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Vierzehntes Kapitel

Der Herzog gelangte mit Jeanie zu der kleinen Pforte, durch die sie in den Richmonder Park Einlaß gefunden hatten; der nämliche Pförtner öffnete, und bald befanden sie sich wieder außerhalb des königlichen Parkes. Gesprochen worden war zwischen ihnen kein Wort, seit sie von der Königin sich verabschiedet hatten. Den Wagen fanden sie an derselben Stelle, wo sie ihn verlassen hatten, und rasch rollte er mit ihnen wieder zur Stadt zurück.

»Ich glaube, Jeanie,« fing der Herzog die Unterhaltung an, als sie auf offener Landstraße fuhren, »man darf Dir zu dem Erfolge Deiner Audienz gratulieren.« – »Und war das wirklich die Königin?« fragte Jeanie; »ich dachte es mir, weil Euer Gnaden den Hut in der Hand hielten.« – »Nun, freilich war's die Königin Karoline,« versetzte der Herzog; »möchtest Du nicht nachsehen, was in dem Täschchen steckt?« – »Vielleicht der Gnadenbrief?« fragte Jeanie, von froher Hoffnung erfüllt. – »Nein, das wohl nicht,« antwortete der Herzog; »dergleichen Papiere pflegen die hohen Herrschaften nicht bei sich zu tragen. Auch hat Dir die Königin ja gesagt, daß nicht ihr, sondern dem Könige das Begnadigungsrecht zustehe.« – »Ach ja, mir ist der Kopf schon ganz wirr. Aber Euer Gnaden meinen, es sei mit Sicherheit auf Effies Begnadigung zu rechnen?« – »Nun, Könige und störrische Pferde lassen sich schwer taxieren,« versetzte der Herzog; »aber seine Gemahlin weiß mit ihm umzugehen, und so möchte ich Zweifel in Deine Angelegenheit nicht mehr setzen.« – »O, Gott sei Dank!« rief Jeanie; »möge es der Königin nie an Zufriedenheit mangeln, die sie jetzt so reich in mein Herz gesät. Und auch über Sie, Mylord, Gottes Segen! denn ohne Ihre gnädige Hilfe wäre es mir doch nie beschert gewesen, vor das Antlitz der Königin zu gelangen.«

Der Herzog, der vielleicht sehen wollte, wie lange die dankbare Regung bei Jeanie über die Neugierde siegen würde, ließ sie geraume Zeit bei diesem Gedanken; aber wenn er sie nicht selbst noch einmal an das Geschenk der Königin erinnert hätte, so wäre es vielleicht gar nicht nachgesehen worden, denn Jeanie besaß von dem Erbteil ihres Geschlechts einen sehr bescheidenen Anteil. Als sie es endlich auf des Herzogs Mahnen öffnete, stellte sich heraus, daß es die zierlichsten Nähwerkzeuge enthielt und in einem Seitentäschchen eine Banknote von fünfzig Pfund.

Als der Herzog Jeanie über den Wert dieser Note aufklärte, denn sie hatte eine solche in ihrem Leben noch nicht gesehen, meinte sie, die Königin wieder in den Besitz derselben setzen zu müssen, und übergab sie zu diesem Zwecke dem Herzoge. Dieser aber erwiderte, daß die Königin recht wohl wisse, daß die Note in dem Täschchen gesteckt habe; aber auch, daß sie viel Ausgaben auf einer solchen weiten Reise gehabt haben müsse; und zur Deckung derselben solle sie das Geld nur benutzen.« – »Ach, Euer Gnaden, es wäre doch aber schon an dem Täschchen mit dem schönen Inhalt und dem aufgestickten Namenszug Ihrer Majestät mehr denn genug gewesen, immerhin,« überlegte sie, »kann ich auf diese Weise dem Laird sein Geld zurückerstatten, ohne daß es dem Vater zur Last fällt. Und Laird Dumbiedike wird sicher nicht ungehalten darüber sein.«

»Was sagst Du da, mein Kind? Lord Dumbiedike? Doch nicht der, der in der Nähe von Dalkeith ein Gut besitzt? Der immer in schwarzer Perücke mit Tressenhut geht?« – »Jawohl, Euer Gnaden! Der ist's,« versetzte Jeanie kurz, denn sie sah keinen Grund, bei dem Laird länger zu verweilen. – »Jesus! Mein alter Freund Dumbiedike! Lustig und guter Dinge hab ich ihn wohl dreimal im Leben gesehen, aber eine Wandlung seiner Stimme bloß ein einziges Mal erlebt. Ist er verwandt mit Dir, Jeanie?« – »Nein, Euer Gnaden.« – »Also wohl Dein Verehrer?« – Jeanie stotterte mühsam, daß es so sei. – »Na, wenn der Laird kommt, dann ist doch dem armen Butler das letzte Brot gebacken?« – »O nein, Mylord!« versetzte Jeanie viel schneller als vordem, jedoch mit weit tieferem Erröten.

