner Frau einen nicht geringen Dienst geleistet,« sagte Butler, »und meine Frau sandte Ihnen eine kleine Erkenntlichkeit. Hoffentlich ist's Ihnen richtig zugegangen und auch zurecht gekommen.« »Ei, das wollt ich meinen, Hochwürden,« versetzte Ratcliffe, indem er pfiffig dabei nickte; »aber Sie haben sich recht zu Ihrem Vorteil verändert, Hochwürden, in den vielen Jahren, seit ich Sie nicht mehr gesehen habe.« »Ja, ja, so sehr, muß ich sagen, daß ich mich wundere, von Ihnen noch erkannt zu werden.« »Oho, Hochwürden. Ich vergesse kein Gesicht, das ich einmal im Leben gesehen habe.« Lord Staunton stand wie auf der Folter, alle Gedächtnisschärfe aus tiefstem Herzen verwünschend. »Und doch,« fuhr Ratcliffe fort, »irrt sich auch das schärfste Gedächtnis dann und wann; und wenn ich's mir herausnehmen darf, von der Leber weg zu sprechen, so sehe ich hier in der Stube noch ein anderes Gesicht, das mir vorkommt, als hätt ich's schon einmal im Leben gesehen bei einem guten, recht guten, aber längst verschollenen Bekannten; und wüßte ich nicht, wen ich in dem hohen Herrn vor mir habe, so könnt ich mich fast versucht fühlen.« »Es würde für mich nicht eben schmeichelhaft sein,« versetzte der Baronet, erregt durch die Gefahr, in der er sich sah, mit strenger Stimme, »wenn sich Ihre seltsamen Komplimente auf mich beziehen sollten.« »Durchaus nicht, Mylord,« versetzte Ratcliffe, sich tief verbeugend, »ich komme lediglich, um Euer Gnaden Befehle zu vernehmen, nicht aber um Euer Gnaden Ohr durch ein paar demütige Bemerkungen zu verletzen.« »Man hat mir gesagt, Sie seien in Polizeisachen nicht unbewandert. Ich bin auch ein wenig darin zu Hause und um Ihnen klingenden Beweis dafür zu geben, so zahle ich Ihnen zehn Guineen als Aufgeld, die ich aber um das fünffache erhöhe, wenn ich durch Sie über ein gewisses Frauenzimmer Aufschluß erhalte, dessen Signalement Sie hier in diesem Papier finden. Schriftliche Antwort lassen Sie mir durch meinen Edinburger Geschäftsträger zugehen. Hier sein Name und seine Wohnung!«

Damit wandte er Ratcliffe den Rücken, der sich abermals tief verbeugte und dann ging. »Es hat den hochnäsigen Wicht verdrossen,« meinte Ratcliffe bei sich, »daß ich die Aehnlichkeit herausgefunden habe. Aber wenn Georg Robertsons Vater nicht weit von seiner Mutter gelebt hätte der Teufel sollte mich holen, wenn ich dann wüßte, was ich denken sollte, und möchte er sich noch sehr aufs hohe Roß mir gegenüber setzen!«

