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Achtzehntes Kapitel.

Die Inseln in dem vom Clyde gebildeten Meerbusen sind von hoher, aber sehr verschiedenartiger Schönheit. Das felsige Arran, eigentlich ein Eiland, ist reich an romantischen Ausblicken; Bute ist ein liebliches Wald-Idyll, und die Cumerays gleichen grünen Wiesenflächen, zwischen denen das Meer sich Bahnen bricht, seinen Busen zu runden. Weiter aufwärts im Bereiche desselben, seinem westlichen Ufer nahe, liegt Roseneath, größer als Arran, und doch fast auch nur ein Eiland, umspült vom Lochgare, der sich hier zusammen mit anderen Wasserläufen des Hochlands in den Clydebusen ergießt. Die Lage der Inseln schützt sie fast sämtlich sowohl vor den eisigen Frühlingswinden Schottlands als vor den gewaltigen Stürmen des Atlantischen Ozeans. Drum gedeihen die Hängebirke und Trauerweide, wie manch andere früh knospenden Bäume auf dieser stillen, einsamen Inselflur zu einer den östlichen Gegenden Schottlands unbekannten Fülle und Schöne.

Die Grafen und Herzöge von Argyle hegten seit Jahrhunderten für die malerisch-schöne Insel eine besondere Vorliebe und hatten sich ein Schloß dort bauen lassen, das durch viele Zubauten mit der Zeit wesentlich vergrößert und verschönert worden war.

Diesem lieblichen Eiland näherte sich jetzt die kleine Reisegesellschaft. Auf dem mit niedrigen, aber dicht belaubten Eichen und Haselsträuchern bestandenen Landungsplatze sahen sie schon von weitem eine Menschengruppe, die dem Anschein nach auf sie wartete. Jeanie aber gab wenig acht auf sie, und es wirkte darum ähnlich einem schweren Blitzschlage auf sie, als die Hochländer, die sie ans Land trugen, sie aus den Armen ließen, um sie den Armen ihres Vaters zu überantworten.

Es schien ihr so wunderbar, einem seligen Traume so ganz ähnlich, daß sie es im ersten Augenblick nicht für wirklich wahr zu halten vermochte. Sie entwand sich den sie fest umschlingenden Armen des Vaters, hielt, um sich zu überzeugen, daß es wirklich keine Täuschung sei, den Vater auf Armeslänge von sich, betrachtete ihn von Kopf zu Füßen, und doch, es war nicht anders es war wirklich David Deans, wirklich er selbst, ihr leiblicher Vater in seinem besten hellblauen Sonntagsüberrock mit großen Metallknöpfen, und eben demgleichen Gehrock wirklich David Deans in seinen Gamaschen von grauem Tuch und seiner breiten blauen Mütze, die sich jetzt, als er die Augen in stummer Dankbarkeit gen Himmel hob, zurückschob und die silbergrauen Locken, die offne tiefgefurchte Stirn, die hellen blauen Augen zeigte, die, noch ungetrübt von den Jahren, noch klar und licht unter den buschigen, grauen Wimpern blitzten, ja, es waren wirklich die Züge von David Deans, deren gewohnte Strenge jetzt in einen Ausdruck hehrer Freude, hehrer Liebe, hehrer Dankbarkeit verschmolzen.

»Jeanie, Jeanie, mein bestes, liebstes, herzigstes Kind, der Gott Israels sei Dein Vater, denn ich bin Deiner nicht würdig! Du hast uns die Ehre unseres Hauses wiedergegeben. Aller Segen der Verheißung und Vergeltung sei mit Dir, mein Kind! Allein Gott hat Dich bereits gesegnet durch das Gute, zu dessen Werkzeug er Dich erkoren!«

So wenig David Deans zur Weichmütigkeit neigte, so konnte er doch den Tränen nicht wehren, ihm die Augen zu füllen. Mit großem Feingefühl hatte Archibald alle fremden Leute vom Platze entfernt, so daß Vater und Tochter allein mit sich waren und nur den Wald und die untergehende Sonne zu Zeugen der tiefen Empfindungen hatten, die jetzt in ihren Herzen rangen.