»Nun, Mädchen, mir scheint, man darf Dir die Besorgung Deiner Angelegenheiten getrost allein überlassen,« sagte der Herzog, »und ich will mich nicht weiter danach erkundigen. Was den Gnadenbrief anbelangt, so will ich ihn Dir, sobald er in meinen Händen ist, durch einen expressen Boten nach Schottland nachsenden. Inzwischen darfst Du Deine Freunde getrost von dem glücklichen Resultat Deiner Reise mit einem Brief unterrichten.« »Meinen Euer Gnaden,« fragte Jeanie, »daß das besser sei, als wenn ich mit meinem Bündel unterm Arme wieder heimginge?« – »Ganz gewiß, Kind, für ein Mädchen ist es entschieden besser, denn die Unsicherheit auf unsern Straßen ist seit Deinem Hiersein noch nicht geschwunden; übrigens kannst Du mit meinem Kammerdiener und einem Mädchen meiner Frau die Reise machen; sie sollen in der Kalesche nach Inverary hinunter fahren, also über Glasgow hinaus; in der Kalesche wird für Dich Platz genug sein, und von Glasgow mag Dich Archibald nach Edinburg hinüber bringen. Unterwegs kannst Du vielleicht unser Mädchen, dem die Milchkammer übergeben werden soll, in der Käsemacherei unterrichten. Ich meine überzeugt sein zu dürfen, daß Du mit den Milcheimern ebenso reinlich bist wie mit Deinen Kleidern.«

»Sind Euer Gnaden ein Freund von Käse?« fragte Jeanie, über deren Gesicht ein Strahl freudigen Selbstbewußtseins glitt. – »Ob ich ein Freund von Käse bin?« widerholte der Herzog, der in seiner Leutseligkeit ahnte, was folgen werde; »ist nicht Haferkuchen und Käse ein Kaisermahl? Wie sollte es keines sein für einen Hochländer?« – »Ich frage bloß,« meinte Jeanie bescheiden, aber voll Zuversicht und heller Freude, »weil man unsern Käse für ebensogut hält wie den Dunloper, und wenn wir uns erlauben dürften, Euer Gnaden einen Laib davon, vielleicht von zehn bis zwanzig Pfund, zu schicken, so möchte mich das nicht wenig stolz machen. Sollten Sie aber, als Hochländer, lieber Ziegenkäse essen, so müßte ich freilich sagen, daß ich mich auf dessen Bereitung weniger gut verstehe. Ich würde aber mit meiner Muhme aus Lammermoor reden.«

»Nicht doch, nicht doch,« antwortete der Herzog, »Dunloper ist ja gerade meine Lieblingsspeise; also schick mir nur von der Sorte, die diesem gleichkommt. Bereite ihn aber auch selbst, Jeanie; ich kann mir schon denken, daß Du damit wirst Ehre einlegen wollen, bin ich doch Kenner und Liebhaber von Käse.«

»O, er soll Euer Gnaden schon schmecken!« antwortete Jeanie mit stolzer Zuversicht, »und an Mühe will ich es auch nicht fehlen lassen. Aber wenn er Ihnen nicht munden sollte, dürfen Sie auch mit dem Tadel nicht hinterm Berge halten, Euer Gnaden. Das mache ich mir aus.«

Der Herzog versprach es ihr und ermahnte nun Jeanie noch, ihrerseits mit Archibald gut auszukommen, von dem sie gewiß alle Rücksicht zu gewärtigen hätte, vorausgesetzt, daß sie ihn nicht mit allzu viel Fragen behelligte; worauf Jeanie meinte, sie kenne ihn ja nun schon ein paar Tage und wisse ganz gut, wie man sich ihm gegenüber verhalten müsse. Der Herzog sagte ihr noch, sie möge sich mit allem, was sie zur Reise nötig erachte, für Mitte der neuen Woche bereit halten; dann forderte er sie zum Einsteigen auf und befahl dem Kutscher, vor dem Laden zum Dornbusch zu halten.

Hier wartete Frau Glas schon wie auf Kohlen und bestürmte Jeanie mit hunderterlei Fragen: ob sie Seine Herrlichkeit gesehen und Seiner Herrlichkeit hohe Gemahlin, Seiner Herrlichkeit Kinder, die kleinen Prinzen? Ob sie den König oder die Königin, oder den Prinzen von Wales gesehen habe? oder sonst jemand aus dem königlichen Hause? Ob sie den Pardon für die Schwester ausgewirkt habe? Oder nur eine Strafmilderung? Wie weit sie habe fahren müssen? Wo sie abgestiegen sei? In welchem Schlosse oder welchem Landsitze? Was man sie gefragt, was man mit ihr gesprochen, was sie geantwortet habe, usw. usw.