Lord Staunton, jetzt mit Butler allein, ließ Tee und Kaffee bringen und erkundigte sich nach einigem Zögern, ob er kürzlich Nachricht von den Seinigen bekommen habe. Butler, über die Frage einigermaßen erstaunt, sagte, »es sei einige Zeit her, seit er Nachricht bekommen, seine Frau schreibe nicht gern.« »So bin ich denn leider derjenige, aus dessen Munde Sie zuerst hören, daß die Ruhe Ihres Hauses während Ihres Fernseins getrübt worden ist. Meine Frau, die der Herzog von Argyle eingeladen hat, in Roseneath die Molkenkur durchzumachen, hat es vorgezogen, sich in Ihrem Hause einzuquartieren; sie schreibt zwar, um gleich bei den Ziegen zu sein, ich vermute aber, weil ihr die Gesellschaft Ihrer Frau lieber sein wird als die des alten Knasterbarts Knockdunder,« Butler sagte, daß ihn dies doch nur freuen könne. Der Lord dankte ihm für diese Gastfreiheit und fragte, wann er nach Hause zu reisen gedenke. »In ein paar Tagen,« sagte Butler; denn nachdem er seine Geschäfte sämtlich erledigt habe, treibe es ihn wieder nach seinen Penaten; da er aber eine beträchtliche Geldsumme mitnehme, wolle er, um nicht allein zu reisen, mit ein paar Amtsbrüdern zusammen reisen. »Mein Geleit dürfte Ihnen bessere Sicherheit sein,« antwortete Staunton; »ich denke morgen abzureisen, und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich mir anschlössen; auf alle Fälle übernehme ich es, Sie ungefährdet in Ihre Heimat zu geleiten.« Butler nahm das Anerbieten dankbar an; Staunton schickte einen Bedienten nach dem Pfarrhause voraus, ihre Ankunft dort zu melden, und bald verbreitete sich die Nachricht durch das ganze Kirchspiel, der Herr Pfarrer komme mit einem vornehmen Herrn aus England und bringe auch den Kaufschilling für Craigsture mit. Lord Staunton hatte sich zu diesem schnellen Entschluß, so schnell nach Knocktarlitie zu reisen, durch die letzten Begebenheiten bestimmen lassen; er sah jetzt ein, wie verwegen es von ihm gewesen, sich auf den Schauplatz seines früheren Sündenlebens zu begeben, und Ratcliffes Klugheit war ihm viel zu sehr bekannt, als daß er sich zum zweitenmale in seine Nähe hätte wagen mögen. Unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit hielt er sich am zweiten Synodaltage zu Hause und verabschiedete sich am dritten schriftlich von seinem Freunde, dem königlichen Abgeordneten. Seinem Agenten gab er Auftrag, alle über die Annaple Bailzou einlaufenden Nachrichten durch einen Eilboten nach Knocktarlitie nachzuschicken . Die Reise dorthin gestaltete sich für Lord Staunton über Erwarten angenehm. Als ihm Edinburg aus dem Gesicht kam, wurde es ihm leichter ums Herz; und Butlers ruhige und schlichte Unterhaltung war so recht dazu angetan, ihm die trüben Betrachtungen aus dem Sinne zu bringen. Ja sie führte ihn, um ihn immer um sich zu haben, auf den Gedanken, ihm die reiche Pfründe von Willingham zuzuwenden; durfte er doch auch rechnen, daß sich seine Frau dann mehr als bisher mit dem Leben auf dem Lande befreunden werde.

Er fragte Butler, ob ihm eine Pfarre mit zwölfhundert Pfund jährlicher Einkünfte genehm läge, wenn die Bedingung daran geknüpft würde, zur englischen Kirche überzutreten. Butler erwiderte, »in den Lehren der Kirche, von deren Wahrheit er überzeugt, und in denen er erzogen sei, zu seinem Gott eingehen zu wollen.« Staunton fragte ihn nun, was ihm seine gegenwärtige Pfarre einbringe? »Im Durchschnitte hundert Pfund jährlich, den Ertrag von den Aeckern und Wiesen nicht gerechnet.« »Und dagegen schlagen Sie eine Pfründe aus, die Ihnen das zwölffache sichert?« »Meine kleine Pfarre hat mir bislang das Leben gedeckt durch die mir vom Schwiegervater zugefallene Erbschaft und einige Ersparnisse meiner Frau mehren sich die Einkünfte um reichlich das doppelte, und ich weiß wirklich noch nicht, wie wir das Hinzugekommene verwerten sollen. Nun sollte ich, da ich weder den Wunsch noch Anlaß habe, dreihundert Pfund jährlich mehr aufzuwenden, den Besitz einer vierfachen Summe erstreben, wenn ich höhere Rücksichten dagegen opfern soll?« »Das ist echte Lebensweisheit,« erwiderte Staunton. »Ich habe wohl gehört, daß sie bei Menschen noch zu finden sei, bislang aber umsonst danach gesucht.« Staunton fühlte sich von der Reise angegriffen und entschloß sich deshalb zu einem Rasttag in einer kleinen Ortschaft zwischen Edinburg und Glasgow. In Dumbarton wurde ein Boot gemietet, das sie den Loch Care hinauf nach dem Pfarrhause bringen sollte. Zwei Lakaien sollten die Wasserfahrt mitmachen, die übrigen bei dem Wagen bleiben. Kurz vor der Abfahrt trat der Eilbote aus Edinburg von Lord Stauntons Geschäftsführer ein, mit verschiedenen Schriftstücken, deren Inhalt Lord Staunton lebhaft zu erregen schien. Staunton schrieb sogleich nach Edinburg zurück und gab dem Boten ein reichliches Trinkgeld, legte ihm aber die Verpflichtung auf, die Rückreise ohne allen Aufenthalt zu bewirken.