»Und Effie? Und Effie, teuerster Vater?« war die Frage, mit welcher Jeanie wiederholt die Ausbrüche ihrer Freude und ihres Dankes unterbrach. »Du sollst es hören,« sagte David Deans hastig, von neuem den Himmel preisend, daß er Jeanie gnädiglich behütet und sie heil und gesund aus dem Lande der ihm verhaßten ketzerischen Lehre zurückgeführt hatte. »Und Effie?« fragte die liebende Schwester wieder und wieder. »Und ...« (gern hätte sie Butler genannt, aber sie hielt noch mit der Frage zurück) »und Saddletrees, und der Laird, und alle andern lieben Bekannte und Freunde?« »Alle gesund, gottlob, alle gesund!« »Und und Herr Butler,« fragte sie stockend, »er war nicht recht auf dem Posten, als ich fortging.« »Er ist wieder hergestellt und ganz wohl.« »Gott sei Dank! aber ach, teurer Vater, Effie? Effie?« »Effie,« wiederholte er, »Du wirst sie nie wiedersehen, mein Kind,« antwortete Deans mit feierlichem Ton; »Du bist das einzige Blatt, das dem alten Baume geblieben, Heil und Segen Dir!« »Sie ist tot! Sie haben sie umgebracht! Der Brief ist zu spät gekommen!« rief Jeanie, bange die Hände ringend. »Nein, Jeanie,« antwortete Deans mit demselben feierlichen Ernst wie zuvor. »Effie lebt, im Fleisch und frei von irdischem Zwange. O, daß sie ebenso lebendig wäre im Glauben und ebenso ledig der Stricke des Satans.«

»Der Herr sei uns gnädig!« rief Jeanie; »das unglückliche Kind kann doch nicht Euch Vater, verlassen haben, um jenes Bösewichtes willen.«

»Und doch redest Du die Wahrheit, die lautere Wahrheit,« sagte Deans; »Effie hat ihren Vater verlassen, der um sie weinte und für sie betete. Effie hat ihre Schwester verlassen, die für sie litt, die wie eine Mutter an ihr handelte. Effie hat die Gebeine Ihrer Mutter, hat Heimat und Vaterland verlassen, um jenem Belialssohne zu folgen. Bei Nacht und Nebel,« rief er, traurig und doch mit wildem Zorn, »ist sie davongegangen.« Dann schwieg er. »Und mit diesem Manne? Mit diesem schrecklichen Manne?« rief Jeanie, noch immer die Hände ringend. »Uns alle, Vater, Schwester, Freunde, hat sie verlassen, um mit ihm zu gehen? O, Effie, Effie, wer hätte das geglaubt, nach solcher Errettung!« »Sie ist von uns gegangen, Kind, weil sie nicht zu uns gehörte,« sagte der Vater. »Sie ist eine verdorrte Rebe, die keine Frucht der Gnaden bringen kann, ein Sühnopfer, hinausgestoßen in die Wüstenei der Welt, unsere Missetat zu sühnen. Der Friede der Welt möge ihr zuteil werden, und, wenn ihr wieder die Gnade wird, danach zu verlangen, auch der bessere Friede. Gehört sie zu den Erwählten, so wird auch ihre Stunde kommen. Der Herr kennt seine Zeit. Sie war das Kind meines Gebets. Möge sie nicht ganz zum Auswurf werden! Aber niemals, Jeanie, niemals werde ihr Name wieder unter uns genannt! Sie ist, um mit dem geduldigen Hiob zu sprechen, an uns vorbei geglitten, wie ein versiegender Bach, der aus seinem Bette schwindet, wenn der heiße Sommer kommt. Sie gehe dahin und sei vergessen!«