Ware nicht Herr Archibald ihr wieder zu Hilfe gekommen, so hätte sie sich kaum vor dieser Sturmflut von Fragen zu retten gewußt. Er sagte ihr, Seine Durchlaucht habe ihm ganz besonders aufgetragen, sie möge das Mädchen mit Fragen nicht behelligen, da er selbst in Kürze bei ihr vorzusprechen und sich mit ihr über den Fall im allgemeinen und im besonderen zu unterhalten gedenke. Vielleicht brauche er auch in mancherlei Punkten, über die sich das Mädchen nicht so auslassen könne, ihren guten Rat. Bis dahin lasse er geneigtest um Diskretion ersuchen.

»Seine Herrlichkeit sind außerordentlich gnädig,« antwortete Frau Glas, die überzuckerte Pille, so gut es anging, schluckend; »Dero Gnaden wissen ja auch, daß ich bis zu einem gewissen Grade für die Aufführung meiner Nichte die Verantwortung trage. Zweifellos sind Dero Gnaden aber der beste Richter, in welchen Dingen Sie sich mehr auf meine Muhme als auf mich zu verlassen haben.«

»Seine Herrlichkeit,« antwortete Herr Archibald mit echt schottischer Würde, »sind hierüber allerdings nicht im Zweifel, und Sie dürfen dies wohl am besten mit daraus entnehmen, daß mich Dieselben noch beauftragt haben, Ihnen die Versicherung zu geben, daß alles so ginge, wie es Ihr gutes Herz nur eben wünschen könne.«

»Seine Herrlichkeit sind außerordentlich gütig,« erwiderte Frau Glas, »und ich halte mich durchaus zu Dero Befehl. Aber, Herr Archibald, Sie sind doch schon ein tüchtiges Stück heut unterwegs; zu einem Gläschen echten Rosa Solis sagen Sie wohl nicht Nein?« – »Ich muß Ihnen leider danken, meine liebe Frau Glas,« erwiderte Herr Archibald, »aber Seine Herrlichkeit haben mir ausdrücklich befohlen, sogleich zurückzukommen.« Mit diesen Worten verließ er, nach einer kurzen, höflichen Verbeugung, den Laden.

Frau Glas wandte sich gleich an ihre Muhme. »Ei, Jeanie,« sagte sie, »daß Deine Sache so gut steht, ist ja eine wahre Freude, wenn es schließlich bei der Vielvermögendheit des Herrn Herzogs auch kaum anders zu erwarten stand. Seine Herrlichkeit hat geruht, mir sagen zu lassen, daß Sie sich selbst zu mir bemühen würden, um über alles mit mir zu sprechen; darum will ich es unterlassen, Dich weiter auszufragen, denn Seine Herrlichkeit pflegen in allem, was Sie tun und sagen, sehr bedächtig und überlegt zu sein. Aber wenn ich auch Dich nicht frage, so könntest Du mir doch sagen, was Dein Herz jetzt noch bedrückt.«

Jeanie, die ihrer Tante einerseits nicht zu nahe treten mochte, anderseits recht wohl erkannte, daß es nicht geraten sei, eine so redselige Frau über solche, doch immer in gewissem Sinne private Unterredung mit der Königin aufzuklären, erwiderte, der Herzog habe sich im wesentlichen darauf beschränkt, sich über die schlimme Situation der Schwester zu erkundigen, und dann seine Meinung dahin geäußert, daß er Mittel und Wege, sie in erheblichem Grade zu bessern, gefunden zu haben denke; er habe aber auch ihr gesagt, daß er mit Frau Glas, da er sie ja zu seinen intimeren Bekannten rechne, sich persönlich darüber unterhalten und aussprechen wolle.

Wenn das der Ladeninhaberin zum Dornbusch nun auch schmeichelte, so konnte sie sich doch nur schwer dabei beruhigen, und trotzdem sie Jeanie die Versicherung gegeben, sie nicht weiter zu behelligen, versuchte sie es doch immer und immer wieder, sie auszufragen, bald über den Herzog, bald über König und Königin, bald über den Ort, wo sie mit dem Herzog eigentlich gewesen sei, ob in Windsor, oder in Richmond, oder wo anders; aber gerade die letzte Frage gab Jeanie die schicklichste Gelegenheit, sie abzufertigen, indem sie betonte, daß sie das ja doch gar nicht wissen könnte, da sie kaum eine einzige Straße Londons, außer der, wo sich der Laden der Tante befände, dem Namen nach kennte. Sie habe auch bloß eine einzige Dame gesehen und auch nur aus dem Munde des Herzogs erfahren, daß dieselbe Karoline heiße. »O,« rief da Frau Glas, »das wird niemand anders gewesen sein als die älteste Tochter Seiner Herrlichkeit, Mrs. Karoline Campbell. Nun, der Herzog wird's mir ja sagen, sobald er kommt. Jetzt laß uns aber hinaufgehen und essen. Der Tisch ist schon lange gedeckt, und Du wirst hungrig sein. Ich habe schon ein paar Bissen gegessen. Drum paßt im Augenblick unser schottisches Sprichwort auf uns: Zwischen einem, der satt, und einem, der hungrig ist, wird's nie was Rechtes mit einer Zwiesprach.«


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