Da die Fahrt stromabwärts ging, hatten die Ruderer schwere Arbeit. Unterwegs erkundigte sich Lord Staunton mit auffälligem Eifer nach den im Hochlande noch aufhältlichen Räubern; Butler gab ihm, soweit er konnte, Auskunft, und ließ dabei den Namen Donacha fallen. Sogleich erkundigte sich Staunton nach diesem Banditen wie den zu ihm haltenden Kameraden. Butler wußte auch nur, daß Donacha selten mehr als drei bis vier Leute um sich habe und nicht die Ambition besitze, als Haupt einer eigentlichen Räuberbande zu gelten; er persönlich spüre kein Verlangen, die flüchtige Bekanntschaft, die er mit ihm gemacht, irgendwie zu erneuern ...«

»Und doch möchte ich den Mann einmal sehen,« erklärte Staunton. »Solche Begegnung, Sir Georg, ist eine sehr gefährliche Sache; Sie müßten ihn denn gerade dann sehen, wenn ihn die Strafe trifft; das sind aber traurige Augenblicke, nach denen es einen besser nicht verlangt.« »Wen träfe, wenn jedem nach Verdienst gemessen würde, keine Strafe, Herr Pfarrer? Nun ich spreche in Rätseln will mich aber deutlicher erklären, sobald ich mit meiner Frau über den Fall gesprochen ... Setzt die Ruder ein, Bursche,« rief er, »am Himmel droht Sturm.«

Schwere Wolkenmassen hingen am westlichen Himmel, von der untergehenden Sonne mit tiefem Rot gefärbt, die Luft war schwer wie Blei, und bange Stille herrschte in der ganzen Natur, den Ausbruch eines Ungewitters verkündend. Bald fielen große, schwere Tropfen, aber es kam zu keinem richtigen Regen, trotzdem eine drückende Hitze, in Schottland ganz ungewöhnlich um Ende Mai herum, herrschte. Die Fahrt wurde immer beschwerlicher. Wilde Böen jagten über die Wasserfläche und machten alle Arbeit der Ruder vergeblich. Noch ein schmales Vorgebirge galt es zu umschiffen, um zu einem Landungsplatz, der Mündung eines kleinen Flusses, zu gelangen. Aber der schwere Sturm machte es ihnen außerordentlich schwer, vorwärts zu kommen.

»Könnten wir nicht diesseits vom Gebirge landen und Schutz finden?« fragte Staunton. Butler kannte keinen Landungsplatz in der Nähe, von wo aus man an den steilen Felsen, die das Ufer umgaben, empor gelangen konnte. »Wir müssen eine Zuflucht finden,« rief Staunton, »der Sturm wird immer stärker.« »Je nun,« sagte einer von den Bootsleuten, »so bleibt uns bloß die Zigeunerbucht; aber dem Herrn Pfarrer darf man nichts davon sagen wegen des Schmuggels; auch weiß ich nicht, ob ich das Boot dorthin steuern kann; die Bucht wimmelt von Untiefen und versunkenen Felsblöcken.«

»Versuch's,« befahl Staunton, »eine halbe Guinee, wenn wir die Bucht gewinnen.« Der alte Fährmann griff nach dem Steuer; »sind wir erst mal drin,« sagte er, »werden wir bald den steilen Pfad finden zu den Bergen hinauf und das Pfarrhaus erreicht haben.« »Vor fünfzehn Jahren, als Andrew Wilson mit seinem Kutter die Buchten befuhr,« sagte der Mann, »wußte ich freilich hier bessern Bescheid. Er hatte damals einen jungen Engländer bei sich, einen gar wilden Patron mit Namen.« »Wenn Du soviel plapperst,« fiel ihm Lord Staunton ärgerlich ins Wort, »rennt der Kutter auf den Wetzstein! Halt das Segel scharf auf die weiße Kuppe dort!«