Grabesstille folgte auf diese traurigen Worte. Gern hätte Jeanie den Vater nach den näheren Umständen von Effies Flucht gefragt, aber der Vater hatte seinen Willen zu fest, zu entschieden ausgesprochen, und so wagte sie nicht, des Zusammentreffens mit George Staunton mit auch nur einem Worte zu erwähnen; denn was sie im Pfarrhause zu Willingham über das unglückselige Geschick der Schwester vernommen, war nicht danach beschaffen, den Kummer des Vaters zu mildern. Sie nahm sich vor, zu warten, bis sie mit Reuben Butler darüber gesprochen. Aber wann würde sie ihn wiedersehen? Der Zweifel, der in ihrem Gemüte herrschte, verdichtete sich um so mehr, als ihr Vater, wie wenn er jedem weitern Gespräch über sein jüngeres Kind aus dem Wege gehen wollte, nach dem gegenüberliegenden Ufer wies und die Frage stellte: ob Dumbartonshire nicht ein ganz angenehmer Wohnplatz sei? und gleich darauf hinzusetzte, daß er gesonnen sei, seine Tage hier zu beschließen, da Seine Durchlaucht, der Herzog von Argyle, ihn als einen in der Landwirtschaft wohlerfahrenen Mann zum Aufseher einer großen Meierei berufen hätte. Jeanie war über diese Mitteilung bestürzt; wohl gab sie zu, daß Land und Weide nichts zu wünschen übrig ließen, daß das Gras, obgleich so lange Trockenheit geherrscht, frisch und saftig aussehe; allein es sei gar so weit von der Heimat, und sie würde gewiß recht oft an die schönen Weiden voll Maßlieb und gelber Kuhblümchen zwischen den St. Leonards-Felsen denken.

»Sprich nicht von dort, Jeanie,« sagte ihr Vater, »ich will den Namen nie mehr hören. Aber Deine Lieblingskühe habe ich alle mit hergenommen. Die scheckige und die braune, auch die weißgefleckte, der Du den Namen welchen, brauche ich Dir nicht zu sagen und will ich nicht sagen gabst; die hätte ich gern verkauft, aber aber es ließ sich nicht machen und so hab' ich sie auch mitgenommen, wenn es mir auch oft das Herz schwer machen wird, sie zu sehen.«

Je mehr aber Jeanie über Dumbartonshire vom Vater hörte, desto mehr fand sie Ursache, die Fürsorge des Herzogs zu bewundern. Die an Effies Begnadigung geknüpfte Bedingung langjähriger Landesverweisung hatte ihm die Vermutung nahe gelegt, daß auch David Deans, um sich nicht von seiner Tochter zu trennen, daran denken werde, seinen Wohnort zu verändern. Durch Jeanies Erzählung hatte er eine günstige Meinung von ihrem Vater bekommen und ihm unter günstigen Bedingungen die Aufseherstelle seiner Meierei zu Dumbarton angetragen, wo er in Ruhe und Verborgenheit unter herzoglichem Schutze die Tochter bei sich behalten konnte. Effies Flucht hatte in dem Greise den Wunsch, die ihm so verhaßt gewordenen St.-Leonards-Berge zu verlassen, noch mehr gefestigt; gern hatte er das Anerbieten angenommen, gern war er auch auf den weiteren Vorschlag des Herzogs eingegangen, Jeanie damit eine Ueberraschung zu bereiten.

Daraufhin hätte der Herzog, wie Deans meinte, seinen Sekretär Archibald von Edinburg aus schreiben lassen, mit Jeanie Deans nach Roseneath zu fahren. Unter Mitteilungen dieser und anderer Art schritten Vater und Tochter dem Hause zu, das zwischen hohen Bäumen hervorlugte. Als sie nur ein paar Schritte davon entfernt waren, sagte der Vater, indem er seinem ernsten Gesicht mit jenem starren Lächeln, das den einzigen Grad von Frohsinn kennzeichnete, zu dem er sich aufzuschwingen vermochte, einen noch ernsteren Ausdruck gab: es wären zwei fremde Herren dort: der Laird von Knocktarlitie, ein Edelmann der Hochlande, ein Herr, rasch zum Zorn bereit, wie alle in den Bergen, habgierig und darum wenig besorgt um sein Seelenheil, sonst aber umgänglich und gastfrei, mit dem man eben, da ihm die Jurisdiktion über Argyle zustehe, in gutem Vernehmen bleiben müsse. Der andere sei ein Pfarrer, dem durch herzogliche Gnade dieses Kirchspiel als Pfründe erteilt worden sei. Ueber ihn, setzte er hinzu, brauche er wohl nicht viel zu sagen, zumal sie ihn wohl schon gesehen haben dürfte, und wieder trat das seltsam starre Lächeln auf sein Gesichts, jenes einzige Zeichen von Frohsinn, dessen seine Miene fähig war. O ja, ihn hatte sie schon gesehen, denn es war niemand sonst als Reuben Butler Reuben Butler, wie er leibte und lebte!


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