»Mord und Brand,« rief der Alte und starrte ihn an wie den leibhaftigen Gottseibeiuns. »Euer Gnaden wissen in der Bucht so gut Bescheid wie ich. Euer Gnaden müssen die Nase schon früher am Wetzstein gehabt haben.«

Sie kamen der kleinen, durch Klippen geschützten, hinter Felsen verborgenen Bucht langsam näher, die nur von Leuten benutzt werden konnte, die genau mit der Schiffahrt in diesen Gewässern vertraut waren. Ein altes gebrechliches Boot lag dort, hinter Gebüsch und vorspringenden Felsen versteckt. Butler sagte, als er dasselbe erblickte, zu dem Lord, wie schwer es ihm würde, die Leute in der Gegend von der Gesetzwidrigkeit des Schleichhandels zu überzeugen, obgleich sie seine schädlichen Folgen täglich vor Augen hätten. Staunton meinte, der Schmuggel übe auf jugendliche Gemüter eine gewisse Romantik, und im reiferen Alter käme wohl auch hier die Besserung?

»Dies trifft nicht immer zu,« versetzte Butler, »besonders bei denen nicht, die sich zu Blutvergießen haben hinreißen lassen; freilich kommt jeder dabei früher oder später zu einem schlimmen Ende. Lehrt uns doch schon die heilige Schrift, daß die Hand der Vergeltung den Gewalttätigen ereilt, und daß wer nach Blut dürstet, nicht die Hälfte seiner Tage erlebt. Aber wollen Sie sich nicht meines Armes bedienen, auf das Ufer zu steigen?«

Lord Staunton tat wirklich Beistand not, denn die Worte des schlichten Pfarrers, die seine früheren Gesinnungen so herbe straften, gingen ihm so nahe, daß er sich einem Schwindel nahe fühlte.

Nur dumpfer Donner dröhnte noch, als sie den Fuß ans Land setzten. »Das ist ein böses Omen, Herr Butler,« sagte Staunton. » Intonuit laevum Es donnert links. Und das bedeutet Gutes,« versetzte Butler lächelnd. Den Bootsleuten wurde befohlen, das Boot mit dem Gepäck um das Vorgebirge herum nach dem gewöhnlichen Landungsplatze zu steuern; die beiden Herren hingegen von einem Lakaien begleitet, suchten sich auf wild verworrenem Pfade durch dichtes Gebüsch den Weg zum Pfarrhaus zu bahnen, wo man in banger Sorge auf sie seit dem verflossenen Tage wartete. Auch der Abend des dritten Tages nahte, und noch immer kamen sie nicht, die beiden Gatten! Lady Staunton fürchtete, Unmut halte den ihrigen fern, da er sich vor der Begegnung mit ihrer Schwester, der seine unglückliche und schmachvolle Lebensgeschichte bekannt war, scheue; wußte sie doch nur zu gut, welchen Zwang er sich in Gegenwart anderer auferlegen mußte, um seine Ruhe zu wahren! Sie bat Jeanie wiederholt, sich zu stellen, als ob sie ihn nicht wiedererkenne, ihn ganz wie einen Fremden zu behandeln; und Jeanie versprach es ihr neuerdings, sich ganz nach ihrem Willen zu richten. Auch Jeanie wurde unruhig, wenn sie sich die Verlegenheit ausmalte, in die eine solche Zusammenkunft beide Teile setzen mußte; aber ihr Gewissen war rein, und so sah sie trotz allem der Heimkunft ihres geliebten Mannes nach so langer Abwesenheit mit inniger Sehnsucht entgegen.

In dieser Stimmung traf Hauptmann Knockdunder an der Spitze seines halben Dutzends rüstiger Bursche in Hochlandstracht die beiden Damen. Er verneigte sich vor ihnen und bat Jeanie um Branntwein und andern Proviant, da er schon seit frühem Morgen über Heide und Moor getrabt sei, doch ohne jemand zu treffen. Er bekräftigte seine Worte mit einem derben Fluch, um dann mit ritterlicher Miene, zu Lady Staunton gewendet, fortzufahren: »Es ist mir wenigstens ein Trost, nachdem ich die schwere Arbeit hinter mir habe, daß sie geschehen ist, einer schönen Frau, oder dem Manne einer schönen Frau, zu dienen, was ja auf eins herauskommt; denn wer dem Manne dient, dienet seinem Weibe, wie Frau Butler gar wohl weiß.« »Ich weiß nicht, Hauptmann,« sagte Lady Staunton, »da diese Schmeichelei mir zu gelten scheint, was Sir Georg oder ich mit Ihren heutigen Wanderungen zu schaffen haben.« »Gott verdamm mich! das ist hart, meine Gnädige! Als ob es nicht auf besonderen Auftrag des Herrn Agenten Seiner Gnaden zu Edinburg und beigefügten gerichtlichen Verhaftsbefehl geschehen wäre, daß ich Donacha aufsuche, um ihn vor mich und Sir Georg zu stellen, damit er seine gerechte Strafe erleide; den Tod am Galgen nämlich, sowohl weil er Ihre Gnaden so in Angst gejagt hat, als auch wegen anderer Dinge von geringerer Wichtigkeit.« »Weil er mich in Angst gejagt? Ich habe doch meinem Gemahl keine Silbe von dem Zusammentreffen mit Donacha am Wasserfall geschrieben.« »Dann muß er es auf andere Weise erfahren haben, denn wie käme er sonst dazu, diesen Schuft sehen zu wollen? mich über Stock und Bein zu hetzen, als könnte mir ein besonderer Gewinn draus erwachsen, wenn ich ihn treffe? Wenn nur mich nicht vorher ein Schuß durchs Gehirn trifft!« »Verfolgen Sie den Räuber wirklich auf Wunsch meines Gemahls?« fragte die Lady. »Nun, Gottes Donner! mir war's allein mein Leben nicht eingefallen, ihm das bißchen Ruhe, das ihm von den Englischen noch gelassen wird, zu rauben, so lange er herzogliches Eigentum in gebührlicher Achtung hält. Beliebt's aber, einem Freunde des Herzogs, ihn unter Schloß und Riegel zu wissen, dann muß ich ihn eben hinter Schloß und Riegel bringen. Darum bin ich nun seit Tagesanbruch auf den Beinen mit dem halben Dutzend junger, kräftiger Burschen in Hochlandstracht.« »Es wundert mich, Herr Hauptmann,« bemerkte Jeanie, »daß Sie den Parlamentsbefehl gegen Hochlandstracht außer acht lassen. »Gottes Donner!« rief der Hauptmann »wir haben das Gesetz erst ein paar Jahre, und bis es uns in Fleisch und Blut gedrungen, vergeht wenigstens die zehnfache Zahl. Wie sollen denn meine Bursche mit den vermaledeiten Hosen über den Beinen die Berge hinaufkommen? Na, ich weiß doch, wo Donacha seinen Schlupfwinkel hat, bin auch dagewesen, wo er noch gestern gehaust hat, hab das dürre Laub gesehen, auf dem er mit seinen Kameraden gelegen, hab die Asche gerochen, die von ihrem Feuer übrig ist. Aber er muß Unrat wittern, der Donacha, denn ob ich auch alle Schluchten und Höhlen im Gebirg visiert habe, so ist mir doch kein Zipfel seines Rockes zu Gesicht gekommen.« »Er wird den Loch hinunter bis Cowal gefahren sein,« sagten David und Reuben, die früh am Morgen nach Nüssen im Walde gewesen waren und ein Boot nach der Zigeunerbucht hin hatten steuern sehen, einem ihnen wohbekannten Orte, wenn auch ihrem Vater, der von Abenteuern nichts wissen mochte, nichts davon bekannt war. »Nun wahrhaftig,« rief Duncan, »dann will ich schnell austrinken und wieder weiter. Vielleicht sind sie gar im Gehölz? Euer Gnaden wollen meinen schnellen Abschied entschuldigen! ich bin gleich wieder zurück, entweder mit dem lebendigen Donacha oder mit seinem Kopfe, was ebensogut ist.«

Unter vielen Verbeugungen verließ Duncan das Pfarrhaus, um mit seinen Mannen das Gehölz zwischen dem kleinen Gebirgstal und der Zigeunerbucht abzusuchen. David, den der Hauptmann wegen seines Mutes gut leiden mochte, ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, ihn auf diesem Zuge zu begleiten.


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